Dienstag, 19. März 2024

Dieselskandal: Landgericht Rottweil verdonnert Rechtsschutzversicherer zur Kostenübernahme

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Rottweil. Durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 21. März steigen für Verbraucher die Chancen, doch Schadensersatz gegen Hersteller von Dieselfahrzeugen einzuklagen. Der EuGH entschied, dass Dieselhersteller bereits bei fahrlässigem Handeln für Abgasmanipulationen haften. Den Verbrauchern stehe Schadensersatz zu. Das wirkt sich nun indirekt auf Verfahren gegen Rechtsschutzversicherer aus. So verurteilte das Landgericht Rottweil die Auxilia-Versicherung dazu, die außergerichtlichen und erstinstanzlichen Kosten für eine Diesel-Klage gegen VW übernehmen. Darauf weist die nach eigenen Angaben auf Verbraucherthemen und Großschadenslagen spezialisierte Anwaltskanzlei Dr. Stoll & Sauer hin.

Schon die ADAC-Rechtsschutzversicherung erlitt in einem ähnlich gelagerten Fall eine Niederlage vor Gericht. Der Versicherer müsse die Kosten für eine Diesel-Klage gegen BMW übernehmen, entschied das Oberlandesgericht Hamm. Anders als der ADAC sah das Gericht für die Klage im Diesel-Abgasskandal hinreichende Erfolgsaussichten (Az.: I-20 U 144/22). Der Senat habe sich in seinem Urteil explizit auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bezogen (Az.: C-100/21), teilt die Lahrer Anwaltskanzlei Stoll & Sauer mit.

Und nun Rottweil: Das dortige Landgericht verurteilte den Rechtsschutzversicherer Auxilia am 27. April 2023 in einer Deckungsklage zur Übernahme der Kosten. Anders als Auxilia habe das Gericht für die Klage im Diesel-Abgasskandal hinreichende Erfolgsaussichten gesehen (Az.: 3 O 63/23), so die Anwaltskanzlei in einer Veröffentlichung. Die Kammer habe sich zwar in ihrem Urteil nicht auf die Entscheidung des EuGH bezogen, doch gelten dort sogenannte Thermofenster zur Manipulation der Abgasreinigung als illegal. Um eine solche Abschalteinrichtung gehe es in dem VW-Verfahren, so die Lahrer Anwälte. Das LG Rottweil habe die Rechtslage zum Thermofenster als uneinheitlich gewertet, da der BGH sich noch nicht abschließend geäußert habe. Im Urteil gab die Kammer daher der Deckungsklage eines Verbrauchers im Kern statt.

Im Rottweiler Fall habe ein Verbraucher im Juli 2017 einen VW Touran 2.0 für 30.700 Euro gekauft. Dessen Motor EA288 erfülle die Abgasnorm Euro 6. Ein amtlicher Rückruf liege für das Fahrzeug nicht vor. Nun beabsichtigt der Käufer Schadensersatzansprüche gegen die VW AG mit der Begründung durchzusetzen, dass die dort Verantwortlichen den Wagen mit unzulässigen Abschalteinrichtungen, etwa einem Thermofenster, versehen hätten und ihn dadurch vorsätzlich und sittenwidrig schädigten.

Die Rechtsschutzversicherung des Touran-Käufers verweigerte dann im November 2021 die Deckungszusage für die Klage mit der Begründung, es gebe keine hinreichenden Erfolgsaussichten. Das LG Rottweil wertete die Sachlage anders. Zum einen bestehe für den Rechtsschutzfall Versicherungsschutz. Zum anderen sehe das Gericht Erfolgsaussichten für die Klage, berichtet die Anwaltskanzlei Stoll & Sauer. So habe der Bundesgerichtshof die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Diesel-Klage einerseits in unterschiedliche Entscheidung präzisiert. Andererseits sei zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Deckungszusage die Rechtslage zum EA288 und dem Thermofenster uneinheitlich gewesen.

Das Oberlandesgericht Naumburg kam etwa zum Schluss, dass Ansprüche gegen Volkswagen bei einem Fahrzeug des genannten Typs berechtigt seien (Urteil vom 9. April 2021 – 8 U 68/20). Und nun urteilte das Landgericht Rottweil, dass nicht von vorneherein ausgeschlossen werden könne, dass dem Kläger gegen die VW AG ein Schadensersatzanspruch zusteht.

Gegen das Urteil kann noch Berufung eingelegt werden.

Das LG Rottweil weist zwar nicht explizit auf die jüngste Rechtsprechung am EuGH hin, so die Kanzlei Stoll und Sauer in ihrer Stellungnahme. Die im Abgasskandal entscheidende Verordnung (EG) Nr. 715/2007 schütze auch die individuellen Rechte der Verbraucher. „Vor diesem Hintergrund und die ausstehenden Entscheidungen am BGH stehen die Chancen für eine erfolgreiche Diesel-Klage gegen VW sehr gut“, glauben die Lahrer Anwälte.

Das Landgericht Rottweil hat bereits mit Urteil vom 15. Juni 2022 entschieden, dass Mercedes bei einem Fahrzeug der V-Klasse eine unzulässige Abschalteinrichtung verwendet hat. Dem Käufer stehe deshalb wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung Schadenersatz zu (Az.: 3 O 39/21). Darauf weist der Hannoveraner Rechtsanwalt Andreas Schwering hin.

Der Kläger hatte demnach den Mercedes im September 2017 als Neuwagen gekauft. In dem Fahrzeug sei ein Dieselmotor des Typs OM 651 mit der Abgasnorm Euro 6 verbaut gewesen. Anfang 2021 habe er Schadenersatzansprüche wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung geltend gemacht. Mercedes bestritt zwar, dass in dem Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist, sei damit beim Landgericht Rottweil aber nicht durchgekommen. „Das Gericht holte eine amtliche Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamts ein. Dieses bestätigte im April 2022, dass für das Modell ein verpflichtender Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung oder unzulässigen Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems vorliegt und ohne ein entsprechendes Update dem Fahrzeug der Verlust der Betriebserlaubnis droht“, so Anwalt Schwering.

Derweil schaut alles gespannt nach Karlsruhe. Der Diesel-Senat des BGH neigt Experten zufolge zu einer neuen, verbraucherfreundlichen Rechtsprechung. Verbraucher könnten den durch eine Abgasmanipulation verursachten Wertverlust erstattet bekommen und zugleich ihr Fahrzeug behalten. „Obwohl noch viele Fragen offen sind, ist die Richtung klar: Es wird eine neue Art von Schadensersatz geben, die Verbrauchern den Zugang zu ihrem Recht erleichtert. Eine neue Klagewelle ist möglich, und aufgrund der stark gestiegenen Erfolgsaussichten müssen die Versicherer die Klagen decken“, heißt es in einer Einschätzung der Kanzlei Stoll & Sauer.

Die Entscheidung des BGH wird am 26. Juni 2023 verkündet.

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