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Kalkül oder Inkompetenz? Stadtverwaltung Rottweil wehrt Angriff ab

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Die Stadtverwaltung, hier die aus Rottweil – eine in Sachen Datenverarbeitung inkompetente Behörde? Oder ein kalt kalkulierendes, gebührengieriges Monster, das den Bürgern die letzten Kröten aus der Tasche zieht? Ein Leser der NRWZ will dies so wahrgenommen haben und hat sich an [email protected] gewandt, mit der „Bitte um Aufklärung“. Wir haben seine Vorwürfe der Stadtverwaltung zur Stellungnahme vorgelegt.

Worte, wie gemacht für den Aschermittwoch: „Erweiterte Meldebescheinigung.“ Über die ist unser Leser und Vater zweier Kinder, nennen wir ihn Holger Müller, vor rund einer Woche gestolpert. „Man stelle sich vor“, schreibt Müller, „dass eine ‚erweiterte Meldebescheinigung‘ notwendig ist, um individuelle Gebührenabrechnungen seitens der städtischen Kindergärten erstellen zu können. Da muss ich mir als mündiger Bürger und als Privatperson aus der IT-Branche die einfache Frage stellen: warum eigentlich?“ Immerhin sei an diesem Prozess nur eine Behörde beteiligt, die Stadtverwaltung Rottweil, die die Stammdaten doch verfügbar haben sollte – demnach die Meldedaten sowie Daten der Ordnungs- und Schulverwaltung. Am besten alles in einer zentralen Datenbank.

Müller wird in seinem Brief muffig: Aus seiner Sicht könne er nur zwei Thesen aufstellen, warum eine solche „erweiterte Meldebescheinigung“ dennoch notwendig ist, wir zitieren den Leserbriefschreiber:

  1. Unzureichende technische als auch kommunikative Infrastruktur der Stadt Rottweil
  2. Klassisches Kompensationsgeschäft aufgrund planwirtschaftlicher Motive über Gebühren, um die Stadtkasse etwas aufzustocken.

Er glaubt zudem, dass die Stadtverwaltung mit der Gebühr, die sie für das Ausstellen der „erweiterten Meldebescheinigung“ verlangt – zehn Euro – eine Leistung abrechne, „die im eigentlichen Sinne keine ist.“ Eventuell ein Fall für den Anwalt, meint Müller. Er kommt zu dem Schluss, dass es sich beim Verhalten der Stadt nur um „Kalkül oder Inkompetenz“ handeln könne. So betitelt er auch seinen Brief. Insgesamt wolle er den aber nur als Denkanstoß gesehen wissen. Nicht als Angriff. Schließlich kenne er die Prozesse im öffentlichen Dienst nicht im Detail. Als Angriff kommt der Brief jedoch an.

Die NRWZ fragt bei der Verwaltung nach, um auch die Gegenseite zu hören. Ein Sprecher macht zunächst eine persönliche Anmerkung. „Denkanstöße, Nachfragen, Anregungen und auch Kritik“, schreibt er, „gehören für öffentliche Verwaltungen zum Alltag dazu und sind auch völlig legitim. Etwas anderes ist es aber, wenn man unsere Mitarbeiter dabei pauschal unter den Verdacht stellt, unfähig zu sein. Das ist dann sehr schnell auch persönlich verletzend und muss nicht sein.“

Die Anfrage des Leserbriefschreibers Müller beziehe sich auf das neue Kindergartengebührenmodell, das der Gemeinderat im vergangenen Jahr beschlossen hat, so dann die Stellungnahme der Schulverwaltung der Stadt Rottweil. Dieses neue Modell sieht vor, dass alle Erziehungsberechtigten beziehungsweise Familien finanziell deutlich entlastet werden, indem bei der Beitragsbemessung jetzt alle Kinder in der Familie bis 18 Jahre Berücksichtigung finden.

Ein Beispiel, die Verwaltung rechnet es vor: „Nach dem jetzt in Rottweil gültigen Württembergischen Gebührenmodell bezahlt eine Familie mit einem Kind in der Schule und einem Kind im Kindergarten eine monatliche Kindergartengebühr von 87 Euro statt 130 pro Monat. Im Unterschied zum bislang in Rottweil angewandten ‚Badischen Modell‘ ist dies deutlich familienfreundlicher, weshalb der Gemeinderat das Modell auch befürwortet hat. Beim Badischen Modell kam eine Familie nicht in den Genuss einer Ermäßigung, wenn sich – wie im Beispiel – ein Kind in der Schule und nur ein Kind im Kindergarten befand (es gab nur eine Ermäßigung, wenn und solange beide Kinder gleichzeitig eine Rottweiler Kindertagesstätte besuchten). In unserem Beispiel spart eine Familie durch das ‚Badische Modell‘ 11 x 43 = 437 Euro pro Jahr.“

