Freitag, 19. April 2024

„Wir müssen raus aus einer gewissen Schlafmützigkeit”

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Endlich wieder Konzerte: Kurz vor dem Start am Montag ist das Rottweil Musikfestival „Sommersprossen“ fast schon ausverkauft. Und trotzdem will Intendant Florian Donderer vor dem Hintergrund der Corona-Erfahrungen einiges weiterentwickeln, wie er im Gespräch mit der NRWZ erklärt.

NRWZ: Herr Donderer, haben Sie den Staub der Lockdown-Monate schon ganz von den Schultern geklopft oder steckt Ihnen die harte Zwangspause noch in den Knochen?

Florian Donderer: Wir hatten mit dem Signum-Quartett vergleichsweise Glück: Es sind zwar 80 Prozent der geplanten Auftritte seit Februar 2020 weggefallen, aber wir konnten immer irgendwie spielen. Vorbei ist die Pandemie leider immer noch nicht: Wir haben bei den „Sommersprossen“ ja auch Musiker aus England – und weil dort die Delta-Variante grassiert, müssen wir nun kurzfristig reagieren.

NRWZ: Was sind für Sie die zentralen Erfahrungen, die Sie in der Corona-Zeit gemacht haben?

Florian Donderer: Wenn man etwas Positives mitnehmen kann, dann vielleicht, dass man lernt, flexibel zu sein. Es ist alles viel kurzfristiger geworden – und damit auch eine Spur menschlicher, weil die Hochglanz-Planungen, an die man sich so gewöhnt hatte, nicht mehr durchführbar sind.

Eine andere Erfahrung ist, dass wir in einem privilegierten Land leben und als arrivierte Künstler auch in so einer schwierigen Zeit alle durchkommen. Zugleich hat sich für mich jedoch sich gezeigt, dass es mit der berühmten Relevanz der Kultur, wenn es hart auf hart kommt, nicht weit her ist. Das ist ernüchtern, aber auch befreiend und herausfordernd.  Es bestärkt mich in der Art, wie ich Musik machen möchte: Wir müssen raus aus einer gewissen Schlafmützigkeit. Die Gefahr ist schon sehr groß, dass es keine Konzerte mehr gibt und man sich auf dem Computer ein Streaming anschaut. Ein lebendiges Musikleben geht nur mit Leuten vor Ort, die sich begeistern und mit denen man gemeinsam Wege findet. Insofern sind die „Sommersprossen“ für mich noch wichtiger geworden, als sie es ohnehin schon waren.

NRWZ: Sie setzen also auch noch mehr regionale und lokale Einbindung?

Florian Donderer: Wir internationalen Musiker wollen natürlich reisen, in großen Sälen spiele und unsere Musik in die Welt schicken. Zugleich ist es für mich enorm wichtig, vor Ort, eingebunden in lokale Kontexte, Musik zu machen. Das ist mir verstärkt klargeworden: Es geht immer um Leute vor Ort, die Mut und Energie haben – dann kann etwas Besonderes entstehen. So ein Festival muss ein gesellschaftliches Ereignis sein. Mir geht es darum, sich an der Musik zu freuen, sich kennenzulernen und gemeinsam zu feiern. Das Publikum scheint es ja ähnlich zu empfinden: Der Vorverkauf lief super – das ist für uns ein schönes Feedback.

NRWZ: Los geht es unter dem Titel „Donaueschingen 1921“ mit einer Hommage an den Beginn eines weltbekannten Podiums für Neue Musik. Was fasziniert Sie an diesem Aufbruch vor hundert Jahren? Sehen Sie Parallelen zu heute? Immerhin kam man auch damals aus einer Pandemie heraus – und startete in eine „goldene“ Dekade…

Florian Donderer: Unsere Situation ist aus meiner Sicht so viel einfacher und weniger bedroht, dass ich diesen Vergleich nur mit Samthandschuhen anfassen würde. Was mich fasziniert, ist die Art, wie damals Musik gedacht wurde: Diese Künstler haben alle Einflüsse um sich herum aufgegriffen und damit mutig, witzig und grenzenlos neue Musik geschaffen. Da gab es unheimlich viel Freiheit, Aufbruch und eine positive Energie. Diese Leute haben voller Überschwang die tollsten Sachen gemacht und das Leben gefeiert. Das finde ich inspirierend und möchte es in die „Sommersprossen“ hineintragen: Es geht darum, das Festival noch mehr zu einem umfassenden Gefühl zu machen.

