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    NRWZ.deAus der Region„Feuer ist eine gute Idee“ - Bruderhass endet in einer Brandhölle

    „Feuer ist eine gute Idee“ – Bruderhass endet in einer Brandhölle

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    Der Angriff kam scheinbar aus dem Nichts. Die Familie konnte es ahnen, ging aber nie von einer solchen Wahnsinnstat aus: dass ein heute 38-Jähriger in Horb den Zwillingsbruder, die Mutter, das gemeinsam bewohnte Haus in Brand setzen würde. Eine „Katastrophe“, nennt ein Angehöriger das, was Ende März 2022 passierte. Den „Unglückstag“. Die Mutter starb, der Bruder liegt schwer verletzt in einer Klinik. Die Familie teilt die Zeitabschnitte in davor und danach ein. Der mutmaßliche Täter zeigt während seines Mordprozesses vor dem Rottweiler Landgericht nur einmal deutlich eine Regung: als ein naher Verwandter über ihn sagt: „Er gehört zur Familie.“

    Montagmorgen, Herbstsonne flutet den Saal 201 des Rottweiler Landgerichts. Sie wärmt ein wenig. Äußerlich. Derweil ist es für Prozessbeobachter schwer nachvollziehbar, was der 38-jährige Dennis B. hier in scheinbarer Seelenruhe, völlig lethargisch, erzählt: dass er nach monatelanger Vorbereitung in der Nacht auf den 29. April 2022 das eigene Haus angezündet hat. Dass er dabei – absichtlich – seinen Bruder in Flammen setzte. Dass er – nach eigenen Angaben unabsichtlich – auch seine Mutter in Brand steckte. Diese starb später in der Uniklinik Tübingen, sie erlag ihren schwersten Verletzungen.

    Bis zu diesem zweiten Prozesstag am Dienstag war das Motiv des heute 38-Jährigen völlig offen geblieben. Nicht nur für die Öffentlichkeit – für die die Presse rund um Horb daher spekulierte -, sondern auch für die Ermittler. Am Montag nun brach Dennis B. sein Schweigen. Und berichtete, wie es aus seiner Sicht zu der Tat kam. Emotionslos, kalt, in vollkommener äußerer Ruhe.

    Man kann sagen, dass es sich zugespitzt hat. So fiel Dennis B. aus einem eigentlich vielversprechenden Leben – Grund-, dann Realschule, später Abitur, Studium. Informatiker mit viel Fachwissen und guten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Ein junger Mann aber auch, der offenbar an einer Depression leidet und litt. Wie stark und wie einflussreich auf sein Tun und Lassen, das wird im Verfahrensverlauf vor dem Landgericht noch ein psychiatrischer Sachverständiger zu beantworten haben.

    Der erste tiefe Einschnitt im Leben des Dennis B.: Er verlor den Vater 2014. An den Krebs, einen Hirntumor. Er selbst sagt es so deutlich nicht, aber ab diesem Ereignis gerät das Leben aus den Fugen. Ganz allmählich, so, dass es das Umfeld bemerkt, dass aber alle glauben, nur Geduld mit Dennis B. haben zu müssen, dass er schon wieder auf die Beine kommt, einer geregelten Arbeit nachgeht. Dennis B. selbst, freundlich, höflich, zugewandt, liebenswert, wie ihn ein Angehöriger beschreibt, ließ auch alle in diesem Glauben. Und beschäftigte sich doch unterdessen mit seinem eigenen Tod, von eigener Hand herbeigeführt, und noch viel mehr mit dem Tod des verhassten Zwillingsbruders.

    Die beiden lebten zusammen, auf einem Stockwerk, nachdem Dennis B. seine berufliche Laufbahn für eine Auszeit unterbrochen hat. Davor: „Ich würde sagen, ich war ein guter Schüler“, so B. vor Gericht. Es reicht fürs Technische Gymnasium, fürs Abitur, für fünf Semester FH, für eine Informatiker-Ausbildung. Später für ein Informatikstudium in Tübingen. In dieser Zeit starb sein Vater. Ein paar Monate darauf bricht er sein Studium ab. Zieht nach Hause, in den ersten Stock des elterlichen Hauses. Arbeitet gelegentlich, gönnt sich eine Pause, „weil ich nicht in die Puschen gekommen bin“. Ein erstes Arbeitsverhältnis in einem IT-Unternehmen endet mit einer Kündigung. „Nach ein paar Missverständnissen, nichts Tragisches“, nach einem größeren Fehler, der einen Kunden verärgert hat, „die haben etwas gesucht“, sagt B. über seinen damaligen Arbeitgeber. Er wehrt sich nicht, nimmt lieber seine Auszeit. Reist mit Freunden drei Wochen durch Afrika. Meldet sich auch nicht arbeitssuchend. Es hat ihn einfach nicht gekümmert. Er hing herum. Hatte mal eine feste Freundin für ein Jahr. Der Vorsitzende Richter, dem B. das während des Prozesses unter aller Augen und Ohren erzählt, zeigt wenig Verständnis. Aber B. hatte nicht einmal Alkohol- oder Suchtprobleme. Er hing einfach ab, sah fern, saß am PC, aß zu viel. Manchmal war er mit Freunden unterwegs, ging ins Fitnessstudio und spielte im Schachclub. Manchmal aß er gemeinsam mit seiner Mutter, die im Erdgeschoss wohnte. „Wenn sie denn schon was essen wollte, mittags.“

