„Lehrstunde der Demokratie“

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Zu einem Schulbesuch kam am Montag, die Landtagspräsidentin Muhterem Aras an die Erhard-Junghans-Schule. Die engagierte Politikerin stand Acht- und Neuntklässlern aus der Gemeinschafts- und der Realschule eine gute Stunde Rede und Antwort.

Pünktlich um 8.30 Uhr war ihre Limousine auf dem Schulhof eingetroffen, in einem Konferenzraum in der Schillerstraße begrüßte Konrektor Jörg Hezel bei einer Tasse Kaffee seine Gäste, ebenfalls gekommen waren der FDP-Landtagsabgeordnete Gerhard Aden, Schrambergs Oberbürgermeister Thomas Herzog und Fachbereichsleiter Berthold Kammerer. Sie besuche jedes Jahr 30 Schulen im Land, das seien „die schönsten Termine“, bekannte sie, weil die jungen Leute so gut informiert seien und “über den Tellerrand“ schauten.

Alte Schule: Gerhard Aden schenkt Muhterem Aras Kaffee ein

Etwa 80 Jugendliche der 8. und 9. Klassen der Gemeinschaftsschule und der Realschule waren versammelt und hörten zunächst etwa 30 Minuten der Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen zu. Ihr ungewöhnlicher Weg aus einem ostanatolischen Dorf zur erfolgreichen Steuerberaterin und Landtagspräsidentin machte hörbar Eindruck. Es war Mucksmäuschen still.

Ungewöhnliche Karriere

Oberbürgermeister Thomas Herzog, Landtagpräsidentin Muhterem Aras, Gerhard Aden, MdL, und Fachbereichsleiter Berthold Kammerer.

Aras stellte sich knapp vor: „52 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, Steuerberaterin.“ Aras Vater war 1968 als Gastarbeiter nach Filderstadt gekommen und holte Jahre später seine Frau und fünf Kinder nach. Sie habe viel Glück gehabt. Zum einen, weil ihre Eltern in die Bildung ihrer Eltern investiert hätten, dann weil sie eine phantastische Lehrerin gehabt habe, die sie individuell gefördert hat. Und weil sie in eine offene Gesellschaft gekommen sei, die sie mit Respekt aufgenommen habe. So schloss Aras die Hauptschule als Jahrgangsbeste ab, machte Abitur, studierte und eröffnete das erste Steuerberatungsbüro, in dem türkisch gesprochen wurde.

Die Anschläge von Mölln, Solingen und Rostock hätten sie politisiert. Zunächst habe sie Angst gehabt, auf die Straße zu gehen, sich einen Pfefferspray gekauft. Aber dann habe sie sich gesagt: „Nee, ich lasse mir dieses, mein Land nicht kaputt machen.“ Wegen ihrer Haltung zu den Menschenrechten, zu Frauen und dem Umgang mit Minderheiten sei sie zu den Grünen gegangen.

Sie sei zwölf Jahre im Stadtrat gewesen und habe 2011 für den Landtag in Stuttgart Mitte kandidiert – und für die Grünen ein Direktmandat mit gut 42 Prozent der Stimmen geholt. Vier Jahre später wieder und mit dem besten Ergebnis aller Abgeordneten überhaupt. Eine alevitische Kurdin aus dem Osten der Türkei? „Das zeigt, wie weltoffen und liberal dieses Land ist“, freut sich Aras. Der Landtag habe sie dann zur Präsidentin gewählt. Sie leite die Parlamentssitzungen, sei Chefin der Landtagsverwaltung und habe repräsentative Aufgaben, erläutert sie den Schülerinnen und Schülern, bevor es in die Fragerunde ging.

Viele Fragen

Klar, der Umgang mit der AfD im Parlament war ein Thema. Als Präsidentin sei sie zur Neutralität verpflichtet. Sie  wolle mit Fairness und Respekt allen Abgeordneten begegnen, erwarte dasselbe aber auch ihr gegenüber. Wenn das manchem nicht gelinge, sei das eine Frage der Kinderstube.

