Landgericht Münster verurteilt Frank R,, Manon H und Martin B. zu Haftstrafen / Es fehlt die Kryptoqueen Ruja Ignatova / Alle Angeklagten wollen in Revision gehen

OneCoin: Von Anfang an Betrug

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Montag, 13.58 Uhr im Saal 23 des Landgerichts Münster. Die drei Angeklagten Manon H., Frank R. und Martin B. stehen mit versteinerten Mienen zwischen ihren Verteidigern. Sekunden zuvor hatte der Vorsitzende Richter Pfeiffer die Urteile in einem Mammutprozess verkündet.

Der 71-jährige Frank R.  bekommt wegen Beihilfe zum schweren Betrug und Verstoßes gegen das Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG) fünf Jahre Haft, seine 51-jährige Frau Manon H. vier Jahre. Der Münchner Rechtsanwalt Martin B. (56) erhält wegen leichtfertiger Geldwäsche zwei Jahre und neun Monate aufgebrummt.

320 Millionen Euro geschleust

Alle Drei waren nach Ansicht des Gerichts maßgeblich am OneCoin-Schwindel von Ruja Ignatova beteiligt. Die Eheleute aus Greven, weil sie über ihre Firma IMS zwischen Ende 2015 und August 2016 auf drei verschiedenen Konten 320 Millionen Euro eingenommen und teilweise auf andere Konten die OneCoin oder Ruja Ignatova zugeordnet waren, weitergeleitet haben.

Der Münchner Anwalt Martin B., weil er 20 Millionen Euro für Ignatova nach Großbritannien geschleust hat. Damit hatte sich Ignatova ein Luxuspenthouse und eine Wohnung für ihre Leibwächter im Londoner Stadtteil Kensington gekauft. Weiter habe er 75 Millionen Euro auf die Cayman Islands transferiert und so „gewaschen“.

Dass die Kammer unter Richter Pfeiffer so drastisch urteilen würde, das hatten die Angeklagten wohl nicht erwartet. Bei Manon H. war das Gericht noch strenger als die Staatsanwaltschaft, beim Münchner Anwalt etwas milder.

In der Mittagspause hatten die Grevener noch mit ihren Anwälten im siebten Stock in der Gerichtskantine gesessen, nur wenige Tische von ein paar Medienleuten entfernt. Freier Blick über ein kaltes, aber sonniges Münster.

Zwei weitere Plädoyers

Begonnen hatte der letzte von insgesamt 44 Verhandlungstagen dieses Mammutverfahrens mit zwei weiteren Plädoyers der Anwälte Michael Heuchemer und Dirk Schmitz.  In den Saal 23, wo die Kammer auch schon zum Auftakt verhandelt hatte, hatten Justizbeamte einen Rollwagen mit Aktenordnern zur IMS, mit Bankauszügen und Ermittlungsakten geschoben.

Die Prozessakten. Foto: him

Die Dolmetscherin, die an allen 44 Verhandlungstagen dabei war, plaudert vor dem Gerichtssaal. Sie erinnert sich, wie die Anwälte zu Beginn des Verfahrens sie einmal gelöchert haben. Verlesen wurde eine Mail, in der Ruja Ignatova zum Thema Blockchain und Mining Sebastian Greenwood schrieb: „We are telling the people shit.“  Ein Anwalt wollte ihr entlocken, „shit“ könnte doch auch „etwas Tolles“ bedeuten.

Drei Angeklagte, sieben Verteidiger

Auf der Anklagebank Platz genommen haben Frank R. und Martin B..  Vor ihnen haben sich die Anwälte aufgebaut. In der vordersten Reihe ganz links beugt sich Manon H. die ganze Zeit über ihre Handtasche, um ihr Gesicht vor den Kameras zu verbergen. Eigentlich überflüssig, weil eh alle Bilder verpixelt – und im Gegensatz zu anderen Ländern -auch die Namen der Angeklagten in Deutschland nur abgekürzt wieder gegeben werden dürfen.

Mit ein paar Minuten Verspätung betritt die Kammer unter dem Vorsitzenden Richter den Saal, drei Berufsrichter und zwei Schöffinnen. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld, die die Anklage vorbereitet hat, wird von zwei Staatsanwälten vertreten.

Gegenüber sitzen die drei Angeklagten mit ihren insgesamt sieben Verteidigern.  Zwei von ihnen, Dirk Schmitz und Michael Heuchemer, haben ihre Plädoyers noch nicht gehalten. Schmitz ist schon in einem Verfahren um Maskenverweigerer aufgetreten und war in Ludwigshafen OB-Kandidat für die AfD. Heuchemer verteidigte den Entführer und Mörder Magnus Gäfgen und verkauft und sammelt nebenbei teure Weine, wie er auf seiner Homepage kundtut.

Die übrigen Verteidiger hatten bereits vor Weihnachten plädiert und jeweils Freisprüche für Frank R. und Martin B. verlangt. Für Manon H., wenn überhaupt, eine kurze Bewährungsstrafe.

Martin B.: Ahnungslos

Schmitz, der für Martin B. plädiert, haut gleich mal einen Spruch raus. Sein Plädoyer sei wahrscheinlich so unsinnig wie „Bauchtanz für Eunuchen“. Er sei überzeugt, das Urteil stehe schon seit Monaten fest. Er wiederholt, was immer wieder in dem Prozess anklang: Es stünden die Falschen vor Gericht. „Wer fehlt, ist Ruja Ignatova.“

Ok, die ist bekanntlich am 25. Oktober 2017 in ein Ryan-Air Flugzeug nach Athen gestiegen, und ward nicht mehr gesehen. Schmitz meint, sie sei „im oder am Persischen Golf, im oder am Mittelmeer, aller Wahrscheinlichkeit nach aber tot“. Angeklagt in Münster sei „die hintere Reihe“.

Fluchtnischen

Er erinnert an das Aufkommen von Kryptowährungen. Das sei im Zusammenhang mit dem Schwinden des Vertrauens in die Politik und die Währungen zu sehen. Die Menschen hätten „Fluchtnischen“ gesucht. Im Jahr 2022 habe es etwa 10.000 Kryptowährungen gegeben.

Zu den in Münster gehörten OneCoin-Anlegern meint Schmitz, diese hätten alle rechtmäßige Gewinne machen wollen, keiner habe seine Altersvorsorge riskiert. „Viele waren geldgierig.“ Es sei eine riskante Anlage gewesen, und die Anleger hätten auch Provisionen kassiert.

Bis Mitte 2016 seien „nahezu alle“ Berichte zu OneCoin euphorisch gewesen. Niemand habe von Betrug gesprochen. Es habe die (für eine Kryptowährung erforderlichen) Blockchains gegeben. Er verteidige nicht OneCoin, so Schmitz, aber sein Mandant Martin B. „wusste nichts von Blockchains“.

(Die erste Warnung vor OneCoin erschien im Herbst 2014 im Fachblogg „BehindMLM“. Geradezu prophetisch hieß es da: Sobald der Verkauf neuer Bildungspakte nicht mehr funktioniere, „werden diejenigen, die die Geschichte betreiben, verschwinden“. Im Herbst 2015 dann war auch auf verschiedenen Fachwebseiten in Deutschland vor der angeblichen Kryptowährung gewarnt.)

In Waltenhofen „Arbeitsplätze gerettet“

Martin B. habe den Ehemann der „Kryptoqueen“ (Björn Strehl) gekannt. Ignatova sei ja wegen Insolvenzverschleppung bei einem Gusswerk angeklagt gewesen. „Dabei wollte sie nur Arbeitsplätze und das Werk retten“, versichert Schmitz.

(Eine ziemlich mutige Darstellung. Ignatova flog beim Gusswerk Waltenhofen im Allgäu auf, unter anderem, weil sie als Geschäftsführerin mit sich selbst einen Beratervertrag geschlossen hatte. Ein für Waltenhofen bestellter Ofen landete in Bulgarien. Nach Ignatovas Abgang 2012 war das traditionsreiche Gusswerk am Boden, 150 Arbeitsplätze vernichtet. Im Frühjahr 2016 verurteilte sie das Amtsgericht Kempten wegen Insolvenzverschleppung und Betrug zu einer Bewährungsstrafe von 14 Monaten und einer Geldstrafe von 18.000 Euro. Kurz darauf kaufte sie das Londoner Penthouse für 20 Millionen Euro.)

Ruja Ignatova mit ihrem Vater Plamen im Gusswerk Waltenhofen: Foto aus Augsburger Allgemeine.

Keine Regulierung für Kryptos

Schmitz kritisiert die Bundesanstalt für das Finanzwesen (Bafin), die Staatsanwaltschaft, die Politik, weil diese nicht in der Lage seien, den Krypto-Währungsmarkt zu regulieren. Sein Mandant habe nicht davon ausgehen müssen, dass das Geld aus illegalen Quellen stammte. Beim Penthouse-Kauf habe schließlich eine namhafte Bank die 20 Millionen Euro frei gegeben. Und wie habe er wissen können, dass, was im Mai 2016 legal war, im August dies nicht mehr sei.

Schmitz spielte auf die 75 Millionen an, die B. auf die Cayman Islands transferiert hatte.  Dass er dabei OneCoin verschwiegen habe, habe mit der Haltung der Banken gegen alle Kryptowährungen zusammengehangen. Deshalb sollte das Wort „Krypto“ vermieden werden, habe Ignatova Martin B. erklärt. Auch Schmitz forderte, sein Mandant sei frei zu sprechen.

Frank R.: Ahnungslos

Das zweite Plädoyer hielt Rechtsanwalt Heuchemer, der laut Vorsitzendem Richter im zweiten OneCoin-Verfahren an keinem einzigen Verhandlungstag anwesend war. Sein Mandant Frank R. sei britischer Staatsbürger und seit den 1990er Jahren im Bereich sozialen Netzwerke und Strukturvertrieb (englisch „Multilevel Marketing“, kurz MLM), begann Heuchemer. Er hatte mehrere Firmen gegründet, darunter Unaico, Sitetalk und OPN. Sie sollten, grob gesagt, wie Facebook Menschen vernetzen. Wer mitmachte und weitere Mitglieder warb, erhielt eine Provision.

Für die Abwicklung hatte Frank R. mit Manon H. die International Marketing Services (IMS) gegründet, an der er nur ein Prozent hielt. Manon H. war Geschäftsführerin. Die IMS wickelte die Finanzen von Sitetalk ab. In diesem Zusammenhang habe es zahlreiche Ermittlungsverfahren gegeben, die alle eingestellt worden seien, wie Heuchemer ausführte.

(Die Firma IMS hatte mindestens seit August 2008 eine eigene Domain. Unter www.ims4u.eu  fanden sich aber nie Inhalte einer website, wie OneCoin-Kennerin Melanie from Germany herausgefunden hat

Wer die Domain anklickte, bekam einen leeren Bildschirm zu sehen. Ungewöhnlich für ein Unternehme, das hunderte von Millionen umsetzt. Der Grund dafür, diese Domain zu betreiben, könnte sein, dass Frank R. und Manon H. auf diese Weise per E-Mail erreichbar waren, ohne ihre tatsächlichen Kontaktdaten preis geben zu müssen, vermutet Melanie. Spätestens seit August 2018 steht die Domain allerdings zum Verkauf.)

Archiv: Melanie.

