ROTTWEIL. Am Montag ab 18 Uhr haben sich erneut viele hundert Menschen in Rottweil getroffen, um im Rahmen eines sogenannten „Corona-Spaziergangs“ durch die Stadt zu ziehen. Die Polizei spricht von fast 1000. Laut einem Polizeisprecher verlief der Aufzug störungsfrei. Die Teilnehmer der unangemeldeten Demonstration, die sich über Soziale Medien verabreden, wenden sich gegen die Impfpflicht und die Maßnahmen zur Eindämmung der weltweiten Coronapandemie.
Die wiederum als „Spaziergang“ deklarierte Versammlung in der Oberen Hauptstraße mit anschließendem Rundgang war erneut zuvor nicht bei den örtlich zuständigen Behörden angezeigt worden, bestätigte das Ordnungsamt auf Nachfrage der NRWZ. Kurz nach 18 Uhr setzte sich der Zug, wie die vorigen Male auch, in Bewegung und zog durch die historische Innenstadt. Beamte der Polizei und des Ordnungsamts beobachteten die Szenerie.
Knapp 1000 Teilnehmer
Die NRWZ zählte zu Beginn des Protestzugs etwa 900 Menschen, einige mehr als vor einer Woche. Möglicherweise haben sich während des einstündigen Rundgangs einige Dutzend weitere Teilnehmer dem Demonstrationszug angeschlossen. Die Polizei nannte schließlich eine Zahl von fast 1000 „Spaziergängern“. Die überwiegende Mehrheit verzichtete auf das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Manche hatten eine Kerze dabei.
Die Teilnehmenden hätten sich friedlich verhalten, auf die einzuhaltenden Abstände sei weitgehend geachtet worden, so ein Polizeisprecher. Daher habe die Polizei auf ein Einschreiten wiederum verzichtet. Am Rande des Protestzugs kam es zu einem Einsatz für das Rote Kreuz und die Polizei, er hatte aber offenkundig nichts mit der Demonstration zu tun. Allerdings sollen Teilnehmer Erste Hilfe geleistet haben.
Rottweil wird zu einem der Zentren des Protests in der Region
Die Stadtverwaltung Rottweil hat sich zuletzt nicht mehr zu den Demonstrationen positioniert. Vor dem Jahreswechsel hieß es, man missbillige sie.
Rottweil ist inzwischen zu einem Zentrum der Montags-Proteste in der Region geworden. Laut Polizei haben sich etwa auch in Tuttlingen, Oberndorf, Sulz und Schramberg weitere Demonstranten zu einem „Spaziergang“ verabredet und getroffen, die Zahlen in Rottweil und Villingen-Schwenningen seien nicht erreicht worden.
Kurz vor 19 Uhr endete der Protest in Rottweil wiederum mit einem minutenlangen Applaus der Demonstranten für sich selbst. Dann zerstreute sich die Menschenmenge.
Den Demonstranten – Männer, Frauen, Jüngere, Ältere, ganze Familien samt Kindern – geht es nach eigenen Angaben um „Freiheit und Selbstbestimmung.“ Man wende sich gegen Ausgrenzung und Hetze und heiße zum „Spaziergang“ alle willkommen, ob gegen COVID-19 geimpft oder nicht.
Zwei Einzelhändler, zwei Meinungen
Ja, die oft sehr kopflosen und unverhältnismäßigen Maßnahmen haben mich geärgert und die Ignoranz gegenüber dissidenten Meinungen in der öffentlichen Debatte hat mich irritiert.“
So erklärt ein Rottweiler Einzelhändler seine Teilnahme an einem dieser Montags-Spaziergänge auf Nachfrage der NRWZ.
Ein anderer Rottweiler Einzelhändler hatte sich kurz vor Weihnachten, nach der zweiten dieser Veranstaltungen, bei der NRWZ gemeldet und erklärt: „Ich kann die Spaziergänger zum Teil verstehen und ich möchte keinesfalls das Demonstrationsrecht infrage stellen“, schreibt der Händler. Doch er meine, „dass die Spaziergänger eines ganz außer Acht lassen, was ich als unfair empfinde: Sie schädigen mit Ihrem friedlichen Spaziergang den Handel vor Ort ungemein.“
Es handelte sich um den nunmehr fünften sogenannten Corona-Spaziergang in Rottweil.
