Rottweiler Fasnet sticht Karneval von Rio

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Mit großem Aufwand wurde 1937 am Städtischen Opernhaus Hannover die vom Star-Pianisten Wilhelm Kempff komponierte Oper „Die Fasnacht von Rottweil“ (op. 41) uraufgeführt. Zum 1250. Jubiläum der Erstnennung Rottweils sind jüngst bisher nicht beachtete Quellen aus Hannover und Berlin sowie das Notenmaterial ausgewertet worden – hier zur Fasnet einige Einblicke.

Wilhelm Friedrich Walter Kempff gilt als einer der herausragenden Klaviervirtuosen des 20. Jahrhunderts und war 1937 bereits eine Berühmtheit. Nach einer steilen internationalen Pianisten-Karriere war er 1924 Direktor der Württembergischen Hochschule für Musik in Stuttgart geworden, 1932 wurde er gar in die Preußische Akademie der Künste berufen.

Während andere Künstler nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 ins Exil gingen, arrangierte sich Kempff mit dem „Dritten Reich“. Obwohl nie Mitglied der NSDAP, konnte er seine glänzende Karriere fortsetzen. Befreundet mit Arno Breker und Albert Speer, der zu einem Förderer Kempffs wurde, sowie unterstützt sogar von Herman Göring, ließ sich Kempff vielfach für die NS-Kulturpropaganda einspannen.

Neben seiner Tätigkeit als Interpret und Pädagoge geriet Kempffs kompositorisches Wirken in den Hintergrund. Dabei hat zeitlebens Werke im spätromantischen Duktus geschaffen. Davon zeugen unter anderem vier Opern – darunter als letzte „Die Fasnacht von Rottweil“ (op. 41).

Mit dem Thema in Berührung gekommen war Kempff 1927. Hans von Besele, Sohn des Komponisten des Rottweiler Narrenmarsches und ein Kollege Kempffs an der Stuttgarter Musikhochschule, hatte ihn über die tollen Tage in seine Heimatstadt eingeladen. Der Starpianist sah sich „mit dem Schlag der Zauberrute berührt“ und wurde nach einem weinseligen Abend im „Paradies“ gar ehrenhalber in die Narrenzunft aufgenommen.

Wilhelm Kempff (rechts) mit den Hauptdarstellern der Oper, Reiner Minten (Rainer Lochner) und Maria Engel (Marianne), vor dem Rottweil-Bühnenbild. Foto: Theatermuseum Hannover

Seine Eindrücke verarbeitete Kempff zunächst in einem Klavierzyklus, der 1929 erstmals im Sonnensaal erklang, sowie ab 1934 dann als Oper. Die Entstehung unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Diktatur wirft dabei zwangsläufig die Frage auf, wie sich das Werk zur NS-Kulturauffassung und zur NS-Ideologie verhielt. Hierzu sollen hier einige Anhaltspunkte gegeben werden.

Doch zunächst zum Inhalt: Den ersten und dritten Akt verortet Kempff in Rottweil, im mittleren Akt führt er einen weiteren Schauplatz ein: den Karneval in Rio de Janeiro. Dieser wird zu einem Gegenbild zur Rottweiler Fasnacht, in der Kempff „urälteste, auf vorchristliche Zeiten zurückreichende“ und damit im Sinne der NS-Ideologie gleichsam unverfälschte, völkisch reine Bräuche bewahrt sah.

Die Geschichte beginnt am Fasnachtsmorgen 1923. „Im alten Kantorhaus zu Rottweil“, wie es im Textbuch heißt, arbeitet der Kantorensohn und Bildhauer Rainer Lochner an einer Büste der germanischen Göttin Hertha. Sein Vater, schon auf dem Weg zum Gottesdienst, „der die Fasnacht einleitet“, bezichtigt ihn daraufhin des Aberglaubens. Als jedoch aus der Ferne die erste „Fasnachtsmusik“ ertönt, versöhnen sich die beiden.

Der Vater stimmt an der Hausorgel die angesichts „der Not des Jahres 1923“ komponierte Weise „Heil dir, mein Vaterland“ an und gemeinsam mit Marianne, Rainers Braut, erbaut man sich am tröstenden „neuen Lied“. Nun tritt Matthias, Rainers Freund, hinzu, schon als Federahannes verkleidet. Er warnt Rainer vor Matz: Der neide ihm Braut und Kunst. Doch Rainer geht darüber hinweg und gemeinsam schließt man sich, den „fröhlichen Narrenkriegsruf Huhuhu!“ auf den Lippen, wie es heißt, dem „Narrenzug“ an. Beim „Narrengericht“ auf dem Marktplatz provoziert Matz Rainer, der sich auf die Umstehenden stürzt und seinen Freund Matthias ersticht, im Glauben, es sei der böse Matz.