 

Alle glaubten an die Kryptoqueen

Im Verfahren habe sich gezeigt, dass OneCoin als Geschäftsmodell funktionierte, weil die Menschen Ruja Ignatova vertraut und an sie geglaubt haben. „Frank R. war einer von Millionen Menschen, die ihr vertrauten.“

Auch Heuchemer meinte, die wichtigsten Akteure fehlten in Münster: Ruja Ignatova, ihr Bruder Konstantin, Sebastian Greenwood oder Irina Dilkinska.

(Konstantin, Greenwood und Dilkinska sitzen in US-Haft, haben gestanden und sind entweder schon verurteilt – Greenwood zu 20 Jahren – oder warten auf ihre Urteile Ende Februar und Anfang März.)

Zum Tatzeitpunkt 2015 und 2016 seien durchaus seriöse Experten der Ansicht gewesen, eine zentrale Blockchain habe Vorteile, betonte Heuchemer. Ignatova habe „enorme Gelder in die Hand genommen um für sich zu werben“. Er erinnerte an den (gekauften) Titel des Wirtschaftsmagazins Forbes. Das habe die „vernachlässigbare Summe von 100.000 Euro“ gekostet.

Anwalt Michael Heuchemer und Frank R. betreten den Saal. Foto: him

Martin B. habe die Audits zur angeblichen Blockchain gesehen und die fachjuristischen Gutachten von Norbert Olesch und der Kanzlei Schulenberg und Schenk gelesen. „Er hatte das Gefühl, auf der richtigen Seite zu sein.“

Bauernprotest sorgt für Unterbrechung

Draußen am Landgerichtsgebäude rollen seit Minuten hupende Bauern mit ihren Traktoren vorbei. Speditionsfahrer und Handwerker haben sich dem Bauernprotest angeschlossen. Es wird laut. Heuchemer bittet um eine Unterbrechung, die Richter Pfeiffer auch gewährt.

Manon H. in schwarzem Jackett und weißer Bluse, die sich vor Beginn der Sitzung konsequent von Kameras angewandt hat, sitzt steif auf der Anklagebank, ihr Mann zwei Reihen hinter ihr, trägt einen schwarzweißen Pulli und unterhält sich mit seinem Anwalt. Martin B., schwarzes Jackett, schwarzes Hemd, studiert Unterlagen in seinem Laptop.

Eingestellte Verfahren

Nach zehn Minuten ist der Protestlärm verklungen, und Verteidiger Heuchemer taucht tief in die eingestellten Verfahren wegen Sitetalk und IMS ein. Ein Verfahren nach dem anderen sei damals eingestellt worden.

Die Kreissparkasse habe zwar 2016 einen Geldwäscheverdacht bei IMS geäußert.  Die Deutsche Bank aber Gelder frei gegeben. Auch wegen einer dritten Firma von Frank R, der Unaico, habe es nie ein abgeschlossenes Verfahren gegeben. „Es hat für R. keine anderen Informationen als für Millionen andere Menschen gegeben.“ Die hätten vielleicht Greenwood gehabt oder die Mutter von Ruja Ignatova Veska, der engste Führungszirkel eben, argumentiert Anwalt Heuchemer. Bei der IMS sei Frank R. „nicht ins operative Geschäft“ eingebunden gewesen, er war „extrem viel im Ausland“.

Bildungspakte von renommierten Wissenschaftlern

Die Bildungspakte, die OneCoin verkauft hat, seien nicht wertlos gewesen, sagt Heuchemer. In den Schulungspaketen, die zwischen 100 und  225.0000 Euro kosteten, steckten sogenannte Token, mit denen später OneCoin „geschürft“ werden sollten.

Viele Zeugen hätten den Wert der Pakete bestätigt, an denen ja auch „renommierte Wissenschaftler“ mitgewirkt hätten. Die Investoren hätten als Zeugen ausgesagt, sie hätten teilweise deutlich mehr Geld gehabt als vorher. Er widerspricht auch der Einschätzung, dass es sich beim OneCoin-Vertrieb und ein Schneeballsystem handelte.

Die IMS sei ein reiner Dienstleister gewesen, habe keine Bankgeschäfte betrieben.

Sitetalk für 1,5 Millionen an Ruja Ignatova verkauft

Frank R. hatte seine Firma Sitetalk 2015 an Ruja Ignatova verkauft.  Er hatte dafür 1,5 Millionen in Euro erhalten und 4,5 Millionen in OneCoin. Zugleich erhielt er den Rang eines „Black Diamond“ – ganz oben in der Vertriebshierarchie von OneCoin. Für Heuchemer ist klar: „Er war auf jeden Fall überzeugt.“ Sonst wäre es nicht logisch, dass er OneCoin als Bezahlung akzeptierte.

Frank R. als Black Diamond bei Twitter. Archiv: es

Ausführlich geht Heuchemer auf juristische Themen ein, zitiert den Philosophen Hans-Georg Gadamer und spricht im Zusammenhang mit einem Hinweisbeschluss der Kammer zum Vorwurf des versuchten Betrugs, dieser sei seiner Meinung nach verfassungswidrig.

Das Gericht müsse aus der damaligen Sicht den Fall betrachten. Damals sei der Enthusiasmus groß gewesen. „Hinterher weiß man die Dinge besser. Das wird ihm kein zweites Mal passieren.“ Schließlich stellt er fest: „R. ist Opfer geworden in einem Projekt.“ Auch er plädiert auf Freispruch.

Richter Pfeiffer dankt knapp und fragt, ob die Angeklagten das letzte Wort ergreifen wollen. Manon H. wäre als erste dran. Ihr Anwalt bittet um 15 Minuten Pause, um sich mit seiner Mandantin zu besprechen.

Im Foyer plaudern die Journalisten mit dem Staatsanwalt. Die Verteidiger versuchen nochmal, ihre Sicht an die Medien heranzutragen.

Aufmerksame Zuhörer: Vertreter der Staatsanwaltschaft Bielefeld. Foto: him

Die letzten Worte

Schließlich bittet die Protokollantin zurück in Saal 14. Richter Pfeiffer erteilt Manon H. das Wort. Sie erhebt sich, schluckt. Ganz leise sagt sie „Hohes Gericht.“ Pause. Sie danke für die Unterbrechung. Dann meint sie: „Der Schock über OneCoin hält an.“

Sie bedaure, dass sie jahrelang daran mitgewirkt habe. „Sehr, sehr viele Menschen haben sehr viel Geld verloren.“ Sie sei naiv gewesen und habe nicht damit gerechnet, dass Ruja Ignatova so handeln würde. „Betrug ist nicht mein Leitbild.“

Tiefes Bedauern

Immer wieder setzt sie neu an, muss sich sammeln. „Ich würde gern das Rad zurückdrehen“, meint sie unter Tränen, „aber das kann ich nicht.“ OneCoin werde sie den Rest ihres Lebens verfolgen. „Es tut mir leid für alles, was ich falsch gemacht habe“, sagt sie noch.

Richter Pfeiffer fragt mit unbewegtem Gesicht: „Das war‘s?“ – „Ja.“ Pfeiffer gibt Frank R. das Wort.

Der versucht weniger emotional zu sein, verweist auf seine „erfolgreichen Firmen“ Sitetalk OPN und Unaico – allesamt ebenfalls wegen Pyramidensystemen umstritten. Für diese habe die IMS-Dienstleistungen übernommen. Das sei „größer und größer“ geworden mit Callcentern und vielen Angestellten.

Ahnungslos

Er habe „keine Ahnung vom Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz“ gehabt. Der Rechtsanwalt Olesch, die Banken, die Polizei, zwei große Steuerberatungskanzleien, niemand habe damals „auch nur eine Andeutung gemacht, dass so etwas notwendig ist“. Hätte er es gewusst, hätte er es beantragt. R. sagt: „Man hat ja nichts davon, dass man keine Lizenz hat.“ Er habe das nie vorsätzlich außer Acht gelassen.

Dann wird er persönlich: „Ich bedaure, dass meine Frau wegen OneCoin so leiden muss. Ich bedaure, dass ich je von OneCoin gehört habe und denen meine Firma verkauft habe. Ich kann die Uhr nicht zurückdrehen.“ Er sitze hier vor Gericht, um die Anklage zu Ende zu bringen. Er bedaure, dass jemand etwas verloren oder „Schlimmes durch OneCoin erlitten hat.“

Martin B. verzichtet auf sein Schlusswort. Richter Pfeiffer unterbricht gegen 11.30 Uhr die Sitzung und kündigt das Urteil für 13.30 Uhr an.

Die Richter und die Schöffinnen betreten den Gerichtssaal, in der Mitte der Vorsitzende Richter Pfeiffer. Foto: him

Das Urteil

Um 13.30 ist Saal 23 im Landgericht Münster deutlich voller. Auf den Zuschauerbänken haben einige weitere Journalisten Platz genommen, auch die Gerichtssprecherin und ihr Kollege sind anwesend. Die Kammer lässt sich Zeit.

Derweil filmt ein WDR-Team die Anklagebank, auf der sich die Anwälte wieder aufgestellt haben. Manon H. wendet sich ab, Frank R. und Martin B. sind die Kameras eher egal. Es dauert fast eine halbe Stunde, bis die Kammer den Saal betritt und der Vorsitzende Richter das Urteil verkündet.

Manon H. vier Jahre, Frank R. fünf Jahre und Martin B zwei Jahre und neun Monate. Die Vorwürfe: Beihilfe zum Betrug in mehr als 12.000 Fällen beim Ehepaar und leichtfertige Geldwäsche beim Rechtsanwalt. Außerdem müssen die Angeklagten die Kosten tragen, und der Staat zieht bei ihnen Gelder ein: bei Manon H. 43.500 Euro, bei Frank R. knapp 1,2 Millionen, bei Martin B 627.000 Euro und bei der IMS 41 Millionen Euro. Die Haftbefehle gegen die Eheleute bleiben unter strengen Auflagen außer Vollzug.

Was wussten die Angeklagten?

In seiner mündlichen Urteilsbegründung zerpflückt Richter Pfeiffer die Behauptung, die Drei hätten nichts gewusst. Es gehe um „zwei zentrale Fragen: War OneCoin ein Betrug und was wussten die Angeklagten?“

Um das zu beantworten, habe das Gericht an 44 Verhandlungstagen 80 Zeugen und vier Sachverständige gehört, Geschädigte, Ermittlungsbeamte, Bankbeschäftigte und Mitarbeiterinnen der IMS. Eine Vielzahl von Unterlagen und Videos von OneCoin-Veranstaltungen habe man betrachtet. Eine Vernehmung der Ignatova sei nicht möglich gewesen. Es hätten sich auch „keine neuen Ansatzpunkte“ ergeben, wo sie sich befinde.

Ignatova habe ihren OneCoin als die sichere Alternative zu Bitcoin dargestellt. Wegen der zentralen Blockchain und des „Know your Customer“-Systems (KYC), bei dem sich die OneCoin-Käufer legitimieren mussten. Sie habe den OneCoin als den „Bitcoin-Killer“ angepriesen und die Geschichte von der teuersten Pizza der Welt erzählt, die einst jemand mit Bitcoin bezahlt habe. „Wer die Chance bei Bitcoin verpasst hat, hat jetzt noch eine Chance.“

Die Geschichte zu den Coins

Pfeiffer schildert das System mit den Token, die in den Bildungspaketen steckten, den Mining Pools und dem Schürfen durch immer schwieriger werdende mathematische Rätsel. Die Wertsteigerung ergebe sich aus dem Schwierigkeitsgrad der mathematischen Aufgaben, habe Ignatova erzählt. Die Schaffung eines Coins koste etwa fünf Euro und sei daher als Preis angemessen. Weil der Schwierigkeitsgrad stetig steige, stiegen auch die Kosten und damit der Preis.