    Manchmal mäht er den Rasen. Oder kümmert sich um die Obstwiese der Familie. Meist tut er nichts. Und reagiert zunehmend genervt auf die auch nach seinen Worten allerdings zurückhaltenden Nachfragen aus der Familie, wie es denn nun weitergehen soll.

    Es klingt nach einem faulen, aber akzeptablen Leben. Doch nach einer Stunde während der Aussage im Prozess kommt der entscheidende Punkt: „Ich habe keinen Sinn mehr in meinem Leben gesehen.“ Die Phase nennt er den „Schluss“. Irgendwann ab 2021 ging es bergab. Es kommt immer öfter zu Reibereien mit dem Bruder, mit Benjamin B. „Es wäre im Nachhinein die schlauere, die richtige Lösung gewesen, sich abzusprechen, wie man es mit dem Geld macht, und einer zieht aus“, so Dennis B. Die schlauere Lösung, als alles anzuzünden, die Mutter zu töten, den Bruder zu verletzen. Darüber, dass man Dennis B. auszahlen könne, hätten sie gesprochen. „Aber nicht konstruktiv.“ Nie konkret. Also kommt der Tag, ab dem er denkt: „Feuer ist eine gute Idee.“

    Das Verhältnis zur Mutter: „Großteils gut, großteils aber auch angespannt.“ Seine andauernde Auszeit habe zunehmend für Stress gesorgt. Sie liegt ihm in den Ohren, er müsse mal ‚was machen. Und finanziell wird es schwieriger. Er habe meistens versprochen, „wieder mit mehr Elan ran“ zu gehen. Er beginnt, Ausreden zu erfinden. Dass er einen Job in Berlin habe, etwa, der „in ein paar Wochen anfängt“. Um seine Ruhe zu haben, den Gesprächen mit seiner Mutter aus dem Weg zu gehen, bis zum Ende seines Lebens. Dem bald bevorstehenden Ende, wie er es sich in dieser Zeit ausmalt. Ein, zwei Wochen lang fährt er morgens in den nahen Wald, Isomatte und Bücher im Gepäck. Vertreibt sich die Zeit lesend in der Natur. Zuhause klingelt unterdessen der Gerichtsvollzieher. Seine Mutter findet Dennis B. eines Tages, nachdem er schon im Auto übernachtet hat. Es wird wieder ein Gespräch geführt, „dass es so nicht weitergehen kann.“

    Er schildere das so nett, reagiert der Vorsitzende Richter am Landgericht, Karlheinz Münzer, auf die Geschichte, die Dennis B. da völlig emotionslos vorträgt. Man könne sich doch vorstellen, dass „der Ton rauer wurde, der Druck größer.“ B. schildert es so, dass die Familie auf Distanz zu ihm gegangen sei. „Es gab viele Missverständnisse“, der Bruder habe die anderen zunehmend aufgehetzt. 2021 manifestiert sich dann nach seiner Darstellung die Todessehnsucht. „Der Mensch selbst ist so klein in der Welt …“, sagt B. In den letzten Monaten vor dem „Schluss“ habe er einfach in Ruhe gelassen werden wollen. Parallel machen das Finanzamt und die Krankenkasse Druck.

    Ende März 2022 dann die Eskalation: Er hatte sich schon Monate zuvor Benzinkanister in einem Baumarkt besorgt, sie längst befüllt, lagerte sie in seinem Zimmer. Die Familie bekommt das mit, man beruhigt einander mit der Vermutung, Dennis B. werde das Benzin ja wohl für den Rasenmäher benötigen. Doch er hat sich nach eigenen Worten „überlegt, soll ich das Haus anzünden oder nicht“. Er habe sterben wollen. Die Idee dazu habe er aus einem Film, „in dem Flammen waren, das ist vielleicht eine Möglichkeit.“ Er habe „sechs-, siebenmal“ mit sich gerungen, es zu tun. Um es zu entzünden, lagen Ofenanzünder bereit. Und „beim Kachelofen war ein Feuerzeug.“

    Am späten Abend des 29. März entscheidet er, dass er den Brand legen werde. In dieser Nacht.

