ROTTWEIL- 13.000 Mahlzeiten täglich – eine große Portion. 17 Ehrenamtliche des DRK-Kreisverbandes Rottweil sorgten im Ahrtal ab 8. August mit dafür, dass diese Zahl an Essen täglich auf die Teller der Menschen vor Ort kam – die der Überschwemmungsopfer genauso wie die der Helfer.
Reden können, Sorgen und Eindrücke loswerden, Ängste schildern – das ist oft das Wichtigste für die Bewohner des Ahrtals, die in der Nacht vom 14. auf 15. Juli Haus und Hof, vielfach die Existenz, Angehörige oder Freunde an die Fluten verloren. So die Erfahrung der Freiwilligen DRK-ler aus dem Landkreis Rottweil, die im August je eine Woche lang Essen aus dem zentralen Feldküchenlager im wenige Kilometer nördlich des Katastrophengebietes gelegenen Grafschaft an 36 Verteilstationen im Ahrtal ausfuhren und vor Ort an die Menschen ausgaben.
„Wenn wir um 12 Uhr mit dem Verteilen des warmen und kalten Essens begannen, stand eine hundert Meter lange Schlange vor dem Zelt“, schildert Anke Wohlgemuth. „Die erste Stunde schafften wir in der Ausgabe wie im Akkord, ab 13 Uhr war Zeit für einzelne Gespräche. Oft erzählten die Menschen ihre Erlebnisse, zeigten aber auch ihre Dankbarkeit darüber, dass wir da waren.“ Die 47-jährige Lehrerin sieht das als Teil ihrer Aufgabe: da zu sein, zuzuhören.
Menschliche Teilnahme
Mario Feichter, DRK-Ehrenamtlicher aus Dornhan, erinnert sich gerührt an eine alte Dame, die ihn zittrig fragte, ob sie nicht eine Kleinigkeit zu essen haben könnte. Ganz glücklich sei sie weggegangen, nachdem ihre Tasche gefüllt war.
Sein DRK-Kollege Manfred Lenz bezeichnet die menschliche Teilnahme als wichtigsten Baustein ihrer Tätigkeit. „Wenn Menschen Hilfe benötigen, müssen wir alles sofort alles andere stehen und liegen lassen, auf die Hilfsbedürftigen zugehen.“ Man höre immer wieder von Suiziden in solchen Situationen, diese gelte es zu verhindern.
Anders als Wohlgemuth und Feichter war Lenz nicht für die Essenverteilung zuständig. Der 59-Jährige, von Beruf Brandschutzmanager, agierte mit DRK-Kameraden aus ganz Deutschland vom Logistikzentrum in Koblenz aus. Er transportierte Babywindeln genauso zu Hilfsbedürftigen wie Seife, Pickel, Hammer, Meißel und Schrauben. „Einfach alles, was die Menschen brauchen.“ Er betankte mit dem DRK-Unimog die Aggregattanks für Sendemasten und Stromverteiler, brachte so Licht in die Straßen der zerstörten Orte. Das letzte, was er in größeren Mengen im Baumarkt besorgte, waren Gaskocher. „Ganz simple Campingkocher, die brauchen die Menschen jetzt dort.“
„Kameradschaft sehr hoch“
Doch nicht nur die persönlichen Begegnungen mit den Betroffenen bleiben haften. Auch der Stolz, Teil einer großen Hilfsmannschaft, einer funktionierenden Organisation zu sein, erfüllt die Ehrenamtlichen. Das sei schon ein erhebendes Gefühl gewesen, erzählt Feichter, als er den riesigen Unternehmensparkplatz von Haribo mit 14 Feldküchen, einer Backstube, nebst Spül- und Technikzelten vor sich sah. „Man kannte niemanden, aber die Kameradschaft war sehr hoch.“ 13.000 Essen seien dort in der Hochphase produziert worden, als er Mitte August für seinen einwöchigen Einsatz dort war. Vom Wildschweingulasch mit Knödeln bis zur Erbsensuppe sei alles dabei gewesen.
„Mensch, hier ist ja ganz Deutschland anwesend“, hatte sich Wohlgemuth gedacht, als sie die Kennzeichen der DRK-Fahrzeuge vor Ort durchging. „Wir haben teilweise mit Menschen zusammengearbeitet, die haben wir nie vorher gesehen. Das hat super funktioniert.“
„Das ganze Schulleben eines Kindes im Dreck.“
Die Bilder der zerstörten Häuser, Straßen, Brücken im Ahrtal, die Schilderungen der menschlichen Tragödien, aber auch die positiven Eindrücke von der großen Hilfsbereitschaft der Menschen untereinander lassen die DRK-Helfer noch nach zwei, drei Wochen nicht los. „In einer zerstörten Schule stand der Kalender noch auf dem Unglückstag, die Uhr in einem Klassenzimmer war, um kurz vor zwei stehen geblieben“, erinnert sich Wohlgemuth. „Das hat mich sehr berührt.“ Genauso die Schulhefte, Mäppchen und Turnbeutel im Matsch. „Da liegt das ganze Schulleben eines Kindes im Dreck.“
Beeindruckend sei auch, sich die Gewalt der Natur in dieser Nacht vorzustellen, sagt der DRK-Ehrenamtliche Alexander Binder. Dem 41-Jährigen merkt man an, dass ihn das auch noch vierzehn Tage nach dem Einsatz im Ahrtal beschäftigt. „Das Wasser brauchte nur Minuten um Milliardenschäden anzurichten. Da liegt eine ganze Betonbrücke in Einzelteilen im Flussbett.“
Die Ahr – halb so breit wie der Neckar
Ein Fluss, durch den man zu Fuß laufen könne, ergänzt sein Kollege Lenz, „der halbe Neckar“. Auch ihm hängen die Erinnerungen an das Katastrophengebiet nach. Er sei froh gewesen, nach dem Einsatz erst einmal einen Auftrag im „heilen Bayern“ gehabt zu haben.
„Ich hatte Glück“, sagt Feichter. „Als Rentner habe ich mir erst einmal zwei, drei Tage daheim alles durch den Kopf gehen lassen.“ Wichtig sei auch, untereinander zu reden, mit wachem Ohr auf den anderen zu hören, ergänzt Wohlgemuth. Das sei bei diesem nicht anders als bei anderen Einsätzen.
Mit der Rückkehr der letzten Freiwilligen am vergangenen Wochenende endet die zweite Einsatzphase des DRK-Kreisverbandes Rottweil im Ahrtal. Den 17 Frauen und Männern, die dort aktiv waren, werden die Tage vermutlich in Erinnerung bleiben.