Kunst als Lebenselexier: Egon Rieble vor 100 Jahren geboren

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Er war ein Kenner und mitreißender Vermittler christlicher Kunst, ein Dichter geschliffener Verse, ein flammender Fürsprecher des Dialekts: Egon Rieble. Diesen Dienstag wäre er 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Grund erinnern wir an diese unverwechselbare Persönlichkeit.

Aus der Kunst schöpfte Egon Rieble enorme Kraft und Lebensfreude. Der Umgang mit Gemälden, Skulpturen und Versen schien ihn geistig rege und auch körperlich rüstig zu halten – bis weit über seinen 90. Geburtstag hinaus.

Noch ein Dreivierteljahr vor seinem Tod 2016 organisierte er eine Ausstellung zum Thema Riabagoaschter – ein weiteres Beispiel dafür, wie großartig Egon Rieble es verstand, Kunst und die Alltagswelt der Menschen zusammen zu bringen.

Dass ihn die Künste so tief ergriffen, hatte viel mit der Erfahrung von Krieg und Nachkrieg zu tun. Schon früh für die Fliegerei begeistert, ging er – die Nazi-Ideologie jugendlich ausblendend – als 17jähriger zur Luftwaffe, wurde Flugzeugführer und Jagdflieger.

Das prägte ihn: Gewalt einerseits, die Erfahrung, wie schnell ein Leben ausgelöscht werden kann: Er hatte es selbst erlebt, kam um Haaresbreite bei einem Abschuss davon. Andererseits das Faszinosum Fliegen – pure Freiheit, Abstand, Unabhängigkeit.

Riebles ganzes Schaffen lässt sich aus der Spannung dieser Pole – existenzieller Ernst und fliegerischer Lebensschwung – verstehen. Auf der einen Seite in jeder Silbe präzise ziselierte Gedichte, die, wie im Lyrikband „Chiffren“ (2008), elementare Lebensfragen spiegeln. Auf der anderen Seite beredte, oft  humorvoll sinnenfreudige Texte, die – wenn sie nicht an sich schon vom Fliegen erzählen – oft inspiriert scheinen von der Lust, wie der Pilot eine andere Perspektive einzunehmen.

Zum Beispiel beim Blick auf eine spätmittelalterliche Tafelmalerei aus dem Dominikanermuseum, die das Titelbild eines seiner Bücher ziert. Dort zogen Riebles Aufmerksamkeit nicht Joachim und der Schäfer auf sich, dem ersterer sein Leid klagt, im hohen Alter noch kinderlos zu sein. Rieble sah den Engel darüber. Er erkannte an Kleid und Haarschopf: Da kommt einer pfeilschnell, da hat es einer verflixt eilig, Joachim kundzutun, dass er der Vater Mariens wird.

Die meisten Kunsthistoriker würde die Machart analysieren, stilistische Merkmale, ikonografische Details. Rieble hingegen ließ sich auf das Entdecken ein – denn er hatte die Freiheit des Fliegers als geistige Haltung verinnerlicht. Das Kunstwerk betrachtete er radikal mit den Augen derer, für die es geschaffen wurde. Und gab dem Staunen auch mit deren Worten Ausdruck: „Guck au, dr Gabriel.“

Dieses Genre hat er in seinen fast 20 Büchern perfektioniert: Entdeckungen, die einen unverstellten, heiter-lehrreichen Blick eröffnen. Und das auch sprachlich stimmig: Denn Rieble fasste seine Beobachtungen in Verse – wahlweise mundartlich und hochsprachlich, auf beide Register und Tonlagen verstand er sich gleichermaßen.

Hinzu kamen fundierte Erläuterungen, schließlich hatte er in Tübingen Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte studiert. Sogar an einer Doktorarbeit hatte er gefeilt, über die Stilistik der drei Fassungen von Hölderlins „Der Tod des Empedokles“. Damals, in den Fünfzigerjahren, strebte Rieble – bekannt unter anderem mit Walter Jens und befreundet mit Thaddäus Troll – eine akademische Karriere an. Doch es kam anders, nicht zuletzt, weil der Doktorvater verstarb.

Seine wahre Berufung fand Egon Rieble schließlich als Kulturbeauftragter des Landkreises. Hier war er ein Glücksfall, verband Kompetenz mit Begeisterungsfähigkeit und Tatkraft. Bei der Sicherung von Kulturgütern und bei der Sensibilisierung für diese Werte hat er – wie auch als Anreger des lokalen Brauchtums bei der Göllsdorfer Saukirbe –Pionierarbeit geleistet.

Einen Ertrag seines Wirkens, den prachtvollen Band „Sehen und Entdecken im Kreis Rottweil“, von 1980 nimmt bis heute mit Gewinn zur Hand. Die Verbindung von kunstbeseeltem Enthusiasmus und Fleiß hielt ihn Egon Rieble bis über den 90. Geburtstag hinaus vital. Bis ins hohe Alter machte er Atelierbesuche, leitet den VHS-Literaturtreff. Wenn er über Heilige und Engel sprach, schien er fast abzuheben – so sehr packte ihn die Begeisterung. Man spürte: Die Kunst und der christliche Zeichenkosmos waren sein Lebenselexier.




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