Dienstag, 19. März 2024

Advent – die Ankunft … im Hier und Jetzt

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In der Familie Blau in Rottweil ist es offenbar Tradition, dass der Familienvater eine Weihnachtsgeschichte verfasst. Dieses Jahr erschien sie der Familie so gelungen, dass sie sie an die NRWZ-Redaktion weiter geleitet hat. Zur Veröffentlichung. Machen wir gerne.

Ein Gastbeitrag von Wolfgang Blau

Bahnhof Rottweil Punkt 08:15 Uhr, wir schreiben den 24.12.2020. Ein Pfarrer steht in der klirrenden Kälte am Bahnsteig 4 und wartet auf die Einfahrt des Regio-Expresses aus Richtung Stuttgart. Ehrengäste wurden angekündigt und die Diözese hatte den Pfarrer beauftragt, diese in Empfang zu nehmen. 

Da der Zug wie erwartet wieder mal Verspätung hat, eilt der indische Seelsorger schnell davon, da er heute, wie immer, mangels Personals vier Gemeinden gleichzeitig versorgen muss. 35 Minuten später fährt der Zug in Rottweil ein. Etwas befremdlich und in traditionelle Gewänder gehüllt steigen drei Gestalten und ein Esel aus.

Durch einen Zeitsprung sind hier in Rottweil im 21. Jahrhundert Josef und Maria mit ihrem erwachsenen Sohn Jesus gelandet. Diese Vorstellung lassen wir nun einfach mal zu. Die heilige Familie ist uns seit 2000 Jahren gegenwärtig und da wäre es doch ganz interessant, wenn wir sie durch unser heutiges Rottweil begleiten dürften.

Auf jeden Fall suchen die drei den Weg aus dem Bahnhof nun selbst, da das indische Empfangskomitee bereits wieder in Göllsdorf ist und das Krippenspiel vorbereitet. Eines von vier. Außerdem hat die syrische Pfarrhaushälterin heute ihren Integrationskurs. Neugierig beobachtet die Familie aus dem gelobten Land Menschen, die in einen Glaskäfig gehen und nach oben entschwinden. Als ihre Glaskabine schon den halben Weg zurückgelegt hat, macht es einen Ruck und nichts geht mehr. Der geneigte Reisende ist das ja gewohnt, dass einmal in der Woche der Aufzug im Rottweiler Bahnhof hängen bleibt.

Nach schier endlosem Warten geht nach einem weiteren Ruck die Tür auf und ein sichtlich genervter Monteuer befördert die Familie in die Bahnhofshalle und verteilt mit strengem Blick 3 Mund-Nasen-Masken mit dem Logo vom Rolladen- Günthner. Mit einer richtungsweisenden Handbewegung zur Innenstadt enteilt der Techniker hinaus in die winterliche Kälte. Der kommt bald wieder.

Also begeben sich die Gäste nun immer bergan und in Ermangelung eines Shuttles oder einer Seilbahn, mühselig zu Fuß in Richtung Hochbrücke. Dort angekommen, wunderten sie sich nicht schlecht. Was sie dort sehen erinnert sie an eine geschlossene Prozession, hier jedoch in Form bunter Blechkisten. Ein lärmendes und übel riechendes Vehikel nach dem anderen schleicht über die Hochbrücke und alle scheinen das gleiche Ziel zu haben. Ist am Ende der Prozession etwa eine Verkündigung oder eine Predigt zu erwarten?

Die drei beschleunigen ihre Schritte, um dieses Ereignis nicht zu verpassen, treffen aber nicht auf die zu erwartete Bergpredigt, jedoch erfreut auf eine Synagoge, ein Stück Heimat. Das Betreten verhindert jedoch zunächst ein dort positioniertes Polizeiauto mitsamt zwei schwer bewaffneten Beamten. Der Versuch sich zu erklären, scheitert vordergründig an der Sprache, unterschwellig jedoch auch an der nach heutigem Verständnis islamistisch geprägten Bekleidung. Als dann klar wird, dass die aus der Synagoge heraus eilenden Gemeindemitgliedern weder jiddisch noch aramäisch, sondern ganz profan nur Russisch sprechen, ist die Verwirrung und die Enttäuschung perfekt. 