Wie sie zu einem „EU-Zensurgesetz“ stehe, wollte ein Schüler wissen. Gemeint waren die Datenschutzbestimmungen und das Urheberrecht, mutmaßte Aras. Bei der Datenschutzrichtlinie dürfe man hierzulande nicht vergessen, dass sehr viele Forderungen aus Deutschland damit erfüllt würden. Beim Urheberrecht sei sie der Meinung, dass die Rechte von Autoren geschüzt werden müssen. „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum.“

Die Wahlen in der Türkei kommentierte sie ebenfalls. Es sei eine demokratische Wahl, ob einem das Ergebnis gefalle oder nicht. Dass die HDP die zehn-Prozent-Hürde geschafft habe, freue sie.

Eine Schülerin fragt, weshalb sie Hassmails nicht nur von Rechten  sondern auch von Türken bekomme. Das habe mit ihre Haltung zur Armenienresolution zu tun. Damals hätten hohe türkische Politiker türkischstämmige Abgeordnete des Bundestags „zu Freiwild erklärt“. Sie habe sich mit diesen solidarisch erklärt. „Das dürfen wir nicht hinnehmen.“ Im Übrigen seien etwa 98 Prozent ihrer Mails freundlich und zustimmend.

Das Grundgesetz ist die Richtschnur

Für ihr Amt sei das Grundgesetz sehr wichtig.  Die sechs Worte des Artikels 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ seien etwas, worum „uns Millionen Menschen auf der Welt beneiden“. Das Grundgesetz spiele auch im Leben der Jugendlichen eine große Rolle, es seien eben keine theoretischen Floskeln, sondern sollte unser Leben beeinflussen. Aras lobt Merkels Flüchtlingspolitik 2015 als christlich und humanitär, sie habe „Rückgrat bewiesen“. Zur Lage der Kurden, zu den Fluchtursachen, zum Klimawandel, Dieselskandal weit spannen sich die Fragen – und die Schüler lauschen gespannt.

Nur einmal gibt es Gelächter: Als Aras auf die Frage zu ihrer Haltung zu US-Präsident Trump zunächst nur ein „O Gott…“ entfuhr.  „America first ist fatal“, erklärte sie. Natürlich müssten Staaten für ihre Interessen eintreten, aber es müsse eine Balance her. Verheerend sei, dass Trump nicht nur jetzt viel Schaden anrichte sondern die Strukturen  auf Jahrzehnte hin verändere.

Gegen Antisemitismus und Rassismus – von wem auch immer

Die Geschichte des „dritten Reiches“ war verheerend, antwortet Aras auf eine  entsprechende Frage. „Das NS-Regime war  Menschenvernichtung. Das dürfen wir niemals vergessen.“ Und mit Blick auf einen Satz des AfD-Vorsitzenden Gauland: „Die zwölf Jahre NS Zeit waren eben kein Vogelschiss.“ Die Erinnerungskultur müssten wir immer wieder nachjustieren. Antisemitismus und Rassismus werde sie immer bekämpfen, auch wenn er von arabischen Zuwanderern oder Muslimen komme. „Wir nehmen jeden auf, der Schutz braucht, aber er muss die Werte unseres Grundgesetzes annehmen“, so Aras bestimmt.

 Am Ende dieser Lehrstunde für Demokratie appelliert Aras an die Schülerinnen und Schüler sich einzubringen, nächstes Jahr schon bei den Kommunalwahlen wählen zu gehen: „Sie entscheiden, wer Politik macht.“ Und die Landtagspräsidentin hat ein Beispiel: „Wären in Großbritannien die Jungen bei der Brexit-Entscheidung nicht zu Hause geblieben, wäre die Entscheidung anders ausgegangen.“

Mit einem Dank an Nicole Marte-Nick, die den Besuch vorbreitet hatte und an Julian, der den Besuch beantragt hatte, verabschiedet Hezel den Gast: „So nah kommt man der Politik nicht, wenn man im Bus nach Stuttgart fährt. Das sehen auch  die Schüler so. Cilan findet es spannend Aras zuzuhören: „Wie sie spontan unsere Fragen beantwortet hat, hat mir gefallen.“ Franziska findet „die vielen verschiedenen Themen interessant“. Und Schulsprecherin Justine Wagner, die Muhterem Aras vorgestellt hatte, nennt den Vormittag schlicht: “Informativ.“

Schulsprecherin Justine Wagner.

Um viertel nach zehn rollt der S-Klasse-Mercedes BWL 1-1 vom Schulhof. Nächste Station Triberg. Dort besucht Aras das Gymnasium.

