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Bezahlkarte für Flüchtlinge im Kreis Rottweil: kaum Missbrauch, aber eine Morddrohung

Kaum Missbrauch gebe es mit der Bezahlkarte im Kreis Rottweil, hat das Landratsamt herausgefunden. Allenfalls wird sie hier und da zur schnellen Bargeldbeschaffung genutzt, aber in überschaubarem Rahmen. Dennoch macht die sogenannte Socialcard wegen ihrer vielen Einschränkungen Probleme. Und führt zu Konflikten. In einem Fall sah sich ein Mitarbeiter genötigt, Strafanzeige zu erstatten. Gegen ihn. war eine Morddrohung ausgestoßen worden.

Anfang September hatte die CDU-Kreistagsfraktion die Kreisverwaltung darum gebeten, den Kreistag in einer der kommenden Sitzungen über den aktuellen Stand der flächendeckenden Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete im Landkreis Rottweil sowie über die bisherigen Erfahrungswerte zu informieren. Das wird die Kreisverwaltung am 3. November tun. Vorab wurde bekannt, dass sie das System dieser „Socialcard“ grundsätzlich begrüßt – auf den mit ihr verbundenen Ärger und Mehraufwand aber verzichten könnte.

Zum Hintergrund: Am 25. September 2024, vor gut einem Jahr also, wurde das länderübergreifende Vergabeverfahren für die Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber und ausreisepflichtige Ausländer mit Duldung erfolgreich abgeschlossen. Den Zuschlag hat die Firma secupay AG erhalten, sie tritt als Anbieter der „Socialcard“ auf. Nachdem datenschutzrechtliche Fragen geklärt und die technische Umsetzung, vor allem die Anbindung an das Fachverfahren sowie die Aktivierung der Lastschriftfunktion, abgeschlossen waren, begann im ersten Quartal 2025 die schrittweise Einführung der Bezahlkarte im Landkreis Rottweil.

Zuerst erhielten Personen, die direkt aus einer Landeserstaufnahmeeinrichtung dem Landkreis Rottweil zugewiesen wurden und die die Karte nicht bereits dort erhalten hatten, ab Februar 2025 eine „Socialcard“. Danach bekamen Personen ohne Girokonto die Karte. Anschließend wurde das Geld an Bewohnerinnen und Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften für vorläufige Unterbringung sowie abschließend an leistungsberechtigte Personen für die Anschlussunterbringung ausgezahlt, unabhängig davon, ob sie in kommunaler Unterbringung oder in privatem Wohnraum leben. „Die Ausgabe der ‚Socialcard‘ ist fast abgeschlossen, mit nur wenigen Ausnahmen“, heißt es in dem Bericht der Landkreisverwaltung, der den Kreisrätinnen und Kreisräten kommenden Montag vorgelegt werden soll. Neu zugewiesene Personen im Landkreis erhalten die Bezahlkarte demnach inzwischen während ihres Aufenthalts in der Landeserstaufnahmeeinrichtung.

So funktioniert die Karte

Volljährige Leistungsberechtigte erhalten ihre Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von der staatlichen unteren Aufnahmebehörde über die „Socialcard“. Diese Karte hat die gleiche Funktionalität wie eine guthabenbasierte Visa-Debitkarte. Gemäß dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 20. Juni 2024 ist geplant, dass jede Person monatlich 50 Euro abheben kann. In Ausnahmefällen, vor allem bei gefährdeten Personengruppen, kann nach Prüfung des Einzelfalls eine abweichende Genehmigung für einen anderen Betrag erteilt werden. Die Vorgaben werden vom Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg festgelegt. Zusätzlich gibt es eine landesweite Regelung, um die Barleistungen für Bildung und Teilhabe zu erhöhen, etwa für Schulbedarf, Schülerbeförderungskosten und Aufwandsentschädigungen im Arbeitsbereich.

Personen, die mindestens drei Monate lang hauptsächlich (mehr als 50 Prozent) durch Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten, bekommen zusätzliche Zahlungen weiterhin direkt auf ihr Giro- oder Gehaltskonto überwiesen, so das Landratsamt.

