OneCoin: Hinterher ist man klüger

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Und jährlich grüßt das Murmeltier: Der ein oder andere Prozessbeteiligte dürfte sich noch gut an den 17. September 2021 erinnert haben, als am Dienstagvormittag Richter Pfeiffer mit seinen Beisitzern und Schöffen den Saal 23 im Landgericht Münster betraten. Wieder geht es um OneCoin, die Grevener Firma IMS, 320 Millionen Euro, die teilweise auf den British Virgin Islands, teilweise in den Kauf eines Londoner Luxuspenthouses geflossen sind. Und immer wieder um die „gesondert verfolgte Dr. Ruja Ignatova“.

Medien haben wenig Interesse

Dieselben drei Angeklagten, im Wesentlichen dieselben Anwälte. Auch die Staatsanwaltschaft vertritt wieder derselbe Staatsanwalt. Anders als beim ersten Mal ist das Interesse der Medien eher gering. Ein Kollege vom Stern ist da, der WDR hat ein Team geschickt, eine Bloomberg-Mitarbeiterin, die Lokalzeitung aus Greven. Die Kolleginnen und Kollegen bekennen, sie seien ganz neu an der Geschichte. Der WDR-Reporter hat einen Ausdruck aus der NRWZ dabei und grinst.

Im Foyer spricht uns der Verteidiger des Münchner Anwalts Martin B an. Die NRWZ habe ja auch über den Augsburger Fall berichtet. Da sei er ebenfalls Verteidiger gewesen. Das Verfahren gegen zwei OneCoin-Verkäufer hatte das dortige Landgericht gegen die Zusage eingestellt, dass die Angeklagten nicht gegen den Staat Forderungen stellen.

Martin B.: Existenz vernichtet?

Etliche Zeugen hätten den beiden Vermittlern bestätigt, dass sie es nicht auf eine Provision bestehen hatten. Sie wollten an der OneCoin-Wertsteigerung verdienen, nicht an Provisionen. Schneeballsysteme sind verboten, Leuten wertlose OneCoin andrehen aber nicht. Der Münchner Anwalt sei “in seiner beruflichen Existenz vernichtet“, beklagt sein Anwalt. Dass er bei OneCoin gut verdient hat, sei „unbestritten“. Aber jetzt sehe es anders aus.

Die Angeklagten Martin B. und Frank R. lassen sich im Gerichtssaal durchaus filmen und fotografieren. Manon. H. dagegen dreht dem Publikum den Rücken zu. Erst als die Kameras ausgeschaltet werden müssen, wendet sie sich dem Gericht zu. Doch später in der Verhandlung, als der Künstler Christoph Faulhaber die Szene zeichnen möchte, hält sie konsequent eine Hand vors Gesicht.

Die Kammer betritt den Saal. Foto: him

Die Anklage

Ein paar Formalitäten muss Richter Pfeiffer noch erledigen. Dann liest der Staatsanwaltschaft die Anklageschrift vor. Eine knappe Stunde braucht er dafür. Es ist dieselbe wie vor 13 Monaten. Es geht um die Konten bei der Sparkasse Steinfurt, der Commerzbank und der Deutschen Bank in Münster. Um OneCoin und die Gründung durch Ruja Ignatova und Sebastian Greenwood. Die unerlaubten Bankgeschäfte Frank R.s und Manon H.s und ihrer IMS in Greven.

Rechtsanwalt Martin B. der gegenüber anderen verschleiert habe, woher die Millionen stammten, die in die Karibik und nach London flossen. Wer wann welche OneCoin Firma gegründet oder geleitet hat. Veska Ignatova, die Mutter Rujas, war immer gut dabei, aber auch der Anwalt B. taucht als „individual Director“ von OneCoin Ltd in Gibraltar auf. Das war eine der ersten OneCoin Firmen überhaupt.

Bildungspakete ohne echten Wert

Ausführlich erläutert die Anklage die verschiedenen Stufen der Bildungspakete vom kostenlosen „Rookie“ über den „Protrader“ für 1000 Euro bis zum „Ultimate Trader“ für 118.000 Euro reichte das Angebot. Irgendwann erhöhte OneCoin die Preise um zehn Prozent.

Der Staatsanwalt beschreibt auch die in den Paketen enthaltenen Bildungsinhalte: „Handbücher“ und Videos, zum großen Teil aus dem Internet zusammenkopiert und je Paket maximal 50 Euro wert. Die Token, die zum „Minen“ der späteren OneCoins berechtigen sollten, seien als kostenlose Zugabe deklariert gewesen. In Wahrheit ging es den meisten Käufern ausschließlich um die Token.

