Landes-Jubiläum: Pläne mit Rottweil als Hauptstadt

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70. „Geburtstag“ hatte Baden-Württemberg diese Woche. Als eines der letzten Bundesländer wurde es 1952 durch eine Fusion älterer Territorien neu geschaffen. Doch es hätte ganz anders kommen können. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es auch Pläne, den Südwesten in anderer Weise zu strukturieren – mit Rottweil als Hauptstadt. Lesen Sie dazu hier einen Auszug aus der im Herbst erschienen Festschrift zum 1250-Jahr-Jubiläum Rottweils.

Die Karte aus dem Jahr 1946 umfasst nur wenige Angaben: Den Rhein vom Bodensee bis zur Neckarmündung, die Donau von der Quelle bis zum Zufluss des Lechs, die Mittelgebirge dazwischen und ein gutes Dutzend Städte. Aber die knappe Darstellung hat es in sich. Denn sie veranschaulicht, welche Teile Südwestdeutschlands zu einem „schwäbisch-alemannischen“ Staat gehören sollten, der damals vorgeschlagen wurde. Mit Rottweil als Hauptstadt – einschließlich Parlament, Ministerien und einem höchsten Gericht.

Zur Diskussion gestellt hat dies Otto Feger (1905-1968), von 1945 bis 1965 Leiter des Stadtarchivs Konstanz. Der promovierte Jurist und promovierte Historiker veröffentlichte 1946 ein Buch mit dem Titel „Schwäbisch-alemannische Demokratie“. Es war, wie es im Untertitel hieß, „Aufruf und Programm“ zugleich: Feger warb in gut lesbarem, griffigem Stil für seine Ideen und legte auf 230 Seiten dar, wie sie umgesetzt werden könnten. Sein Buch erschien mit Unterstützung der französischen Besatzungsbehörden in der vergleichsweise hohen Zahl von 50.000 Exemplaren.

Rückschauend mögen die Überlegungen abseitig, ja skurril erscheinen. Aber Feger, 1905 im damals zum Deutschen Reich gehörenden elsässischen Mülhausen geboren, war, wie der Historiker Jürgen Klöckler in intensiver Forschung gezeigt hat, kein Sektierer, sondern ein ernst zu nehmender politischer Denker. Um seine Ideen einzuordnen, muss man sich zunächst die damalige Lage vor Augen halten: Knapp ein Jahr nach der totalen Niederlage Deutschlands im Mai 1945 war kaum absehbar, wie sich das staatliche Leben entwickeln würde. Über den Gang der Dinge bestimmten die vier Hauptsiegermächte. Sie hatten mit der Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945 die Regierungsgewalt übernommen und vier Besatzungszonen errichtet, die anfangs teils voneinander abgeschottet waren.

Fegers Vorschläge sind im Kontext einer Debatte darüber zu sehen, wie Deutschland nach der NS-Diktatur, dem neuerlichen Weltkrieg und der in deutschem Namen verübten monströsen Verbrechen politisch und wirtschaftlich wiederaufgebaut werden sollte. Diese Diskussion reichte bei den Westalliierten sowie in Widerstandskreisen bereits in die frühen 1940er Jahre zurück. Dabei wurde einerseits nach Ursachen des Wegs in die Diktatur gefragt. Andererseits richtete sich der Blick auf Vorkehrungen, mit denen ein erneutes Expansionsstreben und Abgleiten in eine Gewaltherrschaft verhindert werden konnten.

Otto Feger gehörte zu einem Kreis von Intellektuellen, die hierbei eine südwestdeutsche Perspektive einnahmen. Denn für diese Gruppe stand außer Frage: Wäre es nach dem Südwesten gegangen, hätte die NS-Bewegung Deutschland keine Diktatur aufzwingen können. Dem Südwesten attestierte er, auch vor dem Hintergrund der einstigen Selbstverwaltung der Reichstädte sowie des liberalen Frühkonstitutionalismus des 19. Jahrhunderts, eine „angeborene demokratische Tradition“. Ins „Verderben“ seien die freiheitlich gesinnten Schwaben und Alemannen durch „den Norden“ und vor allem durch Preußen gestürzt worden.