Die Aufladung der „Socialcard“ geschieht mittels Überweisung. „Wegen der banküblichen Bearbeitungszeiten kann die Gutschrift auf der Karte ein bis zwei Werktage in Anspruch nehmen“, hat das Landratsamt festgestellt. „Um bei akuter Mittellosigkeit sofortige Hilfe zu ermöglichen, steht eine sogenannte Ad-hoc-Aufladefunktion zur Verfügung. Diese erlaubt eine Sofortgutschrift des entsprechenden Betrags auf die Bezahlkarte.“

Hier funktioniert die Karte

Die Karte kann nur im Bundesgebiet verwendet, so sieht es das Asylbewerberleistungsgesetz vor. Eine Verwendung im Ausland ist nicht möglich. Regionale Einschränkungen, die darüber hinausgehen, sind nicht erlaubt. Die „Socialcard“ kann also überall dort verwendet werden, wo Kartenzahlungen akzeptiert werden, sowohl in Geschäften als auch im Onlinehandel für Waren und Dienstleistungen. Bestimmte Transaktionen, die auf einer Negativliste des Landes Baden-Württemberg auftauchen, sind jedoch ausgeschlossen. Dazu gehören Geldtransfers ins Ausland, spekulative Finanzgeschäfte, Glücksspiel und Zahlungen für sexuelle Dienstleistungen.

Erfahrungen der Verwaltung mit der Karte

Die bisherigen Erfahrungen mit der „Socialcard“ in der praktischen Verwaltung würden einen hohen zeitlichen Aufwand zeigen, der hauptsächlich auf die komplexe Umsetzung organisatorischer und technischer Maßnahmen zurückzuführen sei, beschreibt das Amt für Aufnahme und Integration im Landratsamt die Probleme. „Da es sich bei der ‚Socialcard‘ nicht um ein klassisches Bankkonto handelt, ist die Einrichtung von Daueraufträgen nicht vorgesehen. Die verfügbaren Transaktionsfunktionen sind auf Lastschriftverfahren oder Einzelüberweisungen beschränkt“, heißt es in der Zusammenfassung weiter. In beiden Fällen müsse der Zahlungsempfänger auf Antrag des Leistungsberechtigten manuell durch die Mitarbeitenden des Amts für Aufnahme und Integration freigeschaltet werden. Der Antrag auf Freigabe und die Freigabe selbst würden über ein Onlineportal des Kartenanbieters eingereicht. Nachweise in digitaler Form seien erforderlich, um den Zahlungsempfänger zu überprüfen. Anträge auf Freigabe von Überweisungen oder Lastschriften auf Privatkonten seien „normalerweise nicht möglich“, es sei denn, es handele sich um offizielle Zahlungsverpflichtungen wie etwa Mietzahlungen. Bereits genehmigte Zahlungsempfänger werden in einer „Whitelist“ gespeichert. Zahlungsempfänger auf der Whitelist können direkt für zukünftige Transaktionen ausgewählt werden, ohne dass ein erneuter Freigabeprozess erforderlich ist.

Es könnte alles einfacher sein, aber: Baden-Württemberg hat sich laut Landratsamt bewusst gegen die Einführung einer landesweiten Whitelist entschieden. Daher müssen auch bekannte Lastschriftmandate von Unternehmen wie der Deutschen Bahn oder großen Telekommunikationsunternehmen sowie von staatlichen Stellen wie Justizbehörden von den einzelnen staatlichen unteren Aufnahmebehörden manuell aufgeführt werden. Leistungsberechtigte erhielten zudem keine Kenntnis von der internationalen Kontonummer (IBAN), die mit ihrer „Socialcard“ verknüpft ist. Stattdessen werde bei genehmigten Lastschriftmandaten eine sogenannte virtuelle IBAN verwendet, die nach Freigabe durch das Amt für Aufnahme und Integration vom Leistungsberechtigten an den betreffenden Zahlungsempfänger weitergeleitet wird. 

