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Er will einen Freispruch: Ehehölle wird vor dem Landgericht Rottweil neu aufgerollt

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Noch mal ganz von vorn: Weil er Rechtsmittel gegen ein Haft-Urteil in erster Instanz eingelegt hat, wird ein Prozess gegen einen 43-Jährigen aus dem Kreis Rottweil neu aufgerollt, der seine Ehefrau vergewaltigt, getreten, geschlagen haben soll. Um einen Freispruch zu kämpfen, ist sein gutes Recht. Für die Frau hat damit die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und ihrem mutmaßlichen Peiniger von Neuem begonnen. 14 Zeuginnen und Zeugen sind geladen. Sie schildern das Martyrium der Frau in schillernden Farben. Im Wortsinne.

Rottweil – Es geht um Vorfälle aus den Jahren 2011 bis 2017, die sich in einer Kreisgemeinde abgespielt haben sollen. Mit Urteil vom 15. Juni 2020 hat das Rottweiler Amtsgericht festgestellt, dass der 1981 geborene Mann – ein US-Amerikaner mit deutscher Staatsbürgerschaft – „während der Ehezeit gegen den erkennbaren Willen seiner Ehefrau den Beischlaf vollzogen“ habe. Sprich: Vergewaltigung in der Ehe. Diese Beziehung muss ohnehin die Hölle gewesen sein: Mehrfach habe er seine Frau geschlagen, getreten, mit Fäusten und Fußtritten verletzt, einmal auch mit einem Messer, sah es das Gericht damals als erwiesen an. Der Mann wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Das Gericht hielt ihm zugute, dass er nicht vorbestraft war.

Und nicht nur das: Laut der Frau gab es eine Unmenge an Übergriffen auf sie. Nur wenige konnte sie aus ihrer Sicht beweisen, lediglich eine Vergewaltigung und drei Körperverletzungen sah das Gericht als erwiesen an.

Gegen das Amtsgerichtsurteil insgesamt, nicht nur gegen das Strafmaß, hat der Mann Berufung eingelegt. Deshalb werden die Fälle vor dem Landgericht Rottweil, vor dessen 11. Kleiner Strafkammer, erneut aufgerollt. Die Ehefrau tritt als Nebenklägerin auf. Hätte der Mann sich in seiner Berufung auf die Rechtsfolgen beschränkt, hätte das Gericht die Beweiserhebung in erster Instanz anerkennen und sich nur Gedanken zum Strafmaß machen müssen. So aber beginnt das Verfahren ganz von vorn, müssen sich alle Beteiligten noch einmal mit den vorgeworfenen Taten beschäftigen. Sofern die Leute noch am Leben und nicht außer Landes sind.

Er ist ein kräftiger, korpulenter Mann, mindestens Konfektionsgröße XXL. Breite Schultern, Typ Baggerführer, tatsächlich arbeitslos, zuletzt Glücksspieler bis zur Privatinsolvenz. Er hat drei minderjährige Kinder aus erster Ehe. Sie kamen nicht zur Verhandlung. Zur Seite hat er sich einen Mann geholt, einen erfahrenen Strafverteidiger. Ihm gegenüber sitzen kurz vor Prozessbeginn Frauen: seine ihn belastende Ex-Frau, ihre Anwältin als Nebenklagevertreterin und die Staatsanwältin. Der Mann schaut sich angelegentlich seine Fingernägel an. Mit dem Verteidiger gibt es anscheinend in diesem Moment nichts zu besprechen. Eine Fliege summt durch Saal 114, in dem der Prozess stattfindet, stört etwas die angespannte Ruhe. Warten auf den Richter und die zwei Schöffen. Mit gut zehnminütiger Verspätung kommen sie herein. 

Zunächst verliest der Vorsitzende Richter das erstinzanzliche Urteil. Es berichtet von Übergriffen des Mannes auf seine damalige Frau. Von Sex unter Gewalt. Von Schlägen, Tritten, einem  Messer, von Verletzungen, von Krankenhausaufenthalten, von psychischen Folgen und von anfänglichen Vertuschungsversuchen der Frau, mit denen sie damals ihre Situation Dritten gegenüber zu verschleiern suchte. Der Mann lauscht der Rede des Richters mit gesenktem Blick, aber ohne Scham, stützt seinen Kopf auf seine großen Handrücken. Sie schluckt mehrfach, kämpft mit den Tränen und ihrer Fassung. Sucht seinen Blick, den er abgewandt hält. Nimmt sich ein Papiertaschentuch.

„Ziel der Berufung ist ein Freispruch“, lässt sich der Verteidiger des Mannes selbstbewusst ein. Es geht tatsächlich noch einmal von vorne los.

„Ich erlebe es selten, dass ein amtsgerichtliches Urteil einfach aufgehoben werden soll.“ Der Vorsitzende Richter zeigt mit diesen Worten seine leichte Verärgerung. Denn der Mann will nicht aussagen. Allenfalls zu seiner Person, er will also nicht zur Aufklärung beitragen. Da steht dem Gericht also Kleinarbeit ins Haus. Ein Zeuge ist inzwischen ins Ausland verzogen, die anderen seien teils schwer aufzufinden gewesen. Eine der Zeuginnen ist mittlerweile verstorben, was sie zu sagen gehabt hätte, wird nicht mehr öffentlich werden. Denn der Anwalt des Mannes widerspricht einer Verlesung ihrer Aussage seinerzeit gegenüber der Polizei. Klar ist: Der Anwalt wird es dem Gericht maximal schwer machen. Aber das ist ebenfalls sein Recht. 