Die Ausgangslage für weitreichende Neuordnungsansätze schien günstig. Zumal die Pläne der Besatzungsmächte häufig unausgereift und widersprüchlich waren. Zudem hatte die Erfahrung gezeigt, dass die politische Landkarte Deutschlands seit Beginn des 19. Jahrhunderts mehrfach umgekrempelt worden war. Das Hinwegfegen des gerade im Südwesten vielgestaltigen Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation zum Vorteil weniger Fürsten war noch im Bewusstsein. Auch die Westverschiebung Preußens durch den als „Seelengeschacher“ verschrienen Wiener Kongress 1815, die Einverleibung des Königreichs Hannover in das preußische Staatsgebiet sowie der Ausschluss Österreichs aus dem Nationalstaatsprojekt 1866 standen als Beispiele dafür vor Augen, dass nichts als undenkbar abgetan werden konnte.

Als verbindende Idee vieler Vorschläge nach 1945 lässt sich die Ausrichtung auf eher föderale Strukturen ausmachen. Grundlage hierfür war ein bestimmtes Geschichtsbild: In Frankreich etwa hatte ein Deutungsmuster Konjunktur, das im Einfluss Preußens auf die deutsche Geschichte einen entscheidenden Faktor sah. Mit Preußen, das im Kaiserreich sowie in der Weimarer Republik schon seiner schieren Größe wegen dominant gewesen war, verband man alles Negative: Militarismus, Untertanengeist, Kriegstreiberei sowie einen übersteigerten Nationalismus, in dem dieser Lesart zufolge die Rasseideologie des Nationalsozialismus lediglich eine aggressive Zuspitzung darstellte. Besonders bei der französischen Besatzungsmacht vertrat man die Ansicht, Preußen habe den Rest Deutschlands gleichsam von seinen guten Traditionen entfremdet, weshalb die Franzosen eine regelrechte „Entpreußung“ vorantrieben. Ausdruck fanden diese Vorstellungen insbesondere, als der Staat Preußen 1947 durch ein alliiertes Kontrollratsgesetz aufgelöst wurde.

Zugleich entstanden neue Strukturen – zumindest bei den Westalliierten geleitet von dem langfristigen Ziel, eine Demokratie mit bundesstaatlicher Ausrichtung aufzubauen. Dies sollte eine erneute Machtballung wie während der NS-Diktatur verhindern. So gründeten etwa die Amerikaner bereits im September 1945 in ihrem Besatzungsgebiet drei Länder: Bayern, Groß-Hessen und Württemberg-Baden. Aus leidvoller Erfahrung waren die Franzosen den Deutschen gegenüber lange misstrauisch und bei der Neuordnung zögerlich.

Sie führten im Herbst 1945 das Saargebiet administrativ an Frankreich heran und hatten auch für die linksrheinischen Gebiete zunächst eine autonomieartige Konstruktion im Blick. Erst im Spätjahr 1946 brachten sie im südlichen Teil ihres Besatzungsgebiets die Konstituierung des aus Süd-Württemberg und Hohenzollern geformten Landes Württemberg-Hohenzollern auf den Weg, ebenso wie die Bildung des Landes Baden aus dem südbadischen Landesteil. Was mit Deutschland als Ganzem geschehen sollte, war in dieser Phase noch ungewiss. Zumal die Anti-Hitler-Koalition zusehends auseinanderbrach und sich 1946 mehr und mehr die globalen Frontlinien des Kalten Krieges mit ihrer polarisierenden Blocklogik herauskristallisierten.

