Harte Fragen – klare Antworten

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Schramberg. Nach fünf Jahren hat die Landtagspräsidentin Muhterem Aras ein zweites Mal die Erhard-Junghans-Schule in Schramberg besucht – und wieder gab es eine „Lehrstunde in Demokratie“

Tatsächlich war es eine Doppelstunde, die sich die Grünen-Politikerin aus Stuttgart Zeit nahm, um mit den Schülerinnen und Schülern der 9. und 10. Klassen der Gemeinschaftsschule zu diskutieren und geduldig deren Fragen zu beantworten.

Schulleiter Jörg Hezel freute sich, dass „die Politik zu uns kommt“, sonst sei das ja meist umgekehrt. Er hieß auch Oberbürgermeisterin Dorothee Eisenlohr willkommen, die an der Veranstaltung teilnahm.

Schulleiter Jörg Hezel. Foto: him

Aufstieg gelungen

Aras kündigte an: „Ihr könnt mich fragen, was Ihr wollt.“ Sie stellte ihren persönlichen Lebenslauf vor, erzählte von sich, dem 12-jährigen Mädchen, das ohne ein Wort Deutsch zu können, in eine fünfte Hauptschulklasse bei Stuttgart kam. Wie sie, von ihren Eltern motiviert, die Hauptschule als Klassenbeste beendete, die Mittlere Reife nachholte und dann das Abitur machte. In Hohenheim habe sie Wirtschaftswissenschaften studiert und später die Steuerberaterinnenprüfung abgelegt. Seit damals leite sie eine Kanzlei mit etwa einem Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Nach zwölf Jahren im Stuttgarter Stadtrat habe sie 2011 für den Landtag kandidiert und sei direkt gewählt worden. 2016 habe sie sich um das Amt der Landtagspräsidentin beworben, die Abgeordneten hätten sie in dieses Amt gewählt und das nach der letzten Landtagswahl 2021 erneut. Sie sei die erste Frau in diesem Amt, denn das Parlament sei leider „immer noch stark männerdominiert“.

Muhterem Aras berichtet über ihr Arbeit im Landtag. Foto: him

Schiedsrichterin im Parlament

Ihre Aufgabe im Landtag sei, wie eine Schiedsrichterin dafür zu sorgen, dass die Abgeordneten anständig miteinander umgehen. Zwischenrufe seien erlaubt, dürften aber nicht beleidigen. Sie könne ermahnen, zur Ordnung rufen oder gar einen Abgeordneten von der Sitzung ausschließen. Letzteres sei früher ganz selten gewesen, in der Wahlperiode 2016 bis 2021 dagegen fünf Mal passiert. “Ich habe sogar die Polizei geholt, weil die Betreffenden nicht gehen wollten.“ Das sei damals „ein Stresstest für die Demokratie“ gewesen. Diese Abgeordneten hätten „das strategische Ziel gehabt, das Parlament zu sabotieren“.

Aras kommt der Name der betreffenden Fraktion nicht über die Lippen, doch die meisten wissen, wen sie meint. Die Demokratie müsse einiges ertragen, harte Diskussionen seien ok. Aber wenn Grenzen überschritten würden, müsse die Demokratie auch wehrhaft sein. In dieser Legislaturperiode sei es wieder viel ruhiger.

Neben der Sitzungsleitung sei sie auch Chefin der Landtagsverwaltung mit 250 Beschäftigten. Schließlich vertrete sie das Land auch nach außen, besuche Verbände, Gemeinden, Kirchen und Schulen beispielsweise. „Ich werbe für die parlamentarische Demokratie.“

Aras notiert sich die Fragen der Jugendlichen. Foto: him

Von Waffenlieferungen bis roten Linien

Nach einer viertel Stunde geht es in die Fragerunde: Aras sammelt die Fragen der Schülerinnen und Schüler. Weshalb die Friedenspartei Grüne nun Waffenlieferungen an die Ukraine fordere, will ein Junge wissen. Wo für sie im Parlament die „rote Linie“ sei, warum sie sich die Politik und da für die Grünen entschieden habe, was sie als Abgeordnete verdiene und was sie vom Lobbyismus halte, sind weitere Themen.