Blockchain nur vorgespiegelt

Das Mining, das Anfang 2015 in Hongkong begann, sei aber nur vorgespiegelt gewesen. Anders als beim Bitcoin habe es bei OneCoin praktisch keine Kursschwankungen gegeben. Das Mining habe nie wirklich stattgefunden, „sondern wurde nur von einer Software simuliert“. Den Käufern der Bildungspakete sei suggeriert worden, sie könnten den Wert auf das vier- oder fünffache ihres Kaufpreises steigern. In einer E-Mail an Sebastian Greenwood habe Ruja Ignatova gestanden, man werde nur „die Illusion einer Wertschöpfung“ schaffen.

Dass dem so sei, zeige der 1. Januar 2016, als trotz einer Verdoppelung aller OneCoins der Wert sich nicht halbiert habe, sondern gleich blieb. Damals seien 565 Millionen OneCoin gemined worden, am Tag, eine absurd hohe Zahl. Auf dem Papier oder besser den „Dashboards“ der OneCoin Kunden stieg der OneCoin Kurs kontinuierlich von 1,05 Euro im Jahr 2016 auf mehr als 26 Euro am 16. November 2018, wie der Staatsanwalt ausführte.

„OneCoin verfügte über keine den Anforderungen entsprechende Blockchain“, so die Anklage, sie sei „extrem fehlerbehaftet“ gewesen und „untauglich für den Zweck“. Insofern seien die Kunden getäuscht worden. Die Bildungspakete, die über die IMS verkauft wurden, hätten für die Käufer kaum einen Wert gehabt, der Schwerpunkt lag auf den Token.

Die IMS kassierte

In der Anklage geht die Staatsanwaltschaft von etwa 61.000 Zahlungseingängen bei der IMS mit zusammen 97 Millionen Euro aus. Berechne man den Wert der Bildungspakete dennoch mit 50 Euro und ziehe das jeweils von den verkauften Paketen ab, dann reduziere sich die Summe von 97,1 Millionen auf 88.227.430 Euro.

Die Anklageschrift listet auch auf, wie viele Pakete zu welchem Preis die OneCoiner an ihre Kunden vertickt haben: Etwa 19.000 „Starter“ und ähnlich viele „Trader“ zu 100 beziehungsweise 500 Euro. Sie konnten aber auch drei „Ultimate“-Pakete zu sagenhaften 118.000 Euro verkaufen.

Laut Anklage hat die IMS zwischen Dezember 2015 und Dezember 2016 weitere Zahlungen für Schulungspakete in Höhe von 223 Millionen eingenommen. Insgesamt gut 88.000 Vorgänge und 320,7 Millionen Euro hätten den Eheleute Frank R. und Manon H. als Provision 3,2 Millionen Euro eingebracht. Allerdings habe die IMS nicht die erforderliche Erlaubnis für solche Bankgeschäfte besessen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstaufsicht Bafin habe eine später beantragte Erlaubnis Ende April 2017 denn auch versagt.

20 Millionen Euro für Luxusimmobilien in London

Gegen den dritten Angeklagten, den Münchner Rechtsanwalt Martin B. lautet der Vorwurf auf Geldwäsche. Ruja Ignatova hatte im feinen Londoner Stadtteil Kensington eine teure Penthousewohnung und im selben Gebäude eine weitere Wohnung für ihre Leibwächter gekauft.

Das Geld dafür – zusammen etwa 20 Millionen Euro – habe der Anwalt von der IMS in vier Paketen erhalten und an ein Londoner Anwaltsbüro überwiesen. Dieses habe dann für die „gesondert verfolgte Frau“ die beiden Immobilien im Abbott House gekauft. Dabei habe er auf Rujas Anweisung „jeden Hinweis auf OneCoin“ vermieden. Auf Nachfrage einer Bank habe er wahrheitswidrige Angaben über die Herkunft des Geldes gemacht. Für seine Dienste habe der Anwalt 666.000 für sich abgezweigt.

75 Millionen Euro in die Karibik

Schließlich wirft die Staatsanwaltschaft dem Anwalt vor, dass er etwa 75 Millionen Euro zwischen Ende Mai und Ende Juli 2016 auf die Britsh Virgin Islands überwiesen habe. Gelder, die auf den IMS-Konten eingegangen waren. Auf den Karibikinseln hatte der US-Anwalt Mark Scott die sogenannten Fenero-Funds für Ruja Ignatova aufgelegt. In diese Funds flossen die 75 Millionen, die B. in kleineren Portionen überwiesen haben soll.

