Donnerstag, 18. April 2024

AfD-Abgeordnete angeblich von Stadtführerin in Rottweil als Nazis bezeichnet – Wunsch nach Aufklärung läuft ins Leere

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„Das sind unsere Nazis!“ Dieser Satz soll vor gut einem Monat für helle Aufregung unter anderem beim Rottweiler AfD-Landtagsabgeordneten Emil Sänze gesorgt haben, inzwischen einer der beiden Landesvorsitzenden der Partei. Geäußert haben soll den Satz eine Anführerin einer Reisegruppe beim Gang durch die historische Rottweiler Innenstadt am 8. Juni 2022. Politiker Sänze, der sich von dem Satz wie zwei seiner Parteikollegen angesprochen fühlte, hat eine Anfrage an die Landesregierung gestellt. Er wollte wissen, wer hinter der Stadtführung steckt, ob sie mit öffentlichen Geldern finanziert worden ist. Doch Sänzes Wunsch nach Aufklärung bleibt bislang unerfüllt.

Wir erinnern uns: Anfang Juni war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Rahmen seiner „Ortszeit Deutschland“ in Rottweil. Am 8. Juni fand eine Demonstration sogenannter Querdenker unterhalb des Schwarzen Tors statt, an die die AfD sich anschloss.

Etwas abseits davon protestieren Vertreter der Partei auf Höhe des ehemaligen Postamts gegen den Besuch des Bundespräsidenten. Und dann soll es passiert sein. Emil Sänze (71), Rottweiler Landtagsabgeordneter der AfD, erinnert sich:

In Reaktion auf den Besuch des Bundespräsidenten Steinmeier in Rottweil fand am Juni 2022 vor dem Gebäude Hauptstraße 26 bis 28, Rottweil, eine Informationsveranstaltung der Herren MdL Emil Sänze, Rüdiger Klos und Hans-Peter Hörner (alle AfD) statt, die mit einem Kleinbus für Bürgergespräche zur Verfügung standen. Zwischen 16 und 17 Uhr näherte sich aus der Richtung oberes Ende der Hauptstraße (Schwarzes Tor) eine Gruppe, die vom Fragesteller als eine (entweder ehrenamtliche oder professionelle) Stadtführerin/Fremdenführerin mit einer Besucher-/Gästegruppe zweistelliger Teilnehmerzahl eingeordnet wurde. Die Frau sprach mit ihrer Gruppe russisch (oder ukrainisch). Beim Passieren des mit „AfD-Fraktion“ beschrifteten Kleinbusses und der Abgeordneten sowie deren Ehefrauen und Mitarbeiter, teilte die Stadtführerin ihrer Gruppe in russischer (oder ukrainischer) Sprache mit: „Das sind unsere (Adjektiv wurde nicht verstanden) Nazis!“.

Aus einer Kleinen Anfrage des Abgeordneten Sänze vom 10. Juni 2022

Ehefrauen wollen den Satz verstanden haben

So schildert es Sänze in einer sogenannten Kleinen Anfrage an die Landesregierung, die er am 10. Juni, zwei Tage nach dem vermeintlichen Vorfall, formulierte. Ein dreiseitiges Werk, in dem er auch berichtet, warum die Abgeordneten vor Ort den auf Russisch oder Ukrainisch gesprochenen Satz zu verstehen glaubten. So sei „die Bedeutung des Satzes … von den Ehefrauen zweier der Abgeordneten aufgrund ostslawisch-muttersprachlicher beziehungsweise schulrussischer Sprachkenntnisse zweifelsfrei identifiziert“ worden, erklärt der AfD-Politiker. Die angesprochene Gruppe selbst habe auf die Äußerung zurückhaltend reagiert. Sänze habe derweil nach eigener Erinnerung die Stadtführerin mit den Worten zur Rede gestellt: „Unverschämtheit, was Sie hier treiben! Sie sind Gast und das sind auch Gäste. Unverschämtheit, gewählte Parlamentarier als Nazis zu bezeichnen!“ Die Stadtführerin habe – auch wieder nach Sänzes Erinnerung – „in fehlerhaftem Deutsch“ erklärt, sie wolle in Ruhe gelassen werden.

Steckt jüdische Gemeinde dahinter? Finanziert mit öffentlichen Geldern?