Zusätzlich zu den Schwierigkeiten bei der Bedienung gebe es noch andere technische Beschränkungen. Etwa Probleme zwischen der Nutzung des Portals im Web und auf mobilen Geräten, vor allem bei der Erstanmeldung und der Umstellung von Lastschriftverfahren. Nicht alle Geschäfte, die technisch Kartenzahlungen akzeptieren können, akzeptieren tatsächlich die „Socialcard“. Beim Anbieter secupay AG gebe es auch Probleme mit der Unterstützung, da der mehrsprachige KI-unterstützte Chatbot zwar verfügbar ist, die Kunden jedoch aufgrund der komplexen Struktur des Angebots nicht in der Lage seien, die digitale Unterstützung effektiv zu nutzen. Der telefonische Support ist nur auf Deutsch verfügbar.

Sprachprobleme und begrenzte digitale Fähigkeiten belasteten das Personal im Amt für Aufnahme und Integration im Rottweiler Amt zusätzlich aufgrund von fehlenden Geräten oder unzureichendem Datenvolumen. Oft gestellte Fragen drehten sich um vergessene Zugangsdaten, falsche PIN-Eingaben, gesperrte Karten und allgemeine Nutzungshinweise für die „Socialcard“.

Konflikte bis hin zur Morddrohung

„Aus dem gesamten komplexen Verwaltungsprozess ergibt sich ein nicht unerhebliches Konfliktpotenzial“, sagt die Behörde, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter täglich mit dem System umgehen müssen. Die Mitarbeitenden des Amtes für Aufnahme und Integration würden sich teils angespannten und konflikthaften Situationen ausgesetzt seien. „In einem Fall führte eine verbale Morddrohung gegenüber einem Mitarbeitenden zur Einleitung eines strafrechtlichen Verfahrens durch Stellung einer Strafanzeige“, heißt es in dem Behördenbericht.

Kein echter Missbrauch, fast kein Widerstand

Aber: Systematische Missbrauchsfälle unter Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen, wie vor Jahresfrist in der Diskussion, seien im Landkreis Rottweil bislang nicht bekannt. Allkerdings versuchen manche, die Karte ein wenig auszureizen. So werden mit der „Socialcard“ erworbene Non-Food-Produkte gezielt in Geschäften zurückgegeben, um eine Barerstattung zu erlangen. 

Der Widerstand gegen die Karte ist ansonsten im Kreis Rottweil offenbar gering. „Bisher wurde lediglich ein Widerspruch gegen die Einführung der ‚Socialcard‘ eingelegt“, schreibt das Landratsamt. Dieser habe sich jedoch nicht gegen die Karte als solche gerichtet, „sondern beruhte auf der Sorge, bestehende Lastschriftverpflichtungen möglicherweise nicht mehr erfüllen zu können.“

„Das Landratsamt Rottweil als staatliche untere Verwaltungsbehörde begrüßt grundsätzlich die Einführung der ‚Socialcard‘, da sie geeignet ist, zweckfremde Verwendungen der zur Existenzsicherung vorgesehenen Geldmittel – insbesondere Überweisungen in Herkunftsländer oder an kriminelle Schleuserstrukturen – zu unterbinden“, lautet daher das Fazit. Aber: Die technische Komplexität, das Fehlen einer landesweiten Whitelist sowie die teilweise schwer vermittelbaren Verfahrensschritte gegenüber den Leistungsberechtigten führten zu einem erheblich erhöhten Beratungs- und Unterstützungsaufwand durch die Mitarbeitenden des Amtes für Aufnahme und Integration. 




Peter Arnegger (gg)

… ist seit gut 25 Jahren Journalist. Seine Anfänge hatte er bei der Redaktion der “Schwäbischen Zeitung” in Rottweil, beim Schwäbischen Verlag in Leutkirch volontierte er. Nach einem Engagement bei der zu diesem Verlag gehörenden Aalener Volkszeitung wechselte Arnegger zur PC Welt nach München, einem auf Computer-Hard- und -Software spezialisierten Magazin. Es folgten Tätigkeiten in PR und Webentwicklung.2004, wieder in seiner Heimat angekommen, half Arnegger mit, die NRWZ aus der Taufe zu heben. Zunächst war er deren Chefredakteur, und ist zwischenzeitlich Geschäftsführer der NRWZ Verwaltungs GmbH – und als solcher der verantwortliche Journalist der NRWZ.Peter Arnegger ist 1968 in Oberndorf / Neckar geboren worden.

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