Otto Feger, um 1946. Foto: Stadtarchiv Konstanz

Vor diesem Hintergrund einer extrem offenen Lage nun brachte Otto Feger zwischen Sommer 1945 und Januar 1946 seine Überlegungen zu einer „schwäbisch-alemannischen Demokratie“ zu Papier. Für ihn lag die Lösung der Probleme darin, dass der südwestdeutsche Raum politisch und wirtschaftlich autonom werden sollte. Eine Wiederherstellung des Bismarckreichs von 1871 kam für ihn nicht infrage. Den Vorwurf des Separatismus, der gegen Autonomiepläne etwa in der Pfalz und im Rheinland in der Zwischenkriegszeit zu scharfer Agitation geführt hatte, wollte er freilich nicht aufkommen lassen. Fegers Vision für Deutschland war jedoch die einer locker gefügten Konföderation – mit dem schwäbisch-alemannischen Staat als einem gleichberechtigten Mitglied neben anderen.

Otto Fegers Konzept versprach eine Entkoppelung des Südwestens von den destruktiven Kräften der deutschen Geschichte. Der entscheidende Schritt war ein Rückgriff auf das schwäbisch-alemannische Siedlungsgebiet des frühen Mittelalters. Die Begriffe „Alemannien“ und „Schwaben“ bezeichneten dabei letztlich denselben Raum und dieselbe Bevölkerung. Zentraler Bezugspunkt war das Herzogtum Schwaben, das im 12. Jahrhundert unter den Staufern zu einer kulturellen, geistigen und politischen Einheit gefunden hatte und mit den drei staufischen Löwen im Wappen 1952 auch vom neuen Bundesland Baden-Württemberg als Traditionsquelle herangeführt wurde.

Die Basis von Fegers Überlegungen bestand darin, dass er von einer „stammesmäßigen“, sprachlichen und kulturellen Einheit der Schwaben und Alemannen ausging. Als Bindeglied über die Zersplitterung des Raumes seit dem Spätmittelalter hinweg erkannte er ein bündisches, genossenschaftliches Prinzip als „Wesenselement der schwäbischen Verfassungsgeschichte“. Daran galt es für Feger anzuknüpfen und historische „Irrtümer“ zu überwinden, die er insbesondere im unter der schützenden Hand Napoleons entstandenen Land Baden sah. An diesem zentralistischen Baden ließ er kein gutes Haar. Es habe, argumentierte Feger mit Blick auf die brachialen Säkularisierungsschübe im frühen 19. Jahrhundert, binnen weniger Jahrzehnte „mehr Kulturgüter auf dem Gewissen“ gehabt „als die Kriege von Jahrhunderten“.

Feger entwarf einen dezentralen Staatsaufbau mit starken Kommunen und einem Zweikammern-Parlament. Wichtig waren basisdemokratische Elemente, wobei das Schweizer Modell deutlich durchschimmert. In diesem Szenario kommt nun Rottweil ins Spiel. Bei der Frage, wo die Zentralgewalt ihren Sitz haben sollte, schrieb er auf Seite 159: „Es muss durchaus nicht Stuttgart sein, das keineswegs zentral liegt und außerdem einer Regierung zu sehr ihr eigenes Gesicht geben würde. Vielleicht wäre die alte Reichsstadt Rottweil am besten geeignet, einer zwangsläufig bescheidenen schwäbischen Regierung Sitz und Unterkunft zu geben“.

Für Feger wäre Rottweil als Hauptstadt jedoch keine Verlegenheitslösung gewesen. Er argumentierte offensiv: Durch die Wahl einer Mittel- oder Kleinstadt wäre, so Feger, „der Tendenz zur Entstehung von großen Zentralverwaltungen, Todfeinden jeder wahren Demokratie, wirksam entgegengearbeitet“. Der Historiker führte Beispiele an: In der amerikanischen Demokratie seien die Kapitalen nach ähnlichen Gesichtspunkten ausgewählt, schrieb er und verwies auf die vergleichsweise kleine Staaten-Hauptstädte Albany (New York), Columbus (Ohio) und Springfield (Illinois).