Als eine Fondsverwaltungsgesellschaft, die APEX, Zweifel an der Herkunft der Gelder geäußert habe, habe Martin B. dieser Gesellschaft geschrieben, das Geld stamme aus einem Joint Venture der IMS mit einer großen Marketingfirma, um so „die legale Herkunft vorzuspiegeln“.

Beihilfe zum Betrug?

Richter Pfeiffer hat dann noch einmal ausführlich begründet, weshalb die Kammer im Mai 2021 den rechtlichen Hinweis gegeben habe, es komme der Vorwurf der Beihilfe zum Betrug und Geldwäsche für das Ehepaar in Frage. Und zwar in einem besonders schweren Fall.

Pfeiffer erwähnt den Verkauf eine Firma von Frank R. an Ruja Ignatova. Daraufhin war der Service-Vertrag mit der IMS zustande gekommen. R. und Manon H. hätten dann die Bankkonten eröffnet. Erst Ende 2015 bei der Kreissparkasse Steinfurt. Als diese zum 31. März 2016 kündigte, eröffnete Manon H. bei der Commerzbank Münster ab 9. März 2016 ein Konto. Als es auch der Commerzbank zu heiß wurde, wechselte H. erneut die Bank, und bis Ende 2016 flossen die Schulungspaketgelder auf ein Konto der Deutschen Bank in Münster.

Mit ihren Überweisungen an Martin B. und in die Karibik hätten sie möglicherweise Betrugstaten gefördert, so die Kammer in ihrem Hinweis.

Viele Gespräche – kein Ergebnis

Was sich vor einem Jahr schon angedeutet hatte, es gab Gespräche, ob man nicht zu einer Verständigung kommen könnte. Geständnis gegen mildere Strafe und Abkürzung des Verfahrens. Auch jetzt hat die Kammer Termine bis in den kommenden März geplant. Der Vorsitzende Richter berichtet von etlichen Telefonaten mit den Verteidigern. Er zitiert aus dem Protokoll der Verhandlung vom 21. Oktober 21. Damals habe er angeregt, über eine Verständigung nachzudenken, wenn die beiden Eheleute eine Haftstrafe ohne Bewährung akzeptierten. Er warte auf eine Reaktion.

Mehrere Telefongespräche folgten, sogar eine Telefonkonferenz mit Verteidigern am 24. Mai. Dabei habe sich der angeklagte Rechtsanwalt über seinen Anwalt zu den Vorwürfen eingelassen. Er habe für Ruja Ignatova und OneCoin schnelle Rechtsgeschäfte und Beratungen gemacht. Mit dem operativen Geschäft habe er aber nichts zu tun gehabt. Er sei nicht im inneren Zirkel von OneCoin  gewesen. Er habe Tagebücher geschrieben, die das belegten.

Martin B.: Nur juristischer Handlanger?

Sein Anwalt habe die jetzige Lage Martin B. s als „prekär“ bezeichnet, er sei durch das Verfahren bereits erheblich bestraft. Sein Anwalt habe die Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage vorgeschlagen. Zumindest eine Bewährungsstrafe. Der Vorsitzende Richter habe dem entgegengehalten, das der Strafrahmen für die vorgeworfenen Taten von sechs Monaten bis zehn Jahre Haft reiche. Und es gehe um einen zweistelligen Millionenbetrag.

 

Geburtstagsgeschenk: An seinem 48. Geburtstag wurde Martin B. OneCoin-Director in Gibraltar.

Wegen der weit auseinander liegenden Vorstellungen sei die Kammer nicht auf die Vorschläge eingegangen. Kurz darauf habe sich der Anwalt von Manon H. gemeldet und auf die „psychische Belastung“ seiner Mandantin durch die lange Verfahrensdauer hingewiesen. Das werde sich strafmildernd auswirken, so Pfeiffer. Aber auch hier war der Knackpunkt eine Bewährungsstrafe. Darauf wollte sich die Kammer nicht festlegen.

(K)ein vorgezogenes Plädoyer

In der Verhandlung fragte Richter Pfeiffer, ob die Angeklagten Erklärungen zur Person und zur Sache abgeben wollten. Die Verteidiger verwiesen auf mögliche Erklärungen zu einem späteren Zeitpunkt.
Nach einer halben Stunde Sitzungspause meldete sich der Verteidiger von Manon H. zu Wort. „Hinterher ist man immer schlauer“, hob er an. Er wunderte sich wie vor einem Jahr, dass die Kammer anders als die Staatsanwaltschaft den Betrugsvorwurf erhebe.

