„Rottweil, Du bist so schön, für Dich reim‘ ich“

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Humor, Ernstes und Reime auf Rottweil: Beim Finale der Deutsch-Schweizer Literaturtage am Sonntagmorgen präsentierten die je vier Autorinnen und Autoren aus beiden Ländern kurze Texte über Eindrücke aus Rottweil und dem Literatur-Fest. Es wurde ein funkelnder, teils auch berührender Abschluss.

Ziemlich wuchtig eröffnete Arno Frank, Jahrgang 1971, das literarische Schaulaufen in der Werkhalle der Hauser-Stiftung auf der Saline. Er griff die schon früher bei Autorentragen traktierte Provinz-Scham in Rottweil auf und bekannte glaubhaft seine Liebe zur Provinz. Der Spiegel-, taz- und Deutschlandfunk-Autor rückte den Begriff heraus aus einer Abwertungs-Optik.

Dazu watschte er zunächst einmal selbstgewisse Großstädter ab: Wenn etwa Berliner glaubten, nur in ihrer Stadt gebe es intelligentes Leben, sei das eine blasierte Herablassung, die von Beschränktheit zeuge. Schließlich habe es in Rottweil schon Fußboden-Heizung gegeben, „als Berlin noch eine Pfütze im Sumpf war“, teilte Frank aus.

Er machte eine andere Perspektive auf. Frank formulierte die These: „Provinz ist, was noch da ist, was man noch wiedererkennt“. Und stellte mit „Provinz“ etikettierte Landstriche wie Rottweil den im Krieg zerstörten und danach gesichtslos-austauschbar neu aufgebauten Städten gegenüber. Provinz repräsentiert und bewahrt für ihn etwas, das andernorts vom Feuersturm des Weltkriegs weggefegt wurde – materiell wie als Identitätsdimension.

Für Frank – der unter anderem das feine Sprachbild formulierte, Rottweiler Häuser seien wie alte Segelschiffe, die an den Straßen ankern – kann sich daher glücklich schätzen, was als „Provinz“ oft belächelt wird: „Ab vom Schuss“ zu sein heiße vielleicht, ihn später zu hören. „Aber auch, nicht davon getroffen zu sein“, resümierte er pointiert.

Wesentlich kürzer fasste sich die in Zürich und Paris lebende Rebecca Gisler, Jahrgang 1991. Sie nahm die Zuhörer mit auf einen Rundgang durch Rottweil. Dass im Stadtmuseum das Licht nicht anging, spitzte sie keck zur Schlussfolgerung zu, die Schlacht (in einem Schaukasten dargestellte) Schlacht bei Murten habe im Schatten stattgefunden. Und der langen Reihe von Testturm-Eindrücken fügte sie hinzu, er sehe aus „wie eine Geburtstagskerze oder eine Schraube, die sich in den Himmel bohrt“.

Gut besucht waren die Literaturtage. Foto: al

Ebenfalls knapp äußerte sich Heinz Helle. Der in Zürich lebende studierte Philosoph mit Berufserfahrung in Werbeagenturen listete auf, wofür man alles „danke“ sagen können – etwa dafür, auf dem Weg nach Rottweil knapp nicht in einen schweren Unfall verwickelt worden zu sein. Oder ein so geneigtes Zuhör-Publikum zu finden wie in der Werkhalle auf der Saline.

Die junge deutsche Lyrikerin Manon Hopf, Jahrgang 1990, schlug sehr ernste Töne an. Sie ließ mit hörbarem Kloß im Hals durchblicken, wie nahe ihr in ihrem Umfeld schon rechtsextremes Denken gerückt ist und auch ihre Freunde Angst hätten. Dass man in Deutschland schon einmal mit Traditionen der Menschlichkeit gebrochen hat, illustrierte sie damit, dass man dem Rottweiler Marktbrunnen die Pickelhaube aufgesetzt habe – als Ausdruck eines Zeitgeistes, der zuletzt in die Diktatur führte. Die ganze Spannweite der Gegenwart fasste Hopf, die am Freitag zweimal eine Regenguss abbekam, in der Beobachtung: „Die einen werden nass, die anderen ertrinken“.

Einen Hauch von Poetry-Slam brachte dann Behzad Karim Khani in die Hauser-Halle. Der 1977 in Teheran geborene Künstler, der in Berlin-Kreuzberg lebt, rühmte Rottweil in Reimform, wobei er Charme und Ironie elegant mischte.