Der zweite Akt spielt neun Jahre später in Rio de Janeiro, wohin Rainer floh, „wiederum zur Karnevalszeit“. Hier hat Rainer mittlerweile seinen Lebenstraum verwirklicht und ist als Bildhauer berühmt geworden. Die schöne Tänzerin Juana liegt ihm im Wortsinn zu Füßen. Doch Rainer ist nicht glücklich. Rio wird von Wilhelm Kempff zwar lasziv-verlockend, aber letztlich doch als Kontrastfolie zum ehrwürdigen „Vaterland“ dargestellt: Oberflächlichen Gelüsten verfallen und vom „Gott Mammon“ beherrscht, was an damals allfällige antisemitische Muster denken lässt.

Dekandentes Gegenbild zur Rottweiler Heimat: Der zweite Akt spielt in Rio de Janeiro. Foto: Theatermuseum Hannover

Doch für den gepeinigten Rainer naht Erlösung: Er träumt von der Fasnacht in Rottweil. Das „Lied vom verlorenen Vaterland“ lässt ihn vor Sehnsucht erbeben und überstürzt nach Rottweil aufbrechen. Sein Bekenntnis dabei spricht für sich: „Wie stark ist mir der Heimat Rufen. Es hämmert laut wie Stahl und Eisen: Kehr heim und sei’s zum Tod! Zum Vaterland, zum Heimatland, kehr heim!“, lässt Kempff Rainer voller Pathos deklamieren.

Sein Vater sitzt an der Orgel der Kapellenkirche, als Rainer ihm im dritten Akt, welcher auf 1933 datiert ist, in die Arme sinkt. Alles fügt sich wundersam: Rainers totgeglaubter Freund lebt noch und seine Braut Marianne hat treu auf Rainer gewartet.

Das Erntefest, das gerade vor den Toren der Stadt gefeiert wird und bei dem „junge Bäuerinnen und Mädchen“ Rainers Hertha-Büste, an der er im ersten Akt gearbeitet hatte, „fröhlich umtanzen“, wird zum großen Finale. Man feiert, wie Kempff erklärt, das „Wunder der Rückkehr“, die „Versöhnung zwischen Stadt und Land“ und zugleich im Schluss-Hymnus „des Vaterlandes Befreiung“ – die Kempff ausgerechnet 1933 gegeben sieht.

Die schwülstigen, verzopften Dialoge und das viele „Heidi, heidiralala“ der Oper könnte man noch als Bemühen um einen volkstümlichen Ton gelten lassen. Auch der allfällige, Kitsch, bei dem die Rottweiler Dächer „windschief“ und die Charaktere drall und kernig sein müssen, ginge zur Not noch als Tribut an das Unterhaltungsgenre durch. Doch Details wie auch die Gesamtschau zeigen: Kempffs Oper „Die Fasnacht von Rottweil“ ist nicht irgendwie volkstümlich. Sie ist in vieler Hinsicht schlicht „völkisch“ und in deutlichem Gleichklang mit der NS-Ideologie angelegt. Die Indizien hierfür sind erdrückend. Nicht von ungefähr hat der Rezensent des „Hannoverschen Anzeigers“ dem Komponisten unzweifelhafte „Gesinnungstreue“ bescheinigt.

Erfolg verbürgte dies freilich nicht. Obwohl für die Uraufführung ein immenser Aufwand betrieben wurde und die gleichgeschaltete Presse das unter „außergewöhnlicher Anteilnahme der hiesigen Opernfreunde, der Fachleute, Dirigenten und der Presse von mehreren norddeutschen Städten“ präsentierte Werk anpries, fiel Kempffs Oper beim Publikum durch. Neben der Premiere in Hannover, an der übrigens auch eine Abordnung der Rottweiler Narrenzunft teilnahm, ist nur noch eine weitere Aufführung nachweisbar.

Wilhelm Kempffs „Die Fasnacht von Rottweil“ versank letztlich binnen kurzer Zeit in Vergessenheit. In seinen autobiografischen Schriften erwähnt Kempff, der seine Karriere ab 1947 fortsetzen konnte und 1991 hoch geehrt starb, seine vierte Oper mit keinem Wort.

Info: Der Beitrag, dem diese Ausführungen entnommen sind, findet sich in der Festschrift zum 1250-Jahr-Jubiläum unter: Linsenmann, Andreas: 1937: Die Uraufführung der Oper „Die Fasnacht von Rottweil“, in: Schlaglichter der Rottweiler Geschichte, hrsg. v.d. Stadt Rottweil, Ubstadt-Weiher u.a. 2021, S. 302-308.