Die Resonanz auf Otto Fegers „Aufruf und Programm“ ist nur ansatzweise zu rekonstruieren. Es spricht jedoch einiges dafür, dass das Manifest ein breites Publikum fand. Als Indikator mag dienen, dass der Tübinger Jurist Adolf Julius Merkl die Schrift 1947 mit dem Prädikat „vielzitiert“ belegte. Auch in Rottweil war Fegers Buch laut dem früheren Stadtachivar Dr. Winfried Hecht präsent.

Bezugnahmen auf Fegers Vorschläge lassen sich etliche nachweisen, vor allem in der in- und ausländischen Presse. Der Mitbegründer der CDU in der sowjetischen Besatzungszone Jakob Kaiser etwa berichtete nach einer Reise durch die französische Zone von dem Werk. Das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ indes betrachtete Fegers Überlegungen betont distanziert und mokierte sich über den Autor als „bebrillten Stammesmann“.

Aber Feger fand auch Zuspruch. Sympathien für seine Pläne hegte anfänglich sogar der in Rottweil als Rechtsanwalt und Notar tätige, CDU-Mitgründer und bedeutende Parlamentarier Lorenz Bock, von Juli 1947 bis zu seinem Tod im August 1948 Staatspräsident von Württemberg-Hohenzollern. Auch der Schwenninger Bürgermeister Otto Gönnenwein, mit Feger persönlich bekannt, liebäugelte mit dessen Alemannien-Ideen.

Allerdings ging die historische Entwicklung über Fegers Vision letztlich rasch hinweg. Auch wenn danach immer wieder Neugliederungsdebatten aufflammten: Spätestens mit Gründung des Landes Baden-Württemberg 1952 waren seine Pläne einer schwäbisch-alemannischen Demokratie mit Rottweil als Hauptstadt obsolet.

Info: Der Beitrag, dem diese Ausführungen entnommen sind, findet sich in der Festschrift zum 1250-Jahr-Jubiläum unter: Linsenmann, Andreas: 1946: Rottweil soll Hauptstadt eines „schwäbisch-alemannischen“ Staates werden in: Schlaglichter der Rottweiler Geschichte, hrsg. v.d. Stadt Rottweil, Ubstadt-Weiher u.a. 2021, S. 89-94.

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70. „Geburtstag“ hatte Baden-Württemberg diese Woche. Als eines der letzten Bundesländer wurde es 1952 durch eine Fusion älterer Territorien neu geschaffen. Doch es hätte ganz anders kommen können. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es auch Pläne, den Südwesten in anderer Weise zu strukturieren – mit Rottweil als Hauptstadt. Lesen Sie dazu hier einen Auszug aus der im Herbst erschienen Festschrift zum 1250-Jahr-Jubiläum Rottweils.

Die Karte aus dem Jahr 1946 umfasst nur wenige Angaben: Den Rhein vom Bodensee bis zur Neckarmündung, die Donau von der Quelle bis zum Zufluss des Lechs, die Mittelgebirge dazwischen und ein gutes Dutzend Städte. Aber die knappe Darstellung hat es in sich. Denn sie veranschaulicht, welche Teile Südwestdeutschlands zu einem „schwäbisch-alemannischen“ Staat gehören sollten, der damals vorgeschlagen wurde. Mit Rottweil als Hauptstadt – einschließlich Parlament, Ministerien und einem höchsten Gericht.

Zur Diskussion gestellt hat dies Otto Feger (1905-1968), von 1945 bis 1965 Leiter des Stadtarchivs Konstanz. Der promovierte Jurist und promovierte Historiker veröffentlichte 1946 ein Buch mit dem Titel „Schwäbisch-alemannische Demokratie“. Es war, wie es im Untertitel hieß, „Aufruf und Programm“ zugleich: Feger warb in gut lesbarem, griffigem Stil für seine Ideen und legte auf 230 Seiten dar, wie sie umgesetzt werden könnten. Sein Buch erschien mit Unterstützung der französischen Besatzungsbehörden in der vergleichsweise hohen Zahl von 50.000 Exemplaren.