Über Direktmarketing habe Ignatova diese OneCoin-Geschichte verbreitet. Top-Leader wie Kari Wahlroos oder Anton Federspiel hätten dies in Videos und Seminaren einheitlich verbreitet. Ignatova habe diejenigen sanktioniert, die von dieser Linie abwichen, so Pfeiffer.

(Update: In einem schwedischen Dokumentarfilm, der noch nicht erschienen ist, prahlt Wahlroos, wie viele Millionen er eingenommen habe.

Kari Wahlroos im Video. Screenshot: him

Insgesamt habe OneCoin „14 bis 15 Milliarden Dollar abkassiert.“  Inzwischen verkauft der Finne wieder über eine MLM-Plattform NFTs, wie Behind MLM berichtet. 15. Januar 2024.)

Es sei nicht möglich gewesen, OneCoin direkt zu kaufen, nur über die Schulungspakete, denen die Token kostenlos beigegeben wurden. Durch „Splits“ habe Ignatova dann den Wert dieser Token noch verdoppelt. Bis zu 118.000 Euro hatten die Kunden für die Pakete bezahlt, so der Richter.

Es gab sogar Preise bis 225.5000 Euro. Aus einem Werbevideo vom November 2016

Anfangs seien die Bedingungen nur auf Chinesisch, Englisch und Rumänisch zu lesen gewesen. Was in den Schulungspaketen stand, habe OneCoin nicht erläutert. Auch die Top-Leader hätten immer wieder erklärt, die Bildungspakete seien „ein schlauer Schachzug“, um die Lizenzbedingungen zu umgehen. Auch bei den Zeugen habe sich keiner für die Bildungsunterlagen interessiert, „nur für die Coins“, so Pfeiffer.

Ermittlungen in Bulgarien

Bei den „Dashboards“, die die OneCoin- Kunden für ihren Überblick hatten, seien nur „vermeintliche Transaktionen“ auf der Blockchain gezeigt worden. Das Landeskriminalamt NRW habe im Jahr 2018 zusammen mit bulgarischen Behörden dort nach der Blockchain gesucht und sei etwas außerhalb von Sofia bei einer Firma BM5 fündig geworden.

„In einem Raum stand ein Computerturm, etwa so groß wie ein Kühlschrank. Dabei waren auch zwei Server. Der Stromverbrauch lag bei maximal drei Kilowattstunden“.

Unter Protest hätten die Beamten die Computer mitgenommen und ausgewertet. Das vermeintliche Herzstück des OneCoin habe eine modifizierte Blockchain des Bitcoin enthalten. „Es gab keine Mining-Pools“, betont Pfeiffer. Die Rechner hätten die immer selbe simple Matheaufgabe gelöst. Dies habe für die beiden angeblichen OneCoin-Blockchains gegolten. Diese „Blockchain“ habe OneCoin seinen Kunden gezeigt. „Das war nur Fassade.“

Das Dashboard. Archiv-Foto: him

Ihr Plan ging auf

Dass das alles nicht funktionierte, habe Ruja Ignatova bemerkt und als Auswirkung der hohen Umsätze intern erläutert. Mit der zweiten Blockchain sollten vielfach schneller Coins geschürft werden können. Sie habe aber zu keinem Zeitpunkt vorgehabt, eine echte Blockchain aufzubauen, ist das Gericht überzeugt. Sie wollte „lediglich suggerieren“, dass es eine gab. Die „Audits aus Bulgarien“ seien gekauft gewesen, so Pfeiffer. „Ohne jeden Zweifel war OneCoin von Anfang an Betrug.“

Ignatova habe mit minimalem finanziellen Aufwand eine Blockchain nur vorgetäuscht. „Ihr Plan ist aufgegangen.“ Sie habe viel Geld eingenommen und für eigene Zwecke verbraucht.

Frank R. sei bis 2015 Inhaber von OPN gewesen. Das habe über die Anwerbung neuer Mitglieder Provisionen verteilt. Ignatova habe OPN von R. gekauft und die bisherigen OPN-Mitglieder verkauften von da an nur noch OneCoin-Bildungspakete, schildert Pfeiffer. Die IMS hatte OPN unterstützt und nun OneCoin.

Frank R. beschummelt auch die Kryptoqueen

Bei OPN hatte IMS 0,25 Prozent der Umsätze bekommen. Frank R. behauptete wahrheitswidrig, es sei ein Prozent und schlug Ignatova ebenfalls ein Prozent bei OneCoin vor. Ignatova war einverstanden, und IMS stellte die Bankkonten zur Verfügung.

Die IMS sollte die Kundengelder für OneCoin einnehmen und Rechnungen bezahlen. Das Service-Agreement hatten Ignatova und Manon H. als IMS-Geschäftsführerin unterzeichnet, so Richter Pfeiffer.

Die drei Bankkonten im Raum Münster

Am 4. Dezember 2015 habe die IMS das Konto bei der Sparkasse Steinfurt eröffnet. Am 9. Dezember wurde es auf der OneCoin-Homepage genannt und schon am selben Tag seien „exorbitante Summen“ eingegangen: “Täglich mehr als eine Million Euro.“ Als Empfänger nannten die Kunden oft OneCoin, nicht IMS. Der Sparkasse kam das verdächtig vor, sie erstattete eine Geldwäscheanzeige bei der BaFin und kündigte der IMS das Konto auf Ende März 2016.

Schon am 3. März verhandelte H. mit der Commerzbank in Münster, richtete am 9. März ein neues Konto ein und am 29. März 2016 überwiesen die OneCoin-Opfer auf dieses Konto. Auch bei der Commerzbank habe die Compliance-Abteilung schon am 1. April einen Geldwäscheverdacht gehabt und die Bank zum 1. Juni das Konto wieder gekündigt.

Mitte April war Manon H. dann mit der Deutschen Bank in Greven einig geworden. Ab dem 3. Juni flossen die Gelder auf dieses Konto. Auch hier erstattete die Bank eine Geldwäscheverdachtsanzeige und kündigte zum 17. August 2016.

Pfeiffer listet auf: „Vom 9. Dezember 2015 bis zum 17. August 2016 gab es 85.000 Einzahlungen für Bildungspakete.“ Insgesamt 273 Millionen Euro zahlten die Kunden ein. Bei den Überweisungen habe erst Manon H., später IMS-Mitarbeiterinnen diese erledigt. „Es gab keine Gelder für Kosten und Betrieb“, stellt Pfeiffer fest, „die Gelder gingen mal nach Florida, mal auf die Cayman Islands.“

Clean the accounts

Im Dezember 2015 habe Ruja Ignatova dem Angeklagten Frank R. gemailt: „Can you clean up the accounts?“ Er habe zurückgefragt: „Willst Du die Gelder abfließen lassen?“ Daraufhin habe es unter anderem Überweisungen hoher Beträge an Sebastian Greenwood gegeben.

Von den etwa 320 Millionen, die bei der IMS eingegangen waren, habe die IMS 55 Millionen als Provisionen ausgezahlt. Am 18. August 2016 habe die Staatsanwaltschaft das Deutsche Bankkonto beschlagnahmt und 28,7 Millionen Euro sichergestellt, berichtet Pfeiffer.

IMS, Manon H. und Frank R. hätten keine Genehmigung für Finanzdienstleistungen gehabt. „Und hätten sie auch nicht bekommen“, so der Richter. Dass man eine braucht, war ihnen unbekannt, sie hätten sich aber erkundigen können.

Die drei Angeklagten haben bestritten, gewusst zu haben, dass OneCoin ein Betrug war. Es sei anzunehmen, dass Ignatova ihnen das nicht gesagt hat. Bei der Einrichtung des ersten Kontos sei das noch nachvollziehbar. Aber bei den Schulungspaketen, da hätten Zweifel aufkommen müssen, denn dieser Verkauf sei als Tarnung erklärt worden.

„Jeder kann in kürzester Zeit Millionär werden – das ist ein fragwürdiges Gewinnversprechen“, so Pfeiffer. Er fragt: „Welche seriöse Firma verkauft eine Gebrauchsanleitung und gibt das Produkt gratis dazu?“

Die Blockchain

Zur Blockchain führt Pfeiffer aus, sie sei in zwei Versionen gelaufen. Angeblich habe sie 72 Millionen Coins am Tag geschaffen oder knapp 13 Milliarden im Monat. Nach Ignatovas Erklärung, dass je mehr Coins „gemined“ werden und je schwerer die Matheaufgaben werden, desto mehr Hardware und Energie werde verbraucht, hätte sich dies ja irgendwo zeigen müssen. Tat es aber nicht.

Schon seit 2015 habe es Gerüchte gegeben, OneCoin sei Betrug. Andererseits habe Ignatova eine „hohe Motivation“ ausgestrahlt. Pfeiffer erwähnt auch die Gusswerkpleite und die Bewährungsstrafe, die sie im April 2016 erhielt. Zugleich beeindruckten die Werbeveranstaltungen die Videos und die Firmenzentrale. „Viele Leute waren überzeugt und haben investiert.“

Doch spätestens beim zweiten Konto im März 2016 habe es „eindeutige Hinweise auf Betrug“ gegeben, erklärt Richter Pfeiffer. Schon am ersten Tag seien mehr als eine Million Euro auf dem Konto gelandet. Frank R. und Ruja Ignatova seien sich bis dahin fremd gewesen – und dennoch habe Ignatova keinerlei Sicherheiten gehabt. „Sie hätten das Geld einfach hinterziehen können“, meinte Pfeiffer zu den Eheleuten. Hunderte Millionen Euro seien auf diesen Konten gewesen.

Die Provision von einem Prozent für die IMS sei „völlig überbezahlt“ gewesen. Manon H. habe angesichts der Millionen, die die IMS verdienen würde, selbst gesagt: „Das ist zu schön, um wahr zu sein.“ Die einzige Dienstleistung der IMS sei gewesen, Überweisungen zu tätigen: Pfeiffer fragt: „Welche legale Firma zahlt Millionen für die Überlassung von Konten?“

Frank R. habe schließlich Scheinrechnungen für angebliche Beratungshonorare und Marketingleistungen in verschiedenen Ländern ausgestellt.  Die Gelder seien auch nicht an OneCoin geflossen, die damit hätten arbeiten müssen. Die Gelder gingen vielmehr an Ruja Ignatova oder an Fonds, die sie beherrschte. Dabei sei, wie von Ignatova angeordnet, OneCoin nicht erwähnt worden.