Das interessiert diese Woche



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Zu einem Schulbesuch kam am Montag, die Landtagspräsidentin Muhterem Aras an die Erhard-Junghans-Schule. Die engagierte Politikerin stand Acht- und Neuntklässlern aus der Gemeinschafts- und der Realschule eine gute Stunde Rede und Antwort.

Pünktlich um 8.30 Uhr war ihre Limousine auf dem Schulhof eingetroffen, in einem Konferenzraum in der Schillerstraße begrüßte Konrektor Jörg Hezel bei einer Tasse Kaffee seine Gäste, ebenfalls gekommen waren der FDP-Landtagsabgeordnete Gerhard Aden, Schrambergs Oberbürgermeister Thomas Herzog und Fachbereichsleiter Berthold Kammerer. Sie besuche jedes Jahr 30 Schulen im Land, das seien „die schönsten Termine“, bekannte sie, weil die jungen Leute so gut informiert seien und “über den Tellerrand“ schauten.

Alte Schule: Gerhard Aden schenkt Muhterem Aras Kaffee ein

Etwa 80 Jugendliche der 8. und 9. Klassen der Gemeinschaftsschule und der Realschule waren versammelt und hörten zunächst etwa 30 Minuten der Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen zu. Ihr ungewöhnlicher Weg aus einem ostanatolischen Dorf zur erfolgreichen Steuerberaterin und Landtagspräsidentin machte hörbar Eindruck. Es war Mucksmäuschen still.

Ungewöhnliche Karriere

Oberbürgermeister Thomas Herzog, Landtagpräsidentin Muhterem Aras, Gerhard Aden, MdL, und Fachbereichsleiter Berthold Kammerer.

Aras stellte sich knapp vor: „52 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, Steuerberaterin.“ Aras Vater war 1968 als Gastarbeiter nach Filderstadt gekommen und holte Jahre später seine Frau und fünf Kinder nach. Sie habe viel Glück gehabt. Zum einen, weil ihre Eltern in die Bildung ihrer Eltern investiert hätten, dann weil sie eine phantastische Lehrerin gehabt habe, die sie individuell gefördert hat. Und weil sie in eine offene Gesellschaft gekommen sei, die sie mit Respekt aufgenommen habe. So schloss Aras die Hauptschule als Jahrgangsbeste ab, machte Abitur, studierte und eröffnete das erste Steuerberatungsbüro, in dem türkisch gesprochen wurde.

Die Anschläge von Mölln, Solingen und Rostock hätten sie politisiert. Zunächst habe sie Angst gehabt, auf die Straße zu gehen, sich einen Pfefferspray gekauft. Aber dann habe sie sich gesagt: „Nee, ich lasse mir dieses, mein Land nicht kaputt machen.“ Wegen ihrer Haltung zu den Menschenrechten, zu Frauen und dem Umgang mit Minderheiten sei sie zu den Grünen gegangen.

Sie sei zwölf Jahre im Stadtrat gewesen und habe 2011 für den Landtag in Stuttgart Mitte kandidiert – und für die Grünen ein Direktmandat mit gut 42 Prozent der Stimmen geholt. Vier Jahre später wieder und mit dem besten Ergebnis aller Abgeordneten überhaupt. Eine alevitische Kurdin aus dem Osten der Türkei? „Das zeigt, wie weltoffen und liberal dieses Land ist“, freut sich Aras. Der Landtag habe sie dann zur Präsidentin gewählt. Sie leite die Parlamentssitzungen, sei Chefin der Landtagsverwaltung und habe repräsentative Aufgaben, erläutert sie den Schülerinnen und Schülern, bevor es in die Fragerunde ging.

Viele Fragen

Klar, der Umgang mit der AfD im Parlament war ein Thema. Als Präsidentin sei sie zur Neutralität verpflichtet. Sie  wolle mit Fairness und Respekt allen Abgeordneten begegnen, erwarte dasselbe aber auch ihr gegenüber. Wenn das manchem nicht gelinge, sei das eine Frage der Kinderstube.

