Befreiende Kraft der Geschichten

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Wer bin ich, was macht mich aus, wie soll ich leben? Auf diese Fragen finden manche nie tragende Antworten. Die aktuelle Zimmertheater-Produktion „Und plötzlich war ich noch ein anderer“ gibt fürs Nachdenken spritzige Impulse: an- und aufregend, humorvoll, berührend – ein Theaterabend, der einen voller Energie entlässt.

Dreh- und Angelpunkt des neu entwickelten Stücks ist die Lebensgeschichte von Mathias Kopetzki. Ihn hat das Publikum im Sommer als Titelheld in der Freilicht-Produktion Cyrano de Bergerac“ bejubelt. Nun ist er Themengeber, im Tandem mit Peter Staatsmann Entwickler des Stücks, bei dem es sich in weiten Teilen um eine Adaption seiner Romane „Teheran im Bauch“ und „Diese bescheuerte Fremdheit in meiner Seele“ handelt, sowie obendrein Schauspieler in eigener Sache – eine Aufgabenpaket, dem Kopetzki freilich in jeder Hinsicht gewachsen ist.

Schauspieler in eigener Sache: Mathias Kopetzki. Foto: al

Seine Vita, die er bereits in mehreren Romanen beleuchtet hat, füllt einen Theaterabend allemal: Im zarten Kindesalter knallt ihm sein Bruder an den Kopf, dass er adoptiert ist. Was plausibel macht, warum er „anders“ aussieht – und deswegen übel angefeindet wird. Als der Vater, ein Iraner, Jahre später Kontakt zu ihm sucht, weicht er zunächst aus, entdeckt als Mittdreißiger jedoch, dass etwas Persisches in ihm steckt und taucht in die Familiensphäre im Iran ein – bis hin zu einem Partyexzess, den man der puritanischen Mullah-Diktatur gar nicht zutrauen würde.

Let’s dance: Identitätssuche kann richtig Spaß machen. Foto: al

Dieses pralle Leben bekommt man plastisch erzählt und – mit seinen innerseelischen Herausforderungen – szenisch illustriert. Es gibt ein munteres Hin und Her der Rollen und Sprecher, sodass man an Äußerlichkeiten gar nicht kleben bleibt. Vielmehr erlebt man, wie sich wechselnde Perspektiven verweben – schon das ein Fingerzeigt, dass man es mit den „Identitäten“ nie so granitgenau nehmen sollte. Viele präzise gesetzte Kniffe der rundum stimmigen Regie von Peter Staatsmann überraschen und erhellen.

Das größte Trickarsenal bietet die Rückwand, auf die Video-Elemente projiziert werden – erinnernde Rückblenden etwa, aber auch die oft enttaktete Gegenwart, wodurch mediales Vorher und konkretes Jetzt in Spannung treten. Noch stärker als Ausstattung und Technik ist freilich, was das Schauspieler-Quartett in den Abend einbringt.

Sensiblen Spiel: Fatih Kösoglu (Mitte). Foto: al

So verleiht Fatih Kösoglu sehr wandlungsfähig und sensibel vor allem weiteren Männerfiguren Präsenz – wobei durch Tutus für alle vier Akteure polare Geschlechtermuster als eine Spielart von „Identität“ schon optisch untergraben werden.  Nora Kühnlein bringt unter anderem viel Charme und raffinierte Verspieltheit ein, Valentina Sadiku bodenständige Ironie und verschmitztes Temperament. Mathias Kopetzki fügt sich mit Energie und subtilem Spiel kraftvoll, aber ohne zu dominieren in das Gefüge ein.

Mit subtilem Charme: Nora Kühnlein. Foto: al

Kopezkis Geschichte allein würde einen stoffreichen Abend abgeben. Richtig packend wird die Inszenierung aber, weil es um mehr geht als bloß die individuelle Dimension. Etliches kann auf aktuelle Identitätsdebatten bezogen werden, die wichtig sind, mit dogmatischer Überspitzung aber teils auch üble Gräben aufreißen.