    Wie er vorgeht, wird Einfluss auf das Urteil haben. Und auf den Eindruck und das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen. So bringt Dennis B. das Benzin, insgesamt 20 bis 25 Liter, wie er ruhig berichtet, zunächst im gemeinsam mit dem Bruder genutzten Wohnzimmer im ersten Stock aus. Dann im Untergeschoss. Er spart sein eigenes Zimmer und den Zugang dorthin aus. Hält sich offensichtlich einen Fluchtweg frei.

    Für sich selbst habe er „offengelassen, wie ich sterbe“, so Dennis B. In seinem Auto liegen zu dem Zeitpunkt Wasserflaschen und Kleinigkeiten zum Essen bereit. Offenbar für eine mögliche Flucht. Um irgendwo „ein paar Tage überleben zu können.“

    Kurz, bevor er nach eigener Ansicht die schaurigen nächtlichen Arbeiten im elterlichen Haus so ziemlich abgeschlossen hat, wird der Bruder an den Benzindämpfen wach. Es kommt zu einer Rangelei, als der Benjamin B. Dennis stellt und dann flüchten will. Der Zwilling ist gehbehindert. Er stürzt Hals über Kopf die Treppe ins Erdgeschoss hinab. Die Mutter, ebenfalls aus dem Schlaf gerissen, wird auf die Szene aufmerksam. Ruft: „Was macht ihr schon wieder da oben.“

    Da bricht die vollends Hölle los. Dennis B. schüttet, wie er selbst nun vor Gericht berichtet, Benzin aus einem der Kanister auf den Bruder. Bereits brennendes Benzin. Der Bruder steht rasch in Flammen, stürzt weiter die Treppe hinunter, jetzt fängt auch die Mutter Feuer. Ihr wird ihr Frottee-Schlafanzug zum Verhängnis. Dieser fängt zunächst kleinflächig Feuer, das hat Dennis B. nach eigenen Worten noch wahrgenommen, als er an ihr vorbei flüchtete. „Ich dachte, sie schafft es.“

    „Ich habe eine starke, große Hitze gespürt“, erinnert er sich zudem. Auch er hat Feuer gefangen, am Arm. Will flüchten, „nicht so sterben.“ Flieht durch eine Außentür der Küche. Löscht seinen Arm mit dem Wasser aus dem Auto. Und fährt los, „relativ ziellos“, in T-Shirt und Socken, ohne Schuhe. Macht die SIM-Karte aus dem Handy raus, will irgendwo da draußen noch eine Geschichte fertig lesen, eine Novelle, und sich dann umbringen. Die Polizei kommt ihm zuvor, nimmt ihn nach einem Zeugenhinweis auf das zur Fahndung ausgeschriebene Auto in Karlsruhe fest.

    Als er das Benzin ausbrachte – ob er sich über das Ausmaß seines Tuns im Klaren gewesen sei? Und die Gefahr für die Mutter und den Bruder? Das will der Richter wissen. „Wenn man an einem Punkt ist, an dem man selbst keinen Sinn mehr im Leben sieht …“ – doch diese Ausrede lässt der Richter Dennis B. nicht durchgehen. Dieser verneint aber jede Mordabsicht. Er sei davon ausgegangen, dass Mutter und Bruder es schaffen könnten. „Mutter sollte nichts passieren.“

    Allerdings: Ob sein Bruder das Feuer überlebt, das war ihm einerlei. „Entweder, er kommt raus, oder er kommt nicht raus.“ Und wenn er nicht rauskommt? Dann sei klar, „dass Gott es nicht anders wollte.“ Später sagt er: „Dass meine Mutter gestorben ist, tut mir extrem leid. Das wollte ich nicht.“ Und es hätte viele andere Möglichkeiten gegeben, getrennte Wege zu gehen, als das Haus abzufackeln. Für die Verletzungen des Bruders zeigt er dagegen wenig Reue. „Es tut mir leid, was passiert ist“, er habe die Folgen, für das Haus und den Bruder, aber in Kauf genommen. Der Schaden am Haus: laut Versicherung 550.000 Euro.

