Leserbrief: Die Situation

Für NRWZ.de+ Abonnenten: 

(Meinung). Gute zwei Jahre herrscht sie bereits über uns. Die Situation.

Die Situation. Was für ein komisches Wort.

Ich stelle mir manchmal vor, dass wir in 30 Jahren immer noch sagen, dass wir in Der Situation sind. Aber wir haben dann vergessen, was ihre Ursache war. Es geht einfach immer so weiter.

Das Wort hat so etwas Schulterzuckendes. Etwas Resigniertes. Einen Hauch von So-isses-halt. Es strahlt fast schon eine gleichmütige Ruhe aus.

Die Situation ist aber alles andere als ruhig. Menschen sind auf der Straße. Bundesweit. Sind Sie auch dabei? Oder sympathisieren Sie mit diesen Menschen? Oder hassen Sie sie? Sympathisieren Sie mit denen, die diese Menschen hassen?

Auf welcher Seite des Spalts stehen Sie? Und nach welchen Kriterien entscheiden Sie, ob eine Person auf Ihrer Seite oder auf der anderen Seite steht? Das muss sauber analysiert werden. Wo kämen wir sonst hin?

Die Situation hat nämlich höchste Priorität. Sie bedeutet Kampf. Entweder kämpfen wir für Die Situation. Es geht ja um Leben und Tod. Oder wir kämpfen gegen Die Situation. Es geht ja um unsere Freiheit.

Es ist episch.

Wir können glücklich sein. Endlich hat uns das Schicksal – Die Situation – einen Wetzstein gegeben. Jeder Spaltseite einen eigenen. Aber immerhin: Das Leben hat wieder einen Sinn. Vom Tratsch bis zur Frage nach Gut und Böse ist eine neue Ordnung in den Gedanken. Man bestätigt einander. Und das fühlt sich gut an.

Wie schwierig war das alles doch im profanen Leben vor Der Situation. Es gab ja nichts, an dem wir uns kollektiv reiben konnten, nichts, an dem wir uns beweisen konnten. Es gab keine Helden. Jetzt gibt es wieder Helden. Helden im Kampf für die Freiheit und Helden im Kampf für das Leben.

Helden dürfen sich Dinge herausnehmen. Sie kämpfen nämlich für eine höhere Sache.

Würde?

Nur, wenn es Die Situation zulässt.

Wie aufregend. Dafür zahlen wir gerne den Preis der Spaltung.

Oder ist dieser Preis doch zu hoch? Sollten wir den Fokus nicht auf etwas anderes setzen?

Der kanadische Psychologe Jordan B. Peterson sagte kürzlich folgenden Satz:

“Ich glaube, dass wir Gefahr laufen, alles Mögliche religiös zu machen, was nicht religiös sein sollte, und dass das unserer Kultur großen Schaden zufügen wird; dass die Dinge düster aussehen, wenn wir nicht Gott wieder an seinen Platz und Cäsar wieder an seinen Platz setzen.”

Peterson ist kein gläubiger Christ, aber auch kein Atheist. Er sagt, dass er sich so verhält, als ob es Gott gäbe. Gott und Cäsar sind hier Symbole.

Er will mit seiner Aussage darauf aufmerksam machen, dass wir uns den höchsten Orientierungspunkt sorgfältig auswählen sollten. Wonach soll sich alles ausrichten? In der gemeinsamen Auswahl dieses Orientierungspunktes entscheidet sich, wie erfolgreich wir als Gesellschaft sind. Und damit meine ich erfolgreich im menschlichen Sinne.

Diese Wahl ist bei uns schon getroffen worden und sie wurde weise getroffen. Es ist die Würde – Artikel 1 des Grundgesetzes.

Die Würde ist wirklich. Nicht nur eine Idee. Der Neurobiologe Gerald Hüther macht diese in unserem Selbst aus. Er bezeichnet sie als “einen inneren Kompass, der uns dabei hilft, unser Zusammenleben so zu gestalten, dass es für alle gut ist und eine gemeinsame Weiterentwicklung ermöglicht wird”.

Es ist die Würde, die davor schützt, dass wir uns für andere zum Objekt machen. Und sie hält uns davon ab, andere zum Objekt unserer Vorstellungen zu machen. Sie zeigt uns auch im Gegner den Menschen.

Und nun? Was machen wir mit Der Situation?

Ich kann die Frage nicht beantworten. Aber ich weiß, woran wir uns zu ihrer gemeinsamen Beantwortung ausrichten sollten.

Felix Urbat, Schramberg

Das interessiert diese Woche



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(Meinung). Gute zwei Jahre herrscht sie bereits über uns. Die Situation.

Die Situation. Was für ein komisches Wort.

