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Boris Palmer: „Sind wir noch zu retten?“

Mit Boris Palmer und Rezzo Schlauch hatte Renate Claes zwei bundesweit bekannte Politiker in die Aula des Gymnasiums geholt. Zu den vierten „Schramberger Gesprächen“ waren denn auch am Freitagabend zahlreiche Schrambergerinnen und Schramberger geströmt. Mit seinem Kurz-Vortrag hat Palmer für viel Schmunzeln und Kopfnicken gesorgt. Kopfschütteln erntete er hingegen bei einigen Windkraftgegnern vom Feurenmoos, als es am Ende keine Fragerunde mehr gab.

Schramberg. Zu Beginn stellte Organisatorin und Moderatorin Claes die beiden Fahrensleute vor: Der Tübinger Oberbürgermeister Palmer, Ex-Grüner, habe eine Fangemeinde von Flensburg bis München und von acht bis 88. Das liege auch daran, dass er schwierige Themen anspreche. Schlauch sei ein „Erzrealo bei den Grünen“, früherer Landtags- und Bundestagsabgeordneter, zuletzt parlamentarischer Staatsekretär im Wirtschaftsministerium.

Palmer startete seinen Vortrag im halbdunklen Saal mit Geschichten aus dem Politikeralltag. Doch zunächst bemerkte er: „In Schramberg muss es viele grüne geben. Denn hier wird am Licht gespart.“ Erster Punkt gemacht, es wurde heller.

Dustere Beleuchtung in der Aula. Foto: him

Sachkundiges Publikum zum Thema Rente

Den zweiten setzte er gleich drauf, denn er meinte beim Thema Rentenbeschlüsse spreche er ja vor einem „fachlich kompetenten Publikum“. Keine Handvoll U 20 hatte den Weg in die Aula gefunden, die meisten waren im Rentenalter. Es sei doch eigentlich klar, dass bei der demografischen Lage an den Renten etwas passieren müsse. „Die große Mehrheit versteht das.“

Aber die große Politik mache den Leuten vor, es könne immer so weiter gehen. Dabei würden die Rentenbeiträge demnächst von 18,6 auf 20 Prozent steigen. (Was Palmer vergaß: Unter Helmut Kohl 1998 lag der Rentenbeitragssatz schon bei mehr als 21 Prozent.)

Zur Stadtbilddebatte und Kanzler Friedrich Merz beklagte Palmer, dass dessen Bemerkung zum Stadtbild „böswillig missverstanden“ worden sei. Ähnlich beim Verband der Familien-Unternehmen und deren Haltung zur AfD. Wie könnten Unternehmer die Partei Ignorieren, die ein Drittel ihrer Belegschaft wähle, fragte er sich.

Heftig ins Gericht ging Palmer mit den seit 2015 eingeführten Datenschutzbeauftragten, die ihn mit ihren Vorgaben „drangsalieren“. Als Beispiel hatte er einen Altersjubilar, der partout nicht im Amtsblättle lesen wollte, dass er 7o wurde. Die Lösung in Unterjesingen sei, dass die Ortsverwaltung nicht mehr gratuliert.

Der Ziegenmelker

Als Zugabe und Höhepunkt gab er die schon häufiger erzählte Geschichte vom Ziegenmelker zum Besten. Dieser seltene Zugvogel verhinderte über Jahre den Anbau an der Tübinger Uniklinik. Und auch als er schließlich verschwunden war, konnte man nicht bauen, denn das Grundstück war als Ziegenmelker-Habitat ausgewiesen.

Erst als er in einer Talkshow bei Markus Lanz die Geschichte erzählt, und die damalige Bundesbauministerin Gallwitz aufmerksam geworden sei, habe schließlich der Tübinger Regierungspräsident dem Ziegenmelker einen amtlichen „Todesschein“ für den Vogel ausgestellt. Jetzt darf das Klinikum gebaut werden.

Zwischendurch hatte Palmer sein Glas geleert. Claes, die darauf bestand, nicht fotografiert zu werden, eilte herbei und füllte nach. „Ich lasse mir gern von einer Dame gerne das Wasser reichen“, witzelte er. Noch einen Punkt gemacht.

Ein wenig geflunkert hat Palmer übrigens mit dem Totenschein. Es war eine E-Mail des Regierungspräsidenten an die Ministerin und Palmer in der das Regierungspräsidium bestätigt, man habe „kein Vorkommen des Ziegenmelkers feststellen können“. Das hat er auf seiner Facebookseite veröffentlicht. (Die ganze Geschichte nachzulesen hier.)

Der „Totenschein“ der keiner ist. FB Boris Palmer

Drei positive Gesetzesbeispiele

Um nicht nur negativ zu sein, nannte Palmer dann drei Gesetze, die Hoffnung machten: Das Kindergartengesetz, in dem der letzte Paragraph besagt, die Kommune könne auf Antrag von allen Vorgaben auch abweichen.

Ein zweites lobenswertes Gesetz sei erst wenige Wochen alt, es heißt Regelungsbefreiungsgesetz: Auch hier können Bürgermeister beantragen, von Landesregelungen versuchsweise abzuweichen. Die Abweichungen muss das zuständige Ministerium allerdings genehmigen. Das möchte man nun vier Jahre erproben. Das dritte Gesetz sei der Bauturbo des Bundes. Dies ermögliche die Planungszeiten für neue Wohngebiete von acht auf zwei Jahre zu verkürzen, lobte Palmer.

Sechs Fragen

Es folgte eine Gesprächsrunde, für die Renate Claes sich Fragen ausgedacht hatte. Sechs Themen-Bereiche hatte sie ausgewählt und ausgiebig vorgestellt. Da ging es beispielsweise um den allseits geforderten Bürokratieabbau. Doch Rezzo Schlauch blies nicht ins Horn. Er fand, bei uns funktioniere die Bürokratie doch ganz ordentlich.

Rezzo Schlauch findet es lustig. Foto: him

Beim Thema Wirtschaft bedauerte Schlauch, dass die Manager zu viel klagten und das eigene Versagen auf die Politik schöben. Beispiel Daimler, da habe der Chef mit seiner Luxusstrategie den Laden an die Wand gefahren.

Weitere Themen waren das Gesundheitssystem, Künstliche Intelligenz und Einkaufen vor Ort statt im Internet.

Boris Palmer und Rezzo Schlauch. Foto: him

Das Glas ist leer

Nach knapp anderthalb Stunden guckt Palmer auf sein Glas und die leere 1,5-Liter Wasserflasche von Renate Claes, trinkt aus und meint: „Jetzt ist Schluss, ich habe nichts zu trinken mehr…“ Fragen aus dem Publikum hatte Claes nicht vorgesehen.

Das fanden viele Besucher schade. Insbesondere diejenigen, die die Windkraft-Pläne der Stadtwerke Tübingen im Feurenmoos  kritisieren, hat das frustriert. Sie hätten den Aufsichtsratschef der Tübinger Stadtwerke Palmer gerne dazu befragt. Minuspunkt für Palmer.




Martin Himmelheber (him)

... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.
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