NRWZ: Im Festival-Ensemble sind einige Musikerinnen mit Rottweiler Wurzeln vertreten – es war ja lange auch ein Kritikpunkt, dass diese Leute nicht eingebunden werden. Aber es sind arrivierte Künstlerinnen, die keine Förderung brauchen. Wird es in den nächsten Jahren vielleicht auch Nachwuchs-Entdeckungen aus der Region geben?

Florian Donderer: Das hoffe ich sehr! Förderung war nicht die Intention, diese Musiker einzubinden – das brauchen die nicht mehr. Ich bin dankbar, dass sie bei uns mitmachen und man auf diese Art vor Ort gemeinsam Musik machen kann. Das ist ein Luxus. Nachwuchs mehr einzubinden ist leider durch die Pandemie verhindert worden. Das kommt auf jeden Fall.

NRWZ: Es gibt im Programm viel neuere Musik aber keine Uraufführung, die lange ein Markenzeichen des Festivals waren. Haben Sie Pläne, mal wieder eine Auftragskomposition anzuregen? 

Florian Donderer: Für mich ist es so, dass ich ständig neue Musik spiele. Das gehört für mich dazu. Ich muss für die „Sommersprossen“ allerdings noch den richtigen Zugriff finden, auf welche Weise und man wen spielt. Was mir eher vorschwebt ist, das Komponieren in das Arbeiten mit Jugendlichen und Kindern einzubinden. Wir haben mit dem Signum-Quartett zum Beispiel ein Projekt, in dem wir Social Media für neue Musik benutzen: Da schreiben uns arrivierte Komponisten, aber auch Studenten und Schüler Kompositionen, die wir gemeinsam erarbeiten und spielen. In diese Richtung möchte ich gerne gehen: Dass Neue Musik etwas Normales ist.

NRWZ: Derzeit wird unser Grundverständnis eines etablierten „Kanons“ durchgerüttelt, es wird kontrovers aufgezeigt, dass unsere Musikpraxis stark eurozentrisch ausgerichtet ist und man über Horizonterweiterungen nachdenken könnte – sind das Themen, die Sie umtreiben?

Florian Donderer: Auf jeden Fall, und ich finde, diese Themen sehr wichtig. Wir haben das Problem, dass wir ohnehin ein wenig in unseren Elfenbeintürmen unterwegs sind – das war immer schon eine Kritik an der klassischen Musik. Ich denke, wir müssen uns der Themen annehmen, die im Moment in der Gesellschaft diskutiert werden. Dazu gehört, darüber nachzudenken: Warum spielen wir, was wir spielen? Was sind die Hintergründe? Warum stammt diese Musik vor allem von weißen Männern? Man kann mit Musik den Raum schaffen, dass man einander zuhört und sich über diese Fragen austauscht. Das heißt ja nicht, dass man nicht weiter auch tolle Musik spielt, die zu unserem Kulturgut gehört.

NRWZ: Diesmal findet sich im Programm kein Konzert eigens für junge Hörer – ist das Corona geschuldet?

Florian Donderer: Ja, es ist aber auch meinem Anfänger-Status geschuldet: Ich muss mich erstmal darauf konzentrieren, was ich gut kann. Ein Konzert für Kinder klingt gut, aber nachhaltig ist besser. So etwas muss vor- und nachbereitet werden. Wenn, dann will ich es richtig machen. Aber das kommt, unbedingt.

NRWZ: Auf welches Konzert freuen Sie sich am meisten?

Florian Donderer: Natürlich auf alle (lacht)! Besonders freue ich mich, Künstler kennenzulernen – zum Beispiel Simon Strasser, dem ich noch nicht persönlich begegnet bin. Ich freue mich aber auch sehr auf das Eröffnungskonzert – das ist einfach ein super Programm!

Die Fragen stellte unser Redakteur Andreas Linsenmann.

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