Die wichtigsten alltäglichen Ziele ohne Auto und in ein paar Minuten erreichen: Das ist das Ziel der „15-Minuten-Stadt“. Im Kreis Rottweil erreichen zwei Städte diese Marke: Rottweil und Schramberg. Abseits der Metropolen sind dort kurze Wege zu Arzt, Supermarkt & Co. bereits erreicht. Auch Deißlingen punktet bei dieser Berechnung.
Der Idee liegt ein stadtplanerisches Leitbild zugrunde: Eine sogenannte „Stadt der Viertelstunde“ soll eine der kurzen Wege sein. „Ziel ist es, möglichst viele Funktionen des täglichen Lebens räumlich so zu organisieren, dass sie innerhalb einer Wegezeit von bis zu 15 Minuten fußläufig oder mit dem Fahrrad zu erreichen sind“, erklärt das Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung den Hintergedanken. Damit sei die Hoffnung verknüpft, „den negativen Folgen der autogerechten Stadt eine verkehrssparsamere Stadtentwicklung entgegenzusetzen.“ Einfacher ausgedrückt, sollen die Wege zur Arbeit, zum Supermarkt, zum Arzt oder zum Sportplatz so kurz sein, dass man öfter mal das Auto stehen lässt oder erst gar keins braucht. Dass man zu Fuß geht, mit dem Rad fährt oder / und die Öffentlichen nutzt.
Rasch von Rottweil aus zu erreichen (mit dem Auto, versteht sich) sind etwa als beispielhafte Projekte das Quartier „Vauban“ in Freiburg oder das „Französische Viertel“ in Tübingen. „Obwohl sie bis heute attraktive Stadtviertel darstellen, haben es diese Ansätze nicht in den Mainstream der kommunalen Stadt- und Verkehrsplanung geschafft“, bedauert das Bundesinstitut und erkennt auch: „Ohnehin sind die meisten Städte bereits gebaut, deshalb ist ein Umsteuern im Siedlungsbestand wesentlich wirkmächtiger.“
Gesucht: die „X-Minuten-Stadt“
Nun, Schramberg und Rottweil sind ebenfalls gebaut und neue Viertel wie die in den genannten Universitätsstädten auch in kühnsten Träumen nicht zu erwarten. Doch zeichnet diese Städte etwas anderes aus: Kompaktheit. Sie zeigen, dass die Idee der 15-Minuten-Stadt auf dem Land keine Utopie sein muss.
Um überhaupt herauszufinden, inwieweit die Stadt der kurzen Wege in Deutschland Realität ist, hat das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumplanung eine umfangreiche Studie angestrengt. Die Forschenden fanden viele kleinere Städte und Gemeinden auf dem Land, in denen sich die wichtigsten Orte des Alltags in weniger als 15 Minuten erreichen lassen.
Dazu ermittelten die Forschenden den Indikator „X-Minuten-Stadt“. Dies war eine von drei Messgrößejn der Studio, sie sagt aus, wie viele Minuten man durchschnittlich benötigt, um ausgewählte Ziele des Alltags zu erreichen. Ohne Auto, versteht sich.
24 ausgewählte Alltagsziele
Spitzenreiter in der Region Rottweil ist etwa Villingen-Schwenningen. „9,7 Minuten benötigen Einwohnerinnen und Einwohner im Durchschnitt, um die 24 ausgewählten Alltagsziele zu erreichen“, so das Ergebnis der Studie. Zu diesen Alltagszielen gehörten Supermärkte, Discounter, Nahversorger und sonstige Lebensmittelgeschäfte, Einzelhandelsgeschäfte, Dienstleister und Geldautomaten, Postfilialen oder -agenturen, ÖPNV-Haltestellen, Fahrradläden/-werkstätten, Arztpraxen, Apotheken, Seniorenpflegeheime, Kindergärten und Kitas, Grund- und weiterführende Schulen, Büchereien, Wälder und Wiesen, Grünanlagen, Parks, Friedhöfe und Kleingartenanlagen, Kinos, Theater, Museen und Musikklubs, Kinderspielplätze, Sport- und Schwimmgelegenheiten, die Gastronomie, Kirchen, Moscheen und Synagogen. Nicht zu diesen erhobenen Alltagszielen gehörten wegen fehlender Daten etwa Bankfilialen, Musikschulen, Weiterbildungseinrichtungen für Erwachsene, Jugendzentren oder Vereinsheime. Auch Arbeitsorte fanden keinen Wiederhall.