Damit sagt am Dienstag erneut eine ehemalige Arbeitskollegin aus, eine Frau dem Krankenhaus, in dem das mutmaßliche Opfer arbeitete. „Sie hatte deutlich sichtbare baue Flecken.“ Und das mehrmals und „flächendeckend“, sagt die Kollegin. Die Krankenschwester beschreibt Hämatome der Größe 20 mal 30 Zentimeter in unterschiedlichen Stadien. Die Frau habe auch immer versucht, „es vor mir geheimzuhalten, bis das halt nicht mehr ging.“ Irgendwann habe sie sich ihr offenbart. Und das ganze Martyrium geschildert. Sie habe der Frau, ihrer Kollegin, dann mehrfach geraten, sich an die Polizei zu wenden, so die Zeugin. Das habe die Frau lange nicht getan. Aus Angst vor weiteren Schlägen, offenbar. Später wird klar: Sie hat womöglich insgesamt sehr lange, zu lange gezögert. So sind einige der wohl vielen Taten nicht nachweisbar. Und mit dem Hinweis, dass sie immer wieder zu ihrem Peiniger zurückgekehrt sei, wird ihr Unterstützung verweigert, sagt ihre Anwältin der NRWZ. Sie sagt das erbost und voller Unverständnis.

Zurück in den Gerichtssaal: Der Anwalt des Mannes lenkt die Befragung der Kollegin auf das Thema Sex. Es geht darum, wie die Frau den Geschlechtsverkehr mit ihrem Mann aus der Anfangszeit der Beziehung anderen gegenüber geschildert habe. Als fordernd und übergriffig, zwar, aber auch als spannend und befriedigend. Sie habe „es gebraucht“, sagt die ehemalige Kollegin über die Frau. Wird der Anwalt hierauf seine Verteidigung aufbauen? Dass der Mann den Übergang von gewolltem hartem Sex zu ungewolltem nicht habe bemerken können?

„Er wollte mehr als ich wollte“, hat sich die Frau damals einer anderen Arbeitskollegin gegenüber nach deren Erinnerung offenbart. Zur Polizei habe sie aber lange Zeit nicht gehen wollen. „Der bringt mich um“, soll sie dazu erklärt haben. Auch diese Zeugin will oft großflächige Blutergüsse an der Frau gesehen haben, vor allem am Rücken.

Ein Zeuge, Schwiegersohn der Frau, erzählt, es sei damals „im ganzen Dorf rumgegangen“, dass der Mann seine Frau schlage. Das hat man wohl hingenommen. Er selbst hat die Frau damals nach eigenen Angaben „gut zugerichtet“ gesehen. Grün und blau geschlagen und rot und lila. Das Auge zugeschwollen, „alle Farben“, „Bluterguss wie bei einem Boxer“. Oft, „sehr oft“, habe sie so vor der Tür ihrer Tochter, seiner Frau gestanden. Am Ende sei das „extrem“ gewesen. Der Zeuge sah sich damals auch als Kumpel des wohl übergriffigen Mannes. Der habe Einsicht gezeigt, als er ihn drauf angesprochen habe. Eine Einsicht „ohne Worte“, unter Männern. Die Frau wiederum habe er als „verliebt“ in ihn wahrgenommen – sie habe ja immerhin trotz allem zu ihm gehalten. Das sei wohl Liebe. Auch sei, wie er aufgeschnappt habe, der Sex zwischen beiden toll gewesen. Anfangs jedenfalls.

Hier hakt der Rechtsanwalt erneut ein: Das sei doch ein Widerspruch – Schmerzen und Schläge einerseits und Verliebtsein andererseits. Das passe doch nicht. Wie geschildert: Er will einen Freispruch für seinen Mandanten erreichen, wird also versuchen, den Mann so gut es geht aus seiner Verantwortung herauszureden.

Der auf vier Verhandlungstage angesetzte Prozess wird fortgesetzt.

Hintergrund: „Rund ein Drittel aller Frauen wurden schon einmal Opfer von Beziehungsgewalt. Aber auch Männer sind in Beziehungen Gewalt ausgesetzt“, fasst die Polizei das Problem zusammen. Beziehungsgewalt komme in allen Einkommens-, Bildungs- und Altersschichten vor. Viele Betroffene suchten die Schuld bei sich selbst oder würden keine Möglichkeit sehen, die Beziehung zu beenden. Mitunter seien auch Kinder von der Gewalt zwischen den Eltern betroffen. Häusliche Gewalt und Straftaten im sozialen Nahbereich blieben zudem häufig unerkannt, so die Polizei weiter. „Opfer schweigen aus Scham, Hilflosigkeit, Schuldgefühlen. Oft werden Übergriffe vom Opfer heruntergespielt oder verschwiegen, aus Angst vor weiteren Gewalttaten.“

Info: Die Polizei bietet unter anderem Opfern von häuslicher Gewalt Informationen und Hilfe an. Mehr darüber hier. Speziell mit dem Thema „Gewalt im sozialen Nahbereich“ befasst sich diese Seite. Dass häusliche Gewalt kein Kavaliersdelikt sei, stellt auch die Opferorganisation Weißer Ring klar heraus.

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Peter Arnegger (gg)
Peter Arnegger (gg)https://www.nrwz.de
... ist seit gut 25 Jahren Journalist. Mehr über ihn hier.