    Alles passierte mit einer Begründung: „Nach den ganzen Schikanen von meinem Bruder wollte ich ihm auch nicht noch das Erbe hinterlassen.“ Ob das Gericht hieraus eine Tötungsabsicht ableitet? Dennis B.: „Für mich war die Situation mit meinem Bruder … da waren zu viele Dinge, über die man sich täglich aufgeregt hat“. Auf der Flucht sei es ihm zunehmend besser gegangen – „ohne die täglichen Schikanen durch meinen Bruder.“

    Die „Schikanen“ beschreibt er ebenfalls – und es fällt schwer, daraus einen Tötungswillen abzuleiten. Es geht dabei darum, dass sein Bruder jahrelang nicht im Bad sauber gemacht habe, beispielsweise. Es geht um „Zahnpastasabber auf dem Wasserhahn“. Und dass der Zwilling lange geduscht habe. Laut. Oder dass er seine Schuhe erst in seinem Zimmer auszog. „Ich musste sein Trampeln immer hören, bis er endlich in seinem Zimmer war.“ Als Außenstehender könne man sagen, dass das ja kein Problem sei. „Wenn man aber jahrelang so aufeinander hängt“, dann werde das sehr belastend. Zehn, zwölf Jahre lang sei das so gegangen, in den letzten vier, fünf Jahren sei es schlimm gewesen.

    In ihrer Kindheit hatten die beiden noch ein gemeinsames Zimmer.

    Die Halbschwester der beiden, 45 Jahre alt, ist Altenpflegerin. Geschwisterkampf sei alltäglich, sagt sie, komme überall vor. Ihr eigener Vater starb bei einem Arbeitsunfall. „Aber es ging uns gut, wir haben unsere Wünsche erfüllt bekommen.“ Über ihren Bruder, Denis B.: „Wenn ich mal ein Problem mit meinem Computer, meinem Handy hatte, dann hat er das gerichtet.“ Seine Arbeitslosigkeit – ein Dauerthema in der Familie. Aber eigentlich so, dass man ihm Ratschläge erteilt habe, ihn aufgefordert habe, tätig zu werden. Ihm Stellenanzeigen ausgeschnitten habe.

    In den Wald sei Dennis B. gegangen, „dass er seine Ruhe hat, dass ihn keiner mehr fragt, dass ihn keiner mehr löchert.“ Man habe Wege gesucht, ihm zu helfen. Auch aus seiner Depression heraus. Und sie habe als ältere Schwester ihm auch Ziele gesetzt. Die er dann nicht einhielt. Zuletzt habe man über einen Termin bei einem Therapeuten gesprochen. Den er doch bitte wahrnehmen wolle. Das sei doch nichts ehrenrühriges.

    Dennis B.s Bruder Benjamin liegt in einer Klinik, seit August auf Normalstation. Er hat starke Schmerzen, kann noch keine Rehamaßnahme beginnen. Sein Arbeitgeber habe signalisiert, ihn sofort wieder einstellen zu wollen. Er arbeitete vor der Tat als Lohnbuchhalter. Am Prozess kann er nicht teilnehmen.

    Der Lebensgefährte der Schwester beschreibt Dennis B. als jemanden, mit dem er sich gelegentlich bei Familientreffen unterhalten habe. Immer angenehm, „kameradschaftlich“. Man habe ihm im letzten Jahr – dem vor der „Katastrophe“ – immer mal wieder eine Stellenanzeige mitgebracht, habe ihm Tipps gegeben, habe auch über seine mögliche Depression geredet. Er habe immer dankbar gewirkt, freundlich. Passiert sei dann eben nie etwas. Noch 14 Tage vor dem „Unglückstag“, wie der Mann den Tattag im April nennt, habe er zugänglich gewirkt.

    Was der Lebensgefährte auch sagt: „Es hat jeder sein Paket zu tragen. Heute noch.“ Er äußert Kritik an den „Medienvertretern, die die Geschichte auszuschlachten versuchen und einem das Leben nicht einfacher machen.“

    Und sagt den anscheinend wichtigsten Satz für Dennis B. an diesem Prozesstag: „Er gehört zur Familie.“ Da atmet der Mann, der offenbar seinen Bruder angezündet und seine Mutter getötet hat, tief durch. Der Blick des Verwandten ruht kurz auf ihm. B. senkt den Kopf. Eine Träne scheint sichtbar zu werden. Und nur einen Augenblick später ist diese Gefühlsregung Vergangenheit.

    Der Prozess wird fortgesetzt.