„Es gab keine Ausgaben für Strom und Hardware“, stellt Pfeiffer fest und fragt: „Welches Unternehmen hat keine Ausgaben für die Produktion?“

Die Banken belogen

Wegen des Commerzbankkontos sei ein Mitarbeiter bei IMS gewesen und habe nach dem Geschäftszweck gefragt. Wahrheitsgemäß hätten R. und H. erklären müssen: „Wir haben einen Kunden: OneCoin. Für die nehmen wir ungesichert Gelder ein und geben diese weiter.“

Stattdessen hätten sie dem Commerzbankvertreter erzählt, ganz viele Klienten überwiesen Gelder. Damit würden e-Wallets aufgeladen, damit die Kunden weltweit und im online-Handel einkaufen können. Damit hätten sie Zahlungsdienstleistungen und einen ganz erheblichen Aufwand der IMS suggeriert.

Als auf einen Schlag 60 Millionen auf dem Commerzbankkonto lagen, hätten die Angeklagten erklärt, dies Geld gehöre Mitgliedern und Partnern und werde für das Aufladen der e-Wallets verwendet. Damit könne man bei 6000 online Shops einkaufen.

Die Eheleute hätten sich vor dem Treffen mit dem Commerzbankvertreter abgesprochen, OneCoin nicht zu erwähnen, ist das Gericht überzeugt. Sie hätten die Bank bewusst belogen, weil sie das Geschäft fortsetzen wollten.

Auf die Frage der Bank, ob die Gelder in Kryptowährungen umgewandelt werden sollen, habe Frank R. geantwortet „Absolutely no.“

Auch als die beiden das dritte Konto bei der Deutschen Bank anlegen wollten, hätten sie gelogen, führt Richter Pfeiffer aus. Sie hätten die Kündigung durch die Commerzbank verschwiegen.

Anfang März 2016 waren in Großbritannien zehn Millionen Euro der IMS festgesetzt worden. Anfang April solle eine halbe Milliarde Euro auf einen Fonds transferiert werden. Das habe die IMS abgelehnt. 135 Millionen Euro aber dennoch überwiesen. Millionen, die später in einem Fonds von Ignatova gelandet seien.

Pfeiffer erklärte zum Strafmaß, beide seien nicht vorbestraft und hätten die Taten eingeräumt. „Dennoch haben sie betrogen und in neun Monaten sehr viel Geld verdient: 3,2 Millionen Euro.“

Martin B. Leichtfertig

Zu Martin B., dem dritten Angeklagten, hat der Kammervorsitzende ausgeführt, dieser habe im März 2016 gut 33 Millionen an die Londoner Kanzlei Locke Lord überweisen. Das Geld sei zunächst auch abgebucht, dann aber wieder gutgeschrieben worden. Schließlich sei das Geld auf Konten der IMS in Singapur geflossen. Ruja Ignatova sei mit Frank R. befreundet und haben dessen Namen verwendet. Schließlich gingen vier Mal fünf Millionen an Mark Scott, einen Locke Lord Anwalt, der in den USA groß im Geschäft mit OneCoin-Geldern war.

Für die Deutsche Bank schickte Martin B. eine Bestätigung, die er sich von Scott vorformulieren ließ. Es handle sich um Kundengelder einer Firma, mit der er schon seit  Jahren zusammenarbeite. Ruja Ignatova sei die Direktorin, und im Beratungs- und Marketinggeschäft tätig. B. habe per Mail bei Scott nachgefragt, welche Firma er denn eintragen solle. Scotts Antwort: „Die Firma, die Ihnen am besten passt.“

(Scott lebt in Florida, USA. Seit Ende 2019 ist er wegen Geldwäsche verurteilt, aber sein Strafmaß noch nicht festgesetzt. Er soll 400 Millionen Dollar für Ignatova gewaschen und dafür 50 Millionen Dollar kassiert haben.)

Zu diesem Schreiben meint die Münsteraner Kammer, B. habe bewusst gelogen. Er wusste, die Gelder stammen von OneCoin. Die Bank habe mehrmals nachgehakt.

Dann erzählt Richter Pfeiffer noch ein Schmankerl: Neben der Penthouse- Wohnung kaufte Ignatova im selben Luxusgebäude eine Wohnung für ihre Leibwächter für 2,1 Millionen Euro. Als die bezahlt werden musste, fragte Ignatova Martin B., wieviel Geld von den ursprünglichen 20 Millionen noch auf seinem Konto seien.

Das wisse er nicht mehr genau. „Daraufhin füllte Ignatova das Konto auf.“ 900.000 Euro flossen von IMS Singapur auf B.s Konto. Am 24. Juni 2016 habe B.  das Geld für die Wohnung überweisen.

Er habe objektiv eingeräumt, dass er die Taten begangen habe. Martin B.  habe aber erklärt, er habe nicht geglaubt, dass OneCoin Betrug sei. Er sei auch anders als die beiden anderen nicht „Tag für Tag auf die Betrugstat hingewiesen worden“, so der Richter. Aber er hätte die kriminelle Herkunft der Gelder bemerken müssen.

Schon sehr früh gab es Warnungen

Seit Mitte 2015 habe es Warnungen und Pressemitteilungen zu OneCoin gegeben. Schon Anfang 2016 habe ein finnischer Blogger ihn darauf aufmerksam gemacht, dass es sich bei OneCoin um ein Schneeballsystem und Betrug handle. Er solle da nicht mehr mitmachen.

Zum Fall der Insolvenzverschleppung in Waltenhofen habe Martin B. als Anwalt sogar Akteneinsicht beantragt. „Ruja Ignatova hatte ihn informiert“, so Pfeiffer, „B. war damals schon wegen Untreue vorbestraft.“

78.000 Euro für teure Uhren

Von den 20,9 Millionen Euro, die er für die Londoner Wohnungen bekommen habe, habe B. 630.000 Euro für sich behalten und für eigene Zwecke verbraucht. So kaufte er laut Gericht unter anderem „hochwertige Uhren für 78.000 Euro“.

Ausführlich ging der Vorsitzende Richter auch auf die Fenero-Funds ein. Da habe Martin B. zwischen Ende Mai und Ende Juli 2016 vom Commerzbankkonto 35 Millionen Euro, 40 Millionen Euro vom Deutsche Bank Konto und 60 Millionen vom IMS-Koto in Singapur überwiesen. Dabei hatte wieder Mark Scott Anweisungen gegeben, wie das geschehen sollte.

Auch Irina Dilkinska taucht auf. Sie war Geschäftsführerin einer BNN Consult. Manon H. sollt bestätigen, dass das Geld im Auftrag von BNN überwiesen worden sei. „Dabei wusste sie, dass das Geld von OneCoin Kunden und nicht von BNN stammte.“

(Irina Dilkinska war bei OneCoin für Firmengründungen und rechtliche Fragen zuständig. Sie wurde im März 2023 von Bulgarien an die USA ausgeliefert. Sie hat sich schuldig bekannt und wird am 1. März ihr Strafmaß erfahren.)

Die Fenero-Funds verwaltete die Firma Apex. Scott habe Martin B. in einer Mail gebeten, ein Bestätigungsschreiben an APEX zu schicken. Antwort von Martin B. „Bin verfügbar.“ Er habe dann erklärt, er könne einen Joint Venture von IMS und BNN bestätigen und dass die überwiesenen Gelder von IMS gehalten worden seien. B. habe auf seinem Anwaltsbriefbogen diese Bestätigung geschrieben, wohl wissend, dass die Gelder von OneCoin stammten. Er habe auch noch eine kurze Joint Venture Vereinbarung geschrieben. So habe er „die wahre Herkunft der Gelder verborgen“.

Nach einer guten Stunde kommt Pfeiffer zu Schluss und erläutert, wie die Kammer das Strafmaß ermittelt habe:

Das Strafmaß

Beim Betrug liege das Strafmaß zwischen sechs Monaten und zehn Jahren. Bei einem weniger schweren Betrug zwischen einem Monat und siebeneinhalb Jahren. Der Verstoß gegen das ZAG werde geringer bestraft. Für die beiden Angeklagten Manon H. und Frank R. spreche, dass sie nicht vorbestraft sind und im Wesentlichen gestanden hätten. 27 Millionen Euro seien sichergestellt für die Geschädigten.

Die Kammer sehe bei Frank R. fünf und bei Manon H. vier Jahre Haft für tat- und schuldangemessen. R. sei der „deutlich aktivere“ Teil gewesen.

Bei Martin B seien die zwei Jahre und neun Monate für die leichtfertige Geldwäsche angemessen. Er habe die objektiven Tatumstände eingeräumt. Er werde seine Zulassung als Anwalt verlieren. Andererseits sei Martin B. „mehrfach vorbestraft“. Auch gehe es um erhebliche Summen von 20 und 75 Millionen Euro.

Die Kammer habe die beiden Einzelstrafen von je einem Jahr und neun Monaten zu zwei Jahren neun Monate zusammengezogen.

Schließlich erwähnt Pfeiffer die Möglichkeit der Revision und wie sie zu beantragen ist. Danach: „Die Verhandlung ist geschlossen.“

Das ist noch lange nicht das Ende

Während die Kammer den Sitzungssaal verlässt, tippen die Journalisten ihre ersten Meldungen ins Smartphone. Verteidiger und Staatsanwälte ziehen ihre Roben aus, packen die Akten in Rollkoffer. Die Angeklagten verlassen ziemlich bleich den Saal 23.

Draußen baut ein Kamerateam des WDR seine Kamera auf. Zwei Anwälte haben Redebedarf. Heuchemer kündigt an, er werde für seinen Mandanten Frank R. in Revision gehen.

Rechtanwalt Heuchemer kündigt Revision an. Foto: him

Dann bittet der WDR-Kollege den Sprecher des Landgerichts um eine Stellungnahme.

Etwas abseits steht der Filmemacher Johan von Mirbach. Für seinen Dokumentarfilm „Die Kryptoqueen“ hatte er schon den Prozessauftakt beobachtet. Er hört Heuchemer Ankündigung und meint: „Die Geschichte um OneCoin ist mit dem Urteil heute noch nicht vorbei.“  Es gebe noch viele Dinge, die noch nicht erzählt seien. „Auch über Ruja Ignatova.“

Wie zum Beleg kommt wenig später eine Pressemitteilung des Landeskriminalamts und der Staatsanwaltschaft Bielefeld. Darin bezeichnen die Behörden den Betrug mit der angeblichen Kryptowährung „als Coup historischen Ausmaßes“.  Mit dem Urteil in Münster ende zunächst der Prozess gegen Ignatovas Unterstützer.

„Aber die Ermittlungen und Fahndungsmaßnahmen des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen in Sachen OneCoin werden fortgeführt.“ Die Ermittlungskommission suche weiter nach der Drahtzieherin des OneCoin-Coups, Dr. Ruja Ignatova, „und nach Verbindungen zu weiteren Beteiligten“.

Am Tag des Urteils ist übrigens ein neuer One Newsletter erschienen. Darin unter anderem ein Bericht über die Neueröffnung  des neuen OneEcosystem-Headquarters in Hanoi.

Screenshot: him

Derzeit firmiert OneCoin nämlich unter diesem Namen. Als der ursprüngliche Begriff im Netz „verbrannt“ war, weil bei google immer gleich der Begriff „Betrug“ mit aufploppte, nannte man sich flugs in OneLife und – und seit einiger Zeit eben OneEcosystem. Das System und die Leute blieben aber dieselben.

Update: Wie die Staatsanwaltchaft Bielefeld mitteilt haben „nach Mitteilung des Landgerichts Münster ( … ) zwischenzeitlich alle drei Angeklagten Revision gegen das Urteil eingelegt“.

