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„Zorn, Enttäuschung, Verbitterung unter Gastronomen – und Trauer in Rottweil“, Veröffentlicht: Dienstag, 3. November 2020, 11.56 Uhr

Zorn, Enttäuschung, Verbitterung unter Gastronomen – und Trauer in Rottweil

„Lockdown light“? So wie eine nikotinarme Zigarette, eine kalorienarme Coke? Hoteliers und Gaststättenbetreiber sehen das ganz anders. Für sie und ihre Beschäftigten hat dieser zweite Lockdown in Deutschland in der Corona-Krise dramatische Auswirkungen, unterstreicht Verbands-Sprecher Daniel Ohl. Er und der Rottweiler Dehoga-Kreisvorsitzende Rainer Gaiselmann erwarten eine Pleitewelle unter den Betrieben, befürchten, dass bis Januar ein Drittel die Segel werde streichen müssen. Und Rainer Lüthy, Betreiber einer Pension in Rottweil, hat sein Haus trauerbeflaggt.

Bund und Länder haben die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie verschärft. Darunter fällt die Schließung von Restaurants, Gaststätten, Bars, Kneipen, Imbissen, Cafés und ähnlichen Einrichtungen. Außerdem dürfen Hotels, Gasthöfe, Ferienwohnungen, Campingplätze oder Jugendherbergen bis zum 30. November keine touristischen Übernachtungen mehr anbieten.

Kritik seitens der Dehoga-Vertreter

Nach Einschätzung des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga ist das kein Lockdown light. Es sei „ein harter Lockdown mit dramatischen Auswirkungen auf Betriebe und Beschäftigte.“ Das sagt Daniel Ohl, Geschäftsführer Kommunkation beim Dehoga in Stuttgart. „Entsprechend bitter und zornig ist die Stimmung bei vielen Unternehmern und Mitarbeitern der Branche“, so Ohl. Er hat auch Enttäuschung unter den Gastwirten und Hoteliers ausgemacht. Denn gerade diese hätten in den vergangenen Monaten viel in Hygienemaßnahmen investiert. Die Wirte hätten zudem auf Umsatz verzichtet, weil sie Tische wegen geltender Abstandsregeln hätten auseinander stellen müssen, ergänzt der Kreisvorsitzende des Dehoga, Rainer Geiselmann.

Daniel Ohl. Foto: pm

Viele Betriebe stünden deshalb aktuell schon wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand. „Wir schätzen, dass etwa ein Drittel der Unternehmen im Gastgewerbe durch die Corona-Krise in ihrer Existenz gefährdet sind“, sagt Ohl mit Blick auf die Unternehmen im Gastgewerbe im Land. Diese Gefährdungslage verschärfe sich durch den jetzt beschlossenen Lockdown. „25 bis 30 Prozent werden bis Januar die Segel streichen“, rechnet Gaiselmann in Bezug auf den Kreis Rottweil vor.

Beobachter würden die Situation völlig verkennen, erklären beide Dehoga-Vertreter. Etwa, dass die Wirte im Sommer ja die Terrassen voll gehabt hätten. Im Vergleich zum August 2019 musste das Gastgewerbe einen Umsatzrückgang von 19,1 Prozent hinnehmen, rechnet Ohl vor. „Eine Horrorzahl.“ Um etwa 35 Prozent sei der Umsatz in der ersten Jahreshälfte 2020 zurückgegangen. Das überlebe man kaum.

Gaiselmann kritisiert auch Broß

Und Gaiselmann, früher selbst Wirt, jetzt „angstbefreit und offen“, wie er lächelnd anmerkt, ärgert sich über ein „sinnfreies“ Interview, wie er es nennt. Das habe Rottweils Oberbürgermeister Ralf Broß dem Schwarzwälder Boten gegeben. Darin erklärte der OB: „Grundsätzlich begrüße ich die weitergehenden Einschränkungen, um den rasanten Anstieg der Corona-Infektionszahlen im Landkreis Rottweil einzudämmen.“ Leider beträfen diese insbesondere die Gastronomie- und Beherbergungsbranche. Für Gaiselmann deutlich zu wenig Empathie. „Broß verkennt ganz, was alles an der Gastronomie hängt“, so der Dehoga-Mann. Er zählt auf: Lieferanten und Mitarbeiter hingen in der Luft, das sei nicht nur der Wirt, der schließen muss. Die Einzelhändler hätten geöffnet, die Menschen könnten aber nirgends einkehren und etwa einen Kaffee trinken. „Das ganze Miteinander ist zu Ende“, so Gaiselmann weiter.

Bei den Wirten gehe es nun ohnehin ums Ganze, so Gaiselmann. „Der Staat muss sich da schnell etwas einfallen lassen“, sagt er. Im Landkreis Rottweil würden bereits viele Wirte und Hoteliers ums Überleben kämpfen. Jetzt, im November und Dezember, würden sie hier üblicherweise einen ganzen Quartalsumsatz einfahren müssen. Es seien zwei starke Monate, die die Durststrecke bis zur Fasnet überbrücken sollten. Doch selbst die falle flach.

Rainer Gaiselmann.