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Mit großem Aufwand wurde 1937 am Städtischen Opernhaus Hannover die vom Star-Pianisten Wilhelm Kempff komponierte Oper „Die Fasnacht von Rottweil“ (op. 41) uraufgeführt. Zum 1250. Jubiläum der Erstnennung Rottweils sind jüngst bisher nicht beachtete Quellen aus Hannover und Berlin sowie das Notenmaterial ausgewertet worden – hier zur Fasnet einige Einblicke.

Wilhelm Friedrich Walter Kempff gilt als einer der herausragenden Klaviervirtuosen des 20. Jahrhunderts und war 1937 bereits eine Berühmtheit. Nach einer steilen internationalen Pianisten-Karriere war er 1924 Direktor der Württembergischen Hochschule für Musik in Stuttgart geworden, 1932 wurde er gar in die Preußische Akademie der Künste berufen.

Während andere Künstler nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 ins Exil gingen, arrangierte sich Kempff mit dem „Dritten Reich“. Obwohl nie Mitglied der NSDAP, konnte er seine glänzende Karriere fortsetzen. Befreundet mit Arno Breker und Albert Speer, der zu einem Förderer Kempffs wurde, sowie unterstützt sogar von Herman Göring, ließ sich Kempff vielfach für die NS-Kulturpropaganda einspannen.

Neben seiner Tätigkeit als Interpret und Pädagoge geriet Kempffs kompositorisches Wirken in den Hintergrund. Dabei hat zeitlebens Werke im spätromantischen Duktus geschaffen. Davon zeugen unter anderem vier Opern – darunter als letzte „Die Fasnacht von Rottweil“ (op. 41).

Mit dem Thema in Berührung gekommen war Kempff 1927. Hans von Besele, Sohn des Komponisten des Rottweiler Narrenmarsches und ein Kollege Kempffs an der Stuttgarter Musikhochschule, hatte ihn über die tollen Tage in seine Heimatstadt eingeladen. Der Starpianist sah sich „mit dem Schlag der Zauberrute berührt“ und wurde nach einem weinseligen Abend im „Paradies“ gar ehrenhalber in die Narrenzunft aufgenommen.

Wilhelm Kempff (rechts) mit den Hauptdarstellern der Oper, Reiner Minten (Rainer Lochner) und Maria Engel (Marianne), vor dem Rottweil-Bühnenbild. Foto: Theatermuseum Hannover

Seine Eindrücke verarbeitete Kempff zunächst in einem Klavierzyklus, der 1929 erstmals im Sonnensaal erklang, sowie ab 1934 dann als Oper. Die Entstehung unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Diktatur wirft dabei zwangsläufig die Frage auf, wie sich das Werk zur NS-Kulturauffassung und zur NS-Ideologie verhielt. Hierzu sollen hier einige Anhaltspunkte gegeben werden.

Doch zunächst zum Inhalt: Den ersten und dritten Akt verortet Kempff in Rottweil, im mittleren Akt führt er einen weiteren Schauplatz ein: den Karneval in Rio de Janeiro. Dieser wird zu einem Gegenbild zur Rottweiler Fasnacht, in der Kempff „urälteste, auf vorchristliche Zeiten zurückreichende“ und damit im Sinne der NS-Ideologie gleichsam unverfälschte, völkisch reine Bräuche bewahrt sah.

Die Geschichte beginnt am Fasnachtsmorgen 1923. „Im alten Kantorhaus zu Rottweil“, wie es im Textbuch heißt, arbeitet der Kantorensohn und Bildhauer Rainer Lochner an einer Büste der germanischen Göttin Hertha. Sein Vater, schon auf dem Weg zum Gottesdienst, „der die Fasnacht einleitet“, bezichtigt ihn daraufhin des Aberglaubens. Als jedoch aus der Ferne die erste „Fasnachtsmusik“ ertönt, versöhnen sich die beiden.

Der Vater stimmt an der Hausorgel die angesichts „der Not des Jahres 1923“ komponierte Weise „Heil dir, mein Vaterland“ an und gemeinsam mit Marianne, Rainers Braut, erbaut man sich am tröstenden „neuen Lied“. Nun tritt Matthias, Rainers Freund, hinzu, schon als Federahannes verkleidet. Er warnt Rainer vor Matz: Der neide ihm Braut und Kunst. Doch Rainer geht darüber hinweg und gemeinsam schließt man sich, den „fröhlichen Narrenkriegsruf Huhuhu!“ auf den Lippen, wie es heißt, dem „Narrenzug“ an. Beim „Narrengericht“ auf dem Marktplatz provoziert Matz Rainer, der sich auf die Umstehenden stürzt und seinen Freund Matthias ersticht, im Glauben, es sei der böse Matz.