Er habe schon beim ersten Mal erklärt, eigentlich müsse Ruja Ignatova vor Gericht stehen. Die entscheidende Frage sei: Haben die Angeklagten damals in den Jahren 2014 bis 16 wissen müssen, dass es sich bei OneCoin um Betrug handelt?

Neben Ignatova fehle auch ihr Bruder Konstantin in dem Verfahren. “Auch ihr Ex-Mann fehlt.“ Dieser habe Antrag auf Akteneinsicht gestellt. Gegen Ignatovas langjährigen Ehemann Björn S. ermittelt seit mehr als einem Jahr die Staatsanwaltschaft Darmstadt unter anderem wegen Geldwäscheverdacht.

„Es waren Millionen“

Manon H. Anwalt bat das Gericht, sich in die Jahre 2015/16 zu versetzen. Damals seien Kryptowährungen allgemein, aber auch OneCoin „gehyped“ worden. „Es waren nicht 10.000, nicht 100.000, es waren Millionen“, die sich darauf eingelassen hätten. Diese Leute hätten zwar nicht den Einblick gehabt wie die Angeklagten.

Aber ob die Angeklagten damals gewusst hätten, was man heute weiß? Er bezweifle, dass Frau H. Bestandteil dieses Betrugssystems war. „Sie würde heute sicher zwei Kreuze machen, wenn sie dem Namen Ignatova nie begegnet wäre“, so ihr Anwalt. Hinterher sei man immer schlauer. Diese Sensibilität würde er sich für die Beweisaufnahme wünschen.

OneCoin-Werbevideos im Gerichtssaal

Der Vorsitzende Richter nahm‘s zur Kenntnis und leitete zum Betrachten von zwei Videos über: Zum einen sah das Gericht den OneCoin-Werbefilm: „The Future of Payments“ – bis heute auf Youtube zu finden.
Eine raunende Stimme erklärt, mit OneCoin ließen sich unsere Finanzprobleme lösen – unabhängig vom Bankensystem.

Aus dem OneCoin-Werbevideo: Erstaunlicherweise konnten die OneCoiner sogar kleinere Kursrückgänge schon bis drei Jahre im Voraus prophezeien. Screenshot: him

Mitwirkungsbereitschaft

Nach dem Video fragt einer der Verteidiger, wie es denn prozesstechnisch weiter gehe. Pfeiffer meint, die nächsten fünf Verhandlungstage werde man mit dem Verlesen von Akten und E-mails verbringen. Aber: „Es kommt auf die Mitwirkungsbereitschaft Ihrer Mandanten an.“ Zeugen wie Gutachter würde er erst nach Verlesung der Akten einladen wollen. Dann gehe es um die Frage, gab es eine Blockchain, was sagen die IMS-Beschäftigten und mögliche Geschädigte.

Kurssteigerung und Provisionen

Um zu zeigen, wie OneCoinverkäufer auftraten, hat das Gericht ein zweites Video im Programm: Eine dreiviertel Stunde erzählt der Südtiroler Anton Federspiel bei einer Veranstaltung in Erfurt im Mai 2016 von der sagenhaften Geldvermehrung durch OneCoin. Auch dieses Video ist bis heute im Internet zu finden.

Anton Federspiel in seinem Werbevideo: Screenshot: him

Federspiel erzählt hier vom unglaublichen Erfolg, den man mit OneCoin haben könne. Aus 8000 Euro würden 36.000 Euro und durch die Kurssteigerung heute gar 336.000 Euro. Und wer dann noch in den Weiterverkauf einsteige, der bekomme von jedem Verkauf 10 Prozent. Würden seine Kunden ebenfalls werben, dann verdiene er auch an deren Verkäufen 10 Prozent, In der dritten und vierten Generation seien es dann sogar 20 und 25 Prozent.

Und alles ohne etwas dafür zu tun. Seinem Publikum in Erfurt rief der gelernte Koch zu: „Ihr seid ausgewählte Menschen, Ihr liegt nicht auf dem Sofa rum.“

Nach dem Federspiel-Video schließt der Vorsitzende Richter die Sitzung: „Wir sehen uns dann am Donnerstag wieder.“
Ob nun die Angeklagten mit ihren Anwälten beraten, wann sie welche Erklärung abgeben? Es ist anzunehmen.

