Donnerstag, 18. April 2024

Unterhalt nicht bezahlt, das Gericht verschaukelt: Abgetauchtem Mann droht Knast

Für NRWZ.de+ Abonnenten: 

Auch das ist Justiz: ein Gerichtssaal inklusive Richter, Schöffen, Protokollantin, Vertreterin der Staatsanwaltschaft, Journalisten, einer verirrten Dolmetscherin – aber ohne Angeklagtem. Und ohne Rechtsanwalt, der ja nicht umsonst arbeiten möchte. Das Urteil kann dennoch deutlich ausfallen: Berufung verworfen, Kosten auferlegt, Knast droht.

Die Zahl nimmt seit Anfang des Jahrtausends kontinuierlich ab. Waren es 2005 noch knapp 20.000 Fälle von Verletzung der Unterhaltspflicht in Deutschland, ist die Zahl 2019 auf noch rund 4000 gesunken (Quelle). Einer davon ist aus Tuttlingen und wurde nun vor dem Rottweiler Landgericht verhandelt. Kurz.

Eine Verletzung der Unterhaltspflicht liegt immer dann vor, wenn sich ein Elternteil seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht für ein Kind trotz entzieht oder verweigert, obwohl er finanziell leistungsfähig wäre.

Zahlungsfähige Unterhaltsverweigerer machen sich also strafbar. Das kann bis zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren führen, in Fällen, in denen es deshalb zu einem Schwangerschaftsabbruch kommt, bis zu fünf Jahren.

Doch das interessiert einen jungen Mann, der zuletzt in Villingen-Schwenningen gelebt hat, offenbar nicht mehr. Am 13. Juni 2019 ist er vom Amtsgericht Tuttlingen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, wegen der Verletzung der Unterhaltspflicht gegenüber seinen Kindern. Gegen dieses Urteil hat er noch über seinen Rechtsanwalt Berufung einlegen lassen, um dann zu verschwinden. „Wohl in die Türkei“, wie der Richter am Landgericht Rottweil, Thomas Geiger, am Dienstag wissend lächelnd meinte.

Richter Geiger hatte das erwartet – dass er es mit einer leeren Anklagebank zu tun haben würde. Es war schon der zweite Versuch, den Unterhaltsverweigerer zu dieser – wohlgemerkt seiner eigenen – Berufungsverhandlung zu laden. Das ging beim ersten Mal schief, weil der Mann an seinem letzten Wohnsitz in Villingen-Schwenningen nicht mehr gemeldet war und inzwischen unbekannt verzogen ist.

Also lud man ihn öffentlich. Per Aushang im Gerichtsgebäude. Der Gesetzgeber sieht das in solchen Fällen vor. Die Praktiker von Gericht und Staatsanwaltschaft bemessen dem nicht allzu große Erfolgsaussichten bei. Mal ehrlich: Welcher mutmaßliche Verbrecher turnt schon im Gerichtsgebäude herum und versucht herauszufinden, wann gegen ihn verhandelt wird? Vor allem dann, wenn er im Begriff ist, sich der Ex oder den Kindern mit ihrem Unterhaltsanspruch und der Justiz zu entziehen?

Also war der Prozess auf eine halbe Stunde angesetzt. Pro forma. Deshalb kamen auch bereits Beteiligte des folgenden Verhandlungstermins in den Saal. Eine Dolmetscherin richtete sich etwa auf dem für sie vorgesehenen Platz ein. Um dann festzustellen, dass sie zu früh dran war.

Um 13.30 Uhr war Beginn. Da stellte Richter Geiger schon fest, dass der Angeklagte und sein Verteidiger fehlten. Er vereidigte noch geschwind einen neuen Schöffen, das muss in aller Öffentlichkeit geschehen. Zeit genutzt. Und dem fehlenden Angeklagten noch eine letzte Frist von 15 Minuten eingeräumt, fürs Protokoll und damit alles seine Ordnung hat.

Dass der Verteidiger fehlte, dafür hatte Richter Geiger Verständnis. „Er kann ja nicht für Jux und Dollerei arbeiten.“

Die Minuten verstrichen. Die versammelte Journaille – dank zweier angesetzter Prozesse drei Leute – versuchte inzwischen, durch Ausquetschen der Staatsanwältin ein paar Informationen zu bekommen. Nicht ganz leicht: Beteiligte einer Hauptverhandlung, der Verteidiger mal ausgenommen, müssen nicht unbedingt den Sachverhalt kennen. Denn es herrscht der Mündlichkeitsgrundsatz, es gilt das gesprochene Wort. Deshalb wäre das Amtsgerichtsurteil verlesen worden, wäre der Angeklagte erschienen. Kurz: Die Staatsanwältin kannte den Sachverhalt nicht. Und brauchte sie auch nicht.

Denn um 13.52 Uhr hieß es schon, ganz ohne Verlesung und nach knapper Verhandlung: „Im Namen des Volkes.“ Die Berufung wurde verworfen, das Urteil des Amtsgerichts Tuttlingen ist damit rechtskräftig. Sechs Monate Haft, ohne Bewährung. Sollte der Unterhaltsverweigerer also irgendwann wieder auftauchen und geschnappt werden, dann fährt er ein.

Doch Richter Geiger beschäftigte das offenbar nicht mehr, er war da gedanklich schon weiter. Bei seinem nächsten Prozess mit Beginn um 14 Uhr. „In fünf Minuten fangen wir mit der Strafsache gegen *xxx* an, der da ist. Das ist erfreulich.“

image_pdfPDF öffnenimage_printArtikel ausdrucken
Peter Arnegger (gg)https://www.nrwz.de
... ist seit gut 25 Jahren Journalist. Mehr über ihn hier.