1564: Der Kapellenturm als Mittelpunkt einer Welt

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Häuser und Türme detailgenau, stolze Reiter, grasendes Vieh: Die Pürschgerichtskarte von David Rötlin aus dem Jahr 1564 zeigt Rottweil und die Region wie ein Wimmelbild. Derzeit ist das Prunkstück bei besonders gutem Licht in der Ausstellung zum 1250-Jahr-Jubiläum der Erstnennung Rottweils im Dominikanermuseum zu bestaunen. Lesen Sie hier Teil vier der NRWZ-Serie zur Ausstellung.

Der Anlass war eigentlich ein spröder: Für Verwaltungszwecke musste dokumentiert werden, auf welchen Bereich sich das Rottweiler „Pürschgericht“, eines der wichtigsten Hoheitsrechte der Reichsstadt erstreckte. Der Maler David Rötlin nutzte die Aufgabe jedoch in grandioser Weise: Einerseits dokumentierte er gewissenhaft und akribisch, wie sich ihm Rottweil damals darstellte.

Vom Kapellenturm aus, der das Zentrum der Karte bildet, hielt er das Straßennetz, bauliche Strukturen sowie die Festungsanlagen mit sicherer Hand fest. Und zwar so genau, dass seine Karte bis heute als Quelle herangezogen wird, wenn Daten zur Kernstadt aus dem 16. Jahrhundert gefragt sind. Auch zum umgebenden Gebiet von Villingen bis Oberndorf und vom Schwarzwald bis zur Schwäbischen Alb bietet sein Werk wertvolle Anhaltspunkte, wenn auch in kleinerem Maßstab als zu Rottweil und mit geringerer Genauigkeit.

David Rötlins Blick auf die Hauptkreuzung (Detail der Pürschgerichtskarte). Links kann man auf dem halb zu sehenden Marktbrunnen die Figur des Eidgenossen vermuten. Foto: al

Andererseits beließ es Rötlin nicht mit einer behördlichen Bestandsaufnahme von Dörfern, Wasserläufen, Burgen, Mühlen, Gotteshäusern und Besitzverhältnissen. Er belebte das gut zwei Meter messende Rundbild mit allerlei kleinen Genreszenen: ein aufgeputzter Reiter etwa, ein siech humpelndes Männlein beim Spital oder mit Säcken beladene Esel, die durch den Johannserort getrieben werden.

All das sollte man nicht wie eine fotografische Wiedergabe verstehen. Aber es sind wertvolle Hinweise auf die Menschen und ihr Leben in jener Zeit – festgehalten erkennbar mit Wärme und gelegentlich auch einem humorvollen Augenzwinkern.

Diese Mehrschichtigkeit macht die Pürschgerichtskarte von 1564 zu einer immer neu faszinierenden Quelle. Und jenseits der Details sollte man auch ihre Grundidee nicht übersehen: Sie zeigt Rottweil als Zentrum eines Bezugssystems, ja gewissermaßen als Mittelpunkt einer Welt – eine Sichtweise, Jahrhundertelang ihre Berechtigung hatte. Und manchem Rottweiler auch heute noch sympathisch sein dürfte.

Cornelia Votteler erläuterte die Pürschgerichtskarte bei einer Führung im November. Foto: al

Die „Freie Pürsch“ war übrigens ein weit über das Stadtgebiet hinausreichender Gerichts-, Geleit- und Jagdbezirk. Ähnliche Hoheitsgebiete hatten auch andere südwestdeutsche Städte, etwa Schwäbisch Gmünd, Ulm und Villingen. In der „Freien Pürsch“ beanspruchte Rottweil in etwa 50 Gemeinden seines Umlandes die Hochgerichtsbarkeit über Leben und Tod, das Recht auf freies Geleit und das Recht auf freie Jagd.

Der weitläufige Rechtsbezirk bot viel Konfliktstoff mit den Nachbarterritorien der Reichsstadt, vor allem an der Westgrenze zum Schwarzwald mit dem Herzogtum Württemberg und der Herrschaft Schramberg. Allerdings verlor das Pürschgericht bald nach der Erstellung von David Rötlins Karte an Bedeutung. Die letzte bekannte Sitzung ist aus dem Jahr 1619 überliefert.

Die Pürschgerichtskarte wurde bei der Mediatisierung der Reichsstadt im Jahr 1803 zunächst als Ofenschirm und Zielscheibe zweckentfremdet – heute wird sie weithin geschätzt und bewundert.

Ländliche Genreszene bei Schwenningen (links). Foto: al

Info: Das Dominikanermuseum ist aufgrund der Pandemiesituation aktuell nur Freitag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Am 31. Dezember sowie am 1. und 6. Januar ist es geschlossen. Infos zu Führungen sowie die aktuellen Corona-Vorgaben sind zu finden unter: dominikanermuseum.de.

