Freitag, 19. April 2024

„Das Gegenteil von Fasnet“: Film versucht, Stimmung gegen Coronamaßnahmen zu machen

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Das gab es noch nie: Zugangskontrollen zu einem Rottweiler Narrensprung, nur vollständig Geimpfte, Genesene oder negativ Getestete durften dabei sein. „Das ist das Gegenteil von Fasnet“, urteilt eine Trägerin einer Virus-Kappe aus Pappmaschee in einem YouTube-Film, der jetzt online aufgetaucht ist. „Es dürfen nur die rein, die politisch auf Linie sind“, sagt die Maßnahmenkritikerin. Der Film eines ungenannten Autors will das anprangern, will gegen diese „neue Normalität“ Stimmen sammeln. Er bekommt auch welche – allerdings nicht nur in seinem Sinne. Da biegt der Film ab in die Pandemie-Leugnerecke.

Zeitlupenaufnahmen im Halbdunkel, in der Waldtorstraße, am Café Lehre beginnt der Film „Rottweiler Fasnet 2022 ‚Neue Normalität'“. Ein Rössle mit seinen Treibern kommt an der Einlasskontrolle an, an der die Zertifikate in der Corona-Warn-App vorgezeigt werden müssen. Die Narren, so zeigt der Film, lassen das über sich ergehen. Sie wollen am Narrensprung in Rottweil 2022 teilnehmen und halten sich an die Auflagen. Kein Problem.

Viele scheinen das gerne zu tun, mit einem Lächeln. Auch die Zuschauer fügen sich. Im Hintergrund läuft Musik eines Rappers, der  vor allem bei Querdenken-Demonstranten beliebt ist. Er spricht und singt von einer „neuen Realität, in der die ganze Menschheit plötzlich krank ist“ in der „die Wahrheit keine Chance kriegt“, singt von der Ära Bill Gates.

Diese Sicht der Dinge versucht der Filmer zu unterstreichen. Er interviewt vornehmlich Zuschauer und Narren, die „draußen bleiben müssen“, wie sie monieren. „Weil wir gesund sind.“ Weil hier gegen das Fasnetsmotto „Niemand zu Leid, jedem zur Freud'“ verstoßen werde, weil die Fasnet immer eine Sache aller war und dies nun nicht mehr sei (stimmt das eigentlich? Gab es vor Corona, vor 2022 eine freie, uneingeschränkte Fasnet etwa in Rottweil, an der alle auf ihre Weise teilhaben konnten?).

Der Filmer erwischt aber auch Befürworter der Maßnahmen – und lässt sie ausreden, was man ihm zugutehalten muss. Ein alter Rottweiler, beispielsweise, selbst früher Rösslenarr, der es schön findet, „dass die Fasnet doch in irgendeiner Form stattfindet in der schwierigen Zeit“ so erhalte die Jugend, die vieles habe entbehren müssen, „eine kleine Entschädigung.“ Er bescheinigt auch der Narrenzunft, dass sie sich sehr viel Mühe gegeben habe, etwas auf die Beine zu stellen.

Gleich dagegen gehalten: Ein Mann, der wie die Dame zuvor einen Virus aus Pappmaschee trägt, findet das, was er da erlebt in Rottweil, „ziemlich erbärmlich, so.“ Klar – auch er sagt das von außerhalb der Absperrungen, er darf nicht dabei sein. Vereinzelt hatten sich Menschen an den Gittern aufgebaut, um auf die stattfindende Ausgrenzung hinzuweisen. Sie wären ohne den Film recht unbeachtet geblieben. Wie auch der Schantle, der von draußen über die von ihm so wahrgenommene Spaltung spricht. Es sei eine Unverschämtheit, dass er und sein Kumpel ausgeschlossen würden. Immerhin sei es doch Tage zuvor auch gegangen, hätten Zunftmitglieder und Stadtoberhaupt doch auch ohne Maske und Abstand in der Oberen Hauptstraße feiern können. „Da ist es gegangen“, sagt der Narr erbost.

