Karzerstrafe fürs „Fasnetsschwänzen“

In Sachen Bildung ist Rottweil sozusagen eine Großstadt. Nun ist ein wichtiges Kapitel seiner Schulgeschichte, das bisher wenig beleuchtet war, fundiert erschlossen worden: Die Historie des Rottweiler Gymnasiums vom späten 19. Jahrhundert bis zum Ende des „Dritten Reiches“.
Es geht also um das heutige Albertus-Magnus-Gymnasium (AMG). Dessen Geschichte hat über viele Jahre die Althistorikerin Dr. Augusta Hönle (1936-2024) erforscht – eine herausragende Pädagogin, mit der viele ehemalige AMGler eine ebenso große Expertise für die Antike wie Hingabe für den Lehrerberuf verbinden.
Hönle hatte in der 2008 erschienenen Festschrift „Das Rottweiler Gymnasium in Geschichte und Gegenwart“, eine Zeitspanne von 1776 bis Ende des 19. Jahrhunderts behandelt. Für die Jahre von etwa 1890 bis 1945 jedoch fehlte eine vertiefte Auseinandersetzung.
Diesem Zeitraum widmete sich Hönle dann in Vorträgen – die sie in ihre letzten Lebensphase trotz zunehmender Krankheitsbelastung noch zu einem Buch zu bündeln versuchte. Ganz ist ihr das nicht gelungen, aber sie sehr weit gekommen. Noch zu ihren Lebzeiten wurde ein Redaktionsteam mit der ehemaligen AMG-Schülerin und Journalistin Stefanie Siegmeier, Dr. Dietrich Raff, Dr. Ulrich Fiedler sowie der Autorin ins Leben gerufen, das die Buchveröffentlichung vorbereiten sollte – und dieses Ziel nach Hönles Tod am 10. Mai 2024 dann sehr umsichtig weiterverfolgte.

Das jüngst erschienene Ergebnis zeigt, dass sich die Mühen gelohnt haben – es ist ein wichtiger Beitrag zur Bildungsgeschichte in der Region, der auch zum Verständnis der NS-Zeit in Rottweil beiträgt. In einem knappen Anlauf wird zunächst herangeführt, dass von 1717 bis 1938, also 216 Jahre lang, das Alte Gymnasium neben der Kapellenkirche Heimat des Rottweiler Gymnasiums war – und 1907 mit 475 Schülern, davon 287 in der Oberstufe, an zahlenmäßig an der Spitze der 14 württembergischen Gymnasien stand.
Für die Zeit des Kaiserreichs zeigt die Autorin, wie die der Unterricht aussah, wie die Schüler ins städtische Leben eingebunden waren – oder durch Arrest im Karzer dafür büßten, dass sie wegen der Fasnet den Unterricht geschwänzt hatten. Deutlich wird auch die sehr patriotische Ausrichtung vor dem und während des Ersten Weltkriegs.
Hönle hat konsequent die Schlussfeiern untersucht. Sie bilden aussagekräftige Sonden in die jeweilige Zeitschicht hinein – in Themen, Probleme und Denkweisen. Denn Schule ist stets ein Spiegel der jeweiligen Umstände.
So erfährt man etwa, dass während des Ersten Weltkriegs Siege auf dem Friedrichsplatz in „vaterländischen Festen“ bejubelt wurden – und 1914 bis 1918 zwei Lehrer sowie 36 Schüler ihr Leben verloren. Man bekommt Eindrücke von den Entbehrungen nach dem Krieg sowie einem besseren Leben und freieren Geist im Lauf der Zwanzigerjahre.
Intensiv beleuchtet Hönle die Ausrichtung des Gymnasiums sowie der Stadt ab 1933 auf die nationalsozialistische Ideologie und Herrschaft. Man bekommt einen lebensnahen Eindruck davon, wie das schulische und öffentliche Leben von NS-Ideen durchdrungen wurde und der nationalsozialistische Marathon an Festen und Zeremonien den Alltag zunehmend prägte. Bemerkenswert ist freilich, dass versucht wurde, das religiöse Leben, etwa den sonntäglichen Kirchgang, gegen staatliche Übergriffe zu verteidigen – was aber immer weniger gelang.

Vieles aus der NS-Zeit ist in weite Ferne gerückt. Bleibend in die Geschichte des Rottweiler Gymnasiums eingeschrieben hat sich das „Dritte Reich“ jedoch durch den bis 1938 in der Bismarckstraße errichteten Schulneubau. Dieser ist funktional angelegt, verdeutlicht aber durchaus nationalsozialistische Ideale.
Besonders deutlich wird dies bei der Säulenhalle am Festsaal. Diese war als „Gefallenen-Ehrenhalle“ angelegt – mit entsprechender Inschrift und Halterung für Ehrenkränze. So wurde der auf Krieg ausgerichtete nationalsozialistische Opfer- und Todeskult im Schulalltag verankert. Und noch stärker eingeprägt wurden die Leitideen der Schüler- und Lehrerschaft durch die Benennung des Gymnasiums nach dem frühen Hitler-Verehrer und NS-Propagandisten Dietrich Eckart (1868-1923).

Das erkennbar mit großer Sorgfalt erstellte Buch bietet neben den profunden Texten Augusta Hönles zahlreiche historische Fotografien aus dem Rottweiler Stadtarchiv sowie Motive aus dem reichen Fundus von Guntram Vater. Eine Stärke sind zudem Quellentexte aus der NS-Zeit, auch wenn diese teils durch ein paar erklärende Zeilen besser verstehbar wären. Den Gesamteindruck schmälert das freilich nicht: Wer noch ein Weihnachtsgeschenk mit Bezug zur Rottweiler Geschichte sucht, hat mit diesem Band eine schöne Option.
Info: Das Buch „Vom Gymnasium zur Dietrich-Eckart-Oberschule. Das Rottweiler Gymnasium von der Jahrhundertwende bis 1945.“ (ISBN 978-3-9823300-7-5, 110 Seiten), ist zum Preis von 19,50 Euro im bei der Buchhandlung erhältlich. Mitglieder des Rottweiler Geschichts- und Altertumsvereins erhalten es als 125. Jahresgabe.