Das interessiert diese Woche



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Und jährlich grüßt das Murmeltier: Der ein oder andere Prozessbeteiligte dürfte sich noch gut an den 17. September 2021 erinnert haben, als am Dienstagvormittag Richter Pfeiffer mit seinen Beisitzern und Schöffen den Saal 23 im Landgericht Münster betraten. Wieder geht es um OneCoin, die Grevener Firma IMS, 320 Millionen Euro, die teilweise auf den British Virgin Islands, teilweise in den Kauf eines Londoner Luxuspenthouses geflossen sind. Und immer wieder um die „gesondert verfolgte Dr. Ruja Ignatova“.

Medien haben wenig Interesse

Dieselben drei Angeklagten, im Wesentlichen dieselben Anwälte. Auch die Staatsanwaltschaft vertritt wieder derselbe Staatsanwalt. Anders als beim ersten Mal ist das Interesse der Medien eher gering. Ein Kollege vom Stern ist da, der WDR hat ein Team geschickt, eine Bloomberg-Mitarbeiterin, die Lokalzeitung aus Greven. Die Kolleginnen und Kollegen bekennen, sie seien ganz neu an der Geschichte. Der WDR-Reporter hat einen Ausdruck aus der NRWZ dabei und grinst.

Im Foyer spricht uns der Verteidiger des Münchner Anwalts Martin B an. Die NRWZ habe ja auch über den Augsburger Fall berichtet. Da sei er ebenfalls Verteidiger gewesen. Das Verfahren gegen zwei OneCoin-Verkäufer hatte das dortige Landgericht gegen die Zusage eingestellt, dass die Angeklagten nicht gegen den Staat Forderungen stellen.

Martin B.: Existenz vernichtet?

Etliche Zeugen hätten den beiden Vermittlern bestätigt, dass sie es nicht auf eine Provision bestehen hatten. Sie wollten an der OneCoin-Wertsteigerung verdienen, nicht an Provisionen. Schneeballsysteme sind verboten, Leuten wertlose OneCoin andrehen aber nicht. Der Münchner Anwalt sei “in seiner beruflichen Existenz vernichtet“, beklagt sein Anwalt. Dass er bei OneCoin gut verdient hat, sei „unbestritten“. Aber jetzt sehe es anders aus.

Die Angeklagten Martin B. und Frank R. lassen sich im Gerichtssaal durchaus filmen und fotografieren. Manon. H. dagegen dreht dem Publikum den Rücken zu. Erst als die Kameras ausgeschaltet werden müssen, wendet sie sich dem Gericht zu. Doch später in der Verhandlung, als der Künstler Christoph Faulhaber die Szene zeichnen möchte, hält sie konsequent eine Hand vors Gesicht.

Die Kammer betritt den Saal. Foto: him

Die Anklage

Ein paar Formalitäten muss Richter Pfeiffer noch erledigen. Dann liest der Staatsanwaltschaft die Anklageschrift vor. Eine knappe Stunde braucht er dafür. Es ist dieselbe wie vor 13 Monaten. Es geht um die Konten bei der Sparkasse Steinfurt, der Commerzbank und der Deutschen Bank in Münster. Um OneCoin und die Gründung durch Ruja Ignatova und Sebastian Greenwood. Die unerlaubten Bankgeschäfte Frank R.s und Manon H.s und ihrer IMS in Greven.

Rechtsanwalt Martin B. der gegenüber anderen verschleiert habe, woher die Millionen stammten, die in die Karibik und nach London flossen. Wer wann welche OneCoin Firma gegründet oder geleitet hat. Veska Ignatova, die Mutter Rujas, war immer gut dabei, aber auch der Anwalt B. taucht als „individual Director“ von OneCoin Ltd in Gibraltar auf. Das war eine der ersten OneCoin Firmen überhaupt.

Bildungspakete ohne echten Wert

Ausführlich erläutert die Anklage die verschiedenen Stufen der Bildungspakete vom kostenlosen „Rookie“ über den „Protrader“ für 1000 Euro bis zum „Ultimate Trader“ für 118.000 Euro reichte das Angebot. Irgendwann erhöhte OneCoin die Preise um zehn Prozent.

Der Staatsanwalt beschreibt auch die in den Paketen enthaltenen Bildungsinhalte: „Handbücher“ und Videos, zum großen Teil aus dem Internet zusammenkopiert und je Paket maximal 50 Euro wert. Die Token, die zum „Minen“ der späteren OneCoins berechtigen sollten, seien als kostenlose Zugabe deklariert gewesen. In Wahrheit ging es den meisten Käufern ausschließlich um die Token.