„Sie werden’s nie allen recht machen, Sie werden immer diese zwei Lager haben“, fasst der nächste Interviewpartner, der selbst einen Mund-Nasenschutz trägt, die Situation zusammen. Mache die Zunft nichts, werde gemeckert, mache sie was, sei es auch nicht recht.

Dann biegt der Film ab. Die Pappmaschee-Virusträger sprechen von übertriebenen Maßnahmen und Inszenierungen. Und ein Rössle beschwert sich über zu wenige Tote. Spricht von Lüge und Beschiss. Eine weitere Interviewpartnerin (ohne Maske) glaubt, es gehe um „Diktatur unter dem Deckmantel vom Virus“. Sie glaubt, dass die Menschen das nur mitmachen, weil sie „zu wenig Sauerstoff im Gehirn“ hätten. Die würden „gar nicht mehr checken, was sich so abspielt.“ Später spricht sie von Sklaven, die Masken hätten tragen müssen, „weil sie dann gefügiger sind.“

Nun geht es dem Film um Beschneidung der Tradition, die von vielen angeprangert wird. Die sei aber doch völlig lögisch: „Wenn Du reglementieren muss, wenn Du Einlasskontrollen machen musst“. Wie gesagt: „völlig logisch“, erklärt ein Zuschauer voller Verständnis. Und ein Biss fühlte bei dem Sprung die Glückseligkeit, die er nicht erwartet hätte.

Auf der Suche nach Unterstützung von seiner These von den unangemessenen und zu lange geltenden Coronamaßnahmen gerät der Filmer an einen Schantle. „Ist das jetzt so Querdenkerscheiß?“, fragt der Narr, und verabschiedet sich mit einem „Leck mich doch am A…“ Im Film folgt eine Einblendung der Wikipedia-Erklärung des Querdenkens.

Wir sind nun fast in Minute 25 des Streifens angekommen – und nach dem Abgang des grantigen Schantles geht es dem Autor nur noch um sein Thema. Auftritt Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Er rechne damit, dass wir noch sehr lange mit der Pandemie zu tun haben werden, sagt der Politiker in einem eingespielten Video. Zehn Jahre, möglicherweise. Das hält der Filmer einigen Narren und Zuschauern vor, will offensichtlich Unterstützung für seine Tendenz. Die er nicht überall bekommt. Okay, von dem Träger des Schwarzen Rössles ohne Treiber schon. Der Fake-Narr, der schon eingangs der Fasnet unangenehm aufgefallen ist, der die Leichenberge vermisst und der sein eigenes Ding macht, pflichtet dem YouTube-Narr bei.

Die letzten Minuten sind einem exaltiert gekleideten Herrn mit Zwirbelbart gewidmet. Man erfährt das nicht direkt, es handelt sich um Ronald Schwarzer. „Über die heutige Zeit wird man einmal als die größte Lüge der Menschheit sprechen“, sagte er Report24, einem österreichischen Medium, das im Verdacht steht, Desinformation zu betreiben. Zwei Minuten darf der Herr referieren. Der Kaufmann, Kunsthistoriker und Schriftsteller aus Wien. Ob er die Rottweiler Fasnet kennt?

Auf YouTube geht die Auseinandersetzung aber weiter. Dem Filmer, der nirgends seinen Namen nennt – sein Kanal nennt sich „Eyes Wide Shut“,„Augen weit geschlossen“, nach dem letzten Stanley-Kubrick-Film – wird bescheinigt, ein „mutiges Projekt“ angegangen zu sein. „Es braucht Mut und Zivilcourage in dieser Zeit!“ Ein anderer sieht es dagegen so: „Maskendeppen unter sich :-( Vielen Dank für diese zeitgeschichtlichen Aufnahmen!!!“

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Peter Arnegger (gg)https://www.nrwz.de
... ist seit gut 25 Jahren Journalist. Mehr über ihn hier.

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