„Spannende Fragen“ seien das, findet Aras, „Ihr Schülerinnen und Schüler fragt oft härter als die Journalisten.“ Die Ukraine erhalte Waffen, weil sie als souveräner Staat von Russlands Putin angegriffen wurde. „Es darf keine Schule machen, dass das Recht des Stärkeren auf der Welt gilt.“

Die rote Linie bei Parlamentsdebatten seien etwa Nazi-Vergleiche, rassistische oder antisemitische Sprüche. Aber auch wenn ein Abgeordneter ständig dazwischenruft und beleidigt und ihre Ermahnungen nicht beachtet. „Sie können ein Parlament in Anatolien leiten“, habe ein Abgeordneter ihr einmal zugerufen, „aber nicht in Deutschland.“  Der habe die rote Linie überschritten.

Die Abgeordneten müssten sich ihrer Verantwortung bewusst sein und anständig miteinander umgehen, findet die Landtagspräsidentin. Es sei „eine hohe Auszeichnung“, wenn man vom Volk gewählt werde.

Deutschland ist ein wunderbares Land

Zur Politik und speziell zu den Grünen sei sie aus mehreren Gründen gekommen. In ihrer Kindheit seien ihre Eltern überaus vorsichtig gewesen, ihre kurdische Herkunft und alevitische Religionszugehörigkeit zu erwähnen. Beide Gruppen seien in der Türkei verfolgt und diskriminiert worden. “Wir durften als Kinder nicht sagen, dass wir kurdisch und alevitisch sind. Auch in Deutschland noch.“

Aber natürlich sei es „rausgekommen“ und sie habe festgestellt, beides ist in Deutschland kein Verbrechen. „Man kann sein, was man will, sogar Atheist.“ Sie habe festgestellt, Deutschland sei „ein wunderbares Land. Diese Freiheit hat mich fasziniert.“

Dann um 89/90 habe es fremdenfeindliche Anschläge gegeben, sie habe sich eingeschränkt, Pfefferspray mitgenommen und dann gedacht: „Nein, ich bin doch nicht bekloppt und lasse mich von ein paar Rechtsradikalen einschränken.“ Sie habe sich vorgenommen einzugreifen. Zu den Grünen sei sie weniger wegen deren Umweltpolitik als wegen des Schutzes von Minderheiten und der Gleichberechtigung gekommen. Sie möge den Austausch mit Menschen, das Gestalten, das Politik ermögliche. Und dann sagt sie einen bemerkenswerten Satz: „Je mehr ich von der Welt sehe, desto mehr liebe ich Deutschland.“

Sie erwähnt die Gewaltenteilung, die Presse- und Meinungsfreiheit und verweist auf die Ukraine und die Frauen im Iran und deren Kampf für die Freiheit. Aber auch unsere Demokratie sei „nicht vom Himmel gefallen“. Aras appelliert an die Jugendlichen, sich zu beteiligen, sie sollten sich bewusst werden, wie gut es uns geht.

Der Lobbyismus sei an sich nicht schlecht, es müssten nur alle Gruppen gleichen Zugang zu den Parlamentarierinnen und Parlamentariern haben und es müsse transparent sein, findet Aras.

Sie haben auch viel Spaß miteinander. Foto: him

8275 Euro pro Monat

Detailliert erklärt die Landtagspräsidentin die Diätenregelung. Dass Abgeordnete 8275 Euro verdienten, allerdings brutto, also 40 bis 45 Prozent an Steuern wieder weggehen, dass sie alle fünf Jahre wieder gewählt werden, ein Risiko besteht, den Job wieder zu verlieren und dass man 50 bis 60 Stunden pro Woche arbeite.