Zum Testturm etwa formulierte Khani: „Du siehst ihn, egal wohin Du wanderst. / Er sei euch gegönnt, liebe Leute, doch dezent geht anders.“ Zum Stadtkern zimmerte er die Zeilen: „Gestohlene Kamele werden hier heimisch / Rottweil, Du bist so schön, für Dich reim‘ ich“. Ziemlich in die Vollen ging er mit: „Du hast Humor, doch nun genug des Scherzens – Rottweil, Du Hauptstadt meines Herzens“. Um abschließend zum Vergnügen der Zuhörer „merci“ zu sagen „für Braten und Weißbier. / Danke, liebe Neckarschweiz, es war nice hier“.

Ein wenig Alltagsarchäologie betrieb Christine Koschmieder. Die in Leipzig lebende Autorin, Übersetzerin und Literaturagentin, Jahrgang 1972, hatte seit Freitag Fotos und Eindrücke gesammelt. So etwa einen heruntergefallenen Einkaufszettel, auf dem „drei Gürkle“ stand oder die Beobachtung, dass in Rottweil leere Gasthäuser „Zur Flasche“ heißen. Mit einigem Pepp bekannte sie sich dazu, dass sie bei den Literaturtagen auf sympathische Art Nähe erlebt habe und – ja, schon irgendwie zum Rottweil-Fan geworden sei.

Temperamentvoller Auftritt: Christine Koschmieder (rechts). Foto: al

Leta Semadeni, Preisträgerin des Schweizer Grand Prix Literatur 2023, bekannte sich zum Laster des ewigen Aufschiebens und nahm die Aufgabe, eine Rottweil-Miniatur abzuliefern, gelassen. Immerhin zauberte sie in ein Gedicht mittels eines Hundes Rottweil-Bezüge hinein und teilte eine nette Anekdote, wonach ein sehr an Rottweiler erinnernder Hund von Freunden einmal den Nerz seines Frauchens zerfetzt und anschließend zufrieden darauf geschnarcht hatte.

Julia Weber, 1983 in Tansania geboren und Mitgründerin mehrerer politisch engagierter Aktionsgruppen, breitete abschließend ein Panorama von Assoziationen aus. Den Alten Ratssaal charakterisierte sie als „Raum, der nach Zeit und Weißwein“ riecht. Die Begrüßungsrede des OB hatte sie erlebt, als ob dem Stadtoberhaupt „liebevoll geformte Würfel aus dem Mund gefallen“ seien. Zudem hatte sich ihr die Begeisterung des Stadtführers über die 20000 Rinder, die einst durch Rottweil getrieben wurden, ebenso eingeprägt, wie dessen offenbar eleganten Schuhe, die mehrere Literaten anerkennend erwähnten.

Zumindest die waren – das sollte man sich für die Fortsetzung der ewigen diesbezüglichen Diskussion vielleicht notieren – also wohl in keiner Hinsicht irgendwie provinziell. Jedenfalls funktionierte die Fußbekleidung als Running-Gag beim gutgelaunten Publikum bestens.

Gruppenbild der Literaten mit Christiane Frank (Dritte von links) vom Kulturamt, die das Event seit Jahren federführend und mit viel Herzblut organisiert. Foto: al

Begonnen hatten die Literaturtage am Freitag mit Schullesungen am AMG, DHG und LG sowie mit einem Empfang im Alten Rathaus. Am Samstag gab es in der Werkhalle einen gut besuchten wahren Marathon öffentlicher Lesungen vom frühen Nachmittag bis in die Abendstunden.

Dafür, dass die in der 39. Ausgabe erstmals sanft – und gelungen – zu „Deutsch-Schweizer Literaturtage“, gegenderten „Deutsch-Schweizer Autorentage“ schon zum zweiten Mal weitgehend auf dem Hauser-Areal stattfanden, gibt es gute Gründe. Dennoch sollte man sich nicht ausschließlich an diesen Ort binden. Denn die „Rottweiler Begegnungen“, wie die Literaturtage im Nebentitel traditionell heißen, sollten genau das eben auch sein: eine Begegnung in und mit Rottweil.