 

Das interessiert diese Woche



Für NRWZ.de+ Abonnenten: 

Montag, 13.58 Uhr im Saal 23 des Landgerichts Münster. Die drei Angeklagten Manon H., Frank R. und Martin B. stehen mit versteinerten Mienen zwischen ihren Verteidigern. Sekunden zuvor hatte der Vorsitzende Richter Pfeiffer die Urteile in einem Mammutprozess verkündet.

Der 71-jährige Frank R.  bekommt wegen Beihilfe zum schweren Betrug und Verstoßes gegen das Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG) fünf Jahre Haft, seine 51-jährige Frau Manon H. vier Jahre. Der Münchner Rechtsanwalt Martin B. (56) erhält wegen leichtfertiger Geldwäsche zwei Jahre und neun Monate aufgebrummt.

320 Millionen Euro geschleust

Alle Drei waren nach Ansicht des Gerichts maßgeblich am OneCoin-Schwindel von Ruja Ignatova beteiligt. Die Eheleute aus Greven, weil sie über ihre Firma IMS zwischen Ende 2015 und August 2016 auf drei verschiedenen Konten 320 Millionen Euro eingenommen und teilweise auf andere Konten die OneCoin oder Ruja Ignatova zugeordnet waren, weitergeleitet haben.

Der Münchner Anwalt Martin B., weil er 20 Millionen Euro für Ignatova nach Großbritannien geschleust hat. Damit hatte sich Ignatova ein Luxuspenthouse und eine Wohnung für ihre Leibwächter im Londoner Stadtteil Kensington gekauft. Weiter habe er 75 Millionen Euro auf die Cayman Islands transferiert und so „gewaschen“.

Dass die Kammer unter Richter Pfeiffer so drastisch urteilen würde, das hatten die Angeklagten wohl nicht erwartet. Bei Manon H. war das Gericht noch strenger als die Staatsanwaltschaft, beim Münchner Anwalt etwas milder.

In der Mittagspause hatten die Grevener noch mit ihren Anwälten im siebten Stock in der Gerichtskantine gesessen, nur wenige Tische von ein paar Medienleuten entfernt. Freier Blick über ein kaltes, aber sonniges Münster.

Zwei weitere Plädoyers

Begonnen hatte der letzte von insgesamt 44 Verhandlungstagen dieses Mammutverfahrens mit zwei weiteren Plädoyers der Anwälte Michael Heuchemer und Dirk Schmitz.  In den Saal 23, wo die Kammer auch schon zum Auftakt verhandelt hatte, hatten Justizbeamte einen Rollwagen mit Aktenordnern zur IMS, mit Bankauszügen und Ermittlungsakten geschoben.

Die Prozessakten. Foto: him

Die Dolmetscherin, die an allen 44 Verhandlungstagen dabei war, plaudert vor dem Gerichtssaal. Sie erinnert sich, wie die Anwälte zu Beginn des Verfahrens sie einmal gelöchert haben. Verlesen wurde eine Mail, in der Ruja Ignatova zum Thema Blockchain und Mining Sebastian Greenwood schrieb: „We are telling the people shit.“  Ein Anwalt wollte ihr entlocken, „shit“ könnte doch auch „etwas Tolles“ bedeuten.

Drei Angeklagte, sieben Verteidiger

Auf der Anklagebank Platz genommen haben Frank R. und Martin B..  Vor ihnen haben sich die Anwälte aufgebaut. In der vordersten Reihe ganz links beugt sich Manon H. die ganze Zeit über ihre Handtasche, um ihr Gesicht vor den Kameras zu verbergen. Eigentlich überflüssig, weil eh alle Bilder verpixelt – und im Gegensatz zu anderen Ländern -auch die Namen der Angeklagten in Deutschland nur abgekürzt wieder gegeben werden dürfen.

Mit ein paar Minuten Verspätung betritt die Kammer unter dem Vorsitzenden Richter den Saal, drei Berufsrichter und zwei Schöffinnen. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld, die die Anklage vorbereitet hat, wird von zwei Staatsanwälten vertreten.

Gegenüber sitzen die drei Angeklagten mit ihren insgesamt sieben Verteidigern.  Zwei von ihnen, Dirk Schmitz und Michael Heuchemer, haben ihre Plädoyers noch nicht gehalten. Schmitz ist schon in einem Verfahren um Maskenverweigerer aufgetreten und war in Ludwigshafen OB-Kandidat für die AfD. Heuchemer verteidigte den Entführer und Mörder Magnus Gäfgen und verkauft und sammelt nebenbei teure Weine, wie er auf seiner Homepage kundtut.

Die übrigen Verteidiger hatten bereits vor Weihnachten plädiert und jeweils Freisprüche für Frank R. und Martin B. verlangt. Für Manon H., wenn überhaupt, eine kurze Bewährungsstrafe.

Martin B.: Ahnungslos

Schmitz, der für Martin B. plädiert, haut gleich mal einen Spruch raus. Sein Plädoyer sei wahrscheinlich so unsinnig wie „Bauchtanz für Eunuchen“. Er sei überzeugt, das Urteil stehe schon seit Monaten fest. Er wiederholt, was immer wieder in dem Prozess anklang: Es stünden die Falschen vor Gericht. „Wer fehlt, ist Ruja Ignatova.“

Ok, die ist bekanntlich am 25. Oktober 2017 in ein Ryan-Air Flugzeug nach Athen gestiegen, und ward nicht mehr gesehen. Schmitz meint, sie sei „im oder am Persischen Golf, im oder am Mittelmeer, aller Wahrscheinlichkeit nach aber tot“. Angeklagt in Münster sei „die hintere Reihe“.

Fluchtnischen

Er erinnert an das Aufkommen von Kryptowährungen. Das sei im Zusammenhang mit dem Schwinden des Vertrauens in die Politik und die Währungen zu sehen. Die Menschen hätten „Fluchtnischen“ gesucht. Im Jahr 2022 habe es etwa 10.000 Kryptowährungen gegeben.

Zu den in Münster gehörten OneCoin-Anlegern meint Schmitz, diese hätten alle rechtmäßige Gewinne machen wollen, keiner habe seine Altersvorsorge riskiert. „Viele waren geldgierig.“ Es sei eine riskante Anlage gewesen, und die Anleger hätten auch Provisionen kassiert.

Bis Mitte 2016 seien „nahezu alle“ Berichte zu OneCoin euphorisch gewesen. Niemand habe von Betrug gesprochen. Es habe die (für eine Kryptowährung erforderlichen) Blockchains gegeben. Er verteidige nicht OneCoin, so Schmitz, aber sein Mandant Martin B. „wusste nichts von Blockchains“.

(Die erste Warnung vor OneCoin erschien im Herbst 2014 im Fachblogg „BehindMLM“. Geradezu prophetisch hieß es da: Sobald der Verkauf neuer Bildungspakte nicht mehr funktioniere, „werden diejenigen, die die Geschichte betreiben, verschwinden“. Im Herbst 2015 dann war auch auf verschiedenen Fachwebseiten in Deutschland vor der angeblichen Kryptowährung gewarnt.)

In Waltenhofen „Arbeitsplätze gerettet“

Martin B. habe den Ehemann der „Kryptoqueen“ (Björn Strehl) gekannt. Ignatova sei ja wegen Insolvenzverschleppung bei einem Gusswerk angeklagt gewesen. „Dabei wollte sie nur Arbeitsplätze und das Werk retten“, versichert Schmitz.

(Eine ziemlich mutige Darstellung. Ignatova flog beim Gusswerk Waltenhofen im Allgäu auf, unter anderem, weil sie als Geschäftsführerin mit sich selbst einen Beratervertrag geschlossen hatte. Ein für Waltenhofen bestellter Ofen landete in Bulgarien. Nach Ignatovas Abgang 2012 war das traditionsreiche Gusswerk am Boden, 150 Arbeitsplätze vernichtet. Im Frühjahr 2016 verurteilte sie das Amtsgericht Kempten wegen Insolvenzverschleppung und Betrug zu einer Bewährungsstrafe von 14 Monaten und einer Geldstrafe von 18.000 Euro. Kurz darauf kaufte sie das Londoner Penthouse für 20 Millionen Euro.)

Ruja Ignatova mit ihrem Vater Plamen im Gusswerk Waltenhofen: Foto aus Augsburger Allgemeine.

Keine Regulierung für Kryptos

Schmitz kritisiert die Bundesanstalt für das Finanzwesen (Bafin), die Staatsanwaltschaft, die Politik, weil diese nicht in der Lage seien, den Krypto-Währungsmarkt zu regulieren. Sein Mandant habe nicht davon ausgehen müssen, dass das Geld aus illegalen Quellen stammte. Beim Penthouse-Kauf habe schließlich eine namhafte Bank die 20 Millionen Euro frei gegeben. Und wie habe er wissen können, dass, was im Mai 2016 legal war, im August dies nicht mehr sei.

Schmitz spielte auf die 75 Millionen an, die B. auf die Cayman Islands transferiert hatte.  Dass er dabei OneCoin verschwiegen habe, habe mit der Haltung der Banken gegen alle Kryptowährungen zusammengehangen. Deshalb sollte das Wort „Krypto“ vermieden werden, habe Ignatova Martin B. erklärt. Auch Schmitz forderte, sein Mandant sei frei zu sprechen.

Frank R.: Ahnungslos

Das zweite Plädoyer hielt Rechtsanwalt Heuchemer, der laut Vorsitzendem Richter im zweiten OneCoin-Verfahren an keinem einzigen Verhandlungstag anwesend war. Sein Mandant Frank R. sei britischer Staatsbürger und seit den 1990er Jahren im Bereich sozialen Netzwerke und Strukturvertrieb (englisch „Multilevel Marketing“, kurz MLM), begann Heuchemer. Er hatte mehrere Firmen gegründet, darunter Unaico, Sitetalk und OPN. Sie sollten, grob gesagt, wie Facebook Menschen vernetzen. Wer mitmachte und weitere Mitglieder warb, erhielt eine Provision.

Für die Abwicklung hatte Frank R. mit Manon H. die International Marketing Services (IMS) gegründet, an der er nur ein Prozent hielt. Manon H. war Geschäftsführerin. Die IMS wickelte die Finanzen von Sitetalk ab. In diesem Zusammenhang habe es zahlreiche Ermittlungsverfahren gegeben, die alle eingestellt worden seien, wie Heuchemer ausführte.

(Die Firma IMS hatte mindestens seit August 2008 eine eigene Domain. Unter www.ims4u.eu  fanden sich aber nie Inhalte einer website, wie OneCoin-Kennerin Melanie from Germany herausgefunden hat

Wer die Domain anklickte, bekam einen leeren Bildschirm zu sehen. Ungewöhnlich für ein Unternehme, das hunderte von Millionen umsetzt. Der Grund dafür, diese Domain zu betreiben, könnte sein, dass Frank R. und Manon H. auf diese Weise per E-Mail erreichbar waren, ohne ihre tatsächlichen Kontaktdaten preis geben zu müssen, vermutet Melanie. Spätestens seit August 2018 steht die Domain allerdings zum Verkauf.)

Archiv: Melanie.