Die Diäten seien auch deshalb ordentlich, damit die Abgeordneten unabhängig sind und nicht korrumpierbar. Für die Alterssicherung erhielten sie weitere knapp 2000 Euro. Sie könnten über die Landtagsverwaltung Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen und bekämen für die Arbeit im Wahlkreis eine weitere Pauschale von etwa 2300 Euro.  Als Landtagspräsidentin erhalte sie wie die Fraktionsvorsitzenden nochmal deutlich mehr, nämlich 125 Prozent der Grunddiäten. Aras weist schließlich darauf hin, dass Abgeordnete auch viel an ihre Parteien spendeten.

In der zweiten Fragerunde geht es um die Frage, warum Deutschland Waffen an die Ukraine liefere, nicht aber an die Palästinenser, ob Aras als Frau diskriminiert worden sei und um die Legalisierung von Cannabis, die Windkraft, Elektromobilität, aber auch um den Beruf ihres Mannes und welches Auto sie fahre.

Existenzrecht Israels, Windkraft und Cannabis

Aras stöhnt: „Ihr stellt echt schwierige Fragen.“  Das Palästinenserproblem beantwortet Aras eindeutig. Das Existenzrecht Israels sei aufgrund der deutschen Geschichte nicht verhandelbar. „Das ist auch meine persönliche Überzeugung.“

Die Legalisierung von Cannabis sei eine schwierige Frage: „Viel spricht dafür, aber auch viel dagegen“, so Aras. Einerseits ließe sich so die Beschaffung entkriminalisieren und die noch gefährlicheren Beimischungen verhindern. Andererseits sei Cannabis eine gefährliche Droge. „Ich rate Euch, lasst die Finger davon. Warum braucht Ihr Drogen, um glücklich zu sein?“

Der Klimawandel sei in vollem Gange, die E-Mobilität sei eine Möglichkeit dagegen etwas zu tun. Deutschland haben seinen Wohlstand auch dem Auto zu verdanken.  Man brauche Mobilität, das sei in großen Städten leichter zu bewerkstelligen als auf dem Land. Wichtig sei, dass deshalb auch auf dem Land kulturelle Einrichtungen aber auch beispielsweise Bäckereien bestünden. Das 49-Euro-Tickt sei ein erster Schritt für mehr umweltfreundliche Mobilität. Man könne aber auch überlegen, dass Schüler, Studenten und sozial benachteiligte Menschen kostenlos mit Bussen und Bahnen fahren, dafür gut Verdienende mehr bezahlen.

Sie hört aufmerksam zu, was die Schülerinnen und Schüler sie fragen. Foto: him

Bei der Windkraft seien die Planungsprozesse bisher viel zu langwierig, gab Aras zu. „Die Leute können auch gegen alles klagen, das frisst Zeit.“ Die Bundesregierung habe das nun geändert, und die Genehmigungszeit  werde sich von bisher etwa sieben Jahren um zwei bis drei Jahre verkürzen. Theoretisch wollten ja alle regenerative Energien, aber wenn die Anlagen vor der eigenen Haustüre aufgestellt würden, rege sich Protest.

Aras beantwortet Fragen zu ihrer Familie, geht auf das schreckliche Erdbeben in der Türkei und in Syrien ein und berichtet, dass sie in einem E-Mercedes und mit Chauffeur gekommen sei. „Sonst könnte ich meine Termine nicht schaffen.“ Statt die Strafmündigkeit bei Jugendlichen zu senken, plädiert sie für mehr Prävention und die Anwendung bestehender Gesetze.

An die Mädchen appelliert sie: „Traut Euch was zu.“ Sie seien oft besser in der Schule als die Jungen, legten sich aber selbst oft Steine in den Weg.

Dass Außenministerin Annalena Baerbock in China die dortigen Menschenrechtsverletzungen angesprochen habe, findet sie richtig: „Es war höchste Zeit, mal Tacheles zu reden.“ Europa müsse seine Abhängigkeit von China reduzieren.