Das interessiert diese Woche



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Häuser und Türme detailgenau, stolze Reiter, grasendes Vieh: Die Pürschgerichtskarte von David Rötlin aus dem Jahr 1564 zeigt Rottweil und die Region wie ein Wimmelbild. Derzeit ist das Prunkstück bei besonders gutem Licht in der Ausstellung zum 1250-Jahr-Jubiläum der Erstnennung Rottweils im Dominikanermuseum zu bestaunen. Lesen Sie hier Teil vier der NRWZ-Serie zur Ausstellung.

Der Anlass war eigentlich ein spröder: Für Verwaltungszwecke musste dokumentiert werden, auf welchen Bereich sich das Rottweiler „Pürschgericht“, eines der wichtigsten Hoheitsrechte der Reichsstadt erstreckte. Der Maler David Rötlin nutzte die Aufgabe jedoch in grandioser Weise: Einerseits dokumentierte er gewissenhaft und akribisch, wie sich ihm Rottweil damals darstellte.

Vom Kapellenturm aus, der das Zentrum der Karte bildet, hielt er das Straßennetz, bauliche Strukturen sowie die Festungsanlagen mit sicherer Hand fest. Und zwar so genau, dass seine Karte bis heute als Quelle herangezogen wird, wenn Daten zur Kernstadt aus dem 16. Jahrhundert gefragt sind. Auch zum umgebenden Gebiet von Villingen bis Oberndorf und vom Schwarzwald bis zur Schwäbischen Alb bietet sein Werk wertvolle Anhaltspunkte, wenn auch in kleinerem Maßstab als zu Rottweil und mit geringerer Genauigkeit.

David Rötlins Blick auf die Hauptkreuzung (Detail der Pürschgerichtskarte). Links kann man auf dem halb zu sehenden Marktbrunnen die Figur des Eidgenossen vermuten. Foto: al

Andererseits beließ es Rötlin nicht mit einer behördlichen Bestandsaufnahme von Dörfern, Wasserläufen, Burgen, Mühlen, Gotteshäusern und Besitzverhältnissen. Er belebte das gut zwei Meter messende Rundbild mit allerlei kleinen Genreszenen: ein aufgeputzter Reiter etwa, ein siech humpelndes Männlein beim Spital oder mit Säcken beladene Esel, die durch den Johannserort getrieben werden.

All das sollte man nicht wie eine fotografische Wiedergabe verstehen. Aber es sind wertvolle Hinweise auf die Menschen und ihr Leben in jener Zeit – festgehalten erkennbar mit Wärme und gelegentlich auch einem humorvollen Augenzwinkern.

Diese Mehrschichtigkeit macht die Pürschgerichtskarte von 1564 zu einer immer neu faszinierenden Quelle. Und jenseits der Details sollte man auch ihre Grundidee nicht übersehen: Sie zeigt Rottweil als Zentrum eines Bezugssystems, ja gewissermaßen als Mittelpunkt einer Welt – eine Sichtweise, Jahrhundertelang ihre Berechtigung hatte. Und manchem Rottweiler auch heute noch sympathisch sein dürfte.

Cornelia Votteler erläuterte die Pürschgerichtskarte bei einer Führung im November. Foto: al

Die „Freie Pürsch“ war übrigens ein weit über das Stadtgebiet hinausreichender Gerichts-, Geleit- und Jagdbezirk. Ähnliche Hoheitsgebiete hatten auch andere südwestdeutsche Städte, etwa Schwäbisch Gmünd, Ulm und Villingen. In der „Freien Pürsch“ beanspruchte Rottweil in etwa 50 Gemeinden seines Umlandes die Hochgerichtsbarkeit über Leben und Tod, das Recht auf freies Geleit und das Recht auf freie Jagd.

Der weitläufige Rechtsbezirk bot viel Konfliktstoff mit den Nachbarterritorien der Reichsstadt, vor allem an der Westgrenze zum Schwarzwald mit dem Herzogtum Württemberg und der Herrschaft Schramberg. Allerdings verlor das Pürschgericht bald nach der Erstellung von David Rötlins Karte an Bedeutung. Die letzte bekannte Sitzung ist aus dem Jahr 1619 überliefert.

Die Pürschgerichtskarte wurde bei der Mediatisierung der Reichsstadt im Jahr 1803 zunächst als Ofenschirm und Zielscheibe zweckentfremdet – heute wird sie weithin geschätzt und bewundert.

Ländliche Genreszene bei Schwenningen (links). Foto: al

Info: Das Dominikanermuseum ist aufgrund der Pandemiesituation aktuell nur Freitag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Am 31. Dezember sowie am 1. und 6. Januar ist es geschlossen. Infos zu Führungen sowie die aktuellen Corona-Vorgaben sind zu finden unter: dominikanermuseum.de.

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