Und der ermittelte Wert ist ein Durchschnitt. So braucht man zum Arzt vielleicht gut 20 Minuten, dafür liegt der Supermarkt nur einen Steinwurf entfernt.
Kleinere Ortschaften im Landkreis Rottweil kommen bei dieser Messmethode nicht auf kurze Wegstrecken. Epfendorf und Dietingen, beispielsweise, in denen die Menschen länger als 38 Minuten benötigen, um die Alltagsziele durchschnittlich zu erreichen. Während die Bäckerei noch vor Ort ist, ist allein der Facharzt eben in der nächsten großen Kreisstadt zu finden. Zimmern ob Rottweil: schon viel besser mit 17,4 Minuten Entfernung und Dunningen mit 17,9. Schramberg (14,6 Minuten) und Rottweil (11,8) bilden laut der Studie bereits Städte der kurzen Wege. Und Deißlingen liegt als kleinere Gemeinde gut entwickelt gleichauf: 14,7 Minuten bis zum durchschnittlichen Alltagsziel. Die Neckarstädte Oberndorf und Sulz erreichen das von der Studie und Stadtplanern vorgegebene Ziel der 15-Minuten-Stadt (knapp) nicht.
Kompakte Kleinstädte und Gemeinden haben Vorteile
De „Spiegel“, der ausführlich über die Studie berichtet, kommt zu dem Schluss:
Großstädte mit mehr als 250.000 Einwohnern sind durchschnittlich 7-Minuten-Städte. Größere Mittelstädte kommen auf rund 10 Minuten; größere Kleinstädte auf durchschnittlich 16 Minuten. Selbst in ländlichen Regionen gibt es 15-Minuten-Orte. … Im Schnitt kommen Landgemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern auf rund 31 Minuten.
Das Blatt zitiert zudem die Projektleiterin der Studie, Brigitte Adam:
Kommunen, die eine kompakte Altstadt haben, haben für eine gute Naherreichbarkeit viel bessere Bedingungen als Städte, deren Stadtteile weit auseinanderliegen
Eine zweite Messgröße der Studie untersuchte die Frage: „Wie gut ist die Erreichbarkeit für Versorgung, Gesundheit, Bildung und Freizeit zu Fuß oder mit dem Fahrrad innerhalb von 15 Minuten?“ Dazu berücksichtigten die Forschenden nach eigenen Angaben vier Altersgruppen der Bevölkerung und ihre jeweils unterstellten Bedürfnisse und Mobilitätsbedingungen, etwa altersgruppenspezifische Geschwindigkeitsprofile für Gehen und Radfahren. Auf 100 Punkte kann eine Stadt oder Gemeinde hier theoretisch kommen, praktisch schaffte das keine. Ballungsräume schafften es hier auf gut 80 Punkte, Rottweil liegt mit immerhin noch 63,7 im regionalen Vergleich nicht schlecht, Villingen-Schwenningen erreicht hier beispielsweise 70. In Dietingen aber lebt man dann wirklich auf dem Land: 24,6 Punkte. Weiter ab vom Schuss, wenn diese Formulierung erlaubt ist, wohnt man eigentlich regional gesehen nur in einer der Heuberggemeinden. Oder in Eisenbach im Hochschwarzwald, als Beispiel.
Keine Sache der Schönen und Reichen
Mit einer Kritik räumt die Studie derweil auf: Eine 15-Minuten-Stadt ist keine Wohnumgebung der Schönen und Reichen, der Elite. Die Forschenden verglichen die Werte der Orte mit deren Mietspiegel. Fazit: Viertel mit guter Naherreichbarkeit wiesen tendenziell tatsächlich höhere Mietpreise auf, „aber andere Faktoren wirken wesentlich stärker“, heißt es in der Studie. So existiere ein vielfältigeres, nahe gelegenes Angebot sowohl in bessergestellten als auch in ärmeren Wohnlagen. Denn: Gutverdienende, die etwa über ein oder mehrere Autos verfügten, würden oft schön gelegene Wohngegenden außerhalb bevorzugen – wo das Angebot vor Ort aber stark eingeschränkt ist.
Info: Ausführliche Informationen zur Studie sind hier zu finden. Dere „Spiegel“ stellt in einem Bezahl-Artikel eine Karte unter dem Stichwort „Hier sind die Viertelstundenstädte“ zur Verfügung.
PS: „15-Minuten-Stadt“, das wird von manchen Menschen als Konzept zur Einschränkung des individuellen Bewegungsspielraums missverstanden. Der österreichische Standard hat sich mit dieser Sicht beschäftigt.