Wer soll sich hier noch auskennen. Jesus Blick gen Himmel lässt ihn zudem erschaudern, da er nicht wie gehofft seinen himmlischen Vater, sondern eine Replik des Turmbaus zu Babel erblickt. Er schaut rasch auf sein Zugticket und stellt doch erleichtert fest, dass darauf Rottweil und nicht Sodom zu lesen ist. Verzweifelt wollen sie den Weg in Richtung Hegneberg einschlagen. Doch die Polizisten, die in Deeskalation geschult wurden, meinten, dann könnten sie gleich nach Golgatha wandern, und schicken die drei Entmutigten nun sinnigerweise in die Spittelmühle, dort fallen sie nicht so auf, so der Gedanke. 

Auf dem Weg dorthin plagt die 3 Pilger so langsam der Hunger und halten Ausschau nach einer netten kleinen Garküche. Doch es ist Heiligabend und zudem nach 18 Uhr. Das wäre auch an einem normalen Tag ein nicht lösbares Problem in Rottweil. Und so kommen Sie nur an ein paar wegen Corona bedingter Ãœberfüllung nicht zugänglicher Schänken, einem hochpreisigen Gourmetpalast, der für zwei Schenkel nichts auf der Karte hat, oder eben geschlossene Lokalitäten vorbei, bei denen nicht mal der Wirt besoffen vor der Türe sitzt. 

Ein freundlicher Bürger meint noch, sie sollen doch raus zur Villa gehen, dort hat der Bürgermeister versprochen, ein Restaurant für jeden Geldbeutel zu präsentieren. Doch wir wissen das besser. Nachdem sie frustriert festgestellt haben, dass im Römerbad kein Wasser ist, kommen sie hungrig an der Spittelmühle an und werden eher skeptisch empfangen. Denn ihnen eilt bereits das Gerücht voraus, dass der Messias in Rottweil sei und der kann ja Wunder bewirken.

Das aber wäre für die Bewohner der Spittelmühle nicht so gut, da ein Geheilter ja wiederum Erklärungsbedarf beim Sozialamt hätte, was finanzielle Einbußen bedeuten könnte. Also, heilige Familie, Ãœbernachten ja. Aber Füße und Hände still halten. Und der Esel bleibt draußen. 

So sitzen unsere Freunde aus Betlehem still und interessiert zuhörend an gedecktem Tisch und staunen nicht schlecht über Themen wie Hängebrücke, die noch nicht hängt, Gefängnis, das noch nicht weiß wo es genau stehen darf, Stadtplaner, die keinen Plan haben, Sitzmöbel, die schon unbezahlbar sind wenn man sie noch gar nicht hat, Parkhäuser, die dann leer stehen werden (Jesus meint, die Vehikel machen eh lieber eine Prozession) Kreuzwege, die meistens geschlossen sind, eine Gartenschau, die mangels Schienen ohne Besucher auskommen muss. 

Als sie dann endlich selig schlafen, träumen sie von ihrer guten alten Zeit, von der römischen Besatzung, die im Vergleich zu den Problemen von heute ein eher geringeres war. OK.

Kommen wir wieder zurück in die Wirklichkeit. Und stellen uns die Frage, die diese Geschichte uns förmlich aufdrängt. Hätte Jesus in unserer Stadt in unserer heutigen Welt einen Platz? Würde sich Jesus und seine Familie hier zurechtfinden? Würden wir Jesus überhaupt erkennen? Und wenn, was würden wir mit Ihm machen?

Wenn wir ehrlich sind, hätte Jesus heute keine Chance in unserer Welt. Schon zu Lebzeiten Jesu war es für ihn nicht einfach aus der Flut von Wanderpredigern auszuscheren und seine Lehren als die einzig wahren zu verbreiten. Heute in Zeiten von social Media, Fakenews würden Menschen wie Trump, Putin oder Orban dafür sorgen, dass er nicht mal eine Randnotiz wert wäre. Jesus wäre für die heutigen Machthaber gefährlich. 

Doch darum geht es nicht. Wir brauchen keinen neuen Messias, denn dieser Job ist seit 2000 Jahren vergeben. Wir können nur die Worte und die Gedanken von Jesus, seine Lehren und seine Art auf die Menschen zuzugehen versuchen weiterzuleben und geben. Wir haben die Verantwortung, Jesus zu helfen, dass er nicht vergessen wird. Und wir helfen ihm damit, dass wir in diesen Tagen zusammen Weihnachten feiern. 

Frohe Weihnachten 

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