 

Alle glaubten an die Kryptoqueen

Im Verfahren habe sich gezeigt, dass OneCoin als Geschäftsmodell funktionierte, weil die Menschen Ruja Ignatova vertraut und an sie geglaubt haben. „Frank R. war einer von Millionen Menschen, die ihr vertrauten.“

Auch Heuchemer meinte, die wichtigsten Akteure fehlten in Münster: Ruja Ignatova, ihr Bruder Konstantin, Sebastian Greenwood oder Irina Dilkinska.

(Konstantin, Greenwood und Dilkinska sitzen in US-Haft, haben gestanden und sind entweder schon verurteilt – Greenwood zu 20 Jahren – oder warten auf ihre Urteile Ende Februar und Anfang März.)

Zum Tatzeitpunkt 2015 und 2016 seien durchaus seriöse Experten der Ansicht gewesen, eine zentrale Blockchain habe Vorteile, betonte Heuchemer. Ignatova habe „enorme Gelder in die Hand genommen um für sich zu werben“. Er erinnerte an den (gekauften) Titel des Wirtschaftsmagazins Forbes. Das habe die „vernachlässigbare Summe von 100.000 Euro“ gekostet.

Anwalt Michael Heuchemer und Frank R. betreten den Saal. Foto: him

Martin B. habe die Audits zur angeblichen Blockchain gesehen und die fachjuristischen Gutachten von Norbert Olesch und der Kanzlei Schulenberg und Schenk gelesen. „Er hatte das Gefühl, auf der richtigen Seite zu sein.“

Bauernprotest sorgt für Unterbrechung

Draußen am Landgerichtsgebäude rollen seit Minuten hupende Bauern mit ihren Traktoren vorbei. Speditionsfahrer und Handwerker haben sich dem Bauernprotest angeschlossen. Es wird laut. Heuchemer bittet um eine Unterbrechung, die Richter Pfeiffer auch gewährt.

Manon H. in schwarzem Jackett und weißer Bluse, die sich vor Beginn der Sitzung konsequent von Kameras angewandt hat, sitzt steif auf der Anklagebank, ihr Mann zwei Reihen hinter ihr, trägt einen schwarzweißen Pulli und unterhält sich mit seinem Anwalt. Martin B., schwarzes Jackett, schwarzes Hemd, studiert Unterlagen in seinem Laptop.

Eingestellte Verfahren

Nach zehn Minuten ist der Protestlärm verklungen, und Verteidiger Heuchemer taucht tief in die eingestellten Verfahren wegen Sitetalk und IMS ein. Ein Verfahren nach dem anderen sei damals eingestellt worden.

Die Kreissparkasse habe zwar 2016 einen Geldwäscheverdacht bei IMS geäußert.  Die Deutsche Bank aber Gelder frei gegeben. Auch wegen einer dritten Firma von Frank R, der Unaico, habe es nie ein abgeschlossenes Verfahren gegeben. „Es hat für R. keine anderen Informationen als für Millionen andere Menschen gegeben.“ Die hätten vielleicht Greenwood gehabt oder die Mutter von Ruja Ignatova Veska, der engste Führungszirkel eben, argumentiert Anwalt Heuchemer. Bei der IMS sei Frank R. „nicht ins operative Geschäft“ eingebunden gewesen, er war „extrem viel im Ausland“.

Bildungspakte von renommierten Wissenschaftlern

Die Bildungspakte, die OneCoin verkauft hat, seien nicht wertlos gewesen, sagt Heuchemer. In den Schulungspaketen, die zwischen 100 und  225.0000 Euro kosteten, steckten sogenannte Token, mit denen später OneCoin „geschürft“ werden sollten.

Viele Zeugen hätten den Wert der Pakete bestätigt, an denen ja auch „renommierte Wissenschaftler“ mitgewirkt hätten. Die Investoren hätten als Zeugen ausgesagt, sie hätten teilweise deutlich mehr Geld gehabt als vorher. Er widerspricht auch der Einschätzung, dass es sich beim OneCoin-Vertrieb und ein Schneeballsystem handelte.

Die IMS sei ein reiner Dienstleister gewesen, habe keine Bankgeschäfte betrieben.

Sitetalk für 1,5 Millionen an Ruja Ignatova verkauft

Frank R. hatte seine Firma Sitetalk 2015 an Ruja Ignatova verkauft.  Er hatte dafür 1,5 Millionen in Euro erhalten und 4,5 Millionen in OneCoin. Zugleich erhielt er den Rang eines „Black Diamond“ – ganz oben in der Vertriebshierarchie von OneCoin. Für Heuchemer ist klar: „Er war auf jeden Fall überzeugt.“ Sonst wäre es nicht logisch, dass er OneCoin als Bezahlung akzeptierte.

Frank R. als Black Diamond bei Twitter. Archiv: es

Ausführlich geht Heuchemer auf juristische Themen ein, zitiert den Philosophen Hans-Georg Gadamer und spricht im Zusammenhang mit einem Hinweisbeschluss der Kammer zum Vorwurf des versuchten Betrugs, dieser sei seiner Meinung nach verfassungswidrig.

Das Gericht müsse aus der damaligen Sicht den Fall betrachten. Damals sei der Enthusiasmus groß gewesen. „Hinterher weiß man die Dinge besser. Das wird ihm kein zweites Mal passieren.“ Schließlich stellt er fest: „R. ist Opfer geworden in einem Projekt.“ Auch er plädiert auf Freispruch.

Richter Pfeiffer dankt knapp und fragt, ob die Angeklagten das letzte Wort ergreifen wollen. Manon H. wäre als erste dran. Ihr Anwalt bittet um 15 Minuten Pause, um sich mit seiner Mandantin zu besprechen.

Im Foyer plaudern die Journalisten mit dem Staatsanwalt. Die Verteidiger versuchen nochmal, ihre Sicht an die Medien heranzutragen.

Aufmerksame Zuhörer: Vertreter der Staatsanwaltschaft Bielefeld. Foto: him

Die letzten Worte

Schließlich bittet die Protokollantin zurück in Saal 14. Richter Pfeiffer erteilt Manon H. das Wort. Sie erhebt sich, schluckt. Ganz leise sagt sie „Hohes Gericht.“ Pause. Sie danke für die Unterbrechung. Dann meint sie: „Der Schock über OneCoin hält an.“

Sie bedaure, dass sie jahrelang daran mitgewirkt habe. „Sehr, sehr viele Menschen haben sehr viel Geld verloren.“ Sie sei naiv gewesen und habe nicht damit gerechnet, dass Ruja Ignatova so handeln würde. „Betrug ist nicht mein Leitbild.“

Tiefes Bedauern

Immer wieder setzt sie neu an, muss sich sammeln. „Ich würde gern das Rad zurückdrehen“, meint sie unter Tränen, „aber das kann ich nicht.“ OneCoin werde sie den Rest ihres Lebens verfolgen. „Es tut mir leid für alles, was ich falsch gemacht habe“, sagt sie noch.

Richter Pfeiffer fragt mit unbewegtem Gesicht: „Das war‘s?“ – „Ja.“ Pfeiffer gibt Frank R. das Wort.

Der versucht weniger emotional zu sein, verweist auf seine „erfolgreichen Firmen“ Sitetalk OPN und Unaico – allesamt ebenfalls wegen Pyramidensystemen umstritten. Für diese habe die IMS-Dienstleistungen übernommen. Das sei „größer und größer“ geworden mit Callcentern und vielen Angestellten.

Ahnungslos

Er habe „keine Ahnung vom Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz“ gehabt. Der Rechtsanwalt Olesch, die Banken, die Polizei, zwei große Steuerberatungskanzleien, niemand habe damals „auch nur eine Andeutung gemacht, dass so etwas notwendig ist“. Hätte er es gewusst, hätte er es beantragt. R. sagt: „Man hat ja nichts davon, dass man keine Lizenz hat.“ Er habe das nie vorsätzlich außer Acht gelassen.

Dann wird er persönlich: „Ich bedaure, dass meine Frau wegen OneCoin so leiden muss. Ich bedaure, dass ich je von OneCoin gehört habe und denen meine Firma verkauft habe. Ich kann die Uhr nicht zurückdrehen.“ Er sitze hier vor Gericht, um die Anklage zu Ende zu bringen. Er bedaure, dass jemand etwas verloren oder „Schlimmes durch OneCoin erlitten hat.“

Martin B. verzichtet auf sein Schlusswort. Richter Pfeiffer unterbricht gegen 11.30 Uhr die Sitzung und kündigt das Urteil für 13.30 Uhr an.

Die Richter und die Schöffinnen betreten den Gerichtssaal, in der Mitte der Vorsitzende Richter Pfeiffer. Foto: him

Das Urteil

Um 13.30 ist Saal 23 im Landgericht Münster deutlich voller. Auf den Zuschauerbänken haben einige weitere Journalisten Platz genommen, auch die Gerichtssprecherin und ihr Kollege sind anwesend. Die Kammer lässt sich Zeit.

Derweil filmt ein WDR-Team die Anklagebank, auf der sich die Anwälte wieder aufgestellt haben. Manon H. wendet sich ab, Frank R. und Martin B. sind die Kameras eher egal. Es dauert fast eine halbe Stunde, bis die Kammer den Saal betritt und der Vorsitzende Richter das Urteil verkündet.

Manon H. vier Jahre, Frank R. fünf Jahre und Martin B zwei Jahre und neun Monate. Die Vorwürfe: Beihilfe zum Betrug in mehr als 12.000 Fällen beim Ehepaar und leichtfertige Geldwäsche beim Rechtsanwalt. Außerdem müssen die Angeklagten die Kosten tragen, und der Staat zieht bei ihnen Gelder ein: bei Manon H. 43.500 Euro, bei Frank R. knapp 1,2 Millionen, bei Martin B 627.000 Euro und bei der IMS 41 Millionen Euro. Die Haftbefehle gegen die Eheleute bleiben unter strengen Auflagen außer Vollzug.

Was wussten die Angeklagten?

In seiner mündlichen Urteilsbegründung zerpflückt Richter Pfeiffer die Behauptung, die Drei hätten nichts gewusst. Es gehe um „zwei zentrale Fragen: War OneCoin ein Betrug und was wussten die Angeklagten?“

Um das zu beantworten, habe das Gericht an 44 Verhandlungstagen 80 Zeugen und vier Sachverständige gehört, Geschädigte, Ermittlungsbeamte, Bankbeschäftigte und Mitarbeiterinnen der IMS. Eine Vielzahl von Unterlagen und Videos von OneCoin-Veranstaltungen habe man betrachtet. Eine Vernehmung der Ignatova sei nicht möglich gewesen. Es hätten sich auch „keine neuen Ansatzpunkte“ ergeben, wo sie sich befinde.

Ignatova habe ihren OneCoin als die sichere Alternative zu Bitcoin dargestellt. Wegen der zentralen Blockchain und des „Know your Customer“-Systems (KYC), bei dem sich die OneCoin-Käufer legitimieren mussten. Sie habe den OneCoin als den „Bitcoin-Killer“ angepriesen und die Geschichte von der teuersten Pizza der Welt erzählt, die einst jemand mit Bitcoin bezahlt habe. „Wer die Chance bei Bitcoin verpasst hat, hat jetzt noch eine Chance.“

Die Geschichte zu den Coins

Pfeiffer schildert das System mit den Token, die in den Bildungspaketen steckten, den Mining Pools und dem Schürfen durch immer schwieriger werdende mathematische Rätsel. Die Wertsteigerung ergebe sich aus dem Schwierigkeitsgrad der mathematischen Aufgaben, habe Ignatova erzählt. Die Schaffung eines Coins koste etwa fünf Euro und sei daher als Preis angemessen. Weil der Schwierigkeitsgrad stetig steige, stiegen auch die Kosten und damit der Preis.