„Ich bin eine deutsche Politikerin“

Ob sie auch in der Türkei Politik machen würde, beantwortet Aras mit einem klaren: „Nein, auf keinen Fall. Ich bin deutsche Politikerin.“ Die eher als Scherz gemeinte Frage, ob sie, wäre sie Bundeskanzlerin, die Dönerpreise senken würde, nimmt sie mit einem Hinweis auf die freie Marktwirtschaft auf: Selbst eine Bundeskanzlerin könne da nichts machen. „Das regelt der Markt und das ist auch gut so.“

Diskriminierung habe sie als Kind erlebt, als Alevitin und Kurdin sei sie in der Türkei als „das übelste der Menschheit dargestellt worden“. Die Türkei sei ein tief gespaltenes Land, bedauert Aras. Deutschland mit seiner vielfältigen Gesellschaft sei da anders.

Nach fast anderthalb Stunden dankt die Landtagspräsidentin den Schülerinnen und Schülern für ihre vielen differenzierten Fragen und fordert sie auf, sich bei den anstehenden Kommunalwahlen zu beteiligen: „Politik wird so oder so gemacht. Besser Ihr mischt Euch ein.“

Schulleiter Hezel seinerseits dankt Aras für den Besuch. Ihr Beispiel zeige, die Menschen hätten hier alle Möglichkeiten, „egal wo man startet“. Die Schülerinnen und Schüler danken Aras mit großem Beifall.

Großes Gruppenbild im Schulhof. Foto: him

Auf dem Schulhof gibt’s noch ein Gruppenbild mit allen, und Aras steht für Selfies mit den Jugendlichen bereit, bevor sie in ihren E-Mercedes steigt und zum nächsten Termin weiterfährt.

Begehrt: Ein Selfie mit Muhterem Aras. Foto: him

Das interessiert diese Woche



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Schramberg. Nach fünf Jahren hat die Landtagspräsidentin Muhterem Aras ein zweites Mal die Erhard-Junghans-Schule in Schramberg besucht – und wieder gab es eine „Lehrstunde in Demokratie“

Tatsächlich war es eine Doppelstunde, die sich die Grünen-Politikerin aus Stuttgart Zeit nahm, um mit den Schülerinnen und Schülern der 9. und 10. Klassen der Gemeinschaftsschule zu diskutieren und geduldig deren Fragen zu beantworten.

Schulleiter Jörg Hezel freute sich, dass „die Politik zu uns kommt“, sonst sei das ja meist umgekehrt. Er hieß auch Oberbürgermeisterin Dorothee Eisenlohr willkommen, die an der Veranstaltung teilnahm.

Schulleiter Jörg Hezel. Foto: him

Aufstieg gelungen

Aras kündigte an: „Ihr könnt mich fragen, was Ihr wollt.“ Sie stellte ihren persönlichen Lebenslauf vor, erzählte von sich, dem 12-jährigen Mädchen, das ohne ein Wort Deutsch zu können, in eine fünfte Hauptschulklasse bei Stuttgart kam. Wie sie, von ihren Eltern motiviert, die Hauptschule als Klassenbeste beendete, die Mittlere Reife nachholte und dann das Abitur machte. In Hohenheim habe sie Wirtschaftswissenschaften studiert und später die Steuerberaterinnenprüfung abgelegt. Seit damals leite sie eine Kanzlei mit etwa einem Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Nach zwölf Jahren im Stuttgarter Stadtrat habe sie 2011 für den Landtag kandidiert und sei direkt gewählt worden. 2016 habe sie sich um das Amt der Landtagspräsidentin beworben, die Abgeordneten hätten sie in dieses Amt gewählt und das nach der letzten Landtagswahl 2021 erneut. Sie sei die erste Frau in diesem Amt, denn das Parlament sei leider „immer noch stark männerdominiert“.