Der zweite Akt spielt neun Jahre später in Rio de Janeiro, wohin Rainer floh, „wiederum zur Karnevalszeit“. Hier hat Rainer mittlerweile seinen Lebenstraum verwirklicht und ist als Bildhauer berühmt geworden. Die schöne Tänzerin Juana liegt ihm im Wortsinn zu Füßen. Doch Rainer ist nicht glücklich. Rio wird von Wilhelm Kempff zwar lasziv-verlockend, aber letztlich doch als Kontrastfolie zum ehrwürdigen „Vaterland“ dargestellt: Oberflächlichen Gelüsten verfallen und vom „Gott Mammon“ beherrscht, was an damals allfällige antisemitische Muster denken lässt.

Dekandentes Gegenbild zur Rottweiler Heimat: Der zweite Akt spielt in Rio de Janeiro. Foto: Theatermuseum Hannover

Doch für den gepeinigten Rainer naht Erlösung: Er träumt von der Fasnacht in Rottweil. Das „Lied vom verlorenen Vaterland“ lässt ihn vor Sehnsucht erbeben und überstürzt nach Rottweil aufbrechen. Sein Bekenntnis dabei spricht für sich: „Wie stark ist mir der Heimat Rufen. Es hämmert laut wie Stahl und Eisen: Kehr heim und sei’s zum Tod! Zum Vaterland, zum Heimatland, kehr heim!“, lässt Kempff Rainer voller Pathos deklamieren.

Sein Vater sitzt an der Orgel der Kapellenkirche, als Rainer ihm im dritten Akt, welcher auf 1933 datiert ist, in die Arme sinkt. Alles fügt sich wundersam: Rainers totgeglaubter Freund lebt noch und seine Braut Marianne hat treu auf Rainer gewartet.

Das Erntefest, das gerade vor den Toren der Stadt gefeiert wird und bei dem „junge Bäuerinnen und Mädchen“ Rainers Hertha-Büste, an der er im ersten Akt gearbeitet hatte, „fröhlich umtanzen“, wird zum großen Finale. Man feiert, wie Kempff erklärt, das „Wunder der Rückkehr“, die „Versöhnung zwischen Stadt und Land“ und zugleich im Schluss-Hymnus „des Vaterlandes Befreiung“ – die Kempff ausgerechnet 1933 gegeben sieht.

Die schwülstigen, verzopften Dialoge und das viele „Heidi, heidiralala“ der Oper könnte man noch als Bemühen um einen volkstümlichen Ton gelten lassen. Auch der allfällige, Kitsch, bei dem die Rottweiler Dächer „windschief“ und die Charaktere drall und kernig sein müssen, ginge zur Not noch als Tribut an das Unterhaltungsgenre durch. Doch Details wie auch die Gesamtschau zeigen: Kempffs Oper „Die Fasnacht von Rottweil“ ist nicht irgendwie volkstümlich. Sie ist in vieler Hinsicht schlicht „völkisch“ und in deutlichem Gleichklang mit der NS-Ideologie angelegt. Die Indizien hierfür sind erdrückend. Nicht von ungefähr hat der Rezensent des „Hannoverschen Anzeigers“ dem Komponisten unzweifelhafte „Gesinnungstreue“ bescheinigt.

Erfolg verbürgte dies freilich nicht. Obwohl für die Uraufführung ein immenser Aufwand betrieben wurde und die gleichgeschaltete Presse das unter „außergewöhnlicher Anteilnahme der hiesigen Opernfreunde, der Fachleute, Dirigenten und der Presse von mehreren norddeutschen Städten“ präsentierte Werk anpries, fiel Kempffs Oper beim Publikum durch. Neben der Premiere in Hannover, an der übrigens auch eine Abordnung der Rottweiler Narrenzunft teilnahm, ist nur noch eine weitere Aufführung nachweisbar.

Wilhelm Kempffs „Die Fasnacht von Rottweil“ versank letztlich binnen kurzer Zeit in Vergessenheit. In seinen autobiografischen Schriften erwähnt Kempff, der seine Karriere ab 1947 fortsetzen konnte und 1991 hoch geehrt starb, seine vierte Oper mit keinem Wort.

Info: Der Beitrag, dem diese Ausführungen entnommen sind, findet sich in der Festschrift zum 1250-Jahr-Jubiläum unter: Linsenmann, Andreas: 1937: Die Uraufführung der Oper „Die Fasnacht von Rottweil“, in: Schlaglichter der Rottweiler Geschichte, hrsg. v.d. Stadt Rottweil, Ubstadt-Weiher u.a. 2021, S. 302-308.

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