Über Direktmarketing habe Ignatova diese OneCoin-Geschichte verbreitet. Top-Leader wie Kari Wahlroos oder Anton Federspiel hätten dies in Videos und Seminaren einheitlich verbreitet. Ignatova habe diejenigen sanktioniert, die von dieser Linie abwichen, so Pfeiffer.

(Update: In einem schwedischen Dokumentarfilm, der noch nicht erschienen ist, prahlt Wahlroos, wie viele Millionen er eingenommen habe.

Kari Wahlroos im Video. Screenshot: him

Insgesamt habe OneCoin „14 bis 15 Milliarden Dollar abkassiert.“  Inzwischen verkauft der Finne wieder über eine MLM-Plattform NFTs, wie Behind MLM berichtet. 15. Januar 2024.)

Es sei nicht möglich gewesen, OneCoin direkt zu kaufen, nur über die Schulungspakete, denen die Token kostenlos beigegeben wurden. Durch „Splits“ habe Ignatova dann den Wert dieser Token noch verdoppelt. Bis zu 118.000 Euro hatten die Kunden für die Pakete bezahlt, so der Richter.

Es gab sogar Preise bis 225.5000 Euro. Aus einem Werbevideo vom November 2016

Anfangs seien die Bedingungen nur auf Chinesisch, Englisch und Rumänisch zu lesen gewesen. Was in den Schulungspaketen stand, habe OneCoin nicht erläutert. Auch die Top-Leader hätten immer wieder erklärt, die Bildungspakete seien „ein schlauer Schachzug“, um die Lizenzbedingungen zu umgehen. Auch bei den Zeugen habe sich keiner für die Bildungsunterlagen interessiert, „nur für die Coins“, so Pfeiffer.

Ermittlungen in Bulgarien

Bei den „Dashboards“, die die OneCoin- Kunden für ihren Überblick hatten, seien nur „vermeintliche Transaktionen“ auf der Blockchain gezeigt worden. Das Landeskriminalamt NRW habe im Jahr 2018 zusammen mit bulgarischen Behörden dort nach der Blockchain gesucht und sei etwas außerhalb von Sofia bei einer Firma BM5 fündig geworden.

„In einem Raum stand ein Computerturm, etwa so groß wie ein Kühlschrank. Dabei waren auch zwei Server. Der Stromverbrauch lag bei maximal drei Kilowattstunden“.

Unter Protest hätten die Beamten die Computer mitgenommen und ausgewertet. Das vermeintliche Herzstück des OneCoin habe eine modifizierte Blockchain des Bitcoin enthalten. „Es gab keine Mining-Pools“, betont Pfeiffer. Die Rechner hätten die immer selbe simple Matheaufgabe gelöst. Dies habe für die beiden angeblichen OneCoin-Blockchains gegolten. Diese „Blockchain“ habe OneCoin seinen Kunden gezeigt. „Das war nur Fassade.“

Das Dashboard. Archiv-Foto: him

Ihr Plan ging auf

Dass das alles nicht funktionierte, habe Ruja Ignatova bemerkt und als Auswirkung der hohen Umsätze intern erläutert. Mit der zweiten Blockchain sollten vielfach schneller Coins geschürft werden können. Sie habe aber zu keinem Zeitpunkt vorgehabt, eine echte Blockchain aufzubauen, ist das Gericht überzeugt. Sie wollte „lediglich suggerieren“, dass es eine gab. Die „Audits aus Bulgarien“ seien gekauft gewesen, so Pfeiffer. „Ohne jeden Zweifel war OneCoin von Anfang an Betrug.“

Ignatova habe mit minimalem finanziellen Aufwand eine Blockchain nur vorgetäuscht. „Ihr Plan ist aufgegangen.“ Sie habe viel Geld eingenommen und für eigene Zwecke verbraucht.

Frank R. sei bis 2015 Inhaber von OPN gewesen. Das habe über die Anwerbung neuer Mitglieder Provisionen verteilt. Ignatova habe OPN von R. gekauft und die bisherigen OPN-Mitglieder verkauften von da an nur noch OneCoin-Bildungspakete, schildert Pfeiffer. Die IMS hatte OPN unterstützt und nun OneCoin.

Frank R. beschummelt auch die Kryptoqueen

Bei OPN hatte IMS 0,25 Prozent der Umsätze bekommen. Frank R. behauptete wahrheitswidrig, es sei ein Prozent und schlug Ignatova ebenfalls ein Prozent bei OneCoin vor. Ignatova war einverstanden, und IMS stellte die Bankkonten zur Verfügung.

Die IMS sollte die Kundengelder für OneCoin einnehmen und Rechnungen bezahlen. Das Service-Agreement hatten Ignatova und Manon H. als IMS-Geschäftsführerin unterzeichnet, so Richter Pfeiffer.

Die drei Bankkonten im Raum Münster

Am 4. Dezember 2015 habe die IMS das Konto bei der Sparkasse Steinfurt eröffnet. Am 9. Dezember wurde es auf der OneCoin-Homepage genannt und schon am selben Tag seien „exorbitante Summen“ eingegangen: “Täglich mehr als eine Million Euro.“ Als Empfänger nannten die Kunden oft OneCoin, nicht IMS. Der Sparkasse kam das verdächtig vor, sie erstattete eine Geldwäscheanzeige bei der BaFin und kündigte der IMS das Konto auf Ende März 2016.

Schon am 3. März verhandelte H. mit der Commerzbank in Münster, richtete am 9. März ein neues Konto ein und am 29. März 2016 überwiesen die OneCoin-Opfer auf dieses Konto. Auch bei der Commerzbank habe die Compliance-Abteilung schon am 1. April einen Geldwäscheverdacht gehabt und die Bank zum 1. Juni das Konto wieder gekündigt.

Mitte April war Manon H. dann mit der Deutschen Bank in Greven einig geworden. Ab dem 3. Juni flossen die Gelder auf dieses Konto. Auch hier erstattete die Bank eine Geldwäscheverdachtsanzeige und kündigte zum 17. August 2016.

Pfeiffer listet auf: „Vom 9. Dezember 2015 bis zum 17. August 2016 gab es 85.000 Einzahlungen für Bildungspakete.“ Insgesamt 273 Millionen Euro zahlten die Kunden ein. Bei den Überweisungen habe erst Manon H., später IMS-Mitarbeiterinnen diese erledigt. „Es gab keine Gelder für Kosten und Betrieb“, stellt Pfeiffer fest, „die Gelder gingen mal nach Florida, mal auf die Cayman Islands.“

Clean the accounts

Im Dezember 2015 habe Ruja Ignatova dem Angeklagten Frank R. gemailt: „Can you clean up the accounts?“ Er habe zurückgefragt: „Willst Du die Gelder abfließen lassen?“ Daraufhin habe es unter anderem Überweisungen hoher Beträge an Sebastian Greenwood gegeben.

Von den etwa 320 Millionen, die bei der IMS eingegangen waren, habe die IMS 55 Millionen als Provisionen ausgezahlt. Am 18. August 2016 habe die Staatsanwaltschaft das Deutsche Bankkonto beschlagnahmt und 28,7 Millionen Euro sichergestellt, berichtet Pfeiffer.

IMS, Manon H. und Frank R. hätten keine Genehmigung für Finanzdienstleistungen gehabt. „Und hätten sie auch nicht bekommen“, so der Richter. Dass man eine braucht, war ihnen unbekannt, sie hätten sich aber erkundigen können.

Die drei Angeklagten haben bestritten, gewusst zu haben, dass OneCoin ein Betrug war. Es sei anzunehmen, dass Ignatova ihnen das nicht gesagt hat. Bei der Einrichtung des ersten Kontos sei das noch nachvollziehbar. Aber bei den Schulungspaketen, da hätten Zweifel aufkommen müssen, denn dieser Verkauf sei als Tarnung erklärt worden.

„Jeder kann in kürzester Zeit Millionär werden – das ist ein fragwürdiges Gewinnversprechen“, so Pfeiffer. Er fragt: „Welche seriöse Firma verkauft eine Gebrauchsanleitung und gibt das Produkt gratis dazu?“

Die Blockchain

Zur Blockchain führt Pfeiffer aus, sie sei in zwei Versionen gelaufen. Angeblich habe sie 72 Millionen Coins am Tag geschaffen oder knapp 13 Milliarden im Monat. Nach Ignatovas Erklärung, dass je mehr Coins „gemined“ werden und je schwerer die Matheaufgaben werden, desto mehr Hardware und Energie werde verbraucht, hätte sich dies ja irgendwo zeigen müssen. Tat es aber nicht.

Schon seit 2015 habe es Gerüchte gegeben, OneCoin sei Betrug. Andererseits habe Ignatova eine „hohe Motivation“ ausgestrahlt. Pfeiffer erwähnt auch die Gusswerkpleite und die Bewährungsstrafe, die sie im April 2016 erhielt. Zugleich beeindruckten die Werbeveranstaltungen die Videos und die Firmenzentrale. „Viele Leute waren überzeugt und haben investiert.“

Doch spätestens beim zweiten Konto im März 2016 habe es „eindeutige Hinweise auf Betrug“ gegeben, erklärt Richter Pfeiffer. Schon am ersten Tag seien mehr als eine Million Euro auf dem Konto gelandet. Frank R. und Ruja Ignatova seien sich bis dahin fremd gewesen – und dennoch habe Ignatova keinerlei Sicherheiten gehabt. „Sie hätten das Geld einfach hinterziehen können“, meinte Pfeiffer zu den Eheleuten. Hunderte Millionen Euro seien auf diesen Konten gewesen.

Die Provision von einem Prozent für die IMS sei „völlig überbezahlt“ gewesen. Manon H. habe angesichts der Millionen, die die IMS verdienen würde, selbst gesagt: „Das ist zu schön, um wahr zu sein.“ Die einzige Dienstleistung der IMS sei gewesen, Überweisungen zu tätigen: Pfeiffer fragt: „Welche legale Firma zahlt Millionen für die Überlassung von Konten?“

Frank R. habe schließlich Scheinrechnungen für angebliche Beratungshonorare und Marketingleistungen in verschiedenen Ländern ausgestellt.  Die Gelder seien auch nicht an OneCoin geflossen, die damit hätten arbeiten müssen. Die Gelder gingen vielmehr an Ruja Ignatova oder an Fonds, die sie beherrschte. Dabei sei, wie von Ignatova angeordnet, OneCoin nicht erwähnt worden.

„Es gab keine Ausgaben für Strom und Hardware“, stellt Pfeiffer fest und fragt: „Welches Unternehmen hat keine Ausgaben für die Produktion?“

Die Banken belogen

Wegen des Commerzbankkontos sei ein Mitarbeiter bei IMS gewesen und habe nach dem Geschäftszweck gefragt. Wahrheitsgemäß hätten R. und H. erklären müssen: „Wir haben einen Kunden: OneCoin. Für die nehmen wir ungesichert Gelder ein und geben diese weiter.“

Stattdessen hätten sie dem Commerzbankvertreter erzählt, ganz viele Klienten überwiesen Gelder. Damit würden e-Wallets aufgeladen, damit die Kunden weltweit und im online-Handel einkaufen können. Damit hätten sie Zahlungsdienstleistungen und einen ganz erheblichen Aufwand der IMS suggeriert.