Die Zukunftsaussichten daher: schlimm. Deshalb hat der Pensionsbetreiber und frühere Bäcker Rainer Lüthy jetzt eine schwarze Flagge der Trauer gehisst. Sie hängt direkt vor dem Alten Backhaus. Darüber reden möchte Lüthy nicht. „Weniger ist mehr“, wiegelt er lächelnd eine Anfrage der NRWZ ab. Man wolle einfach Flagge zeigen, sagt er. Nicht, dass er aktuell wirtschaftlich massiv bedroht sei – „wir haben noch geschäftliche Übernachtungen und ab Dezember hoffentlich wieder private“, sagt er.

Der Unternehmer, der seine Bäckerei einst für die Pension aufgegeben hat, bekommt Unterstützung von Gaiselmann: „Mit der Aktion hat Lüthy recht.“

Lockdown als Lohn der Mühe

Trifft der Lockdown diesmal die falschen? „Wir halten an unserer Auffassung fest, dass der Lockdown für das Gastgewerbe unverhältnismäßig ist“, erklärt Dehoga-Sprecher Ohl. „Gastronomie und Hotellerie sind nachweislich keine Pandemie-Treiber“, sagt er. Die Hygienekonzepte der Branche funktionierten. Das sei daran erkennbar, dass laut Robert Koch-Institut keine Infektionsschwerpunkte im Gastgewerbe erkennbar und belegbar seien. Auch hätten die Betriebe doch erst investiert – etwa in Luftreiniger, Heizstrahler, Schutzvorrichtungen. „Der Lohn dieser Mühe ist nun ein erneuter Lockdown. Das ist ein harter Schlag für die Branche“, so Ohl, „das ist schwer zu akzeptieren.“

Er sieht allerdings die Gesamtverantwortung. Dass die Politik, dass die Regierungen irgendwo ansetzen müssten, um die schnell steigenden Infektionszahlen in den Griff zu bekommen. Deshalb gehe es nun, nach der angeordneten Schließung, darum, dass die versprochenen Hilfen schnell zu den Gastwirten und Hoteliers kommen.

Neue Probleme bei der versprochenen Hilfe

Da sieht Ohl neue Probleme. „Bis zu 70 bis 75 Prozent vom Umsatz des Vorjahresmonats – also des Novembers 2019 – klingen zunächst mal wuchtig“, sagt er. „Es sind aber noch sehr viele Fragen ungeklärt, sodass aus unserer Sicht nicht sicher ist, ob die angekündigte Hilfe im notwendigen Umfang und mit der notwendigen Schnelligkeit bei den Betrieben der Branche ankommt.“ Ohl listet Beispiele für bislang ungeklärte Fragen auf:

  • Was passiert mit neu gegründeten Unternehmen, die im November 2019  nicht existierten?
  • In welchem Umfang können Betriebe, die ihren Geschäftsbetrieb teilweise aufrechterhalten (etwa Lieferdienste, Beherbergung Geschäftsreisender) Nothilfe erhalten?
  • Wie und in welchem Umfang müssen bisher laufende Hilfen auf die Nothilfe angerechnet werden?
  • Ist sichergestellt, dass die Kriterien der EU für Kleinbetriebs-Beihilfen nicht zur Nothilfe-Blockade für größere oder verbundene Unternehmen werden? Konkret: dass Betriebe aller Größenklassen die Nothilfe im angekündigten Umfang erhalten, also auch größere Betriebe über 249 Beschäftigte und verbundene Unternehmen, die zusammengenommen über 249 Beschäftigte haben?

Eine dreistellige Zahl an Mails von den Hoteliers und Gastwirten habe der Stuttgarter Dehoga in den vergangenen Tagen erhalten, so Sprecher Ohl. „Wo und wie stelle ich den Antrag“, stehe da etwa. Den Antrag für ein Hilfsprogramm, das noch gar nicht existiere. Das eilig nun zusammengeschustert werden müsse, das zugleich aber existenziell dringend gebraucht werde in den Betrieben. Diese hätten in den vergangenen Monaten unter einer „verheerend schlechten Auslastung“ zu leiden gehabt.

Auch ein hausgemachtes Problem

Ein Kredit sei da kein Ausweg, ergänzt Gaiselmann. Denn der müsse ja zurückgezahlt werden. Die Liquidität in der Branche sei ohnehin nicht allzu gut. Dieses sei wiederum „ein hausgemachtes Problem“, weil Waren und Dienstleistungen zu günstig angeboten würden. Wenn ein Wirt einen angemessenen Preis für sein Essen verlange, werde ihm das von den Gästen rasch als Wucher ausgelegt. Apropos Gäste: Diesen ist Gaiselmann dankbar, am Wochenende vor dem Lockdown seien viele noch mal essen gegangen, um die Gastronomen zu unterstützen.

Die Soforthilfen seien bisher ganz gut angekommen bei den Wirten, so Gaiselmann. In der ersten Runde sei das Geld noch geflossen, dann habe man gemerkt, dass viel „beschissen“ worden sei. Daher sei die zweite Runde bürokratischer gewesen. Die kleinen und mittleren Betriebe seien aber ganz gut unterstützt worden.

„Von einer Ankündigung kann sich keiner was kaufen

Dass das nun wieder der Fall ist, dafür wirbt Dehoga-Sprecher Ohl vehement: „Eine Hilfszahlung, die zu spät kommt – wenn der Betrieb bereits pleite ist -, hilft nicht mehr viel“, sagt er. Und: „Von einer Ankündigung der Minister Scholz und Altmaier kann sich kein Wirt etwas kaufen.“

 

 

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