Rückschauend mögen die Überlegungen abseitig, ja skurril erscheinen. Aber Feger, 1905 im damals zum Deutschen Reich gehörenden elsässischen Mülhausen geboren, war, wie der Historiker Jürgen Klöckler in intensiver Forschung gezeigt hat, kein Sektierer, sondern ein ernst zu nehmender politischer Denker. Um seine Ideen einzuordnen, muss man sich zunächst die damalige Lage vor Augen halten: Knapp ein Jahr nach der totalen Niederlage Deutschlands im Mai 1945 war kaum absehbar, wie sich das staatliche Leben entwickeln würde. Über den Gang der Dinge bestimmten die vier Hauptsiegermächte. Sie hatten mit der Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945 die Regierungsgewalt übernommen und vier Besatzungszonen errichtet, die anfangs teils voneinander abgeschottet waren.

Fegers Vorschläge sind im Kontext einer Debatte darüber zu sehen, wie Deutschland nach der NS-Diktatur, dem neuerlichen Weltkrieg und der in deutschem Namen verübten monströsen Verbrechen politisch und wirtschaftlich wiederaufgebaut werden sollte. Diese Diskussion reichte bei den Westalliierten sowie in Widerstandskreisen bereits in die frühen 1940er Jahre zurück. Dabei wurde einerseits nach Ursachen des Wegs in die Diktatur gefragt. Andererseits richtete sich der Blick auf Vorkehrungen, mit denen ein erneutes Expansionsstreben und Abgleiten in eine Gewaltherrschaft verhindert werden konnten.

Otto Feger gehörte zu einem Kreis von Intellektuellen, die hierbei eine südwestdeutsche Perspektive einnahmen. Denn für diese Gruppe stand außer Frage: Wäre es nach dem Südwesten gegangen, hätte die NS-Bewegung Deutschland keine Diktatur aufzwingen können. Dem Südwesten attestierte er, auch vor dem Hintergrund der einstigen Selbstverwaltung der Reichstädte sowie des liberalen Frühkonstitutionalismus des 19. Jahrhunderts, eine „angeborene demokratische Tradition“. Ins „Verderben“ seien die freiheitlich gesinnten Schwaben und Alemannen durch „den Norden“ und vor allem durch Preußen gestürzt worden.

Die Ausgangslage für weitreichende Neuordnungsansätze schien günstig. Zumal die Pläne der Besatzungsmächte häufig unausgereift und widersprüchlich waren. Zudem hatte die Erfahrung gezeigt, dass die politische Landkarte Deutschlands seit Beginn des 19. Jahrhunderts mehrfach umgekrempelt worden war. Das Hinwegfegen des gerade im Südwesten vielgestaltigen Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation zum Vorteil weniger Fürsten war noch im Bewusstsein. Auch die Westverschiebung Preußens durch den als „Seelengeschacher“ verschrienen Wiener Kongress 1815, die Einverleibung des Königreichs Hannover in das preußische Staatsgebiet sowie der Ausschluss Österreichs aus dem Nationalstaatsprojekt 1866 standen als Beispiele dafür vor Augen, dass nichts als undenkbar abgetan werden konnte.

Als verbindende Idee vieler Vorschläge nach 1945 lässt sich die Ausrichtung auf eher föderale Strukturen ausmachen. Grundlage hierfür war ein bestimmtes Geschichtsbild: In Frankreich etwa hatte ein Deutungsmuster Konjunktur, das im Einfluss Preußens auf die deutsche Geschichte einen entscheidenden Faktor sah. Mit Preußen, das im Kaiserreich sowie in der Weimarer Republik schon seiner schieren Größe wegen dominant gewesen war, verband man alles Negative: Militarismus, Untertanengeist, Kriegstreiberei sowie einen übersteigerten Nationalismus, in dem dieser Lesart zufolge die Rasseideologie des Nationalsozialismus lediglich eine aggressive Zuspitzung darstellte. Besonders bei der französischen Besatzungsmacht vertrat man die Ansicht, Preußen habe den Rest Deutschlands gleichsam von seinen guten Traditionen entfremdet, weshalb die Franzosen eine regelrechte „Entpreußung“ vorantrieben. Ausdruck fanden diese Vorstellungen insbesondere, als der Staat Preußen 1947 durch ein alliiertes Kontrollratsgesetz aufgelöst wurde.

