Donnerstag, 28. März 2024

Die Rottweiler Fasnet 2021 – mit einem Corona-Schantle samt Mundschutz?

Das interessiert gerade

Peter Arnegger (gg)https://www.nrwz.de
... ist seit gut 25 Jahren Journalist. Mehr über ihn hier.
Für NRWZ.de+ Abonnenten: 

Rottweil. Sollten Katastrophen wie die Corona-Pandemie einen Widerhall in der Original Rottweiler Fasnet finden? Fasnets-Narr und Larven-Schöpfer Jens Jäger findet: Ja, unbedingt. Er hat bereits einen Corona-Schantle vorgelegt. Die Narrenzunft Rottweil, wer hätte das anders erwartet, kann sich nicht allzu sehr für die Idee erwärmen. NRWZ.de bringt die Argumente beider Seiten.

Die Vorlage für die Larve. Zeichnung: Jens Jäger

„Mal schauen, ob es überhaupt eine Fasnet 2021 gibt.“ Das sagt der ehemalige Rottweiler Stadt- und Kreisrat Jens Jäger. Keiner weiß, ob ein neues Aufflammen der Corona-Pandemie die Großveranstaltung verhindern wird. Doch ob mit oder ohne Fasnet: Eine neue Narrenfigur werde auf jeden Fall laufen: „Ein Zeitzeuge: der Corona-Schantle.“ Da ist sich Jäger sicher, der auch erklärt: „Ich finde, solche Ereignisse müssen in die Fasnet!“

Also hat sich Jäger einen Rottweiler Schnitzer zur Seite geholt (der namentlich nicht genannt werden möchte) und die Corona-Schantle-Larve geschaffen. Jäger zeichnete die Vorlage, der Schnitzer schnitzte sie in seiner Werkstatt, und Jäger wiederum fasste sie.

„Wird auf keinen Fall zugelassen“

Fotos der Larve hat die NRWZ in Absprache mit Jäger der Rottweiler Narrenzunft vorgelegt. Ihr Sprecher, Prof. Frank Huber, der sich nach eigenen Aussagen zuvor mit dem Kleidles-Ausschuss-Vorsitzenden (und aktuellen Gralshüter der Rottweiler Fasnet), Hansi Busch, kurzgeschlossen hat, legt sich fest: „Sollte es je eine Fasnet 2021 geben, wird diese Larve bis dahin auf keinen Fall als Original Rottweiler Narrenlarve zugelassen.“ Punkt. Auch, weil die Larve keine FFP-3-Maske trage. Aber das mehr als Witz am Rande. Huber und Busch haben gewichtigere, geschichtliche Gründe.

Ansichten einer Schantle-Larve. Fotos: privat

Das Dafür

Doch zunächst zum Schöpfer der Larve. Jens Jäger ahnt natürlich, dass die Zunft nicht allzu amused sein würde. Deshalb holt er ein bisschen aus, um die Daseinsberechtigung für seinen Corona-Schantle zu unterstreichen. „Bedrohungen, oder das Ende von Bedrohungen war schon immer Thema in der Fasnet“, sagt Jäger. Das belegten schon „die Türken auf den Narrenkleidern.“ Im 16. Jahrhundert habe das Osmanische Reich vor den Toren Wiens gestanden. Dort seien sie zurückgeschlagen worden. „Und Europa konnte aufatmen“, so Jäger. „Das christliche Reich wurde vor der muslimischen Bedrohung bewahrt. Infolgedessen war es guter Ton bei den Adeligen, auf ‚Türkisch‘ zu machen. Dabei hielten auch türkische Figuren Einzug in die Fasnet. Künstlerisch und fantasiereich wurden sie ausgearbeitet“, erinnert Jäger. Er glaubt, dass diese Darstellungen auch ein Ventil für die Seele gewesen seien. „Die Bedrohung oder deren Wegfall konnten kompensiert werden in Freude. Man atmete auf.“

Auch das „Russen-Biss“ ist aus diesem Gedanken heraus entstanden! Durch Gorbatschow und seiner Perestreuka erlosch der kalte Krieg endgültig! Das grosse Reich der Sowjetunion zerfiel. Die Bedrohung aus dem Osten war hinfällig!

Jens Jäger

Einzelfiguren wie Ronnys Schantle erzählten eine Geschichte, so Jäger weiter. Es liege daher nahe, einen weiteren, einen Corona-Zeitzeugen zu kreieren, „der auch Geschichte erzählt“. Es sei ein Zeitzeuge, der Bedrohung in Freude kompensiert. Dieses Jahr wird den Menschen weltweit in Erinnerung bleiben. Wieso auch nicht in der Rottweiler Fasnet? Sie soll ja nicht tot sein.“ Nach Katastrophen wie dieser lasse die Fasnet die Herzen wieder leichter werden. Im Sinne von „Niemand zu Leid‘, jedem zur Freud'“.

Der Larvenschnitzer – jener, der nicht genannt werden möchte – habe die Corona-Larve „mit Begeisterung“ in acht Tagen umgesetzt. Als Grundlage diente, der Rottweiler Fasnetsfreund erkennt das gleich, die weinende Figur der „Briekere“. „Die Zeiten waren und sind ja zum Heulen“, so Jäger.

Er habe insgesamt fünf Entwürfe gezeichnet, so Jäger. Die geschnitzte Larve habe er dann nach alten Rezepten – „mit Hasenleimnetzte, mehreren Schichten Kreidengrund und mit Ölfarben (Handballen gefasst)“ – aufgebracht. Ein Schlussanstrich mit Siegellack folgt noch.

