Niemand will, dass das benötigt wird. Aber Experten sagen, es ist keine Frage des „Ob“, sondern nur eine Frage des „Wann“. Deshalb hat das Rote Kreuz im Kreis Rottweil mit einer großen Zahl an Helferinnen und Helfern am Samstag den Aufbau eines sogenannten Behandlungsplatzes (BHP) 25 geprobt. Einer medizinischen Versorgungsstation unter freiem Himmel, durch die bis zu 25 Verletzte pro Stunde geschleust werden können. Das Ganze wurde vom örtlichen THW unterstützt und fand in Zimmern statt.
Die Herbstsonne, die das Zimmerner Gewerbegebiet Inkom an diesem Samstag in Wärme taucht, die kollegiale und freundschaftliche Stimmung auf dem Gelände des THW Ortsverbands täuschen ein wenig darüber hinweg: Ziel ist hier, sich fit für einen Ernstfall zu machen. Den Fall, bei dem es um Leben und Tod vieler Verletzter geht. Einer schier unüberschaubaren Zahl an Verletzten, deren Schicksal sich in kürzester Zeit entscheidet, die, aufgeteilt in vier Kategorien, unterschiedliche medizinische Notfallversorgung bekommen. Oder eben auch nicht mehr.
Das THW hat eigens seine Großfahrzeuge aus der Halle gefahren und Platz geschaffen (denn zwischen DRK und THW besteht im Kreis Rottweil eine Freundschaft): 51 Ehrenamtliche der DRK-Einsatzeinheiten 1, Rottweil und Villingendorf, sowie 2, Schramberg, Sulz, Sulz-Nord, Aichhalden und Lauterbach, sind hier versammelt. Gemeinsam haben sie den Behandlungsplatz aufgebaut, haben Zelte errichtet, Gestelle ausgeklappt, Kisten bereitgestellt, haben die Handgriffe geübt, die im Notfall sitzen müssen. Zwei Stunden haben sie an diesem Samstag dafür benötigt, im Notfall soll und wird das schneller gehen.

Bereit für den Massenanfall an Verletzten
Dieser Notfall, das wird eine Großschadenslage sein. Der Sprecher des DRK-Ortsvereins Rottweil, Jan Bierer, der sich an diesem Tag der NRWZ annimmt, kann sich als Beispiel ein Zugunglück vorstellen. „Alles, was eine große, große Anzahl an Verletzten mit sich bringt“, sagt der junge Mann. „Sobald ein ManV in einer bestimmten Größe vorliegt“ – ein sogenannter Massenanfall an Verletzten. Bierer war als Helfer nach der Flutkatastrophe im Ahrtal und verweist auch auf ein solches Szenario. Natürlich, daran denkt man ja heutzutage, könnte auch ein Amoklauf, eine Amokfahrt eine übergroße Zahl an Verletzten verursachen. Oder unlängst an einer der Rottweiler Schulen: ein Reizgas-Fall, bei dem vorübergehend ein ManV alarmiert worden ist, der dann aber glücklicherweise doch nicht eintrat.
Für diese Fälle will das DRK vorbereitet sein, deshalb übten sie am Samstag den Aufbau des BHP 25. Eine Aufgabe, die die ehrenamtlichen Rotkreuz-Leute erledigen, während die hauptamtlichen DRK-Retter – vom Notarzt oder der Notärztin über den Organisatorischen Leiter Rettungsdienst bis zur Rettungswagenbesatzung – mit der Verletztenversorgung beginnen. „Im Realfall gibt es eine enge Verzahnung zwischen Haupt- und Ehrenamt“, erklärt Bierer. Ihn freute es, dass einige hauptberufliche DRK-Retter bei der Übung vorbeischauten und das Gespräch mit den ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen suchten.