Zum Thema der Datenverarbeitung – das hatte Holger Müller ja bemängelt. Dass er eine zehn Euro teure „erweiterte Meldebescheinigung“ anfordern müsse, wo die Stadt doch wisse, wie viele Kinder er wo untergebracht habe. „Ein Großteil der Rottweiler Kindergartenkinder wird in Einrichtungen betreut, die nicht zur Stadtverwaltung Rottweil gehören“, erklärt die Verwaltung das und verweist auf katholische und evangelische und den Waldorfkindergarten. „Aus datenschutzrechtlichen Gründen müssen hier die Bescheinigung von den Eltern selbst eingeholt und bei den jeweiligen Trägern vorgelegt werden“, so die Verwaltung weiter. Aus Gründen der Gleichbehandlung wenden sie diese Regelung auch für die Kinder an den städtischen Kindergärten an.

Die Meldebescheinigung würde zudem „in der Regel nur einmalig erforderlich sein“, die Gebühr von zehn Euro sei gering. „Wir halten diese Kosten und den Aufwand für die Eltern beim Beantragen angesichts der deutlichen Ersparnis auf jeden Fall für vertretbar.“ Für Kinder, die auch weiterhin keine Ermäßigung erhalten – etwa Einzelkinder – sei die Vorlage einer Bescheinigung auch künftig nicht erforderlich.

Im Klartext: Wer ein Kind in einem Kindergarten und ein weiteres in einer Schule in Rottweil hat, spart nun bares Geld. Um das gegenüber dem Träger des Kindergartens nachweisen zu können, muss er zumeist einmalig eine Gebühr von zehn Euro aufwenden. Wie die NRWZ erfuhr, machen das viele Eltern in Rottweil. Gerne und dankbar.

Außerdem, ergänzt die Stadtverwaltung: Gebühren hätten nun einmal den Zweck, die Kosten für einen bestimmten Verwaltungsaufwand zu decken. Sie hätten nicht den Zweck, die Stadtkasse aufzubessern. Auch bei einer – allerdings häufig nicht datenschutzkonformen – Datenabfrage wie von unserem Leser Holger Müller vorgeschlagen, würde ein entsprechender Verwaltungsaufwand und damit verbunden auch Kosten, die letztlich von der Allgemeinheit zu tragen wären, anfallen.

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Peter Arnegger (gg)
Peter Arnegger (gg)https://www.nrwz.de
... ist seit gut 25 Jahren Journalist. Mehr über ihn hier.

4 Kommentare

  1. @ Holger Müller:

    1. Die Kindergärten, die nicht im Eigentum der Stadt liegen, sind rechtlich selbständige Einheiten, so wie zwei verschiedene Firmen. Die dürfen nicht einfach personenbezogene Daten austauschen. Es geht um Menschen, nicht um Konstruktionspläne!

    Sie müssten vorher das Einverständnis der Erziehungsberechtigten einholen, ganz vorsintflutlich in Papierform. Warum dies nicht geschehen ist, weiß ich nicht. Und auch bei der NRWZ dürfen wir der Datenschutzerklärung zustimmen!

    Die Verantwortlichen sind gut beraten, datenschutzrechtliche Verstöße zu vermeiden. IT ist eine Sache, Juristerei eine andere!

    2. Sie stellen sich das vor wie beim Finanzamt, wo etwa Erträge aus Kapitalanlagen, Renten, Krankenversicherungsbeiträge automatisiert an die Steuerverwaltung mitgeteilt werden, auch ohne vorher unser Einverständnis einzuholen. Dies beruht jedoch auf Gesetz und ist eine Ausnahme – die nicht alle unkritisch sehen!

    3. Dass man das gerade in Pandemiezeiten geschickter organisieren kann, ist richtig. Mit dem folgenden Satz entwerten sie Ihr berechtigtes Anliegen allerdings in provozierender und noch dazu sachlich unrichtiger Weise:

    „Da ist die Stadt noch auf einem Stand wie ein Unternehmen aus den 1970er Jahren, wenn überhaupt.“