Zugleich entstanden neue Strukturen – zumindest bei den Westalliierten geleitet von dem langfristigen Ziel, eine Demokratie mit bundesstaatlicher Ausrichtung aufzubauen. Dies sollte eine erneute Machtballung wie während der NS-Diktatur verhindern. So gründeten etwa die Amerikaner bereits im September 1945 in ihrem Besatzungsgebiet drei Länder: Bayern, Groß-Hessen und Württemberg-Baden. Aus leidvoller Erfahrung waren die Franzosen den Deutschen gegenüber lange misstrauisch und bei der Neuordnung zögerlich.

Sie führten im Herbst 1945 das Saargebiet administrativ an Frankreich heran und hatten auch für die linksrheinischen Gebiete zunächst eine autonomieartige Konstruktion im Blick. Erst im Spätjahr 1946 brachten sie im südlichen Teil ihres Besatzungsgebiets die Konstituierung des aus Süd-Württemberg und Hohenzollern geformten Landes Württemberg-Hohenzollern auf den Weg, ebenso wie die Bildung des Landes Baden aus dem südbadischen Landesteil. Was mit Deutschland als Ganzem geschehen sollte, war in dieser Phase noch ungewiss. Zumal die Anti-Hitler-Koalition zusehends auseinanderbrach und sich 1946 mehr und mehr die globalen Frontlinien des Kalten Krieges mit ihrer polarisierenden Blocklogik herauskristallisierten.

Otto Feger, um 1946. Foto: Stadtarchiv Konstanz

Vor diesem Hintergrund einer extrem offenen Lage nun brachte Otto Feger zwischen Sommer 1945 und Januar 1946 seine Überlegungen zu einer „schwäbisch-alemannischen Demokratie“ zu Papier. Für ihn lag die Lösung der Probleme darin, dass der südwestdeutsche Raum politisch und wirtschaftlich autonom werden sollte. Eine Wiederherstellung des Bismarckreichs von 1871 kam für ihn nicht infrage. Den Vorwurf des Separatismus, der gegen Autonomiepläne etwa in der Pfalz und im Rheinland in der Zwischenkriegszeit zu scharfer Agitation geführt hatte, wollte er freilich nicht aufkommen lassen. Fegers Vision für Deutschland war jedoch die einer locker gefügten Konföderation – mit dem schwäbisch-alemannischen Staat als einem gleichberechtigten Mitglied neben anderen.

Otto Fegers Konzept versprach eine Entkoppelung des Südwestens von den destruktiven Kräften der deutschen Geschichte. Der entscheidende Schritt war ein Rückgriff auf das schwäbisch-alemannische Siedlungsgebiet des frühen Mittelalters. Die Begriffe „Alemannien“ und „Schwaben“ bezeichneten dabei letztlich denselben Raum und dieselbe Bevölkerung. Zentraler Bezugspunkt war das Herzogtum Schwaben, das im 12. Jahrhundert unter den Staufern zu einer kulturellen, geistigen und politischen Einheit gefunden hatte und mit den drei staufischen Löwen im Wappen 1952 auch vom neuen Bundesland Baden-Württemberg als Traditionsquelle herangeführt wurde.

Die Basis von Fegers Überlegungen bestand darin, dass er von einer „stammesmäßigen“, sprachlichen und kulturellen Einheit der Schwaben und Alemannen ausging. Als Bindeglied über die Zersplitterung des Raumes seit dem Spätmittelalter hinweg erkannte er ein bündisches, genossenschaftliches Prinzip als „Wesenselement der schwäbischen Verfassungsgeschichte“. Daran galt es für Feger anzuknüpfen und historische „Irrtümer“ zu überwinden, die er insbesondere im unter der schützenden Hand Napoleons entstandenen Land Baden sah. An diesem zentralistischen Baden ließ er kein gutes Haar. Es habe, argumentierte Feger mit Blick auf die brachialen Säkularisierungsschübe im frühen 19. Jahrhundert, binnen weniger Jahrzehnte „mehr Kulturgüter auf dem Gewissen“ gehabt „als die Kriege von Jahrhunderten“.

