Das Glück liegt in den Menschen

Für NRWZ.de+ Abonnenten: 

Vor 28 Jahren übernahm Dietmar Greuter die Leitung der Spittelmühle im Neckartal mit ihren zwei Werkstätten. Vor zwei Jahren übergab er Alexander Schiem die Führung, trat einen Schritt zurück. Im November nun ging der 65-Jährige in den Ruhestand – ohne viel Aufsehen.

Die Leitung der Spittelmühle hat er abgegeben, doch der Wärmestube bleibt Dietmar Greuter auch im Ruhestand treu. Foto: Elke Reichenbach

Die Haare sind ein wenig weißer geworden, die Lachfältchen um die Augen ein wenig tiefer in den vielen Jahren seines Wirkens in Rottweil. Doch Dietmar Greuters Ausstrahlung kann das Alter nichts anhaben. Unaufgeregt, ausgeglichen und vor allem fröhlich sitzt der groß gewachsene Mann in der Wärmestube an einem der runden Tische und zählt handgestrickte Sockenpaare, die dort zum Verkauf angeboten werden. Wenn er es auch inzwischen genießt, morgens länger zu schlafen und dann zu entscheiden, was er tun will, so lässt ihn die Arbeit für und mit den Menschen nicht los.

Faszination Mensch

Menschen mit ihren vielfältigen Lebensläufen, Persönlichkeiten und Brüchen haben ihn bereits in jungen Jahren fasziniert, den Anstoß gegeben zur Berufswahl des Jugend- und Heimerziehers und zum anschließenden Studium der sozialen Arbeit in Esslingen. Nach ein paar Jahren in diversen Bereichen kam er nach Rottweil, bewarb sich auf die Leitungsstelle der damals noch jungen Spittelmühle. Erfahrung aus einer Obdachlosensiedlung in Stuttgart und eine große Portion Einfühlungsvermögen für Menschen, die ohne Obdach leben wollen oder müssen, brachte der 37-Jährige mit. „Ich fand das damals passend für mich“, sagt Greuter rückblickend. „In der Arbeit mit Wohnsitzlosen bin ich sehr nah am Menschen, baue eine sehr persönliche Beziehung auf gleicher emotionaler Ebene auf. Das empfinde ich als Glück.“

Zahlreiche Veränderungen angeschoben

Das tiefwurzelnde Interesse am Mitmenschen hat Greuter in den 27 Jahren in der Spittelmühle stets begleitet und motiviert: Er könne sich an keinen Tag erinnern, an dem er keine Lust hatte, zur Arbeit zu gehen. „Nie hatte ich das Gefühl, die Zeit geht nicht rum“, sagt er. „Ich hatte riesiges Glück, den Beruf zu haben, der genau meins war.“ Für Abwechslung im Arbeitsalltag sorgten nicht nur stets wechselnde Bewohner.

Greuter schob in den knapp drei Jahrzehnten seines Wirkens im Neckartal selbst zahlreiche Veränderungen an und entwickelte aus der Unterkunft für Wohnsitzlose mit der dazugehörigen Schreinerei und Weberei ein soziales Zentrum, zu dem die Suppenstube in der Innenstadt, die Fachberatungsstelle und betreute Wohnmöglichkeiten in der Stadt gehören. Dazu kam die Entwicklung der sozialen Zentren in Schwenningen und Tuttlingen. Anregungen erhielt der agile Mann auch durch diverse Ämter auf Landesebene, etwa in der Liga der freien Wohlfahrtspflege.

Anfangs klassische Berber als Kunden

Den strukturellen Veränderungen der Hilfe suchenden Menschen, die in der Spittelmühle an die Türe klopften, trug zudem der Umbau der Mehrbett- in Einzelzimmer Rechnung. Anfangs, blickt Greuter zurück, seien viele „klassische Berber“ in die Spittelmühle gekommen, „Menschen, die bewusst auf der Straße lebten und sich bei uns für drei Tage mit Essen, Bett, Kleidern und ärztlicher Versorgung verwöhnen ließen und dann weiterzogen. Dreiviertel unserer Kunden sprachen damals sächsisch. Offenbar sind viele Menschen in einer Art Goldgräberstimmung nach dem Mauerfall in die alten Bundesländer gezogen und dann mit dem Leistungsdruck nicht zurechtgekommen. Die wurden dann Kunden bei uns.“

Inzwischen habe sich der Personenkreis sehr gewandelt. Die meisten Obdachlosen hätten schwerwiegende psychische und soziale Probleme, immer mehr Frauen seien in den vergangenen vierzig Jahren dazu gekommen. Heute lebten in der Spittelmühle zur Hälfte Langzeitbewohner. „Das wollten wir eigentlich nie“, sagt Greuter. „Das hat sich so ergeben und wir haben reagiert.“

Immer die Angel im Gepäck

Greuter ist zufrieden mit dem, was er in der Spittelmühle umsetzen konnte. Nur eines hätte er gerne noch gesehen: Dass die Arbeiterwohlfahrt (AWO) das Gebäude kauft und kernsaniert. Das sei längst überfällig. Seinem Nachfolger gehen zumindest nicht die Aufgaben aus, da ist er sicher. Greuter selber genießt derweilen den Ruhestand mit Frau, Töchtern und Enkeln und macht Pläne für zahlreiche Reisen – natürlich immer mit der Angel im Gepäck.

Den Vorsitz im Sportangelverein Rottweil, den nämlich legt er so schnell nicht nieder, genauso wenig wie das Amt des zweiten Vorsitzenden der Wärmestube. Der Kontakt zu seinen Mitmenschen, der lässt Greuter eben nicht los.