Als auf einen Schlag 60 Millionen auf dem Commerzbankkonto lagen, hätten die Angeklagten erklärt, dies Geld gehöre Mitgliedern und Partnern und werde für das Aufladen der e-Wallets verwendet. Damit könne man bei 6000 online Shops einkaufen.

Die Eheleute hätten sich vor dem Treffen mit dem Commerzbankvertreter abgesprochen, OneCoin nicht zu erwähnen, ist das Gericht überzeugt. Sie hätten die Bank bewusst belogen, weil sie das Geschäft fortsetzen wollten.

Auf die Frage der Bank, ob die Gelder in Kryptowährungen umgewandelt werden sollen, habe Frank R. geantwortet „Absolutely no.“

Auch als die beiden das dritte Konto bei der Deutschen Bank anlegen wollten, hätten sie gelogen, führt Richter Pfeiffer aus. Sie hätten die Kündigung durch die Commerzbank verschwiegen.

Anfang März 2016 waren in Großbritannien zehn Millionen Euro der IMS festgesetzt worden. Anfang April solle eine halbe Milliarde Euro auf einen Fonds transferiert werden. Das habe die IMS abgelehnt. 135 Millionen Euro aber dennoch überwiesen. Millionen, die später in einem Fonds von Ignatova gelandet seien.

Pfeiffer erklärte zum Strafmaß, beide seien nicht vorbestraft und hätten die Taten eingeräumt. „Dennoch haben sie betrogen und in neun Monaten sehr viel Geld verdient: 3,2 Millionen Euro.“

Martin B. Leichtfertig

Zu Martin B., dem dritten Angeklagten, hat der Kammervorsitzende ausgeführt, dieser habe im März 2016 gut 33 Millionen an die Londoner Kanzlei Locke Lord überweisen. Das Geld sei zunächst auch abgebucht, dann aber wieder gutgeschrieben worden. Schließlich sei das Geld auf Konten der IMS in Singapur geflossen. Ruja Ignatova sei mit Frank R. befreundet und haben dessen Namen verwendet. Schließlich gingen vier Mal fünf Millionen an Mark Scott, einen Locke Lord Anwalt, der in den USA groß im Geschäft mit OneCoin-Geldern war.

Für die Deutsche Bank schickte Martin B. eine Bestätigung, die er sich von Scott vorformulieren ließ. Es handle sich um Kundengelder einer Firma, mit der er schon seit  Jahren zusammenarbeite. Ruja Ignatova sei die Direktorin, und im Beratungs- und Marketinggeschäft tätig. B. habe per Mail bei Scott nachgefragt, welche Firma er denn eintragen solle. Scotts Antwort: „Die Firma, die Ihnen am besten passt.“

(Scott lebt in Florida, USA. Seit Ende 2019 ist er wegen Geldwäsche verurteilt, aber sein Strafmaß noch nicht festgesetzt. Er soll 400 Millionen Dollar für Ignatova gewaschen und dafür 50 Millionen Dollar kassiert haben.)

Zu diesem Schreiben meint die Münsteraner Kammer, B. habe bewusst gelogen. Er wusste, die Gelder stammen von OneCoin. Die Bank habe mehrmals nachgehakt.

Dann erzählt Richter Pfeiffer noch ein Schmankerl: Neben der Penthouse- Wohnung kaufte Ignatova im selben Luxusgebäude eine Wohnung für ihre Leibwächter für 2,1 Millionen Euro. Als die bezahlt werden musste, fragte Ignatova Martin B., wieviel Geld von den ursprünglichen 20 Millionen noch auf seinem Konto seien.

Das wisse er nicht mehr genau. „Daraufhin füllte Ignatova das Konto auf.“ 900.000 Euro flossen von IMS Singapur auf B.s Konto. Am 24. Juni 2016 habe B.  das Geld für die Wohnung überweisen.

Er habe objektiv eingeräumt, dass er die Taten begangen habe. Martin B.  habe aber erklärt, er habe nicht geglaubt, dass OneCoin Betrug sei. Er sei auch anders als die beiden anderen nicht „Tag für Tag auf die Betrugstat hingewiesen worden“, so der Richter. Aber er hätte die kriminelle Herkunft der Gelder bemerken müssen.

Schon sehr früh gab es Warnungen

Seit Mitte 2015 habe es Warnungen und Pressemitteilungen zu OneCoin gegeben. Schon Anfang 2016 habe ein finnischer Blogger ihn darauf aufmerksam gemacht, dass es sich bei OneCoin um ein Schneeballsystem und Betrug handle. Er solle da nicht mehr mitmachen.

Zum Fall der Insolvenzverschleppung in Waltenhofen habe Martin B. als Anwalt sogar Akteneinsicht beantragt. „Ruja Ignatova hatte ihn informiert“, so Pfeiffer, „B. war damals schon wegen Untreue vorbestraft.“

78.000 Euro für teure Uhren

Von den 20,9 Millionen Euro, die er für die Londoner Wohnungen bekommen habe, habe B. 630.000 Euro für sich behalten und für eigene Zwecke verbraucht. So kaufte er laut Gericht unter anderem „hochwertige Uhren für 78.000 Euro“.

Ausführlich ging der Vorsitzende Richter auch auf die Fenero-Funds ein. Da habe Martin B. zwischen Ende Mai und Ende Juli 2016 vom Commerzbankkonto 35 Millionen Euro, 40 Millionen Euro vom Deutsche Bank Konto und 60 Millionen vom IMS-Koto in Singapur überwiesen. Dabei hatte wieder Mark Scott Anweisungen gegeben, wie das geschehen sollte.

Auch Irina Dilkinska taucht auf. Sie war Geschäftsführerin einer BNN Consult. Manon H. sollt bestätigen, dass das Geld im Auftrag von BNN überwiesen worden sei. „Dabei wusste sie, dass das Geld von OneCoin Kunden und nicht von BNN stammte.“

(Irina Dilkinska war bei OneCoin für Firmengründungen und rechtliche Fragen zuständig. Sie wurde im März 2023 von Bulgarien an die USA ausgeliefert. Sie hat sich schuldig bekannt und wird am 1. März ihr Strafmaß erfahren.)

Die Fenero-Funds verwaltete die Firma Apex. Scott habe Martin B. in einer Mail gebeten, ein Bestätigungsschreiben an APEX zu schicken. Antwort von Martin B. „Bin verfügbar.“ Er habe dann erklärt, er könne einen Joint Venture von IMS und BNN bestätigen und dass die überwiesenen Gelder von IMS gehalten worden seien. B. habe auf seinem Anwaltsbriefbogen diese Bestätigung geschrieben, wohl wissend, dass die Gelder von OneCoin stammten. Er habe auch noch eine kurze Joint Venture Vereinbarung geschrieben. So habe er „die wahre Herkunft der Gelder verborgen“.

Nach einer guten Stunde kommt Pfeiffer zu Schluss und erläutert, wie die Kammer das Strafmaß ermittelt habe:

Das Strafmaß

Beim Betrug liege das Strafmaß zwischen sechs Monaten und zehn Jahren. Bei einem weniger schweren Betrug zwischen einem Monat und siebeneinhalb Jahren. Der Verstoß gegen das ZAG werde geringer bestraft. Für die beiden Angeklagten Manon H. und Frank R. spreche, dass sie nicht vorbestraft sind und im Wesentlichen gestanden hätten. 27 Millionen Euro seien sichergestellt für die Geschädigten.

Die Kammer sehe bei Frank R. fünf und bei Manon H. vier Jahre Haft für tat- und schuldangemessen. R. sei der „deutlich aktivere“ Teil gewesen.

Bei Martin B seien die zwei Jahre und neun Monate für die leichtfertige Geldwäsche angemessen. Er habe die objektiven Tatumstände eingeräumt. Er werde seine Zulassung als Anwalt verlieren. Andererseits sei Martin B. „mehrfach vorbestraft“. Auch gehe es um erhebliche Summen von 20 und 75 Millionen Euro.

Die Kammer habe die beiden Einzelstrafen von je einem Jahr und neun Monaten zu zwei Jahren neun Monate zusammengezogen.

Schließlich erwähnt Pfeiffer die Möglichkeit der Revision und wie sie zu beantragen ist. Danach: „Die Verhandlung ist geschlossen.“

Das ist noch lange nicht das Ende

Während die Kammer den Sitzungssaal verlässt, tippen die Journalisten ihre ersten Meldungen ins Smartphone. Verteidiger und Staatsanwälte ziehen ihre Roben aus, packen die Akten in Rollkoffer. Die Angeklagten verlassen ziemlich bleich den Saal 23.

Draußen baut ein Kamerateam des WDR seine Kamera auf. Zwei Anwälte haben Redebedarf. Heuchemer kündigt an, er werde für seinen Mandanten Frank R. in Revision gehen.

Rechtanwalt Heuchemer kündigt Revision an. Foto: him

Dann bittet der WDR-Kollege den Sprecher des Landgerichts um eine Stellungnahme.

Etwas abseits steht der Filmemacher Johan von Mirbach. Für seinen Dokumentarfilm „Die Kryptoqueen“ hatte er schon den Prozessauftakt beobachtet. Er hört Heuchemer Ankündigung und meint: „Die Geschichte um OneCoin ist mit dem Urteil heute noch nicht vorbei.“  Es gebe noch viele Dinge, die noch nicht erzählt seien. „Auch über Ruja Ignatova.“

Wie zum Beleg kommt wenig später eine Pressemitteilung des Landeskriminalamts und der Staatsanwaltschaft Bielefeld. Darin bezeichnen die Behörden den Betrug mit der angeblichen Kryptowährung „als Coup historischen Ausmaßes“.  Mit dem Urteil in Münster ende zunächst der Prozess gegen Ignatovas Unterstützer.

„Aber die Ermittlungen und Fahndungsmaßnahmen des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen in Sachen OneCoin werden fortgeführt.“ Die Ermittlungskommission suche weiter nach der Drahtzieherin des OneCoin-Coups, Dr. Ruja Ignatova, „und nach Verbindungen zu weiteren Beteiligten“.

Am Tag des Urteils ist übrigens ein neuer One Newsletter erschienen. Darin unter anderem ein Bericht über die Neueröffnung  des neuen OneEcosystem-Headquarters in Hanoi.

Screenshot: him

Derzeit firmiert OneCoin nämlich unter diesem Namen. Als der ursprüngliche Begriff im Netz „verbrannt“ war, weil bei google immer gleich der Begriff „Betrug“ mit aufploppte, nannte man sich flugs in OneLife und – und seit einiger Zeit eben OneEcosystem. Das System und die Leute blieben aber dieselben.

Update: Wie die Staatsanwaltchaft Bielefeld mitteilt haben „nach Mitteilung des Landgerichts Münster ( … ) zwischenzeitlich alle drei Angeklagten Revision gegen das Urteil eingelegt“.

 

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Martin Himmelheber (him)
Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.