Am Rande nahmen Literaturbegeisterte die Chance wahr, eine Widmung zu ergattern – auch das ist eine Facette der „Rottweiler Begegnungen“. Foto: al

Das interessiert diese Woche



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Humor, Ernstes und Reime auf Rottweil: Beim Finale der Deutsch-Schweizer Literaturtage am Sonntagmorgen präsentierten die je vier Autorinnen und Autoren aus beiden Ländern kurze Texte über Eindrücke aus Rottweil und dem Literatur-Fest. Es wurde ein funkelnder, teils auch berührender Abschluss.

Ziemlich wuchtig eröffnete Arno Frank, Jahrgang 1971, das literarische Schaulaufen in der Werkhalle der Hauser-Stiftung auf der Saline. Er griff die schon früher bei Autorentragen traktierte Provinz-Scham in Rottweil auf und bekannte glaubhaft seine Liebe zur Provinz. Der Spiegel-, taz- und Deutschlandfunk-Autor rückte den Begriff heraus aus einer Abwertungs-Optik.

Dazu watschte er zunächst einmal selbstgewisse Großstädter ab: Wenn etwa Berliner glaubten, nur in ihrer Stadt gebe es intelligentes Leben, sei das eine blasierte Herablassung, die von Beschränktheit zeuge. Schließlich habe es in Rottweil schon Fußboden-Heizung gegeben, „als Berlin noch eine Pfütze im Sumpf war“, teilte Frank aus.

Er machte eine andere Perspektive auf. Frank formulierte die These: „Provinz ist, was noch da ist, was man noch wiedererkennt“. Und stellte mit „Provinz“ etikettierte Landstriche wie Rottweil den im Krieg zerstörten und danach gesichtslos-austauschbar neu aufgebauten Städten gegenüber. Provinz repräsentiert und bewahrt für ihn etwas, das andernorts vom Feuersturm des Weltkriegs weggefegt wurde – materiell wie als Identitätsdimension.

Für Frank – der unter anderem das feine Sprachbild formulierte, Rottweiler Häuser seien wie alte Segelschiffe, die an den Straßen ankern – kann sich daher glücklich schätzen, was als „Provinz“ oft belächelt wird: „Ab vom Schuss“ zu sein heiße vielleicht, ihn später zu hören. „Aber auch, nicht davon getroffen zu sein“, resümierte er pointiert.

Wesentlich kürzer fasste sich die in Zürich und Paris lebende Rebecca Gisler, Jahrgang 1991. Sie nahm die Zuhörer mit auf einen Rundgang durch Rottweil. Dass im Stadtmuseum das Licht nicht anging, spitzte sie keck zur Schlussfolgerung zu, die Schlacht (in einem Schaukasten dargestellte) Schlacht bei Murten habe im Schatten stattgefunden. Und der langen Reihe von Testturm-Eindrücken fügte sie hinzu, er sehe aus „wie eine Geburtstagskerze oder eine Schraube, die sich in den Himmel bohrt“.

Gut besucht waren die Literaturtage. Foto: al

Ebenfalls knapp äußerte sich Heinz Helle. Der in Zürich lebende studierte Philosoph mit Berufserfahrung in Werbeagenturen listete auf, wofür man alles „danke“ sagen können – etwa dafür, auf dem Weg nach Rottweil knapp nicht in einen schweren Unfall verwickelt worden zu sein. Oder ein so geneigtes Zuhör-Publikum zu finden wie in der Werkhalle auf der Saline.

Die junge deutsche Lyrikerin Manon Hopf, Jahrgang 1990, schlug sehr ernste Töne an. Sie ließ mit hörbarem Kloß im Hals durchblicken, wie nahe ihr in ihrem Umfeld schon rechtsextremes Denken gerückt ist und auch ihre Freunde Angst hätten. Dass man in Deutschland schon einmal mit Traditionen der Menschlichkeit gebrochen hat, illustrierte sie damit, dass man dem Rottweiler Marktbrunnen die Pickelhaube aufgesetzt habe – als Ausdruck eines Zeitgeistes, der zuletzt in die Diktatur führte. Die ganze Spannweite der Gegenwart fasste Hopf, die am Freitag zweimal eine Regenguss abbekam, in der Beobachtung: „Die einen werden nass, die anderen ertrinken“.

Einen Hauch von Poetry-Slam brachte dann Behzad Karim Khani in die Hauser-Halle. Der 1977 in Teheran geborene Künstler, der in Berlin-Kreuzberg lebt, rühmte Rottweil in Reimform, wobei er Charme und Ironie elegant mischte.