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    Peter Arnegger (gg)
    Peter Arnegger (gg)
    … ist seit gut 25 Jahren Journalist. Seine Anfänge hatte er bei der Redaktion der “Schwäbischen Zeitung” in Rottweil, beim Schwäbischen Verlag in Leutkirch volontierte er. Nach einem Engagement bei der zu diesem Verlag gehörenden Aalener Volkszeitung wechselte Arnegger zur PC Welt nach München, einem auf Computer-Hard- und -Software spezialisierten Magazin. Es folgten Tätigkeiten in PR und Webentwicklung.2004, wieder in seiner Heimat angekommen, half Arnegger mit, die NRWZ aus der Taufe zu heben. Zunächst war er deren Chefredakteur, und ist zwischenzeitlich Geschäftsführer der NRWZ Verwaltungs GmbH – und als solcher der verantwortliche Journalist der NRWZ.Peter Arnegger ist 1968 in Oberndorf / Neckar geboren worden.

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    Der Angriff kam scheinbar aus dem Nichts. Die Familie konnte es ahnen, ging aber nie von einer solchen Wahnsinnstat aus: dass ein heute 38-Jähriger in Horb den Zwillingsbruder, die Mutter, das gemeinsam bewohnte Haus in Brand setzen würde. Eine „Katastrophe“, nennt ein Angehöriger das, was Ende März 2022 passierte. Den „Unglückstag“. Die Mutter starb, der Bruder liegt schwer verletzt in einer Klinik. Die Familie teilt die Zeitabschnitte in davor und danach ein. Der mutmaßliche Täter zeigt während seines Mordprozesses vor dem Rottweiler Landgericht nur einmal deutlich eine Regung: als ein naher Verwandter über ihn sagt: „Er gehört zur Familie.“

    Montagmorgen, Herbstsonne flutet den Saal 201 des Rottweiler Landgerichts. Sie wärmt ein wenig. Äußerlich. Derweil ist es für Prozessbeobachter schwer nachvollziehbar, was der 38-jährige Dennis B. hier in scheinbarer Seelenruhe, völlig lethargisch, erzählt: dass er nach monatelanger Vorbereitung in der Nacht auf den 29. April 2022 das eigene Haus angezündet hat. Dass er dabei – absichtlich – seinen Bruder in Flammen setzte. Dass er – nach eigenen Angaben unabsichtlich – auch seine Mutter in Brand steckte. Diese starb später in der Uniklinik Tübingen, sie erlag ihren schwersten Verletzungen.

    Bis zu diesem zweiten Prozesstag am Dienstag war das Motiv des heute 38-Jährigen völlig offen geblieben. Nicht nur für die Öffentlichkeit – für die die Presse rund um Horb daher spekulierte -, sondern auch für die Ermittler. Am Montag nun brach Dennis B. sein Schweigen. Und berichtete, wie es aus seiner Sicht zu der Tat kam. Emotionslos, kalt, in vollkommener äußerer Ruhe.

    Man kann sagen, dass es sich zugespitzt hat. So fiel Dennis B. aus einem eigentlich vielversprechenden Leben – Grund-, dann Realschule, später Abitur, Studium. Informatiker mit viel Fachwissen und guten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Ein junger Mann aber auch, der offenbar an einer Depression leidet und litt. Wie stark und wie einflussreich auf sein Tun und Lassen, das wird im Verfahrensverlauf vor dem Landgericht noch ein psychiatrischer Sachverständiger zu beantworten haben.

    Der erste tiefe Einschnitt im Leben des Dennis B.: Er verlor den Vater 2014. An den Krebs, einen Hirntumor. Er selbst sagt es so deutlich nicht, aber ab diesem Ereignis gerät das Leben aus den Fugen. Ganz allmählich, so, dass es das Umfeld bemerkt, dass aber alle glauben, nur Geduld mit Dennis B. haben zu müssen, dass er schon wieder auf die Beine kommt, einer geregelten Arbeit nachgeht. Dennis B. selbst, freundlich, höflich, zugewandt, liebenswert, wie ihn ein Angehöriger beschreibt, ließ auch alle in diesem Glauben. Und beschäftigte sich doch unterdessen mit seinem eigenen Tod, von eigener Hand herbeigeführt, und noch viel mehr mit dem Tod des verhassten Zwillingsbruders.