Das interessiert diese Woche



Für NRWZ.de+ Abonnenten: 

Vor 28 Jahren übernahm Dietmar Greuter die Leitung der Spittelmühle im Neckartal mit ihren zwei Werkstätten. Vor zwei Jahren übergab er Alexander Schiem die Führung, trat einen Schritt zurück. Im November nun ging der 65-Jährige in den Ruhestand – ohne viel Aufsehen.

Die Leitung der Spittelmühle hat er abgegeben, doch der Wärmestube bleibt Dietmar Greuter auch im Ruhestand treu. Foto: Elke Reichenbach

Die Haare sind ein wenig weißer geworden, die Lachfältchen um die Augen ein wenig tiefer in den vielen Jahren seines Wirkens in Rottweil. Doch Dietmar Greuters Ausstrahlung kann das Alter nichts anhaben. Unaufgeregt, ausgeglichen und vor allem fröhlich sitzt der groß gewachsene Mann in der Wärmestube an einem der runden Tische und zählt handgestrickte Sockenpaare, die dort zum Verkauf angeboten werden. Wenn er es auch inzwischen genießt, morgens länger zu schlafen und dann zu entscheiden, was er tun will, so lässt ihn die Arbeit für und mit den Menschen nicht los.

Faszination Mensch

Menschen mit ihren vielfältigen Lebensläufen, Persönlichkeiten und Brüchen haben ihn bereits in jungen Jahren fasziniert, den Anstoß gegeben zur Berufswahl des Jugend- und Heimerziehers und zum anschließenden Studium der sozialen Arbeit in Esslingen. Nach ein paar Jahren in diversen Bereichen kam er nach Rottweil, bewarb sich auf die Leitungsstelle der damals noch jungen Spittelmühle. Erfahrung aus einer Obdachlosensiedlung in Stuttgart und eine große Portion Einfühlungsvermögen für Menschen, die ohne Obdach leben wollen oder müssen, brachte der 37-Jährige mit. „Ich fand das damals passend für mich“, sagt Greuter rückblickend. „In der Arbeit mit Wohnsitzlosen bin ich sehr nah am Menschen, baue eine sehr persönliche Beziehung auf gleicher emotionaler Ebene auf. Das empfinde ich als Glück.“

Zahlreiche Veränderungen angeschoben

Das tiefwurzelnde Interesse am Mitmenschen hat Greuter in den 27 Jahren in der Spittelmühle stets begleitet und motiviert: Er könne sich an keinen Tag erinnern, an dem er keine Lust hatte, zur Arbeit zu gehen. „Nie hatte ich das Gefühl, die Zeit geht nicht rum“, sagt er. „Ich hatte riesiges Glück, den Beruf zu haben, der genau meins war.“ Für Abwechslung im Arbeitsalltag sorgten nicht nur stets wechselnde Bewohner.

Greuter schob in den knapp drei Jahrzehnten seines Wirkens im Neckartal selbst zahlreiche Veränderungen an und entwickelte aus der Unterkunft für Wohnsitzlose mit der dazugehörigen Schreinerei und Weberei ein soziales Zentrum, zu dem die Suppenstube in der Innenstadt, die Fachberatungsstelle und betreute Wohnmöglichkeiten in der Stadt gehören. Dazu kam die Entwicklung der sozialen Zentren in Schwenningen und Tuttlingen. Anregungen erhielt der agile Mann auch durch diverse Ämter auf Landesebene, etwa in der Liga der freien Wohlfahrtspflege.

Anfangs klassische Berber als Kunden

Den strukturellen Veränderungen der Hilfe suchenden Menschen, die in der Spittelmühle an die Türe klopften, trug zudem der Umbau der Mehrbett- in Einzelzimmer Rechnung. Anfangs, blickt Greuter zurück, seien viele „klassische Berber“ in die Spittelmühle gekommen, „Menschen, die bewusst auf der Straße lebten und sich bei uns für drei Tage mit Essen, Bett, Kleidern und ärztlicher Versorgung verwöhnen ließen und dann weiterzogen. Dreiviertel unserer Kunden sprachen damals sächsisch. Offenbar sind viele Menschen in einer Art Goldgräberstimmung nach dem Mauerfall in die alten Bundesländer gezogen und dann mit dem Leistungsdruck nicht zurechtgekommen. Die wurden dann Kunden bei uns.“

Inzwischen habe sich der Personenkreis sehr gewandelt. Die meisten Obdachlosen hätten schwerwiegende psychische und soziale Probleme, immer mehr Frauen seien in den vergangenen vierzig Jahren dazu gekommen. Heute lebten in der Spittelmühle zur Hälfte Langzeitbewohner. „Das wollten wir eigentlich nie“, sagt Greuter. „Das hat sich so ergeben und wir haben reagiert.“

Immer die Angel im Gepäck

Greuter ist zufrieden mit dem, was er in der Spittelmühle umsetzen konnte. Nur eines hätte er gerne noch gesehen: Dass die Arbeiterwohlfahrt (AWO) das Gebäude kauft und kernsaniert. Das sei längst überfällig. Seinem Nachfolger gehen zumindest nicht die Aufgaben aus, da ist er sicher. Greuter selber genießt derweilen den Ruhestand mit Frau, Töchtern und Enkeln und macht Pläne für zahlreiche Reisen – natürlich immer mit der Angel im Gepäck.

Den Vorsitz im Sportangelverein Rottweil, den nämlich legt er so schnell nicht nieder, genauso wenig wie das Amt des zweiten Vorsitzenden der Wärmestube. Der Kontakt zu seinen Mitmenschen, der lässt Greuter eben nicht los.

Das interessiert diese Woche