Tausende Protestierende, hunderte Polizisten
Am zweiten Wochenende des neuen Jahres (8. und 9. Januar 2022) kam es in Baden-Württemberg erneut zu mehreren Protestaktionen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Dies berichtet das Innenministerium. Insgesamt begleitete die Polizei demnach landesweit 33 Versammlungslagen mit rund 13.500 Teilnehmende. Dabei waren rund 1300 Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten im Einsatz.
Am vergangenen Samstag fand die zahlenmäßig größte Demonstration mit rund 6000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Freiburg statt. Die angemeldete Versammlung mit anschließendem Aufzug verlief weitestgehend friedlich. Kleingruppen der ebenfalls angemeldeten Gegendemonstration versuchten jedoch, Absperrungen der Polizei zu überwinden, um den Aufzug zu blockieren. Die Polizei sprach unter anderem 54 Platzverweise gegenüber Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Gegendemonstration aus.
Nach mehreren verbotenen Demonstrationen in den vorhergehenden Wochen genehmigte die Versammlungsbehörde eine Kundgebung mit Aufzug im Stadtgebiet Reutlingen. Die Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wuchs auf rund 1800 Personen an. Abgesehen von vereinzelten Verstößen gegen die Maskentragepflicht verliefen die Einsatzmaßnahmen ohne besondere Vorkommnisse und unter überwiegender Einhaltung der versammlungsrechtlichen Auflagen.
Ebenfalls knapp 1800 Menschen versammelten sich in Karlsruhe zu einem angemeldeten Aufzug. Zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden über die Versammlungsleitung zum Tragen des Mund-Nasen-Schutzes aufgefordert. Ferner unterband die Polizei Vermummungsversuche und Provokationen.
Auch am gestrigen Sonntag äußerten in mehreren Städten in Baden-Württemberg Bürgerinnen und Bürger ihren Protest gegen die geltenden Corona-Regelungen. Die teilnehmerstärkste Demonstration fand in Baden-Baden mit etwa 1100 Personen statt. Sowohl diese Kundgebung als auch die weiteren elf Versammlungen am Sonntag verliefen ohne größere Schwierigkeiten.
„Die Versammlungsfreiheit ist in einer Demokratie ein hohes Gut. Wer mit den Corona-Maßnahmen der Regierung nicht einverstanden ist, darf das bei Demonstrationen kundtun. Freilich sollten alle friedlich gesinnten Demonstrations-Teilnehmer Abstand halten von Demonstrationen, auf denen geistige Brandstifter, Extremisten und Gewalttäter zu finden sind. Lassen Sie sich nicht vor deren Karren spannen! Gerade in Pandemiezeiten ist der gesellschaftliche Zusammenhalt wichtig und darf nicht verloren gehen – ungeachtet von unterschiedlichen Meinungen, die jeder Einzelne zu den Maßnahmen haben kann“, appellierte Innenminister Thomas Strobl an die friedlich gesinnten Demonstrations-Teilnehmer.
Neben dem Versammlungsgeschehen konzentrieren sich die Maßnahmen der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte des Landes weiterhin auf die Kontrollen zur Einhaltung der Corona-Verordnung. Allein zwischen Freitag (7. Januar 2022) und Sonntag (9. Januar 2022) wurden 5.300 Personen und 2.900 Fahrzeuge kontrolliert. Dabei stellte die Polizei rund 450 Verstöße gegen die Corona-Verordnung fest. Der Großteil davon bezog sich mit 280 Verstößen auf die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung.
Seit Beginn der Corona-Pandemie wurden von der Polizei Baden-Württemberg damit knapp 2,23 Millionen Personen und 820.000 Fahrzeuge kontrolliert und dabei mehr als 378.000 Verstöße gegen die erlassenen Verordnungen festgestellt.
„Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, dass wir diese Pandemie nur gemeinsam bekämpfen können. Mir ist wohl bewusst, dass der Großteil der Gesellschaft diesem Grundverständnis nachkommt – aber einige wenige begehen immer wieder Regelverstöße. Daher werden wir auch weiterhin die Einhaltung der Corona-Verordnung kontrollieren und konsequent durchgreifen“, so Innenminister Strobl.
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