Freitag, 29. März 2024

Corona-Impfgegner: Anonymes Flugblatt aufgetaucht

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Schramberg. „Schramberg steht auf“ – so liest man auf einem weißen Zettel mit einem Blättersymbol. Es steckte am Donnerstagmorgen in etlichen Briefkästen in Schramberg. Dreht man das Blatt um, findet man die Aufforderung, am Sonntag in der Fußgängerzone spazieren zu gehen. Mit einem Sternchen als Anmerkung dazu: „*friedlich, regelkonform und nicht versammelt.“ Wer das Flugblatt verantwortet, steht nicht dabei.

Dafür wenden sich die anonymen Initiatorinnen und Initiatoren an die „sehr geehrten Bürgerinnen und Bürger Schrambergs“ und fordern sie auf, solidarisch zu sein mit denjenigen, „die sich  als Lebensaufgabe gemacht haben, anderen Menschen zu helfen“. Es folgt eine Aufzählung – mit großem Binnen-I im Original. Von den Kranken- und AltenpflegerInnen über die ÄrztInnen, Feuerwehrleuten bis zu den PharmazeutInnen und Reinigungskräften.

Soweit so gut, denkt man, doch dann kommt die logische Volte. Text im Original: „Auch diese Leute berufen sich auf ihre Grundrechte und sagen Nein. Nein zu einer gesellschaftlichen Spaltung aufgrund von körperlichen Merkmalen, wo sie geschworen haben bei ihrer Hilfe diese Merkmale zu ignorieren.“

Nach einer kurze Attacke auf die Politik, die Fehler zu vertuschen versuche und eine massive Geldverschwendung betreibe, lassen die Autoren die Katze aus dem Sack: „Nein zu einer Impfung, zu der sie kein Vertrauen oder vor der sie Angst haben. Nein zu mit digitalen Impfnachweisen einhergehenden Möglichkeiten der totale und anlasslosen Überwachung.“

Die Impfpflicht  werde dazu führen, dass die „betroffenen Menschen“ nicht mehr helfen dürften und sich damit die Lage im Gesundheitswesen weiter verschlechtere. Gemeint ist wohl die kleine Gruppe derjenigen, die in Altenpflegekeimen oder Krankenhäusern arbeiten und sich bisher nicht haben impfen lassen. Mit diesen Leuten solle man Solidarität zeigen – und am Adventssonntag spazieren gehen, so das anonyme Blatt schließlich.

Scharfer Widerspruch von Medizinern

Die NRWZ hat im Gesundheitswesen Tätige gefragt, was sie von diesem Flugblatt halten. Werner Klank, Mediziner im Ruhestand und seine Frau, Elke Ringl-Klank, bei der AWO in der Altenhilfe ehrenamtlich aktiv, meinen, Schramberg  werde da schon gar nicht aufstehen. „Höchstens eine lautstarke Ignorantengruppe, die schlichtweg nicht zur Kenntnis nimmt, dass unser Gesundheitssystem zurzeit durch zusätzliche Covid-Patienten blockiert  wird und dass die notfallmäßige Versorgung der Bevölkerung sehr eingeschränkt ist.“

Aber wenn man eine pandemisch auftretende Krankheit ignoriere, brauche man auch nichts zu einer notwendigen Bekämpfung dieser Pandemie sagen. „Ernst nehmen braucht man solche Leute und deren Geschwätz nicht!“

Ähnlich kritisch äußert sich der Sprecher der Schramberger Ärzteschaft und CDU-Stadtrat Dr. Jürgen Winter: Ihn erinnere das Vorgehen an das Strickmuster wie in Sachsen etwa in Freiberg:  „Scheinheilig wird eine Demonstration der Desinformation und Volksverdummung als Spaziergang vieler zur gleichen Zeit am gleichen Ort getarnt.“ Winter, der auch Philosophie studiert hat, kann in dem Text „keinen klaren Sinn erkennen. Alles etwas bruchstückhaft, mit kryptischen Andeutungen verbunden und letztlich verworren und damit keines Kommentars wert.“

Gertsch: Umgekehrt wird ein Schuh draus

Der Kardiologe Dr. Heiko Gertsch  fühlt sich als Arzt durch diesen Aufruf „absolut missbraucht“. Einem Aufruf, der unter dem Deckmantel der Solidarität mit Ärzten und Pflegepersonal zur Impfverweigerung auffordere. „Genau anders herum wird ein Schuh draus, nur die Impfung ist ein Akt der Solidarität und der Anerkennung der Arbeit des medizinischen Personals in dieser schweren Zeit“, so Gertsch.

Nur Impfen schütze das medizinische Personal vor Überlastung, Burn-out und Kündigung mit unabsehbaren Folgen für unser gesamtes Gesundheitssystem. „Nur Impfen bedeutet Reserven für nicht aufschiebbare Behandlungen und Operationen, neben der Versorgung der Covid-Patienten.“

Der AWO-Kreisvorsitzende Mirko Witkowski ärgert sich: Natürlich könne jeder seine Meinung zum Impfen haben. „Wenn sich jemand dazu namentlich bekennt, kann man miteinander diskutieren.“ Dass aber hier Impfgegner  Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, für ihre Zwecke missbrauchen, ist ein Unding.“ Die AWO betreibt mehrere Altenzentren und Begegnungsstätten in der Region.

Presserechtlich muss ein Name drauf

Zur Anonymität des Flugblattes weist Polizeisprecher Uwe Vincon darauf hin, dass man auf solchen Druckerzeugnissen den oder die presserechtlich Verantwortlichen mit Name und Adresse nennen muss. „Das steht so im Pressegesetz, da sollte man sich informieren.“ Wenn kein Name  drauf stehe, sei das eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße geahndet werden könne.

Auf Nachfrage der NRWZ berichtet die Sprecherin der Stadt Schramberg, die „Spaziergänge“ seien nicht angemeldet. Es werde daher „Polizei vor Ort“ sein.

 

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Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.