„Stille Stunde“: Einkaufen ohne Geräuschkulisse, ohne Piepsen und Werbedurchsagen, ohne Rollwagengerassel und Geschirrgeklapper. Das soll es künftig in Hardt sowohl bei Edeka-Hammer als auch bei der Bäckerei Brantner regelmäßig geben. Bei der Stillen Stunde eben.
Hardt/Kreis Rottweil. Am Montagvormittag stellten Landrat Wolf-Rüdiger Michel und Konrad Flegr das Projekt im Hardter Supermarkt der Familie Öttle vor. Die Idee stamme aus Neuseeland, so Flegr, Projektkoordinator bei der Aktionsgemeinschaft GIEB. Dort habe sich der an Autismus leidende Sohn bei seinem Vater, einem Supermarktbetreiber beklagt. „Es ist so umtriebig, laut und hektisch, ich fühle mich in unserem Laden nicht wohl.“
Idee aus Neuseeland
Daraufhin habe der Vater die Idee mit der Stillen Stunde gehabt, eine Zeit, in der alle störenden und irritierenden Geräusche und Reize vermieden werden. „Es gibt keine Musik, keine Werbung, kein Gepiepse.“ Auch das Licht wird gedimmt.
Der Erfolg sei groß gewesen, so Flegr, nicht nur der Sohn, sondern auch viele andere Kunden hätten die Ruhe als wohltuend empfunden. Die Menschen seien weniger gestresst gewesen. Inzwischen habe die Idee weltweit Nachahmer gefunden. In Deutschland seien bislang 223 Geschäfte und Einrichtungen auf den Zug aufgesprungen. Mit Hammer und Brantner nun 225.
Dieses Projekt betreffe „die Belange von Menschen mit nicht sichtbaren Behinderungen, deren Herausforderungen von Nichtbetroffenen besser verstanden werden sollen“, so Andrea Schmieder vom Landratsamt. Für Menschen mit nicht sichtbaren Behinderungen stellen Licht, Menschenansammlungen, Geräusche, Gerüche oder Berührungen Barrieren dar, wie etwa eine Treppe für einen Rollstuhlfahrer.
Hardt hat die Nase vorn
Landrat Michel lobte die hervorragende Infrastruktur von Hardt und freute sich, dass hier die ersten beiden Geschäfte im Kreis Rottweil die Stille Stunde einführen möchten. „Hardt hat wieder einmal die Nase vorn.“
Sozialdezernentin Angelika Jetter sei auf die Gemeinde zugekommen und habe ihn gefragt, ob das nichts wäre für Hardt erzählte Bürgermeister Michael Moosmann. Er habe dann mit Familie Öttle vom Edeka-Markt Kontakt aufgenommen, und beide seien schnell bereit gewesen, mit zu machen. Jetter ergänzte lachend: „Herr Moosmann hat mir gesagt, er sehe die Öttles am Abend beim Motorradtreffen, da könne er das besprechen.“
Christina Öttle hatte von dem Projekt bereits gelesen und hatte sich informiert. Die Umsetzung werde nicht ganz einfach schätzt Stefan Öttle. Radio ausschalten sei kein Problem, aber der zentral von Edeka gesteuerte Bildschirm mit der Werbung? Nicht so einfach. Oder das Piepsen an der Kasse? „Dann müssen die Kassiererinnen genau auf den Bildschirm schauen, ob die Ware auch eingescannt wurde.“
Umsetzung nicht ganz einfach
Christina Öttle ergänzt, die Stunde könne auch nicht morgens sein, denn da würden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den Rollwagen die Ware im Geschäft verteilen.
Für Konrad Brantner wird es ebenfalls eine „kleine Herausforderung“ die „Stille Stunde“ in seinem Café an der Weiler Straße zu organisieren. „Von der Umsetzung her ist das nicht ganz einfach.“ Radio ausschalten, kein Problem. Aber Geschirr abräumen?
Im Supermarkt plane man nun donnerstags vom 12.30 bis 14 Uhr die Stille Stunde anzubieten, kündigt Christina Öttle an. Das Projekt brauche durchaus auch eine Erprobungsphase, so Flegr. Man müsse schauen, wie es sich für alle Beteiligten am besten umsetzen lässt. „Wir hoffen natürlich auf viele Nachahmer im Kreis und dass das Ganze zu einer Massenbewegung wird.“
Info: auf der Homepage https://www.stille-stunde.com/ findet sich ein Überblick über bereits heute teilnehmenden Geschäfte und Einrichtungen. Dazu gehören neben klassischen Supermärkten viele CAP-Märkte, aber auch Modegeschäfte, Bowlingbahnen, Buchhandlungen, Schwimmschulen, eine Tierarztpraxis, eine Zahnärztin. Ja, sogar der HSV hat eine Stille Stunde eingeführt.