Bereits zuvor sei es zu Beleidigungen gegen die Abgeordneten durch Jugendliche gekommen, laut Sänze auch diese in fehlerhaftem Deutsch. Nun vermutet er, dass es keine Touristen „aus der Russischen Föderation oder der Ukraine“ gewesen sind, die mit kommerziellen Reiseanbietern nach Rottweil kommen. Er vermutet eher einen Zusammenhang dieser Stadtführung und des geschilderten Vorfalls – „die öffentliche Herabsetzung gewählter Volksvertreter vor Publikum mutmaßlich ausländischer Herkunft“, wie Sänze schreibt – mit „Willkommens“-Aktivitäten für ukrainische Kriegsflüchtlinge in der Stadt. Der Politiker verweist auf die „Stadtnachrichten“ der Stadtverwaltung vom 2. März. Darin sei immerhin von „Dolmetscherdiensten und sozialer Betreuung“ die Rede. Und die werde angeboten von der jüdischen Gemeinde, hat Sänze herausgefunden.

Außerdem will Sänze wissen, ob die Stadtführerin mit öffentlichen Geldern bezahlt wird. Eine Vorgehensweise, die Sänze schon nach einem AfD-kritischen Stück des Rottweiler Zimmertheaters gezeigt hat (Artikelsammlung zum Thema).

Beflaggung des Rottweiler Alten Rathauses anlässlich des Besuchs des Bundespräsidenten und des Kriegs in der Ukraine. Archiv-Foto: Peter Arnegger

Herkunft der ukrainischen Flagge am Rottweiler Alten Rathaus: Amazon

Was Sänze, einmal im Anfragemodus, ebenfalls von der Regierung wissen will: „wer die ukrainischen Flaggen an zahlreichen Rathäusern auf welcher Rechtsgrundlage beschafft und verwendet“. Die am Alten Rathaus in Rottweil ist nach Wissen der NRWZ vom scheidenden Oberbürgermeister Ralf Broß rasch selbst beschafft worden. Per Bestellung bei Amazon. Kurzfristig.

Zusammengefasst interessiert es ihn, „welche Gruppen mutmaßlich ausländischer Staatsbürger während des bewachten Aufenthalts des Bundespräsidenten in Rottweil Stadtführungen erhielten und wer diese in wessen Verantwortung ausführte.“ Da müssten doch Erkenntnisse vorliegen, waren doch BKA und LKA und örtliche Polizei und Bundeskanzleramt mit einer Vielzahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern während Steinmeiers Besuch in der Stadt.

Stadtverwaltung und Landratsamt antworten dem Justizministerium und dieses dem Abgeordneten

Sänzes Anfrage wird vom Justizministerium beantwortet. Und zwar am 4. Juli 2022, nachdem die Behörde bei Landratsamt und Stadtverwaltung nachgefragt hat. Weil das Landratsamt erklärt habe, zu diesem Vorgang mangels Erkenntnissen keine Aussagen treffen zu können, beruhten die ministeriellen Angaben im Wesentlichen auf der Rückmeldung der Stadt Rottweil, heißt es.

Die Antworten der Stadtverwaltung laut Ministerium der Justiz und für Migration:

  • Am 8. Juni 2022 (haben) keine Stadtführungen in organisatorischer Verantwortung der Stadt Rottweil in der historischen Innenstadt stattgefunden. Inwieweit Angebote Dritter vorgelegen haben, entzieht sich der Kenntnis der Stadt.
  • Bislang hat die Stadt Rottweil am 3. Juni 2022 eine Führung für Geflüchtete aus der Ukraine angeboten. Diese wurde in englischer Sprache abgehalten und aus Spendengeldern finanziert. Nach dem Kenntnisstand der Stadt Rottweil haben außerdem zwei private Führungen am 23. April 2022 und 13. Mai 2022 stattgefunden, bei der eine städtische Mitarbeiterin ehrenamtlich gedolmetscht hatte. Über sonstige Führungen oder vergleichbare Angebote Dritter, die nicht mit der Stadt Rottweil verbunden sind, liegen der Stadt Rottweil keine Informationen vor.
  • Weil Sänze wissen wollte, ob es in Rottweil auch Stadtführungen etwa für Geflüchtete gebe, „die einen Auftrag zu politischen Schulungen des Publikums oder Orientierung des Publikums zur politischen oder politisch-gesellschaftlichen Situation in Baden-Württemberg“ beinhalteten: „Ein solcher Auftrag ist der Stadt Rottweil nicht bekannt.“
  • Seitens der Stadt Rottweil werden Führungen in englischer, französischer, italienischer und spanischer Sprache in der Regel gegen Entgelt angeboten.

Der Wunsch des AfD-Landespolitikers nach Aufklärung der Urheberschaft der mutmaßlichen Beleidigung läuft daher ins Leere. Dennoch endet die Antwort des Ministeriums hier noch nicht. Es folgen, aufgrund weiterer Fragen Sänzes, einige Angaben zur Finanzierung der Geflüchtetenhilfe des Landes. Diese wie die komplette Anfrage des Abgeordneten sind hier abrufbar.

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Peter Arnegger (gg)https://www.nrwz.de
... ist seit gut 25 Jahren Journalist. Mehr über ihn hier.

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