Donnerstag, 28. März 2024

Innenstadt-Bootsfahrt – wohin?

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Rottweil liegt zwar am Neckar, als Hafen hat es sich jedoch noch nicht profiliert. Ein veritables Segelboot, das seit einigen Tagen in der Unteren Hauptstraße ankert, soll das nicht ändern. Aber Denkanstöße geben.

Und zwar in alle Richtungen. Zum Beispiel: Wie soll sich der Stadtraum weiterentwickeln? Wie kann man Mobilität künftig organisieren – leistungsfähig und zugleich mit Blick auf Klima und Ressourcen? Und wie kann Rottweil die Landesgartenschau 2028 nutzen, um Weichen für eine gute Zukunft zu stellen?

Das Boot, das seit einigen Tagen als irritierender Faktor in der Unteren Hauptstraße ankert, ist Teil einer Aktion des Forum Kunst. Unter dem Titel „Platzhalter – Kunst trifft Natur“ hat der Kunstverein fünf Kreative eingeladen, mit Objekten Impulse in die Debatte zur Landesgartenschau einzubringen. Das Boot ist der Beitrag Ottmar Hörls, der Rottweil 2005 spektakulär mit Rottweiler-Multiplen in Plastik bevölkerte – ähnlich, wie er das auch mit Marx in Trier oder Luther in Wittenberg getan hat.

Weitere Beiträge stammen von Daniel Bräg, Urban Hüter, Emilia Neumann sowie Timm Ulrichs. Allesamt sind sie mit dem Forum Kunst teils schon lange verbunden. Und von allen werden Objekte in der Kernstadt und den Teilorten aufgestellt, wobei die Werke alle paar Wochen den Standort wechseln – Platzwechsel der Platzhalter sozusagen.

Das Objekt Ottmar Hörls wird, wie weitere Kunstwerke, alle paar Wochen den Standort wechseln. Foto: al

Hörl hat seine maritime Intervention in der Unteren Hauptstraße „Seestück/Energiesparmodell“ genannt. Damit verankert er es einerseits in der Kunstgeschichte. Malereien zum Thema Meer werden dort traditionell als „Seestück“ bezeichnet. Andererseits ist der Titel ein Fingerzeig auf in Zeiten hochschießender Preise höchst virulenten Fragen der Energiegewinnung und Mobilität.

Auf den ersten Blick mag Hörls Bootspartie nicht besonders alltagsnah erscheinen. Schließlich kommt man am Oberen Neckar schwerlich mit einem Kahn von A nach B. Wer aber nicht am ersten Augenschein hängenbleibt, kommt rasch auf produktivere Gedanken. Etwa, dass eine Jolle keine Energieträger verheizen muss. Sondern elegant vorhandene Kräfte nutzt – noch dazu ohne die Geräuschproduktion, mit der Motoren die Mitwelt beglücken. So gesehen waren auch die Mühlen, die jahrhundertelang die Kraft des Neckars nutzten, schon echte Kunststücke. Man kann auch auf den Gedanken kommen, dass so ein Bötchen für Bescheidenheit steht. Jedenfalls verbraucht es weniger Herstellungsenergie und Raum als ein protziger SUV.  

Kurs „Venetia“? Foto: al

Jenseits des Theoretischen sind nicht zuletzt die Perspektiven interessant, die sich eröffnen, wenn man um Ottmar Hörls Schaluppe herumgeht – und einmal davon absieht, dass es in einem kleinen wassergefüllten Becken auch seltsam eingekastelt wirkt. Fast wie ein Rennpferd, das nicht aus der Box heraus darf.

Von der Kapellenkirche aus gesehen, scheint es in Richtung „Venezia“ zu streben – eine Seestadt, wie passend! Und ein Sehnsuchtsort. Der freilich auch seine Probleme hat, Stichwort Tourismus. Ob Rottweil dahin wirklich will?

Schaut man stadtauswärts, dann öffnet sich etwas: ein Platz, ein Freiraum. Es wirkt nicht eng, vermauert, zugestellt, ungastlich. Auch der Himmel ist nicht weit – an Mast und Segel klettert das Auge schließlich gerne empor, und wird diesmal nicht gleich gebremst. Doch: Hier kann man ankern und sich wohlfühlen.

Harte Begrenzung: Der visionäre Schwung der Seegeljolle bricht sich an den Realitäten. Foto: al

Blickt man in Richtung Schwarzes Tor, wird der Kontrast hart: Dann stößt der Bug, der ja elegant vorwärtsstrebt, der aufbrechen will zu neuen Ufern, ganz schnell an Blech. Das Visionäre des Boots bricht sich an der Realität einer weitgehend versiegelten, für Autos optimierten Stadt. Und diesen Eindruck nimmt man mit, wenn man wieder stadteinwärts geht: Viel triste Fläche ist da zwischen den bunten Mauern. Kein Wasser, kaum Grün. Eine bahnbrechende visionäre Intervention scheint hier freilich schon angekommen: Es sind die Bäume. Auch sie temporär, auch sie in mobilen Beeten. Aber den Status quo brechen sie nicht weniger auf, als das Hörl-Boot.

Die „Platzhalter“-Kunstaktion vietet also bereits mit dem ersten Aufschlag reichlich Denkanstöße. Das ist schon mal was. Wohin die Denkprozesse letztlich führen, ob Aufbrüche gelingen und die Lebensqualität, die Qualität des Stadtraums sich wirklich verbessern, das bleibt freilich abzuwarten.

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