Mittwoch, 17. April 2024

Rottweil 1848/49: Aufbruch zur Demokratie

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Landesweit nimmt dieser Tage die Erinnerung an die Revolution von 1848/49 Fahrt auf, die sich zum 175. Mal jährt. Am 18. März 1848 erreichte sie einen dramatischen Wendepunkt. Auch in Rottweil und der Region brodelte es damals – der Höhepunkt folgte hier jedoch Monate später.

Massenarmut, Hunger und Unfreiheit bereiteten im zersplitterten Deutschland – wie auch in anderen Teilen Europas – in den 1840er Jahren den Boden für soziale und politische Umbrüche. Auch in Rottweil mit seinen rund 5000 Einwohnern war die Lage miserabel: Es gab wenig Verdienstmöglichkeiten, die Kindersterblichkeit war hoch, viele wanderten aus – und ab 1845 verschärften Missernten die Situation zusätzlich.

Der Funke zum revolutionären Aufbruch kam Anfang 1848 dann aus Frankreich. Zuerst ergriff er den Südwesten und Westen, und schließlich im März ganz Deutschland. Vielerorts machten sich die Menschen die „Märzforderungen“ zu eigen: Der Ruf nach einer freiheitlichen Verfassung, die Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit garantieren sollte. Zudem sollten feudale Rechte fallen, ein allgemeines, freies Wahlrecht gelten und rasch ein deutsches Parlament einberufen werden.

Am 18. März 1848 erwartete auf dem Berliner Schlossplatz eine Menschenmenge die Antwort des preußischen Königs auf diese „Märzforderungen“. Dabei fielen Schüsse, es kam zu Barrikadenkämpfen, die mehr als 250 Menschen das Leben kosteten. Der 18. März 1848 markierte damit einen traurigen Höhepunkt der bürgerlich-demokratischen Revolution.

In Rottweil wurden die Entwicklungen mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Die Bevölkerung war stark politisch interessiert. Rottweiler waren beim Hambacher Fest 1832 dabei, auch an den Freiheitskämpfen der Griechen und Polen hatte man lebhaft Anteil genommen.

Als am 1. März 1848 die Zensur aufgehoben wurde, stand die Stadt, wie Dr. Winfried Hecht in zahlreichen Veröffentlichungen gezeigt hat, im Bann der demokratischen Bewegung. Am 5. März wurde bei einer Versammlung mit über tausend Menschen im Kaufhaus proklamiert, dass das Volk „mündig“ sei. Überall in der Stadt waren Schwarz-Rot-Goldene Fahnen zu sehen, eine Versammlung folgte auf die nächste.

Dass die Rottweiler auch zu Handfestem bereit waren, zeigte sich am 24. März 1848. Beim sogenannten „Gablenfreitag“ zog man bewaffnet aus, um einen vermeintlichen französischen Angriff abzuwehren, den es aber gar nicht gab.

Mit der Arbeit des gesamtdeutschen Frankfurter Paulskirchen-Parlaments, das ab 18. Mai 1848 tagte, war man in Rottweil bald unzufrieden. Daher riefen 88 Bürger am 2. Juli 1848 einen „Demokratischen Verein“ ins Leben, mit dem Fabrikanten Elias Held und der Werkmeister Josef Göttle an der Spitze, der sich vor allem dem Ziel der Volkssouveränität verschrieb.

Diese Ungeduld bildete den Hintergrund für die Zuspitzung der Ereignisse in Rottweil wenige Wochen später. Als am 21. September 1848 in Lörrach der Rechtsanwalt und Publizist Gustav Struve die Republik ausrief, eskalierte die Situation auch hier.

Ein Idealist, der lange als Spinner belächelt wurde: Der Fabrikant Gottlieb Rau (1816-1854), der in Rottweil die Volkssouveränität ausrief. Abbildung: Grafische Sammlung, WLB Stuttgart

Göttle und Held holten den Gaildorfer Fabrikanten Gottlieb Rau nach Rottweil. Der rief am 24. September vor etwa 4000 Zuhörern in der Oberen Hauptstraße die Volkssouveränität aus, proklamierte die Republik und rief zum Zug nach Cannstatt auf. Auf dem dortigen Wasen sollte die Monarchie abgeschafft werden – Rau tourte regelrecht durchs Land, um dafür zu werben.

Am folgenden Tag zogen daraufhin, wie Winfried Hecht schreibt, Rottweiler Jugendliche hinter der roten Fahne der Republik, die Bürgerwehr und das berittene Militär, verstärkt durch Bauern aus Frittlingen und Zepfenhan über Schömberg in Richtung Balingen.

Doch bereits dort schreckten Raus Anhänger vor den Bajonetten des Königs zurück, der Zug brach zusammen. Möglicherweise weil viele Teilnehmer ihre Enttäuschung im Schnaps ertränkten oder auch weil zeitgleich die Zwetschgen reiften, erhielt die kurzlebige Freiheits-Unternehmung im Volksmund die Bezeichnung „Zwetschgenfeldzug“.

Viele Teilnehmer flohen, Gottlieb Rau wurde am 28. September verhaftet und zahlte einen hohen Preis für seinen Traum. Nach 28 Monaten Haft auf der Festung Hohenasperg wurde er 1851 zu 13 Jahren Zuchthaus verurteilt und zwei Jahre später in die USA abgeschoben. In New York eröffnete der ehemalige Glasfabrikant einen Gasthof, der zur Anlaufstelle für notleidende deutsche Emigranten wurde. Er starb bereits 1854.

Rau galt lange als wenig ernstzunehmender Utopist, ja als Spinner. Das änderte sich erst, als Historiker wie Paul Sauer oder Manfred Stingel vom Schwäbischen Albverein andere Seiten des Revolutionärs aufzeigten: Rau wird seither verstärkt als christlich motivierter Vorkämpfer für soziale Rechte wahrgenommen, als wagemutiger Unternehmer, der mit seinen Innovationen Wohlstand schaffen wollte – ein Visionär für den Aufstieg Württembergs von einem Hunger leidendem Agrarland zu einer wohlhabenden Industrieregion. Und als Demokrat, der seiner Zeit in vieler Hinsicht voraus war.

Rottweil hat er jedenfalls einen Platz in der Geschichte der Revolution von 1848/49 gesichert, die zwar scheiterte, aber doch einen wichtigen Aufbruch in Richtung Demokratie darstellte.

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