Zum Testturm etwa formulierte Khani: „Du siehst ihn, egal wohin Du wanderst. / Er sei euch gegönnt, liebe Leute, doch dezent geht anders.“ Zum Stadtkern zimmerte er die Zeilen: „Gestohlene Kamele werden hier heimisch / Rottweil, Du bist so schön, für Dich reim‘ ich“. Ziemlich in die Vollen ging er mit: „Du hast Humor, doch nun genug des Scherzens – Rottweil, Du Hauptstadt meines Herzens“. Um abschließend zum Vergnügen der Zuhörer „merci“ zu sagen „für Braten und Weißbier. / Danke, liebe Neckarschweiz, es war nice hier“.

Ein wenig Alltagsarchäologie betrieb Christine Koschmieder. Die in Leipzig lebende Autorin, Übersetzerin und Literaturagentin, Jahrgang 1972, hatte seit Freitag Fotos und Eindrücke gesammelt. So etwa einen heruntergefallenen Einkaufszettel, auf dem „drei Gürkle“ stand oder die Beobachtung, dass in Rottweil leere Gasthäuser „Zur Flasche“ heißen. Mit einigem Pepp bekannte sie sich dazu, dass sie bei den Literaturtagen auf sympathische Art Nähe erlebt habe und – ja, schon irgendwie zum Rottweil-Fan geworden sei.

Temperamentvoller Auftritt: Christine Koschmieder (rechts). Foto: al

Leta Semadeni, Preisträgerin des Schweizer Grand Prix Literatur 2023, bekannte sich zum Laster des ewigen Aufschiebens und nahm die Aufgabe, eine Rottweil-Miniatur abzuliefern, gelassen. Immerhin zauberte sie in ein Gedicht mittels eines Hundes Rottweil-Bezüge hinein und teilte eine nette Anekdote, wonach ein sehr an Rottweiler erinnernder Hund von Freunden einmal den Nerz seines Frauchens zerfetzt und anschließend zufrieden darauf geschnarcht hatte.

Julia Weber, 1983 in Tansania geboren und Mitgründerin mehrerer politisch engagierter Aktionsgruppen, breitete abschließend ein Panorama von Assoziationen aus. Den Alten Ratssaal charakterisierte sie als „Raum, der nach Zeit und Weißwein“ riecht. Die Begrüßungsrede des OB hatte sie erlebt, als ob dem Stadtoberhaupt „liebevoll geformte Würfel aus dem Mund gefallen“ seien. Zudem hatte sich ihr die Begeisterung des Stadtführers über die 20000 Rinder, die einst durch Rottweil getrieben wurden, ebenso eingeprägt, wie dessen offenbar eleganten Schuhe, die mehrere Literaten anerkennend erwähnten.

Zumindest die waren – das sollte man sich für die Fortsetzung der ewigen diesbezüglichen Diskussion vielleicht notieren – also wohl in keiner Hinsicht irgendwie provinziell. Jedenfalls funktionierte die Fußbekleidung als Running-Gag beim gutgelaunten Publikum bestens.

Gruppenbild der Literaten mit Christiane Frank (Dritte von links) vom Kulturamt, die das Event seit Jahren federführend und mit viel Herzblut organisiert. Foto: al

Begonnen hatten die Literaturtage am Freitag mit Schullesungen am AMG, DHG und LG sowie mit einem Empfang im Alten Rathaus. Am Samstag gab es in der Werkhalle einen gut besuchten wahren Marathon öffentlicher Lesungen vom frühen Nachmittag bis in die Abendstunden.

Dafür, dass die in der 39. Ausgabe erstmals sanft – und gelungen – zu „Deutsch-Schweizer Literaturtage“, gegenderten „Deutsch-Schweizer Autorentage“ schon zum zweiten Mal weitgehend auf dem Hauser-Areal stattfanden, gibt es gute Gründe. Dennoch sollte man sich nicht ausschließlich an diesen Ort binden. Denn die „Rottweiler Begegnungen“, wie die Literaturtage im Nebentitel traditionell heißen, sollten genau das eben auch sein: eine Begegnung in und mit Rottweil.

Am Rande nahmen Literaturbegeisterte die Chance wahr, eine Widmung zu ergattern – auch das ist eine Facette der „Rottweiler Begegnungen“. Foto: al

Das interessiert diese Woche