Das Rottweiler Gefängnis am Nägelesgraben ist wegen des laufenden Neubaus bald Geschichte – ein guter Grund, mal zu schauen, wie dort früher Weihnachten gefeiert wurde. Spoileralarm: Einmal fielen fünf Schweine dem Fest (beinahe) zum Opfer.
Davon und von vielem mehr berichtet ein glaubwürdiger Zeitzeuge: Der ehemalige Erste Bürgermeister der Stadt Stuttgart, der promovierte Jurist Gerhard Lang (1931-2024). Er lebte von 1947 bis 1970 in Rottweil, wo sein Vater die Justizvollzugsanstalt als Direktor leitete und seine Mutter als Gefängnisköchin kaum weniger Verantwortung trug.
Jahrzehnte später hat der für seinen Humor bekannte Gerhard Lang seine Erinnerungen in einem launigen Bericht festgehalten, welcher Eingang in viele Rottweil-Sammlungen gefunden hat. Der Titel „Kein Engel in der Höllgasse“ nimmt Bezug auf die Postadresse des Gefängnisses: Hintere Höllgasse 1.
Das Thema Weihnachten nimmt in dem Bändchen ein eigenes Kapitel ein, das mit Zeichnungen von Rudi Maier illustriert ist. Langs Erinnerungen zufolge herrschte im 1861 errichteten Gebäude ab 6 Uhr morgens vor lauter Vorbereitungen „absolutes Chaos“. Das Lärmen sei nur erträglich gewesen, „wenn man sich in das Geschehen einschaltete oder so rasch wie möglich das Gefängnis verließ“.
Auch die Insassen waren eingebunden. Um 6.30 Uhr mussten sie „Kübeln“, also als Toiletten dienende Eimer leeren, was zu „Höllenlärm“ in der Höllgase führte, weil sechzig bis achtzig „Hausgäste“ auf Kommando mit ihren Kübeln zur zentralen Entsorgungsanlage marschierten.

Das geschäftige, nervöse Treiben hielt an, da allerhand vorzubereiten war. Im ersten Stock sowie in der Verwalterwohnung im Erdgeschoss erstrahlten schließlich stattliche lamettabehangene Christbäume. Ab etwa 14 Uhr zog dann Stille ein, unterbrochen nur durch die Weihnachtsfeier.
Der Sohn des Hauses informierte den Direktor, der vor dem Trubel ins Russenstüble geflohen war, dass alles bereit sei. Dann trafen der Chef sowie der Vikar des nahen Heilig-Kreuz-Münsters im Gefängnis ein. Der Geistliche las die Weihnachtserzählung vor und deutete sie. „Viele der Hausgäste wie der Betreuer schluchzten oder schluckten“ dabei trocken, vermerkt der Chronist.
Zu den Höhepunkten zählte der gemeinsame Gesang. Mit recht unterschiedlichen Vorstellungen von Melodie und Text wurde „Stille Nacht“ geschmettert, gefolgt von „Ihr Kinderlein kommet“ und einer Strophe „Oh, Du fröhliche“.
Dann wurde, angesichts des katastrophalen musikalischen Verlaufs, „der künstlerisch-religiöse Teil abrupt für beendet erklärt“ und die Geschenkpakete aufgerissen. Auch die Insassen erhielten üppig bestückte Weihnachtsteller. Zu später Stunde durfte dann als Ausklang der Schmachtfetzen „Wolgalied“ von Franz Lehár nicht fehlen.
Während sich diese Elemente der Gefängnis-Weihnacht in der Höllgasse über lange Zeit mit schöner Regelmäßigkeit wiederholten, gab es Langs Memoiren zufolge einmal auch einen ziemlichen Schrecken: Am Weihnachtsmorgen lagen die mit Küchenabfällen großgezogenen Schweine reglos unter dem Küchenfenster! „Die Diagnosen reichten vom Rotlauf bis zum Schlagfluß infolge Fettleibigkeit, die Vorschläge für Abhilfemaßnahmen von der Feuerwehr bis zum Generalstaatsanwalt“, erinnert sich Gerhard Lang.

Der herbeigerufene Tierarzt, inspizierte zuerst die reglosen Vierbeiner und dann deren Weihnachtsmahl. „Den Kübeln entstiegen süße Düfte aus Resten kalter Ente, Rottweiler Pflugbieres und Niersteiner Domtals“, erläutert Lang den Befund. Worauf der Veterinär messerscharf schloss, die „Sauen send net tot, dia send bloß bsoffa.“ So endete diese Weihnachts-„Sauerei“ letztlich für alle glimpflich.
Info: Gerhard Langs Erinnerungen „Kein Engel in der Höllgasse. Von originellen Missetätern und einem Rottweiler Unikum“, sind 1992 im Tübinger Silberburg-Verlag erschienen (ISBN 3-87407-136-7, 128 Seiten) und reich an Anekdoten wie diese zum Thema Weihnachten.