Blockchain nur vorgespiegelt

Das Mining, das Anfang 2015 in Hongkong begann, sei aber nur vorgespiegelt gewesen. Anders als beim Bitcoin habe es bei OneCoin praktisch keine Kursschwankungen gegeben. Das Mining habe nie wirklich stattgefunden, „sondern wurde nur von einer Software simuliert“. Den Käufern der Bildungspakete sei suggeriert worden, sie könnten den Wert auf das vier- oder fünffache ihres Kaufpreises steigern. In einer E-Mail an Sebastian Greenwood habe Ruja Ignatova gestanden, man werde nur „die Illusion einer Wertschöpfung“ schaffen.

Dass dem so sei, zeige der 1. Januar 2016, als trotz einer Verdoppelung aller OneCoins der Wert sich nicht halbiert habe, sondern gleich blieb. Damals seien 565 Millionen OneCoin gemined worden, am Tag, eine absurd hohe Zahl. Auf dem Papier oder besser den „Dashboards“ der OneCoin Kunden stieg der OneCoin Kurs kontinuierlich von 1,05 Euro im Jahr 2016 auf mehr als 26 Euro am 16. November 2018, wie der Staatsanwalt ausführte.

„OneCoin verfügte über keine den Anforderungen entsprechende Blockchain“, so die Anklage, sie sei „extrem fehlerbehaftet“ gewesen und „untauglich für den Zweck“. Insofern seien die Kunden getäuscht worden. Die Bildungspakete, die über die IMS verkauft wurden, hätten für die Käufer kaum einen Wert gehabt, der Schwerpunkt lag auf den Token.

Die IMS kassierte

In der Anklage geht die Staatsanwaltschaft von etwa 61.000 Zahlungseingängen bei der IMS mit zusammen 97 Millionen Euro aus. Berechne man den Wert der Bildungspakete dennoch mit 50 Euro und ziehe das jeweils von den verkauften Paketen ab, dann reduziere sich die Summe von 97,1 Millionen auf 88.227.430 Euro.

Die Anklageschrift listet auch auf, wie viele Pakete zu welchem Preis die OneCoiner an ihre Kunden vertickt haben: Etwa 19.000 „Starter“ und ähnlich viele „Trader“ zu 100 beziehungsweise 500 Euro. Sie konnten aber auch drei „Ultimate“-Pakete zu sagenhaften 118.000 Euro verkaufen.

Laut Anklage hat die IMS zwischen Dezember 2015 und Dezember 2016 weitere Zahlungen für Schulungspakete in Höhe von 223 Millionen eingenommen. Insgesamt gut 88.000 Vorgänge und 320,7 Millionen Euro hätten den Eheleute Frank R. und Manon H. als Provision 3,2 Millionen Euro eingebracht. Allerdings habe die IMS nicht die erforderliche Erlaubnis für solche Bankgeschäfte besessen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstaufsicht Bafin habe eine später beantragte Erlaubnis Ende April 2017 denn auch versagt.

20 Millionen Euro für Luxusimmobilien in London

Gegen den dritten Angeklagten, den Münchner Rechtsanwalt Martin B. lautet der Vorwurf auf Geldwäsche. Ruja Ignatova hatte im feinen Londoner Stadtteil Kensington eine teure Penthousewohnung und im selben Gebäude eine weitere Wohnung für ihre Leibwächter gekauft.

Das Geld dafür – zusammen etwa 20 Millionen Euro – habe der Anwalt von der IMS in vier Paketen erhalten und an ein Londoner Anwaltsbüro überwiesen. Dieses habe dann für die „gesondert verfolgte Frau“ die beiden Immobilien im Abbott House gekauft. Dabei habe er auf Rujas Anweisung „jeden Hinweis auf OneCoin“ vermieden. Auf Nachfrage einer Bank habe er wahrheitswidrige Angaben über die Herkunft des Geldes gemacht. Für seine Dienste habe der Anwalt 666.000 für sich abgezweigt.

75 Millionen Euro in die Karibik

Schließlich wirft die Staatsanwaltschaft dem Anwalt vor, dass er etwa 75 Millionen Euro zwischen Ende Mai und Ende Juli 2016 auf die Britsh Virgin Islands überwiesen habe. Gelder, die auf den IMS-Konten eingegangen waren. Auf den Karibikinseln hatte der US-Anwalt Mark Scott die sogenannten Fenero-Funds für Ruja Ignatova aufgelegt. In diese Funds flossen die 75 Millionen, die B. in kleineren Portionen überwiesen haben soll.