Muhterem Aras berichtet über ihr Arbeit im Landtag. Foto: him

Schiedsrichterin im Parlament

Ihre Aufgabe im Landtag sei, wie eine Schiedsrichterin dafür zu sorgen, dass die Abgeordneten anständig miteinander umgehen. Zwischenrufe seien erlaubt, dürften aber nicht beleidigen. Sie könne ermahnen, zur Ordnung rufen oder gar einen Abgeordneten von der Sitzung ausschließen. Letzteres sei früher ganz selten gewesen, in der Wahlperiode 2016 bis 2021 dagegen fünf Mal passiert. “Ich habe sogar die Polizei geholt, weil die Betreffenden nicht gehen wollten.“ Das sei damals „ein Stresstest für die Demokratie“ gewesen. Diese Abgeordneten hätten „das strategische Ziel gehabt, das Parlament zu sabotieren“.

Aras kommt der Name der betreffenden Fraktion nicht über die Lippen, doch die meisten wissen, wen sie meint. Die Demokratie müsse einiges ertragen, harte Diskussionen seien ok. Aber wenn Grenzen überschritten würden, müsse die Demokratie auch wehrhaft sein. In dieser Legislaturperiode sei es wieder viel ruhiger.

Neben der Sitzungsleitung sei sie auch Chefin der Landtagsverwaltung mit 250 Beschäftigten. Schließlich vertrete sie das Land auch nach außen, besuche Verbände, Gemeinden, Kirchen und Schulen beispielsweise. „Ich werbe für die parlamentarische Demokratie.“

Aras notiert sich die Fragen der Jugendlichen. Foto: him

Von Waffenlieferungen bis roten Linien

Nach einer viertel Stunde geht es in die Fragerunde: Aras sammelt die Fragen der Schülerinnen und Schüler. Weshalb die Friedenspartei Grüne nun Waffenlieferungen an die Ukraine fordere, will ein Junge wissen. Wo für sie im Parlament die „rote Linie“ sei, warum sie sich die Politik und da für die Grünen entschieden habe, was sie als Abgeordnete verdiene und was sie vom Lobbyismus halte, sind weitere Themen.

„Spannende Fragen“ seien das, findet Aras, „Ihr Schülerinnen und Schüler fragt oft härter als die Journalisten.“ Die Ukraine erhalte Waffen, weil sie als souveräner Staat von Russlands Putin angegriffen wurde. „Es darf keine Schule machen, dass das Recht des Stärkeren auf der Welt gilt.“

Die rote Linie bei Parlamentsdebatten seien etwa Nazi-Vergleiche, rassistische oder antisemitische Sprüche. Aber auch wenn ein Abgeordneter ständig dazwischenruft und beleidigt und ihre Ermahnungen nicht beachtet. „Sie können ein Parlament in Anatolien leiten“, habe ein Abgeordneter ihr einmal zugerufen, „aber nicht in Deutschland.“  Der habe die rote Linie überschritten.

Die Abgeordneten müssten sich ihrer Verantwortung bewusst sein und anständig miteinander umgehen, findet die Landtagspräsidentin. Es sei „eine hohe Auszeichnung“, wenn man vom Volk gewählt werde.

Deutschland ist ein wunderbares Land

Zur Politik und speziell zu den Grünen sei sie aus mehreren Gründen gekommen. In ihrer Kindheit seien ihre Eltern überaus vorsichtig gewesen, ihre kurdische Herkunft und alevitische Religionszugehörigkeit zu erwähnen. Beide Gruppen seien in der Türkei verfolgt und diskriminiert worden. “Wir durften als Kinder nicht sagen, dass wir kurdisch und alevitisch sind. Auch in Deutschland noch.“

Aber natürlich sei es „rausgekommen“ und sie habe festgestellt, beides ist in Deutschland kein Verbrechen. „Man kann sein, was man will, sogar Atheist.“ Sie habe festgestellt, Deutschland sei „ein wunderbares Land. Diese Freiheit hat mich fasziniert.“

