Der Bundesgerichtshof hat die einseitige Kürzung von Rentenfaktoren in bestimmten Riester-Verträgen der Allianz gestoppt – ein Paukenschlag für die private Altersvorsorge, der Versicherer und Verbraucherschützer gleichermaßen betrifft. Während die Verbraucherzentralen das Urteil als Meilenstein gegen intransparente Vertragsklauseln feiern, betont die Allianz, sie halte alle Garantien ein und sehe sich im Kern in ihrer Produktlogik bestätigt.
Worum es beim Rentenfaktor-Streit geht
Im Zentrum steht der sogenannte Rentenfaktor, also der Umrechnungswert, mit dem das angesparte Kapital in eine monatliche Rente umgerechnet wird – etwa „x Euro Rente je 10.000 Euro Vertragsguthaben“. Die Allianz hatte in fondsgebundenen Riester-Rentenverträgen aus dem Jahr 2006 diesen Faktor nachträglich deutlich gesenkt, was die prognostizierte Rente um rund 20 Prozent reduzierte.
Möglich machte dies eine Klausel, die der Allianz erlaubte, den Rentenfaktor unter bestimmten Bedingungen mit Zustimmung eines Treuhänders anzupassen. Eine klare Verpflichtung, den Faktor bei verbesserten Rahmenbedingungen wieder anzuheben, fehlte jedoch – genau hier setzten die Gerichte an.
Was der BGH konkret entschieden hat
Mit Urteil vom 10. Dezember 2025 (Az. IV ZR 34/25) erklärte der BGH die strittige Klausel zur Rentenfaktor-Anpassung in einem Allianz-Fondsrentenvertrag für unwirksam, weil sie Versicherte unangemessen benachteiligt. Einseitige Kürzungsrechte ohne ebenso klar geregelte Pflicht zur späteren Wiederheraufsetzung verstoßen nach Ansicht der Richter gegen das sogenannte Symmetriegebot.
Der BGH stellte zugleich klar, dass Anpassungen von Rentenfaktoren unter einem Treuhändervorbehalt grundsätzlich zulässig sein können – aber nur, wenn in den Bedingungen sowohl Senkung als auch verpflichtende Wiederanhebung rechtssicher verankert sind. Eine bloße, außerhalb der Bedingungen gegebene Zusicherung des Versicherers, man werde „im Zweifel schon wieder erhöhen“, reicht nach dem Urteil ausdrücklich nicht aus.
Die Sicht der Verbraucherzentralen
Für die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg ist das Urteil der vorläufige Höhepunkt eines jahrelangen Musterstreits gegen die Allianz. Sie wertet die Entscheidung als Signal gegen branchenweit verbreitete Klauseln, die Versicherern ein starkes Nachsteuerungsrecht geben, ohne Chancenverbesserungen symmetrisch an die Kunden weiterzugeben.
Die Verbraucherschützer betonen, dass das Urteil nicht nur den konkret klagenden Kunden betrifft, sondern Orientierung für viele ähnliche Verträge bietet. Sie rufen Allianz-Kunden mit fondsgebundenen Riester-Policen auf, ihre Vertragsunterlagen und etwaige Rentenfaktor-Kürzungen zu prüfen und bei Bedarf Widerspruch einzulegen oder rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen.
Die Argumentation der Allianz
In einer Pressemitteilung stellt die Allianz heraus, dass der BGH zwar die konkrete Klausel im Altbestand kassiert, das Prinzip der Rentenfaktor-Anpassung unter Treuhändervorbehalt aber grundsätzlich bestätigt hat. Das Unternehmen verweist darauf, dass seit 2007 alle betroffenen Rentenversicherungsverträge eine ausdrückliche Verpflichtung zur Wiederheraufsetzung des Rentenfaktors in den Bedingungen enthalten und daher nicht unter das Urteil fallen.
Zugleich betont die Allianz, dass eine Anpassung des Rentenfaktors nicht in vertragliche Garantien eingreife und der sogenannte Policenwert, also das Vertragsguthaben, unangetastet bleibe. Entscheidend für die Kunden sei am Ende die Gesamtrente, die sich aus garantierter Rente und Überschussbeteiligung zusammensetze; diese Gesamtverzinsung werde durch den gekippten Mechanismus nicht automatisch verändert.
Was betroffene Sparer jetzt wissen müssen
Betroffen sind nach derzeitigen Angaben vor allem fondsgebundene Riester-Renten der Allianz, die zwischen Juni und November 2006 abgeschlossen wurden und die die beanstandete Klausel enthalten. Wer in dieser Zeit einen Vertrag unterschrieben und später ein Schreiben über eine Senkung des Rentenfaktors erhalten hat, gehört mit hoher Wahrscheinlichkeit zur relevanten Gruppe.
Die Verbraucherzentralen empfehlen, alte und neue Rentenfaktoren zu vergleichen und eine unzulässige Kürzung schriftlich zu beanstanden oder prüfen zu lassen. Fachkanzleien und Beratungsstellen rechnen damit, dass viele Riester-Sparer Anspruch auf Wiederherstellung des ursprünglichen Rentenfaktors oder auf eine Nachberechnung der Rentenleistung haben könnten – Details hängen aber stets vom Einzelfall ab.
Verbraucherschützer vs. Versicherer: Die Kernbotschaften im Überblick
| Aspekt | Verbraucherschutzhaltung | Allianz-Position |
|---|---|---|
| Bewertung des Urteils | Meilenstein gegen einseitige Rentenkürzungen und intransparente Klauseln. | Bestätigung, dass Treuhänder-Anpassungen grundsätzlich zulässig sind. |
| Klausel von 2006 | Unzulässige einseitige Leistungsbestimmung zu Lasten der Kunden. | Akzeptanz des Urteils, aber Verweis auf klar begrenzten Altvertragsbestand. |
| Bedeutung für andere Verträge | Signalwirkung für viele ähnliche Rentenfaktor-Klauseln im Markt. | Neuere Verträge seit 2007 mit Pflicht zur Wiederheraufsetzung seien nicht betroffen. |
| Empfehlung an Kunden | Verträge prüfen, Kürzungen widersprechen, Beratung einholen. | Allianz wünscht Entscheidungsgründe auszuwerten und „alle erforderlichen Maßnahmen“ ergreifen. |
| Fokus der Argumentation | Stärkung der Planbarkeit und Verlässlichkeit privater Altersvorsorge. | Es wird betont, dass Garantien und Policenwerte unangetastet bleiben, während die Gesamtrente wichtig ist. |
Der Streit um den Rentenfaktor zeigt exemplarisch, wie sensibel das Vertrauen in die private Altersvorsorge auf Änderungen „im Kleingedruckten“ reagiert – und wie stark Gerichte inzwischen auf echte Augenhöhe zwischen Kunden und Versicherern drängen. Für Allianz-Kunden mit älteren Fonds-Riesterrentenverträgen heißt das: Vertragsordner aus dem Regal holen, Rentenfaktor prüfen – und notfalls die neu gewonnene Rechtssicherheit aktiv nutzen.