    Die beiden lebten zusammen, auf einem Stockwerk, nachdem Dennis B. seine berufliche Laufbahn für eine Auszeit unterbrochen hat. Davor: „Ich würde sagen, ich war ein guter Schüler“, so B. vor Gericht. Es reicht fürs Technische Gymnasium, fürs Abitur, für fünf Semester FH, für eine Informatiker-Ausbildung. Später für ein Informatikstudium in Tübingen. In dieser Zeit starb sein Vater. Ein paar Monate darauf bricht er sein Studium ab. Zieht nach Hause, in den ersten Stock des elterlichen Hauses. Arbeitet gelegentlich, gönnt sich eine Pause, „weil ich nicht in die Puschen gekommen bin“. Ein erstes Arbeitsverhältnis in einem IT-Unternehmen endet mit einer Kündigung. „Nach ein paar Missverständnissen, nichts Tragisches“, nach einem größeren Fehler, der einen Kunden verärgert hat, „die haben etwas gesucht“, sagt B. über seinen damaligen Arbeitgeber. Er wehrt sich nicht, nimmt lieber seine Auszeit. Reist mit Freunden drei Wochen durch Afrika. Meldet sich auch nicht arbeitssuchend. Es hat ihn einfach nicht gekümmert. Er hing herum. Hatte mal eine feste Freundin für ein Jahr. Der Vorsitzende Richter, dem B. das während des Prozesses unter aller Augen und Ohren erzählt, zeigt wenig Verständnis. Aber B. hatte nicht einmal Alkohol- oder Suchtprobleme. Er hing einfach ab, sah fern, saß am PC, aß zu viel. Manchmal war er mit Freunden unterwegs, ging ins Fitnessstudio und spielte im Schachclub. Manchmal aß er gemeinsam mit seiner Mutter, die im Erdgeschoss wohnte. „Wenn sie denn schon was essen wollte, mittags.“

    Manchmal mäht er den Rasen. Oder kümmert sich um die Obstwiese der Familie. Meist tut er nichts. Und reagiert zunehmend genervt auf die auch nach seinen Worten allerdings zurückhaltenden Nachfragen aus der Familie, wie es denn nun weitergehen soll.

    Es klingt nach einem faulen, aber akzeptablen Leben. Doch nach einer Stunde während der Aussage im Prozess kommt der entscheidende Punkt: „Ich habe keinen Sinn mehr in meinem Leben gesehen.“ Die Phase nennt er den „Schluss“. Irgendwann ab 2021 ging es bergab. Es kommt immer öfter zu Reibereien mit dem Bruder, mit Benjamin B. „Es wäre im Nachhinein die schlauere, die richtige Lösung gewesen, sich abzusprechen, wie man es mit dem Geld macht, und einer zieht aus“, so Dennis B. Die schlauere Lösung, als alles anzuzünden, die Mutter zu töten, den Bruder zu verletzen. Darüber, dass man Dennis B. auszahlen könne, hätten sie gesprochen. „Aber nicht konstruktiv.“ Nie konkret. Also kommt der Tag, ab dem er denkt: „Feuer ist eine gute Idee.“

    Das Verhältnis zur Mutter: „Großteils gut, großteils aber auch angespannt.“ Seine andauernde Auszeit habe zunehmend für Stress gesorgt. Sie liegt ihm in den Ohren, er müsse mal ‚was machen. Und finanziell wird es schwieriger. Er habe meistens versprochen, „wieder mit mehr Elan ran“ zu gehen. Er beginnt, Ausreden zu erfinden. Dass er einen Job in Berlin habe, etwa, der „in ein paar Wochen anfängt“. Um seine Ruhe zu haben, den Gesprächen mit seiner Mutter aus dem Weg zu gehen, bis zum Ende seines Lebens. Dem bald bevorstehenden Ende, wie er es sich in dieser Zeit ausmalt. Ein, zwei Wochen lang fährt er morgens in den nahen Wald, Isomatte und Bücher im Gepäck. Vertreibt sich die Zeit lesend in der Natur. Zuhause klingelt unterdessen der Gerichtsvollzieher. Seine Mutter findet Dennis B. eines Tages, nachdem er schon im Auto übernachtet hat. Es wird wieder ein Gespräch geführt, „dass es so nicht weitergehen kann.“

    Er schildere das so nett, reagiert der Vorsitzende Richter am Landgericht, Karlheinz Münzer, auf die Geschichte, die Dennis B. da völlig emotionslos vorträgt. Man könne sich doch vorstellen, dass „der Ton rauer wurde, der Druck größer.“ B. schildert es so, dass die Familie auf Distanz zu ihm gegangen sei. „Es gab viele Missverständnisse“, der Bruder habe die anderen zunehmend aufgehetzt. 2021 manifestiert sich dann nach seiner Darstellung die Todessehnsucht. „Der Mensch selbst ist so klein in der Welt …“, sagt B. In den letzten Monaten vor dem „Schluss“ habe er einfach in Ruhe gelassen werden wollen. Parallel machen das Finanzamt und die Krankenkasse Druck.

