Freitag, 29. März 2024

Kern-Liebers: Corona-Schick mit Strick

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„Not macht erfinderisch.“ Selten hat das Sprichwort so gut gepasst wie derzeit in der Corona-Pandemie. Überall wird gewerkelt und getüftelt. Autobauer montieren Beatmungsgeräte, Brauereien produzieren Desinfektionsmittel und Kern-Liebers in Schramberg strickt Mund-Nasen-Schutzmasken.

Luca Bortolotti und Huub Waulthers sind beim Sulgener Konzern in der Abteilung Knitting Parts zuständig für die Anwendungstechnik. Die beiden prüfen die neuen Nadeln und Platinen für Strickmaschinen, testen, wie lange sie im Dauerbetrieb durchhalten, und sind weltweit unterwegs, wenn Kunden Probleme bei der Anwendung haben.

Test mit Nutzen

„Wir haben hier zwei Strickmaschinen für unsre Tests“, erzählt der gebürtige Niederländer Waulthers. „Als dann die Coronakrise kam, und überall Mundschutzmasken fehlten, haben wir überlegt, da könnten wir die Maschinen doch fürs Mundschutzfertigen einsetzen.“

Solche „Nadeln“ und Platinen wie auf der Tafel links werden für die Produktion des Mund-Nasen-Schutzes eingesetzt.

Die beiden begannen zu tüfteln. Da gerade eine neue Nadel für das dreidimensionale Stricken in die Erprobung kam, überlegten Waulthers und Bortolotti, wie man eine dichte, formstabile, aber zugleich angenehm zu tragende Mund-Nasen-Schutzmaske konstruieren könnte.

Viel Arbeit am Computer

„Ich habe die Maße von mir, einer Mitarbeiterin im Büro und anderen Leuten genommen und dann den Durchschnitt ausgerechnet“, erzählt Waulthers. Dann hat er überlegt, welches Material er braucht: Für die Innenseite Baumwolle, weil angenehmer auf der Haut. Außen Polyester für die Dichtigkeit und Stabilität.

Am Computer hat Waulthers das Strickmuster für die Mund-Nase-Maske entworfen und programmiert.

Die beiden Bänder für die Ohren bestehen aus mit Baumwolle umsponnenem Elastan. Auch diese Bänder strickt die Maschine automatisch: „Ich habe eine Woche gebraucht, bis ich programmiert hatte, dass da eine Masche wegfällt und die Bändchen entstehen.“

Damit die Maske eng anliegt und in Form bleibt, haben die beiden Anwendungstechniker ein besonderes „Strickmuster“ entwickelt. Der sonst übliche Metallsteg über der Nase entfällt.

Am richtigen Faden ziehen – und die Maske ist abgetrennt.

Einen weiteren Trick hat sich Waulthers, der seit 2013 bei Kern-Liebers arbeitet, ausgedacht: Die Maschine strickt die Masken wie an einem Band. Damit man sie voneinander abtrennen kann, muss man lediglich zwei Fäden durchschneiden, daran ziehen und – schwupp – hat man die Maske vor sich. Dann sind noch ein paar andere Restfäden zu entfernen und man könnte sie anziehen.

Doch ganz so schnell geht es nicht: „Erst mit 60 Grad waschen“, empfiehlt Waulthers. Zum einen, weil vom Strickvorgang etwas Öl im Gewebe stecken könnte, und zum anderen, weil erst durch das Waschen der Stoff richtig dicht wird und die Maske ihre Form erhält. Sie ist tatsächlich so dicht, dass man eine Kerze nicht mehr auspusten kann, wenn man sie trägt.

Der Vorstand war rasch überzeugt

Als die beiden Textilexperten ihre Masken entwickelt und erste Exemplare gestrickt hatten, kamen sie auf die Vorstände zu und haben ihre Idee vorgestellt, erinnert sich Geschäftsführer Hannes Steim. In der Chefetage fand man die Idee brillant und beschloss, zunächst für die Mitarbeiter im Stammwerk und dann für alle Kern-Liebers Unternehmen weltweit je zwei Masken stricken zu lassen. Kern-Liebers-Chef Udo Schnell hat besonders überzeugt, wie leicht die Maske ist, nämlich gerade mal zwölf Gramm, und dass man gut hindurch atmen kann.

Sitzt, passt, wackelt nicht und lässt die Luft gut durch…

Als Ziel haben sich die beiden Techniker etwa 16.000 Stück vorgenommen. Bisher sind bereits knapp 3000 fertig. Um schneller produzieren zu können, habe die Firma eine weitere moderne Strickmaschine angeschafft, berichtet Steim. „Pro Maske brauchen wir sieben bis acht Minuten“, schätzt Waulthers, „dann kommt noch eine Minute für das Nacharbeiten hinzu.“ Es wird also noch eine Weile dauern, bis alle Kern-Liebers-Beschäftigten ausgestattet sind.

Auch der Nadeltest ist erfolgreich

Was den Anwendungstechniker besonders freut: Die neue Nadel hat im Dauerbetrieb schon drei Wochen durchgehalten. „Keine ist kaputtgegangen.“ Den Test mit der Nadel hätten die beiden in jedem Fall unternommen und „möglicherweise tausende Schals  gestrickt, die niemand braucht“, wie Waulthers meint. Nun fertigen sie die Mund-Nasen-Schutzmasken für alle Mitarbeiter und schlagen damit „zwei Fliegen mit einer Klappe“.

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Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.