Von Grün bis Blau: Fünf Zelte mit klarem Aufbau
Die Ehrenamtlichen schaffen bei einer Großschadenslage eine aus Zelten bestehendes Notfallklinik als eine Pufferzone zwischen dem Unglücksort und den eigentlichen Krankenhäusern mit ihren Notaufnahmen und Schockräumen. In Militärkreisen würde man es wohl Lazarett nennen. Solch ein Behandlungsplatz hat einen klaren Aufbau:
- einen Verletztensammelpunkt, einen Eingang. Alle, die in irgendeiner Weise vom Unglück betroffen sind und versorgt werden müssen, werden dorthin gebracht. Am Samstag standen dort zwei Tragen, auf einer lag eine Puppe in der Größe eines Kindes. Im Ernstfall ist das der Ort, an dem die schwerste Entscheidung von allen getroffen werden muss, die mit der größten Tragweite. Ein Notarzt trifft sie und sie lautet auf die weitere Versorgung des angelieferten Patienten. Sie heißt Triage. Die Ärztin oder der Arzt übernimmt die Einschätzung und Priorisierung der Patienten, um den Schweregrad ihrer Verletzung oder Erkrankung schnell zu bestimmen. 90 Sekunden bleiben ihr oder ihm dafür. Spätestens nach eineinhalb Minuten also muss feststehen, wie der angelieferte Patient oder die Patientin medizinisch einzuschätzen ist. Das ist in Farben eingeteilt:
- Rot, es besteht akute Lebensgefahr. Eine intensive Sofortbehandlung ist dringend nötig. Dafür steht das erste Zelt bereit, gleich hinter dem Notarzt. Diese Menschen müssen rasch durch den BHP geschleust werden, müssen in eine Klinik. Sie werden stabilisiert, die Rettungswagen oder -hubschrauber übernehmen sie dann schnellstmöglich, aufnehmende Kliniken werden ausgemacht, der Transport beginnt. Es ist anzunehmen, dass großer Stress herrscht – bei einer Großschadenslage sind auch umliegende Krankenhäuser irgendwann nicht mehr aufnahmefähig. Dann wird eine andere Klinik gesucht. Die Aufgabe etwa des Organisatorischen Leiters Rettungsdienst. Das sind Leute, die zusätzlich zu ihrem Job als Notfallsanitäter die organisatorisch-taktische Einsatzleitung für alle Sanitätskräfte übernehmen. Etwa bei schweren Verkehrsunfällen und Bränden.
- Gelb: eine schwere Verletzung liegt vor, aber keine Lebensgefahr. Der Patient kommt in Zelt zwei, wird dort medizinisch versorgt, verarztet. Sein Transport in ein Krankenhaus ist nicht allzu dringlich.
- Grün: hier geht es um eine leichte Verletzung, eine ambulante Versorgung genügt, gegebenenfalls aber muss der Patient von Helfern betreut werden. Zelt drei, Grün, wartet auf ihn.
- und Blau. Das war früher schwarz und bedeutet „ohne Überlebenschance, sterbend“. Das letzte Zelt ganz links bietet Platz für diese Menschen. Ihnen wird eine betreuende, eine abwartende Behandlung zuteil. Gegebenenfalls eine Sterbebegleitung. Eine Entscheidung, die im Ernstfall übrigens nicht infrage gestellt werde, so DRK-Mann Bierer. „Wenn der Arzt auf blau entscheidet, dann setzen wir das um.“
- Mit ihren jeweiligen Farben Rot, Gelb, Grün und Blau gekennzeichnete Zelte, die eine medizinische Versorgung der angelieferten Patienten ermöglichen.
- Ein Ausgangszelt. „Jeder, der zum Eingang reingekommen ist, kommt zum Ausgang raus“, erklärt DRK-Sprecher Bierer das. „Der Behandelungsplatz ist ein geschlossener Bereich, ich muss wissen, wer reinkommt, wer rausgeht.“ Das entscheide über die Frage „stemmen wir das noch, brauchen wir mehr“, so Bierer. Denn diese Behandlungsplätze gibt es ja auch in den Größen 50 und 100. Für bis zu 100 Verletzte pro Stunde.
25 Verletzte kann also ein Behandlungsplatz 25, bestehend aus fünf Zelten und einem Vordach als Eingang so aufnehmen und durchschleusen. Pro Stunde. 60 Ehrenamtliche des DRK sind bei einer Großschadenslage, für die ein BHP errichtet wird, eingeplant. Dazu stehen die Kräfte im Kreis Rottweil laut Bierer zur Verfügung, aber: „Irgendwann ist auch unsere Kapazitätsgrenze erreicht, dann wird überregional nachalarmiert“. Das ist auch bei der Feuerwehr so.
Übung wird ausgewertet
Nach eindreiviertel, zwei Stunden steht ein BHP 25. Eine im Ernstfall möglicherweise ewig lange Zeit, weshalb der Aufbau jetzt geübt worden ist, um möglichst schnell zu werden. Aber auch, um die Kameradschaft zu pflegen. Andere Bereitschaften waren nach Zimmern gereist, man traf und unterhielt sich. In einer weiteren Übung wird dann auch der Betrieb geprobt, kündigte Bierer an. Wird der BHP gerade nicht gebraucht – also im Normalfall – ist das Material, sind die Zelte, Tragen, Medizinkoffer und so weiter auf den vom Land beschafften Lastwagen des Katastrophenschutzes verpackt.
Im Anschluss an die Großübung am Samstag wollen die Verantwortlichen auch Schlüsse ziehen und Verbesserungen auf den Weg bringen, erklärte DRK-Sprecher Bierer. So habe man festgestellt, dass zwei Zelte mit unterschiedlicher Größe – Rot und Gelb – gerade vertauscht werden sollten, um einen noch besseren Betrieb zu ermöglichen.
Bildergalerie – Eindrücke von einem BHP 25










