Nach Schuss auf den Kumpel: 14-Jähriger zu sechs Jahren Haft verurteilt

Die 1. Große Jugendkammer des Landgerichts Rottweil in einem Verfahren hat einen 14-Jährigen wegen versuchten Mordes zu sechs Jahren Jugendstrafe verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Für das Gericht stand fest, dass der junge Mann im Dezember 2024 seinem zwei Jahre jüngeren Kumpel in den Kopf geschlossen hat. Der Bub ist seither blind, überlebte den Angriff schwerst verletzt. Auslöser soll gewesen sein, dass er gegen seine Kontrahenten ein Spiel am Computer gewonnen hatte.
Die 1. Große Jugendkammer des Landgerichts Rottweil hat gestern, am 14. Juli 2025, unter dem Vorsitz von Vorsitzendem Richter am Landgericht Karlheinz Münzer am vierten Hauptverhandlungstag ein Urteil verkündet: Der junge Angeklagte wurde wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung und mit gefährlicher Körperverletzung zu der Jugendstrafe von sechs Jahren verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Das teilte eine Sprecherin des Landgerichts Rottweil am Dienstagmorgen mit. Der Fall, der sich im Dietinger Teilort Irslingen ereignet hat, erregte großes Aufsehen.
Aufgrund der Beweisaufnahme, in der 29 Zeugen und mehrere Sachverständige vernommen wurden, ist die Kammer von folgendem Sachverhalt überzeugt: Der Angeklagte traf sich mit dem zwölfjährigen Tatopfer, mit dem er befreundet war, am Abend des 15. Dezember 2024 in seinem Kinderzimmer in Dietingen-Irslingen. Nachdem die beiden Jugendlichen eine Zeit lang auf dem Bett „gechillt hatten“, habe der Angeklagte unvermittelt eine geladene manipulierte Schreckschusswaffe an sich genommen und damit in den Bereich der rechten Schläfe seines Kumpels geschossen. „Da der Angeklagte sich regelmäßig mit dem Umgang von Schreckschusspistolen profilierte, versah sich das Tatopfer trotz der offen herumliegenden Waffe keines Angriffs und war aufgrund dessen wehrlos“, so die Kammer in ihrem Urteil. Ein Mordmerkmal. Dies habe der 14-jährige Angeklagte gewusst und ausgenutzt.
„Grund für die spontane Schussabgabe war ein Zusammenspiel mehrerer Umstände im Lichte der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten“, urteilte das Gericht. „Ein handlungsleitendes Motiv konnte nicht festgestellt werden, eher spielten Wut, Kränkung, Faszination für Waffen eine gewisse Enthemmung durch Computerspiele eine sich gegenseitig begünstigende Rolle“, heißt es im Urteil weiter. Nach Informationen der NRWZ hatte der mutmaßliche Schütze seine Tat für den Fall angekündigt, dass er ein Spiel am Computer gegen den Jüngeren verlieren sollte. „Dem Angeklagten kam es dabei nicht auf die Tötung des Geschädigten an (keine Absicht), vielmehr war er an den möglichen Folgen eines solchen Schusses durch eine manipulierte Schreckschusspistole interessiert“, hat das Gericht zudem festgestellt. „Das das Tatopfer dabei tödliche Verletzungen erleiden könnte, erkannte er jedoch und nahm dies auch billigend in Kauf (bedingter Tötungsvorsatz)“, heißt es weiter. Der Junge überlebte die lebensgefährliche Verletzung, ist jedoch dauerhaft und vollständig erblindet. Auch diese schwere Folge habe der Angeklagte billigend in Kauf genommen.

Am letzten Verhandlungstag ließ sich der 14-Jährige, der zuvor keine Angaben gemacht habe, über seinen Verteidiger ein, dass er das Geschehene, wenn er könnte, gerne ungeschehen machen wolle und er die Tat bereue, erklärte das Landgericht.
Nach der Überzeugung der Kammer steht der Tötungsvorsatz aufgrund der Beweisaufnahme fest. „Der Angeklagte nahm durch die Schussabgabe – nach Angaben der rechtsmedizinischen Sachverständigen Nadine Gilch – aus nächster Nähe in Richtung Schläfenbereich, eine besonders gefährliche Gewalthandlung vor, die im Zusammenwirken mit den Gesamtumständen im Ergebnis auf bedingten Tötungsvorsatz schließen lässt“, so das Urteil.
Soweit dem jungen Mann in dem vorliegenden Verfahren Verstöße gegen das Waffengesetz zur Last gelegt wurden, wurde von deren Verfolgung abgesehen, weil diese im Verhältnis zu dem Vorwurf des versuchten Mordes nicht ins Gewicht fielen.
Der jugendpsychiatrische Sachverständige Dr. med. Vater führte laut der Mitteilung des Gerichts aus, dass beim Angeklagten eine Störung des Sozialverhaltens vorliege. Dennoch war der Angeklagte uneingeschränkt schuldfähig und besaß die erforderliche Strafreife. Aufgrund erheblicher Persönlichkeitsentwicklungsstörungen sei bei dem Angeklagten jedoch ein beträchtlicher Erziehungsaufwand vonnöten“, erkannte die Kammer.
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft, Staatsanwalt Julian Mang, beantragte in seinem Schlussvortrag eine Jugendstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten wegen versuchten Mordes und anderen Taten. Der Nebenklägervertreter, Rechtsanwalt Frank Theumer, schloss sich dem an. Der Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Thorsten Peppel, beantragte in seinem Plädoyer laut Gericht eine Jugendstrafe von nicht mehr als vier Jahren, unter anderem wegen versuchten Totschlags.
Die 1. Große Jugendkammer erkannte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung und mit gefährlicher Körperverletzung auf eine Jugendstrafe von sechs Jahren. „Die Höhe der Jugendstrafe bemisst sich – vor allem angesichts des jungen Alters des Angeklagten – vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Um die notwendige Einwirkung auf den Angeklagten zu erreichen, bedarf es einer längeren, straff strukturierten pädagogischen Einwirkung im Rahmen des Jugendstrafvollzugs“, teilte das Gericht mit. „Die Strafe ist so bemessen, dass ausreichende Maßnahmen erfolgen können, um die erzieherischen Defizite aufzuarbeiten, und der Angeklagte die Chance erhält, im Jugendstrafvollzug einen Schulabschluss zu erreichen und eine Ausbildung zu beginnen, die eine wichtige Voraussetzung für seine künftige berufliche und soziale Integration darstellt“. Ohne psychologische/ psychiatrische Aufarbeitung und Therapie gehöre der Angeklagte, so Dr. Vater, zu einer Hochrisikogruppe, von der weitere erhebliche Straftaten zu erwarten seien.
Der Angeklagte bleibt bis zum Antritt der Jugendstrafe bei Rechtskraft des Urteils in Untersuchungshaft.