Freitag, 19. April 2024

„Demokratie ist Beteiligung. Nicht Überrumpelung“

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(Meinung). Was wir Deutschen an unseren Tageszeitungen als Baustein und Instrument der Demokratie haben, ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Ich spreche hier aus eigener Erfahrung. Am vorigen Donnerstag habe ich rein zufällig und zu meiner Bestürzung aus der Tagespresse erfahren, dass die Stadt Rottweil offenbar nun plant, direkt vor meiner Haustür in einer verkehrsberuhigten Zone auf der Charlottenhöhe einen Durchstich zum WLZ-Areal zu machen.

Dieses Unternehmen firmiert offiziell unter dem Titel “Bebauungsplan RW 340/21 Charlottenhöhe – Sondergebiet Einzelhandel mit Kindergarten”. Darf man als Bürger, der von Baumaßnahmen unmittelbar betroffen sein wird, eigentlich nicht von seiner Stadtverwaltung erwarten, dass sie im Vorfeld von solchen Planungen das direkte Gespräch mit den Anwohnern in der Belchenstraße 56-62 und 64-70 sucht? Kein Sterbenswörtchen waren wir den Stadtherren wert; wir sollen wohl vor vollendete Tatsachen gestellt werden. 

Zu meinem Demokratieverständnis gehört hingegen, dass die Stadt eine Bringschuld hat, wenn Bauvorhaben Auswirkungen auf Betroffene haben. Das ist bei uns der Fall. Hätte man dieses Gespräch gesucht, dann wüssten die Entscheider, dass die lapidare Unbedenklichkeitserklärung in den offiziellen Planungspapieren lediglich die erwünschte Perspektive der Projektbeteiligten darstellt. Was die betroffenen acht Familien darüber denken, die sich nach dem Willen der Stadt künftig mit einem völlig unverhältnismäßigen Eingriff in ihre Wohn- und Lebensqualität arrangieren sollen, scheint jedoch keine Relevanz zu haben. Es gibt aber diese andere Sicht auf die Baumaßnahme.

Reden wir doch einmal ganz konkret darüber. Punkt 1: „In Folge der Durchschneidung des bestehenden Lärmschutzes verringert sich lokal die Abschirmleistung der bestehenden Lärm-Wall-Wand-Kombination“, heißt es in den Unterlagen. Wir Anwohner haben folglich einen in seiner Qualität verminderten Lärmschutz, was allerdings von den Planern für zumutbar gehalten wird. Punkt 2: Selbstverständlich wird die neue Möglichkeit, auf diesem fußläufigen Weg durch die bisher geschlossene Lärmschutzwand in das Gewerbegebiet oder zum Kindergarten zu kommen, den Durchgangs-, Bring- und Holverkehr steigern – unmittelbar vor unseren Haustüren und auch in der Belchenstraße insgesamt. Auch das ist jedoch laut den Unterlagen eine zu vernachlässigende Größe, ohne dass dafür Belege präsentiert werden. 

Wer sich das Terrain genau anschaut, wird sich vermutlich darüber wundern, dass der ausgeguckte Ort für den Durchstich relativ weit vom Bauprojekt entfernt ist. Und in der Tat gibt es eine durchaus nähere, flachere und damit kostengünstigere Anschlussmöglichkeit. Weil die aber aus mir unbekannten Gründen nicht sein darf, probieren die Planer es eben zwei Abschnitte weiter.

Kurios ist dabei die Begründung: „Durch die Entfernung vom Kindergarteneingang wird eine Nutzung durch Kindergarteneltern weniger interessant und vermindert den Parkdruck auf das Wohngebiet Charlottenhöhe und erhöht die Akzeptanz zur Nutzung der Stellplätze vor dem Lebensmittelmarkt.“ Verstehe ich das richtig? Der Durchstich soll nun also möglichst weit weg von dem Neubau realisiert werden, um dadurch unattraktiv für Eltern und motorisierten Individualverkehr im Wohngebiet zu sein?

Mit dieser Begründung wäre es doch wohl noch sinnvoller, schlage ich vor, den Durchstich erst in Zimmern zu machen. Das wäre dann noch viel weiter weg und würde so die Charlottenhöhe entlasten und die acht Familien vor einer völlig überflüssigen Baumaßnahme bewahren. Denn die Erreichbarkeit des bereits hinter dem WLZ-Areal bestehenden Lebensmittelgeschäfts war nie ein Thema: Von meiner Haustür aus sind es auf dem herkömmlichen Weg mit dem Auto zwei und zu Fuß fünf Minuten dorthin. Das nenne ich zumutbar – sowohl für Eltern mit Kleinkindern als auch für Einkäufer beim geplanten REWE-Markt. Mehr bedarf es nicht. 

Werte Ratsmitglieder, ich habe mich dort auf der Charlottenhöhe vor mehr als 20 Jahren niedergelassen, weil der Abschnitt, in dem ich wohne, eben keine Durchgangsstraße ist, sondern ein verkehrsberuhigter und dadurch kleinkinderfreundlicher Wohnweg. So wurde das damals beworben. Das hat mir außerordentlich gefallen und ist den vielen Kindern bei uns durch mehr Sicherheit zugute gekommen.

Das war in der Tat auch die Grundlage meiner damaligen Kaufentscheidung. Aber Vertrauensschutz der Bürger scheint es in der Politik nicht mehr zu geben. Mit einer nachträglichen Umwidmung des Wohngebietes zu meinem Schaden und Nachteil bin ich nicht einverstanden. Ich erwarte von dem Gemeinderat, der am 27. April darüber entscheiden will, dass das Thema vertagt wird, damit alle offenen Fragen, Kritikpunkte und Vorschläge der Anwohner berücksichtigt werden können. Das mag den Planern nicht schmecken, aber Demokratie ist nun einmal Beteiligung und Diskussion. Und eben nicht Überrumpelung. 

Dr. Thomas Ducks, Rottweil

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