Als eine Fondsverwaltungsgesellschaft, die APEX, Zweifel an der Herkunft der Gelder geäußert habe, habe Martin B. dieser Gesellschaft geschrieben, das Geld stamme aus einem Joint Venture der IMS mit einer großen Marketingfirma, um so „die legale Herkunft vorzuspiegeln“.

Beihilfe zum Betrug?

Richter Pfeiffer hat dann noch einmal ausführlich begründet, weshalb die Kammer im Mai 2021 den rechtlichen Hinweis gegeben habe, es komme der Vorwurf der Beihilfe zum Betrug und Geldwäsche für das Ehepaar in Frage. Und zwar in einem besonders schweren Fall.

Pfeiffer erwähnt den Verkauf eine Firma von Frank R. an Ruja Ignatova. Daraufhin war der Service-Vertrag mit der IMS zustande gekommen. R. und Manon H. hätten dann die Bankkonten eröffnet. Erst Ende 2015 bei der Kreissparkasse Steinfurt. Als diese zum 31. März 2016 kündigte, eröffnete Manon H. bei der Commerzbank Münster ab 9. März 2016 ein Konto. Als es auch der Commerzbank zu heiß wurde, wechselte H. erneut die Bank, und bis Ende 2016 flossen die Schulungspaketgelder auf ein Konto der Deutschen Bank in Münster.

Mit ihren Überweisungen an Martin B. und in die Karibik hätten sie möglicherweise Betrugstaten gefördert, so die Kammer in ihrem Hinweis.

Viele Gespräche – kein Ergebnis

Was sich vor einem Jahr schon angedeutet hatte, es gab Gespräche, ob man nicht zu einer Verständigung kommen könnte. Geständnis gegen mildere Strafe und Abkürzung des Verfahrens. Auch jetzt hat die Kammer Termine bis in den kommenden März geplant. Der Vorsitzende Richter berichtet von etlichen Telefonaten mit den Verteidigern. Er zitiert aus dem Protokoll der Verhandlung vom 21. Oktober 21. Damals habe er angeregt, über eine Verständigung nachzudenken, wenn die beiden Eheleute eine Haftstrafe ohne Bewährung akzeptierten. Er warte auf eine Reaktion.

Mehrere Telefongespräche folgten, sogar eine Telefonkonferenz mit Verteidigern am 24. Mai. Dabei habe sich der angeklagte Rechtsanwalt über seinen Anwalt zu den Vorwürfen eingelassen. Er habe für Ruja Ignatova und OneCoin schnelle Rechtsgeschäfte und Beratungen gemacht. Mit dem operativen Geschäft habe er aber nichts zu tun gehabt. Er sei nicht im inneren Zirkel von OneCoin  gewesen. Er habe Tagebücher geschrieben, die das belegten.

Martin B.: Nur juristischer Handlanger?

Sein Anwalt habe die jetzige Lage Martin B. s als „prekär“ bezeichnet, er sei durch das Verfahren bereits erheblich bestraft. Sein Anwalt habe die Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage vorgeschlagen. Zumindest eine Bewährungsstrafe. Der Vorsitzende Richter habe dem entgegengehalten, das der Strafrahmen für die vorgeworfenen Taten von sechs Monaten bis zehn Jahre Haft reiche. Und es gehe um einen zweistelligen Millionenbetrag.

 

Geburtstagsgeschenk: An seinem 48. Geburtstag wurde Martin B. OneCoin-Director in Gibraltar.

Wegen der weit auseinander liegenden Vorstellungen sei die Kammer nicht auf die Vorschläge eingegangen. Kurz darauf habe sich der Anwalt von Manon H. gemeldet und auf die „psychische Belastung“ seiner Mandantin durch die lange Verfahrensdauer hingewiesen. Das werde sich strafmildernd auswirken, so Pfeiffer. Aber auch hier war der Knackpunkt eine Bewährungsstrafe. Darauf wollte sich die Kammer nicht festlegen.

(K)ein vorgezogenes Plädoyer

In der Verhandlung fragte Richter Pfeiffer, ob die Angeklagten Erklärungen zur Person und zur Sache abgeben wollten. Die Verteidiger verwiesen auf mögliche Erklärungen zu einem späteren Zeitpunkt.
Nach einer halben Stunde Sitzungspause meldete sich der Verteidiger von Manon H. zu Wort. „Hinterher ist man immer schlauer“, hob er an. Er wunderte sich wie vor einem Jahr, dass die Kammer anders als die Staatsanwaltschaft den Betrugsvorwurf erhebe.