Dann um 89/90 habe es fremdenfeindliche Anschläge gegeben, sie habe sich eingeschränkt, Pfefferspray mitgenommen und dann gedacht: „Nein, ich bin doch nicht bekloppt und lasse mich von ein paar Rechtsradikalen einschränken.“ Sie habe sich vorgenommen einzugreifen. Zu den Grünen sei sie weniger wegen deren Umweltpolitik als wegen des Schutzes von Minderheiten und der Gleichberechtigung gekommen. Sie möge den Austausch mit Menschen, das Gestalten, das Politik ermögliche. Und dann sagt sie einen bemerkenswerten Satz: „Je mehr ich von der Welt sehe, desto mehr liebe ich Deutschland.“

Sie erwähnt die Gewaltenteilung, die Presse- und Meinungsfreiheit und verweist auf die Ukraine und die Frauen im Iran und deren Kampf für die Freiheit. Aber auch unsere Demokratie sei „nicht vom Himmel gefallen“. Aras appelliert an die Jugendlichen, sich zu beteiligen, sie sollten sich bewusst werden, wie gut es uns geht.

Der Lobbyismus sei an sich nicht schlecht, es müssten nur alle Gruppen gleichen Zugang zu den Parlamentarierinnen und Parlamentariern haben und es müsse transparent sein, findet Aras.

Sie haben auch viel Spaß miteinander. Foto: him

8275 Euro pro Monat

Detailliert erklärt die Landtagspräsidentin die Diätenregelung. Dass Abgeordnete 8275 Euro verdienten, allerdings brutto, also 40 bis 45 Prozent an Steuern wieder weggehen, dass sie alle fünf Jahre wieder gewählt werden, ein Risiko besteht, den Job wieder zu verlieren und dass man 50 bis 60 Stunden pro Woche arbeite.

Die Diäten seien auch deshalb ordentlich, damit die Abgeordneten unabhängig sind und nicht korrumpierbar. Für die Alterssicherung erhielten sie weitere knapp 2000 Euro. Sie könnten über die Landtagsverwaltung Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen und bekämen für die Arbeit im Wahlkreis eine weitere Pauschale von etwa 2300 Euro.  Als Landtagspräsidentin erhalte sie wie die Fraktionsvorsitzenden nochmal deutlich mehr, nämlich 125 Prozent der Grunddiäten. Aras weist schließlich darauf hin, dass Abgeordnete auch viel an ihre Parteien spendeten.

In der zweiten Fragerunde geht es um die Frage, warum Deutschland Waffen an die Ukraine liefere, nicht aber an die Palästinenser, ob Aras als Frau diskriminiert worden sei und um die Legalisierung von Cannabis, die Windkraft, Elektromobilität, aber auch um den Beruf ihres Mannes und welches Auto sie fahre.

Existenzrecht Israels, Windkraft und Cannabis

Aras stöhnt: „Ihr stellt echt schwierige Fragen.“  Das Palästinenserproblem beantwortet Aras eindeutig. Das Existenzrecht Israels sei aufgrund der deutschen Geschichte nicht verhandelbar. „Das ist auch meine persönliche Überzeugung.“

Die Legalisierung von Cannabis sei eine schwierige Frage: „Viel spricht dafür, aber auch viel dagegen“, so Aras. Einerseits ließe sich so die Beschaffung entkriminalisieren und die noch gefährlicheren Beimischungen verhindern. Andererseits sei Cannabis eine gefährliche Droge. „Ich rate Euch, lasst die Finger davon. Warum braucht Ihr Drogen, um glücklich zu sein?“

Der Klimawandel sei in vollem Gange, die E-Mobilität sei eine Möglichkeit dagegen etwas zu tun. Deutschland haben seinen Wohlstand auch dem Auto zu verdanken.  Man brauche Mobilität, das sei in großen Städten leichter zu bewerkstelligen als auf dem Land. Wichtig sei, dass deshalb auch auf dem Land kulturelle Einrichtungen aber auch beispielsweise Bäckereien bestünden. Das 49-Euro-Tickt sei ein erster Schritt für mehr umweltfreundliche Mobilität. Man könne aber auch überlegen, dass Schüler, Studenten und sozial benachteiligte Menschen kostenlos mit Bussen und Bahnen fahren, dafür gut Verdienende mehr bezahlen.