Zusammenfassend meint Jäger: „Warum sollte dieser Schantle nicht auch laufen? Es ist ein Schantle, der mit ganz viel Liebe und Herzblut gestaltet wurde. Ob mit Plakette oder ohne ist mir eigentlich wurscht. Fasnet sollte frei innerhalb ihrer Historie sein. Und wenn man die inflationäre Zunahme von stellenweise maschinell kopierten Larven anschaut – es ist ja schrecklich. Dann sollte dieser Schantle einen ganz besonderen Platz in der Fasnet finden.“

Foto: privat

Die Gegenposition

Frank Huber, Zunftschreiber in Rottweil, hat sich zur Beantwortung dieser NRWZ-Anfrage ein paar Tage Zeit gelassen. Hat sich mit dem Vorsitzenden des Kleidle-Ausschusses, Hansi Busch, kurzgeschlossen. Beide kommen zu dem Schluss: „Es gibt bei unseren Narrenkleidern fast nichts, was es nicht gibt.“

Viele dieser Larven und Kleidle dürfen aber am Narrensprung nicht teilnehmen und müssen im Schrank bleiben oder hängen als Schmuckstück an der heimischen Wohnzimmerwand. „Nicht alle Narrenkleider erhalten eine Zulassung, da wir gemäß Paragraf 1 unserer Satzung zur Vermittlung des Fasnetbrauchtums gegenüber den Vereinsmitgliedern und der weiteren Bevölkerung der Stadt Rottweil sowie zur Erhaltung der ‚Original Rottweiler Narrentypen‘ verpflichtet sind“, erklärt Huber. „Daher bekommt alles, was nicht Original ist, keine Zulassung.“ Um die Originalität zu wahren, gibt es in der Zunft eben jenen Kleidle-Ausschuss, der über die Originalität befindet und dann mit dem Vorstand entscheidet.

Dieser Ausschuss müsste in diesem Fall also in Bezug auf die Larve zu einem Urteil kommen. „Ich wage jetzt mal, mich in die Köpfe der Verantwortlichen reinzudenken“, so Huber. Außerdem hat er ja mit dem Vorsitzenden des Ausschusses korrespondiert. „Aus dieser Gemengelage ergibt sich folgendes Bild“, sagt Huber:

„Das Bild zeigt zunächst mal nur eine Larve, die der Schnitzer als Schantle charakterisiert und interpretiert. Die Larve stellt nach dem Dafürhalten des Handwerkers einen Zeitzeugen dar. Einen Zeitzeugen zu kreieren heißt aber, nicht unbedingt ein Original Rottweiler Narrenkleid oder eine original Rottweiler Larve zu erstellen. Ferner spiegelt ein Zeitzeuge eine Person wider, die zeitgeschichtliches erlebt hat“, so der Zunftschreiber

Daraus ergeben sich laut Huber zwei Aspekte, die einer Zulassung entgegenstehen. Zum einen die Person:

In der Vergangenheit wurden tatsächliche Larven von Personen, wenn auch wenige, sogenannte Porträtlarven, wie zum Beispiel Ronnys Schantle oder die Larve von Erich Hauser, erstellt. Die Personen standen in einem ganz engen Bezug zu unserer Fasnet. Zwischenzeitlich werden jedoch Porträtlarven nicht mehr zugelassen. Der Grund hierfür liegt darin, dass in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viele Bürger sich auf diese Weise zum einen verewigen wollten und zum anderen mit der ursprünglichen Idee der Vermummung nicht im Einklang stehen. Das Gleiche gilt übrigens auch für Porträts auf den Kopfstücken beim Weißnarren. Aus diesen Gründen sind Porträts passé.

Prof. Frank Huber

Und zum anderen das Zeitgeschichtliche:

Die handwerkliche Verarbeitung einer weltweiten Pandemie kann nicht Gegenstand einer Schantlelarve sein. Weltweit verloren hunderttausende von Menschen bislang durch Corona ihr Leben. Seit Jahrhunderten gilt in Rottweil: ‚Jedem zur Freud und niemand zum Leid‘. Will man die Hinterbliebenen der Rottweiler Corona-Opfer und die Erkrankten wirklich jedes Jahr an dieses schlimme Ereignis erinnern?  Wie man an Corona erkrankte und verstorbene Menschen künstlerisch in Freude transferieren will, erschließt sich mir nicht. Anscheinend gelang dies übrigens auch nicht in der Zeit der spanischen Grippe. Uns ist kein Narrentyp und keine Larve bekannt, der das Leid der spanischen Grippe aufgegriffen hat.

Prof. Frank Huber

Corona sei auch nicht „mit den Türkenmotiven auf den Weißnarren als Auseinandersetzung von Orient und Okzident vergleichbar“, so Huber weiiter. Es sei zwar „Ausdruck der Angst und der Unwägbarkeiten des Fremden“ gewesen, „es ist mir aber nicht bekannt, dass in Rottweil durch die Türken vor Wien Menschen ihr Leben verloren haben“, so Huber mit einem Augenzwinkern.

Auch die Pest sei nicht in der Rottweiler Fasnet abgebildet. Huber abschließend: „Solche allgegenwärtigen Katastrophen hatten auch in der Vergangenheit keinen Platz in unserer Fasnet und sollten es auch in Zukunft nicht haben.“

image_pdfPDF öffnenimage_printArtikel ausdrucken

Mehr auf NRWZ.de

Neu auf NRWZ.de