Und an diesem Punkt wird der Abend wirklich inspirierend: Die ganze Enge von Normen, von Eigen- und Fremdzuschreibungen sowie gnadenlose Ausgrenzungen und rassistische Exzesse werden weder weggebügelt noch überhöht. Es wird jedoch nicht kritiklos aus selbstgewissen Schießscharten geschaut. Vielmehr werden größere Rahmen aufgespannt.

Dabei wird zum einen deutlich, dass Finanzkraft und Sozialprestige den Herkunfts-Rucksack nicht minder prägen als Gene, Glaube oder der Teint. So mancher symbolbepackte Kampf um Anerkennung wirkt da wie eine Ablenkung vom Eigentlichen. Zum andern zeigt der Abend, dass es nicht zuletzt um die Geschichten geht, die wir uns über uns und andere erzählen. Sie sind eine zentrale Stellschraube dafür, wie belastend oder befreiend unsere oft vielen „Identitäten“ wirken, wie sehr sie in Widerspuch zueinander stehen müssen – oder vielmehr in ihrer Verschiedenheit zusammenwirken und beleben.

„Und plötzlich war ich noch ein anderer“ jedenfalls macht auf sinnlich sehr anregende Weise plausibel, dass letzteres eine attraktive Option darstellt – nicht der schlechteste Denkanstoß für das eingangs gestellte Fragenbündel.

Die Alte Stallhalle bietet viel Atmosphäre. Foto: al

Info:  Weitere Vorstellungen in der Alten Stallhalle sind am 29. und 30. Dezember sowie am 15., 16., 28., 29.  und  30. Januar vorgesehen, Beginn immer um 20 Uhr. Das Zimmertheater bittet, Karten immer unter info@zimmertheater-rottweil.de oder Tel. 0741-8990 zu reservieren. Die jeweils gültigen Corona-Vorgaben sind unter www.zimmertheater-rottweil.de zu finden. Ob eine Aufführung wirklich stattfindet, kann unter der Sondernummer 0157-51667613 erfragt werden.  

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Wer bin ich, was macht mich aus, wie soll ich leben? Auf diese Fragen finden manche nie tragende Antworten. Die aktuelle Zimmertheater-Produktion „Und plötzlich war ich noch ein anderer“ gibt fürs Nachdenken spritzige Impulse: an- und aufregend, humorvoll, berührend – ein Theaterabend, der einen voller Energie entlässt.

Dreh- und Angelpunkt des neu entwickelten Stücks ist die Lebensgeschichte von Mathias Kopetzki. Ihn hat das Publikum im Sommer als Titelheld in der Freilicht-Produktion Cyrano de Bergerac“ bejubelt. Nun ist er Themengeber, im Tandem mit Peter Staatsmann Entwickler des Stücks, bei dem es sich in weiten Teilen um eine Adaption seiner Romane „Teheran im Bauch“ und „Diese bescheuerte Fremdheit in meiner Seele“ handelt, sowie obendrein Schauspieler in eigener Sache – eine Aufgabenpaket, dem Kopetzki freilich in jeder Hinsicht gewachsen ist.

Schauspieler in eigener Sache: Mathias Kopetzki. Foto: al

Seine Vita, die er bereits in mehreren Romanen beleuchtet hat, füllt einen Theaterabend allemal: Im zarten Kindesalter knallt ihm sein Bruder an den Kopf, dass er adoptiert ist. Was plausibel macht, warum er „anders“ aussieht – und deswegen übel angefeindet wird. Als der Vater, ein Iraner, Jahre später Kontakt zu ihm sucht, weicht er zunächst aus, entdeckt als Mittdreißiger jedoch, dass etwas Persisches in ihm steckt und taucht in die Familiensphäre im Iran ein – bis hin zu einem Partyexzess, den man der puritanischen Mullah-Diktatur gar nicht zutrauen würde.