Er habe schon beim ersten Mal erklärt, eigentlich müsse Ruja Ignatova vor Gericht stehen. Die entscheidende Frage sei: Haben die Angeklagten damals in den Jahren 2014 bis 16 wissen müssen, dass es sich bei OneCoin um Betrug handelt?

Neben Ignatova fehle auch ihr Bruder Konstantin in dem Verfahren. “Auch ihr Ex-Mann fehlt.“ Dieser habe Antrag auf Akteneinsicht gestellt. Gegen Ignatovas langjährigen Ehemann Björn S. ermittelt seit mehr als einem Jahr die Staatsanwaltschaft Darmstadt unter anderem wegen Geldwäscheverdacht.

„Es waren Millionen“

Manon H. Anwalt bat das Gericht, sich in die Jahre 2015/16 zu versetzen. Damals seien Kryptowährungen allgemein, aber auch OneCoin „gehyped“ worden. „Es waren nicht 10.000, nicht 100.000, es waren Millionen“, die sich darauf eingelassen hätten. Diese Leute hätten zwar nicht den Einblick gehabt wie die Angeklagten.

Aber ob die Angeklagten damals gewusst hätten, was man heute weiß? Er bezweifle, dass Frau H. Bestandteil dieses Betrugssystems war. „Sie würde heute sicher zwei Kreuze machen, wenn sie dem Namen Ignatova nie begegnet wäre“, so ihr Anwalt. Hinterher sei man immer schlauer. Diese Sensibilität würde er sich für die Beweisaufnahme wünschen.

OneCoin-Werbevideos im Gerichtssaal

Der Vorsitzende Richter nahm‘s zur Kenntnis und leitete zum Betrachten von zwei Videos über: Zum einen sah das Gericht den OneCoin-Werbefilm: „The Future of Payments“ – bis heute auf Youtube zu finden.
Eine raunende Stimme erklärt, mit OneCoin ließen sich unsere Finanzprobleme lösen – unabhängig vom Bankensystem.

Aus dem OneCoin-Werbevideo: Erstaunlicherweise konnten die OneCoiner sogar kleinere Kursrückgänge schon bis drei Jahre im Voraus prophezeien. Screenshot: him

Mitwirkungsbereitschaft

Nach dem Video fragt einer der Verteidiger, wie es denn prozesstechnisch weiter gehe. Pfeiffer meint, die nächsten fünf Verhandlungstage werde man mit dem Verlesen von Akten und E-mails verbringen. Aber: „Es kommt auf die Mitwirkungsbereitschaft Ihrer Mandanten an.“ Zeugen wie Gutachter würde er erst nach Verlesung der Akten einladen wollen. Dann gehe es um die Frage, gab es eine Blockchain, was sagen die IMS-Beschäftigten und mögliche Geschädigte.

Kurssteigerung und Provisionen

Um zu zeigen, wie OneCoinverkäufer auftraten, hat das Gericht ein zweites Video im Programm: Eine dreiviertel Stunde erzählt der Südtiroler Anton Federspiel bei einer Veranstaltung in Erfurt im Mai 2016 von der sagenhaften Geldvermehrung durch OneCoin. Auch dieses Video ist bis heute im Internet zu finden.

Anton Federspiel in seinem Werbevideo: Screenshot: him

Federspiel erzählt hier vom unglaublichen Erfolg, den man mit OneCoin haben könne. Aus 8000 Euro würden 36.000 Euro und durch die Kurssteigerung heute gar 336.000 Euro. Und wer dann noch in den Weiterverkauf einsteige, der bekomme von jedem Verkauf 10 Prozent. Würden seine Kunden ebenfalls werben, dann verdiene er auch an deren Verkäufen 10 Prozent, In der dritten und vierten Generation seien es dann sogar 20 und 25 Prozent.

Und alles ohne etwas dafür zu tun. Seinem Publikum in Erfurt rief der gelernte Koch zu: „Ihr seid ausgewählte Menschen, Ihr liegt nicht auf dem Sofa rum.“

Nach dem Federspiel-Video schließt der Vorsitzende Richter die Sitzung: „Wir sehen uns dann am Donnerstag wieder.“
Ob nun die Angeklagten mit ihren Anwälten beraten, wann sie welche Erklärung abgeben? Es ist anzunehmen.

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Martin Himmelheber (him)
Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.