    Ende März 2022 dann die Eskalation: Er hatte sich schon Monate zuvor Benzinkanister in einem Baumarkt besorgt, sie längst befüllt, lagerte sie in seinem Zimmer. Die Familie bekommt das mit, man beruhigt einander mit der Vermutung, Dennis B. werde das Benzin ja wohl für den Rasenmäher benötigen. Doch er hat sich nach eigenen Worten „überlegt, soll ich das Haus anzünden oder nicht“. Er habe sterben wollen. Die Idee dazu habe er aus einem Film, „in dem Flammen waren, das ist vielleicht eine Möglichkeit.“ Er habe „sechs-, siebenmal“ mit sich gerungen, es zu tun. Um es zu entzünden, lagen Ofenanzünder bereit. Und „beim Kachelofen war ein Feuerzeug.“

    Am späten Abend des 29. März entscheidet er, dass er den Brand legen werde. In dieser Nacht.

    Wie er vorgeht, wird Einfluss auf das Urteil haben. Und auf den Eindruck und das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen. So bringt Dennis B. das Benzin, insgesamt 20 bis 25 Liter, wie er ruhig berichtet, zunächst im gemeinsam mit dem Bruder genutzten Wohnzimmer im ersten Stock aus. Dann im Untergeschoss. Er spart sein eigenes Zimmer und den Zugang dorthin aus. Hält sich offensichtlich einen Fluchtweg frei.

    Für sich selbst habe er „offengelassen, wie ich sterbe“, so Dennis B. In seinem Auto liegen zu dem Zeitpunkt Wasserflaschen und Kleinigkeiten zum Essen bereit. Offenbar für eine mögliche Flucht. Um irgendwo „ein paar Tage überleben zu können.“

    Kurz, bevor er nach eigener Ansicht die schaurigen nächtlichen Arbeiten im elterlichen Haus so ziemlich abgeschlossen hat, wird der Bruder an den Benzindämpfen wach. Es kommt zu einer Rangelei, als der Benjamin B. Dennis stellt und dann flüchten will. Der Zwilling ist gehbehindert. Er stürzt Hals über Kopf die Treppe ins Erdgeschoss hinab. Die Mutter, ebenfalls aus dem Schlaf gerissen, wird auf die Szene aufmerksam. Ruft: „Was macht ihr schon wieder da oben.“

    Da bricht die vollends Hölle los. Dennis B. schüttet, wie er selbst nun vor Gericht berichtet, Benzin aus einem der Kanister auf den Bruder. Bereits brennendes Benzin. Der Bruder steht rasch in Flammen, stürzt weiter die Treppe hinunter, jetzt fängt auch die Mutter Feuer. Ihr wird ihr Frottee-Schlafanzug zum Verhängnis. Dieser fängt zunächst kleinflächig Feuer, das hat Dennis B. nach eigenen Worten noch wahrgenommen, als er an ihr vorbei flüchtete. „Ich dachte, sie schafft es.“

    „Ich habe eine starke, große Hitze gespürt“, erinnert er sich zudem. Auch er hat Feuer gefangen, am Arm. Will flüchten, „nicht so sterben.“ Flieht durch eine Außentür der Küche. Löscht seinen Arm mit dem Wasser aus dem Auto. Und fährt los, „relativ ziellos“, in T-Shirt und Socken, ohne Schuhe. Macht die SIM-Karte aus dem Handy raus, will irgendwo da draußen noch eine Geschichte fertig lesen, eine Novelle, und sich dann umbringen. Die Polizei kommt ihm zuvor, nimmt ihn nach einem Zeugenhinweis auf das zur Fahndung ausgeschriebene Auto in Karlsruhe fest.

    Als er das Benzin ausbrachte – ob er sich über das Ausmaß seines Tuns im Klaren gewesen sei? Und die Gefahr für die Mutter und den Bruder? Das will der Richter wissen. „Wenn man an einem Punkt ist, an dem man selbst keinen Sinn mehr im Leben sieht …“ – doch diese Ausrede lässt der Richter Dennis B. nicht durchgehen. Dieser verneint aber jede Mordabsicht. Er sei davon ausgegangen, dass Mutter und Bruder es schaffen könnten. „Mutter sollte nichts passieren.“

    Allerdings: Ob sein Bruder das Feuer überlebt, das war ihm einerlei. „Entweder, er kommt raus, oder er kommt nicht raus.“ Und wenn er nicht rauskommt? Dann sei klar, „dass Gott es nicht anders wollte.“ Später sagt er: „Dass meine Mutter gestorben ist, tut mir extrem leid. Das wollte ich nicht.“ Und es hätte viele andere Möglichkeiten gegeben, getrennte Wege zu gehen, als das Haus abzufackeln. Für die Verletzungen des Bruders zeigt er dagegen wenig Reue. „Es tut mir leid, was passiert ist“, er habe die Folgen, für das Haus und den Bruder, aber in Kauf genommen. Der Schaden am Haus: laut Versicherung 550.000 Euro.