Feger entwarf einen dezentralen Staatsaufbau mit starken Kommunen und einem Zweikammern-Parlament. Wichtig waren basisdemokratische Elemente, wobei das Schweizer Modell deutlich durchschimmert. In diesem Szenario kommt nun Rottweil ins Spiel. Bei der Frage, wo die Zentralgewalt ihren Sitz haben sollte, schrieb er auf Seite 159: „Es muss durchaus nicht Stuttgart sein, das keineswegs zentral liegt und außerdem einer Regierung zu sehr ihr eigenes Gesicht geben würde. Vielleicht wäre die alte Reichsstadt Rottweil am besten geeignet, einer zwangsläufig bescheidenen schwäbischen Regierung Sitz und Unterkunft zu geben“.

Für Feger wäre Rottweil als Hauptstadt jedoch keine Verlegenheitslösung gewesen. Er argumentierte offensiv: Durch die Wahl einer Mittel- oder Kleinstadt wäre, so Feger, „der Tendenz zur Entstehung von großen Zentralverwaltungen, Todfeinden jeder wahren Demokratie, wirksam entgegengearbeitet“. Der Historiker führte Beispiele an: In der amerikanischen Demokratie seien die Kapitalen nach ähnlichen Gesichtspunkten ausgewählt, schrieb er und verwies auf die vergleichsweise kleine Staaten-Hauptstädte Albany (New York), Columbus (Ohio) und Springfield (Illinois).

Die Resonanz auf Otto Fegers „Aufruf und Programm“ ist nur ansatzweise zu rekonstruieren. Es spricht jedoch einiges dafür, dass das Manifest ein breites Publikum fand. Als Indikator mag dienen, dass der Tübinger Jurist Adolf Julius Merkl die Schrift 1947 mit dem Prädikat „vielzitiert“ belegte. Auch in Rottweil war Fegers Buch laut dem früheren Stadtachivar Dr. Winfried Hecht präsent.

Bezugnahmen auf Fegers Vorschläge lassen sich etliche nachweisen, vor allem in der in- und ausländischen Presse. Der Mitbegründer der CDU in der sowjetischen Besatzungszone Jakob Kaiser etwa berichtete nach einer Reise durch die französische Zone von dem Werk. Das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ indes betrachtete Fegers Überlegungen betont distanziert und mokierte sich über den Autor als „bebrillten Stammesmann“.

Aber Feger fand auch Zuspruch. Sympathien für seine Pläne hegte anfänglich sogar der in Rottweil als Rechtsanwalt und Notar tätige, CDU-Mitgründer und bedeutende Parlamentarier Lorenz Bock, von Juli 1947 bis zu seinem Tod im August 1948 Staatspräsident von Württemberg-Hohenzollern. Auch der Schwenninger Bürgermeister Otto Gönnenwein, mit Feger persönlich bekannt, liebäugelte mit dessen Alemannien-Ideen.

Allerdings ging die historische Entwicklung über Fegers Vision letztlich rasch hinweg. Auch wenn danach immer wieder Neugliederungsdebatten aufflammten: Spätestens mit Gründung des Landes Baden-Württemberg 1952 waren seine Pläne einer schwäbisch-alemannischen Demokratie mit Rottweil als Hauptstadt obsolet.

Info: Der Beitrag, dem diese Ausführungen entnommen sind, findet sich in der Festschrift zum 1250-Jahr-Jubiläum unter: Linsenmann, Andreas: 1946: Rottweil soll Hauptstadt eines „schwäbisch-alemannischen“ Staates werden in: Schlaglichter der Rottweiler Geschichte, hrsg. v.d. Stadt Rottweil, Ubstadt-Weiher u.a. 2021, S. 89-94.

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