    Ich war in den 70er-Jahren Schüler, habe die ganze Entwicklung im IT-Bereich begeistert miterlebt. Etwa um 1975 haben wir ein Rechenzentrum in S besucht, da wurde standardmäßig mit Lochkarten gearbeitet. In der 9. Klasse hatte ich einen programmierbaren Taschenrechner mit sage und schreibe 72 Programmschritten, in der 12. Klasse dann den legendären TI 59, wo man auf einem kleinen Magnetstreifen bei Gott sogar etwas mehr als Tausend Programmschritte speichern konnte. Vernetzung war damals noch ein unbekanntes Wort, man schrieb Briefe.
    Anfang der 80er Jahre haben sich Kommilitonen von mir an einem Samstagmorgen vom Kaufhof in München aus zum ersten Mal von außen in das Rechenzentrum des Max-Planck-Instituts für Biochemie eingeloggt, das war eine historische Tat, die, weil intern protokolliert, der Leiter des Rechenzentrums am Montagmorgen mit Begeisterung zur Kenntnis nahm, er wollte von mir wissen, wie das war, aber ich war’s ausnahmsweise mal nicht gewesen. Wir Tübinger Biochemie-Studenten waren damals die IT-Freaks!
    Disketten waren so groß wie Langspielplatten, junge Leser jetzt bitte nicht lachen ……Meine Diplomarbeit fand später auf einer 5 1/4 Zoll Diskette Platz, das Textverarbeitungsprogramm „Word“ war auf einer zweiten derartigen Disk gespeichert und im zweiten Laufwerk im Einsatz, Festplatten kamen da erst langsam auf.

    Die Kommunen – und nicht nur die – sind heute durchaus ordentlich bis sehr gut ausgestattet, auch die Software scheint mittlerweile so zu sein, dass sich verschiedene Einrichtungen durchaus „verstehen“, und man braucht auch keine speziellen Kenntnisse mehr, um sie zu bedienen, anders als Mitte der 80er-Jahre, als man in DOS noch Befehle eingeben, die ganze Struktur verstanden haben musste, und am Arbeitsplatz so nebenbei der Programmierer war (dätsch du mir do gschwind a Programm schreiba?), ich sagte damals, wie viele Berufe brauche ich eigentlich, Biochemiker, Programmierer, Jurist, Anglist…….was noch?

    Dass es Ausnahmen gibt, ist mir durchaus bekannt, die inzwischen legendären Fax-Geräte bei den Gesundheitsämtern stehen eben für Rückständigkeit. Nur: Das alles kostet Geld, und der berühmte „schlanke Staat“ hat eben nicht beliebig viel davon!

  2. Ich muss mich als Verfasser des „Offenen Briefes“ nun doch kurz zu Wort melden.
    Nicht, dass meine Intention komplett falsch interpretiert wird.

    Es geht mir hier nicht darum, die Neuberechnung der Kindergartengebühren in Frage zu stellen. Es geht auch nicht um die 10 EUR Gebühr, die vermutlich aufgrund verwaltungstechnischer Unzulänglichkeiten notwendig zu sein scheinen.

    Ich stelle hier lediglich den Prozess und die Methodik in Frage.

    Der Sachverhalt beweist einfach in vielerlei Hinsicht, wie weit die Kommunen noch von einer digitalen Abwicklung behördlicher Dienstleistungen entfernt sind.

    Das Argument der Stadtverwaltung, dass eine digitale Abwicklung sogar noch mit höheren Kosten verbunden wäre und über Gebühren dann dem Bürger auferlegt werden müssten, kann nur als Ausrede verstanden werden.

    Wie auch Frau Frenger schreibt, kommt in der Tat noch erschwerend hinzu, dass in Pandemiezeiten diese Bescheinigung in Papierform persönlich abgeholt und dem entsprechenden Kindergarten vorgelegt werden muss.
    Alleine hier wäre technisch eine einfache Übersendung per Email möglich.
    Stichwort: Digitale Signatur (sowohl für die Email als auch für das Dokument). [Technischer Aufwand ist überschaubar]

    Über einen echten digitalen Prozess und Workflow möchte ich noch gar nicht reden.
    Da ist die Stadt noch auf einem Stand wie ein Unternehmen aus den 1970er Jahren, wenn überhaupt.

    Im Übrigen ist die Papierform als solches bzgl. des Datenschutzes nicht harmloser einzustufen als die digitale Form. Im Gegenteil.

  3. „In unserem Beispiel spart eine Familie durch das ‚Badische Modell‘ 11 x 43 = 437 Euro pro Jahr.“

    Richtig wäre: Sie spart durch das “ Württembergische Modell“ 437 Euro, denn oben heißt es:

    „Nach dem jetzt in Rottweil gültigen Württembergischen Gebührenmodell bezahlt eine Familie mit einem Kind in der Schule und einem Kind im Kindergarten eine monatliche Kindergartengebühr von 87 Euro statt 130 pro Monat. Im Unterschied zum bislang in Rottweil angewandten ‚Badischen Modell‘ ist dies deutlich familienfreundlicher,“

    Da ist vor lauter badisch und württembergisch was durcheinander geraten …..

    Vielleicht sollten wir das vorderösterreichische Modell wählen und zusammen mit Vorarlberg der Schweiz beitreten.

  4. Ich habe mir die selbe Frage wie Herr Müller gestellt, vor allem warum man diese Bescheinigung in Corona- Zeiten persönlich abholen muss.
    Außerdem musste ich die Bescheinigung gleich zwei Mal abholen, ich kann der Aussage der Stadt also nicht zustimmen.

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