    Alles passierte mit einer Begründung: „Nach den ganzen Schikanen von meinem Bruder wollte ich ihm auch nicht noch das Erbe hinterlassen.“ Ob das Gericht hieraus eine Tötungsabsicht ableitet? Dennis B.: „Für mich war die Situation mit meinem Bruder … da waren zu viele Dinge, über die man sich täglich aufgeregt hat“. Auf der Flucht sei es ihm zunehmend besser gegangen – „ohne die täglichen Schikanen durch meinen Bruder.“

    Die „Schikanen“ beschreibt er ebenfalls – und es fällt schwer, daraus einen Tötungswillen abzuleiten. Es geht dabei darum, dass sein Bruder jahrelang nicht im Bad sauber gemacht habe, beispielsweise. Es geht um „Zahnpastasabber auf dem Wasserhahn“. Und dass der Zwilling lange geduscht habe. Laut. Oder dass er seine Schuhe erst in seinem Zimmer auszog. „Ich musste sein Trampeln immer hören, bis er endlich in seinem Zimmer war.“ Als Außenstehender könne man sagen, dass das ja kein Problem sei. „Wenn man aber jahrelang so aufeinander hängt“, dann werde das sehr belastend. Zehn, zwölf Jahre lang sei das so gegangen, in den letzten vier, fünf Jahren sei es schlimm gewesen.

    In ihrer Kindheit hatten die beiden noch ein gemeinsames Zimmer.

    Die Halbschwester der beiden, 45 Jahre alt, ist Altenpflegerin. Geschwisterkampf sei alltäglich, sagt sie, komme überall vor. Ihr eigener Vater starb bei einem Arbeitsunfall. „Aber es ging uns gut, wir haben unsere Wünsche erfüllt bekommen.“ Über ihren Bruder, Denis B.: „Wenn ich mal ein Problem mit meinem Computer, meinem Handy hatte, dann hat er das gerichtet.“ Seine Arbeitslosigkeit – ein Dauerthema in der Familie. Aber eigentlich so, dass man ihm Ratschläge erteilt habe, ihn aufgefordert habe, tätig zu werden. Ihm Stellenanzeigen ausgeschnitten habe.

    In den Wald sei Dennis B. gegangen, „dass er seine Ruhe hat, dass ihn keiner mehr fragt, dass ihn keiner mehr löchert.“ Man habe Wege gesucht, ihm zu helfen. Auch aus seiner Depression heraus. Und sie habe als ältere Schwester ihm auch Ziele gesetzt. Die er dann nicht einhielt. Zuletzt habe man über einen Termin bei einem Therapeuten gesprochen. Den er doch bitte wahrnehmen wolle. Das sei doch nichts ehrenrühriges.

    Dennis B.s Bruder Benjamin liegt in einer Klinik, seit August auf Normalstation. Er hat starke Schmerzen, kann noch keine Rehamaßnahme beginnen. Sein Arbeitgeber habe signalisiert, ihn sofort wieder einstellen zu wollen. Er arbeitete vor der Tat als Lohnbuchhalter. Am Prozess kann er nicht teilnehmen.

    Der Lebensgefährte der Schwester beschreibt Dennis B. als jemanden, mit dem er sich gelegentlich bei Familientreffen unterhalten habe. Immer angenehm, „kameradschaftlich“. Man habe ihm im letzten Jahr – dem vor der „Katastrophe“ – immer mal wieder eine Stellenanzeige mitgebracht, habe ihm Tipps gegeben, habe auch über seine mögliche Depression geredet. Er habe immer dankbar gewirkt, freundlich. Passiert sei dann eben nie etwas. Noch 14 Tage vor dem „Unglückstag“, wie der Mann den Tattag im April nennt, habe er zugänglich gewirkt.

    Was der Lebensgefährte auch sagt: „Es hat jeder sein Paket zu tragen. Heute noch.“ Er äußert Kritik an den „Medienvertretern, die die Geschichte auszuschlachten versuchen und einem das Leben nicht einfacher machen.“

    Und sagt den anscheinend wichtigsten Satz für Dennis B. an diesem Prozesstag: „Er gehört zur Familie.“ Da atmet der Mann, der offenbar seinen Bruder angezündet und seine Mutter getötet hat, tief durch. Der Blick des Verwandten ruht kurz auf ihm. B. senkt den Kopf. Eine Träne scheint sichtbar zu werden. Und nur einen Augenblick später ist diese Gefühlsregung Vergangenheit.

    Der Prozess wird fortgesetzt.

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