Let’s dance: Identitätssuche kann richtig Spaß machen. Foto: al

Dieses pralle Leben bekommt man plastisch erzählt und – mit seinen innerseelischen Herausforderungen – szenisch illustriert. Es gibt ein munteres Hin und Her der Rollen und Sprecher, sodass man an Äußerlichkeiten gar nicht kleben bleibt. Vielmehr erlebt man, wie sich wechselnde Perspektiven verweben – schon das ein Fingerzeigt, dass man es mit den „Identitäten“ nie so granitgenau nehmen sollte. Viele präzise gesetzte Kniffe der rundum stimmigen Regie von Peter Staatsmann überraschen und erhellen.

Das größte Trickarsenal bietet die Rückwand, auf die Video-Elemente projiziert werden – erinnernde Rückblenden etwa, aber auch die oft enttaktete Gegenwart, wodurch mediales Vorher und konkretes Jetzt in Spannung treten. Noch stärker als Ausstattung und Technik ist freilich, was das Schauspieler-Quartett in den Abend einbringt.

Sensiblen Spiel: Fatih Kösoglu (Mitte). Foto: al

So verleiht Fatih Kösoglu sehr wandlungsfähig und sensibel vor allem weiteren Männerfiguren Präsenz – wobei durch Tutus für alle vier Akteure polare Geschlechtermuster als eine Spielart von „Identität“ schon optisch untergraben werden.  Nora Kühnlein bringt unter anderem viel Charme und raffinierte Verspieltheit ein, Valentina Sadiku bodenständige Ironie und verschmitztes Temperament. Mathias Kopetzki fügt sich mit Energie und subtilem Spiel kraftvoll, aber ohne zu dominieren in das Gefüge ein.

Mit subtilem Charme: Nora Kühnlein. Foto: al

Kopezkis Geschichte allein würde einen stoffreichen Abend abgeben. Richtig packend wird die Inszenierung aber, weil es um mehr geht als bloß die individuelle Dimension. Etliches kann auf aktuelle Identitätsdebatten bezogen werden, die wichtig sind, mit dogmatischer Überspitzung aber teils auch üble Gräben aufreißen.

Und an diesem Punkt wird der Abend wirklich inspirierend: Die ganze Enge von Normen, von Eigen- und Fremdzuschreibungen sowie gnadenlose Ausgrenzungen und rassistische Exzesse werden weder weggebügelt noch überhöht. Es wird jedoch nicht kritiklos aus selbstgewissen Schießscharten geschaut. Vielmehr werden größere Rahmen aufgespannt.

Dabei wird zum einen deutlich, dass Finanzkraft und Sozialprestige den Herkunfts-Rucksack nicht minder prägen als Gene, Glaube oder der Teint. So mancher symbolbepackte Kampf um Anerkennung wirkt da wie eine Ablenkung vom Eigentlichen. Zum andern zeigt der Abend, dass es nicht zuletzt um die Geschichten geht, die wir uns über uns und andere erzählen. Sie sind eine zentrale Stellschraube dafür, wie belastend oder befreiend unsere oft vielen „Identitäten“ wirken, wie sehr sie in Widerspuch zueinander stehen müssen – oder vielmehr in ihrer Verschiedenheit zusammenwirken und beleben.

„Und plötzlich war ich noch ein anderer“ jedenfalls macht auf sinnlich sehr anregende Weise plausibel, dass letzteres eine attraktive Option darstellt – nicht der schlechteste Denkanstoß für das eingangs gestellte Fragenbündel.

Die Alte Stallhalle bietet viel Atmosphäre. Foto: al

Info:  Weitere Vorstellungen in der Alten Stallhalle sind am 29. und 30. Dezember sowie am 15., 16., 28., 29.  und  30. Januar vorgesehen, Beginn immer um 20 Uhr. Das Zimmertheater bittet, Karten immer unter info@zimmertheater-rottweil.de oder Tel. 0741-8990 zu reservieren. Die jeweils gültigen Corona-Vorgaben sind unter www.zimmertheater-rottweil.de zu finden. Ob eine Aufführung wirklich stattfindet, kann unter der Sondernummer 0157-51667613 erfragt werden.  

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