Ich stelle mir manchmal vor, dass wir in 30 Jahren immer noch sagen, dass wir in Der Situation sind. Aber wir haben dann vergessen, was ihre Ursache war. Es geht einfach immer so weiter.

Das Wort hat so etwas Schulterzuckendes. Etwas Resigniertes. Einen Hauch von So-isses-halt. Es strahlt fast schon eine gleichmütige Ruhe aus.

Die Situation ist aber alles andere als ruhig. Menschen sind auf der Straße. Bundesweit. Sind Sie auch dabei? Oder sympathisieren Sie mit diesen Menschen? Oder hassen Sie sie? Sympathisieren Sie mit denen, die diese Menschen hassen?

Auf welcher Seite des Spalts stehen Sie? Und nach welchen Kriterien entscheiden Sie, ob eine Person auf Ihrer Seite oder auf der anderen Seite steht? Das muss sauber analysiert werden. Wo kämen wir sonst hin?

Die Situation hat nämlich höchste Priorität. Sie bedeutet Kampf. Entweder kämpfen wir für Die Situation. Es geht ja um Leben und Tod. Oder wir kämpfen gegen Die Situation. Es geht ja um unsere Freiheit.

Es ist episch.

Wir können glücklich sein. Endlich hat uns das Schicksal – Die Situation – einen Wetzstein gegeben. Jeder Spaltseite einen eigenen. Aber immerhin: Das Leben hat wieder einen Sinn. Vom Tratsch bis zur Frage nach Gut und Böse ist eine neue Ordnung in den Gedanken. Man bestätigt einander. Und das fühlt sich gut an.

Wie schwierig war das alles doch im profanen Leben vor Der Situation. Es gab ja nichts, an dem wir uns kollektiv reiben konnten, nichts, an dem wir uns beweisen konnten. Es gab keine Helden. Jetzt gibt es wieder Helden. Helden im Kampf für die Freiheit und Helden im Kampf für das Leben.

Helden dürfen sich Dinge herausnehmen. Sie kämpfen nämlich für eine höhere Sache.

Würde?

Nur, wenn es Die Situation zulässt.

Wie aufregend. Dafür zahlen wir gerne den Preis der Spaltung.

Oder ist dieser Preis doch zu hoch? Sollten wir den Fokus nicht auf etwas anderes setzen?

Der kanadische Psychologe Jordan B. Peterson sagte kürzlich folgenden Satz:

“Ich glaube, dass wir Gefahr laufen, alles Mögliche religiös zu machen, was nicht religiös sein sollte, und dass das unserer Kultur großen Schaden zufügen wird; dass die Dinge düster aussehen, wenn wir nicht Gott wieder an seinen Platz und Cäsar wieder an seinen Platz setzen.”

Peterson ist kein gläubiger Christ, aber auch kein Atheist. Er sagt, dass er sich so verhält, als ob es Gott gäbe. Gott und Cäsar sind hier Symbole.

Er will mit seiner Aussage darauf aufmerksam machen, dass wir uns den höchsten Orientierungspunkt sorgfältig auswählen sollten. Wonach soll sich alles ausrichten? In der gemeinsamen Auswahl dieses Orientierungspunktes entscheidet sich, wie erfolgreich wir als Gesellschaft sind. Und damit meine ich erfolgreich im menschlichen Sinne.

Diese Wahl ist bei uns schon getroffen worden und sie wurde weise getroffen. Es ist die Würde – Artikel 1 des Grundgesetzes.

Die Würde ist wirklich. Nicht nur eine Idee. Der Neurobiologe Gerald Hüther macht diese in unserem Selbst aus. Er bezeichnet sie als “einen inneren Kompass, der uns dabei hilft, unser Zusammenleben so zu gestalten, dass es für alle gut ist und eine gemeinsame Weiterentwicklung ermöglicht wird”.

Es ist die Würde, die davor schützt, dass wir uns für andere zum Objekt machen. Und sie hält uns davon ab, andere zum Objekt unserer Vorstellungen zu machen. Sie zeigt uns auch im Gegner den Menschen.

Und nun? Was machen wir mit Der Situation?

Ich kann die Frage nicht beantworten. Aber ich weiß, woran wir uns zu ihrer gemeinsamen Beantwortung ausrichten sollten.

Felix Urbat, Schramberg

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NRWZ-Redaktion
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Unter dem Label NRWZ-Redaktion beziehungsweise NRWZ-Redaktion Schramberg veröffentlichen wir Beiträge aus der Feder eines der Redakteure der NRWZ. Sie sind von allgemeiner, nachrichtlicher Natur und keine Autorenbeiträge im eigentlichen Sinne. Die Redaktion erreichen Sie unter redaktion@NRWZ.de beziehungsweise schramberg@NRWZ.de

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