Sie hört aufmerksam zu, was die Schülerinnen und Schüler sie fragen. Foto: him

Bei der Windkraft seien die Planungsprozesse bisher viel zu langwierig, gab Aras zu. „Die Leute können auch gegen alles klagen, das frisst Zeit.“ Die Bundesregierung habe das nun geändert, und die Genehmigungszeit  werde sich von bisher etwa sieben Jahren um zwei bis drei Jahre verkürzen. Theoretisch wollten ja alle regenerative Energien, aber wenn die Anlagen vor der eigenen Haustüre aufgestellt würden, rege sich Protest.

Aras beantwortet Fragen zu ihrer Familie, geht auf das schreckliche Erdbeben in der Türkei und in Syrien ein und berichtet, dass sie in einem E-Mercedes und mit Chauffeur gekommen sei. „Sonst könnte ich meine Termine nicht schaffen.“ Statt die Strafmündigkeit bei Jugendlichen zu senken, plädiert sie für mehr Prävention und die Anwendung bestehender Gesetze.

An die Mädchen appelliert sie: „Traut Euch was zu.“ Sie seien oft besser in der Schule als die Jungen, legten sich aber selbst oft Steine in den Weg.

Dass Außenministerin Annalena Baerbock in China die dortigen Menschenrechtsverletzungen angesprochen habe, findet sie richtig: „Es war höchste Zeit, mal Tacheles zu reden.“ Europa müsse seine Abhängigkeit von China reduzieren.

„Ich bin eine deutsche Politikerin“

Ob sie auch in der Türkei Politik machen würde, beantwortet Aras mit einem klaren: „Nein, auf keinen Fall. Ich bin deutsche Politikerin.“ Die eher als Scherz gemeinte Frage, ob sie, wäre sie Bundeskanzlerin, die Dönerpreise senken würde, nimmt sie mit einem Hinweis auf die freie Marktwirtschaft auf: Selbst eine Bundeskanzlerin könne da nichts machen. „Das regelt der Markt und das ist auch gut so.“

Diskriminierung habe sie als Kind erlebt, als Alevitin und Kurdin sei sie in der Türkei als „das übelste der Menschheit dargestellt worden“. Die Türkei sei ein tief gespaltenes Land, bedauert Aras. Deutschland mit seiner vielfältigen Gesellschaft sei da anders.

Nach fast anderthalb Stunden dankt die Landtagspräsidentin den Schülerinnen und Schülern für ihre vielen differenzierten Fragen und fordert sie auf, sich bei den anstehenden Kommunalwahlen zu beteiligen: „Politik wird so oder so gemacht. Besser Ihr mischt Euch ein.“

Schulleiter Hezel seinerseits dankt Aras für den Besuch. Ihr Beispiel zeige, die Menschen hätten hier alle Möglichkeiten, „egal wo man startet“. Die Schülerinnen und Schüler danken Aras mit großem Beifall.

Großes Gruppenbild im Schulhof. Foto: him

Auf dem Schulhof gibt’s noch ein Gruppenbild mit allen, und Aras steht für Selfies mit den Jugendlichen bereit, bevor sie in ihren E-Mercedes steigt und zum nächsten Termin weiterfährt.

Begehrt: Ein Selfie mit Muhterem Aras. Foto: him

Das interessiert diese Woche

Martin Himmelheber (him)
Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.