Wie sie zu einem „EU-Zensurgesetz“ stehe, wollte ein Schüler wissen. Gemeint waren die Datenschutzbestimmungen und das Urheberrecht, mutmaßte Aras. Bei der Datenschutzrichtlinie dürfe man hierzulande nicht vergessen, dass sehr viele Forderungen aus Deutschland damit erfüllt würden. Beim Urheberrecht sei sie der Meinung, dass die Rechte von Autoren geschüzt werden müssen. „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum.“

Die Wahlen in der Türkei kommentierte sie ebenfalls. Es sei eine demokratische Wahl, ob einem das Ergebnis gefalle oder nicht. Dass die HDP die zehn-Prozent-Hürde geschafft habe, freue sie.

Eine Schülerin fragt, weshalb sie Hassmails nicht nur von Rechten  sondern auch von Türken bekomme. Das habe mit ihre Haltung zur Armenienresolution zu tun. Damals hätten hohe türkische Politiker türkischstämmige Abgeordnete des Bundestags „zu Freiwild erklärt“. Sie habe sich mit diesen solidarisch erklärt. „Das dürfen wir nicht hinnehmen.“ Im Übrigen seien etwa 98 Prozent ihrer Mails freundlich und zustimmend.

Das Grundgesetz ist die Richtschnur

Für ihr Amt sei das Grundgesetz sehr wichtig.  Die sechs Worte des Artikels 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ seien etwas, worum „uns Millionen Menschen auf der Welt beneiden“. Das Grundgesetz spiele auch im Leben der Jugendlichen eine große Rolle, es seien eben keine theoretischen Floskeln, sondern sollte unser Leben beeinflussen. Aras lobt Merkels Flüchtlingspolitik 2015 als christlich und humanitär, sie habe „Rückgrat bewiesen“. Zur Lage der Kurden, zu den Fluchtursachen, zum Klimawandel, Dieselskandal weit spannen sich die Fragen – und die Schüler lauschen gespannt.

Nur einmal gibt es Gelächter: Als Aras auf die Frage zu ihrer Haltung zu US-Präsident Trump zunächst nur ein „O Gott…“ entfuhr.  „America first ist fatal“, erklärte sie. Natürlich müssten Staaten für ihre Interessen eintreten, aber es müsse eine Balance her. Verheerend sei, dass Trump nicht nur jetzt viel Schaden anrichte sondern die Strukturen  auf Jahrzehnte hin verändere.

Gegen Antisemitismus und Rassismus – von wem auch immer

Die Geschichte des „dritten Reiches“ war verheerend, antwortet Aras auf eine  entsprechende Frage. „Das NS-Regime war  Menschenvernichtung. Das dürfen wir niemals vergessen.“ Und mit Blick auf einen Satz des AfD-Vorsitzenden Gauland: „Die zwölf Jahre NS Zeit waren eben kein Vogelschiss.“ Die Erinnerungskultur müssten wir immer wieder nachjustieren. Antisemitismus und Rassismus werde sie immer bekämpfen, auch wenn er von arabischen Zuwanderern oder Muslimen komme. „Wir nehmen jeden auf, der Schutz braucht, aber er muss die Werte unseres Grundgesetzes annehmen“, so Aras bestimmt.

 Am Ende dieser Lehrstunde für Demokratie appelliert Aras an die Schülerinnen und Schüler sich einzubringen, nächstes Jahr schon bei den Kommunalwahlen wählen zu gehen: „Sie entscheiden, wer Politik macht.“ Und die Landtagspräsidentin hat ein Beispiel: „Wären in Großbritannien die Jungen bei der Brexit-Entscheidung nicht zu Hause geblieben, wäre die Entscheidung anders ausgegangen.“

Mit einem Dank an Nicole Marte-Nick, die den Besuch vorbreitet hatte und an Julian, der den Besuch beantragt hatte, verabschiedet Hezel den Gast: „So nah kommt man der Politik nicht, wenn man im Bus nach Stuttgart fährt. Das sehen auch  die Schüler so. Cilan findet es spannend Aras zuzuhören: „Wie sie spontan unsere Fragen beantwortet hat, hat mir gefallen.“ Franziska findet „die vielen verschiedenen Themen interessant“. Und Schulsprecherin Justine Wagner, die Muhterem Aras vorgestellt hatte, nennt den Vormittag schlicht: “Informativ.“

Schulsprecherin Justine Wagner.

Um viertel nach zehn rollt der S-Klasse-Mercedes BWL 1-1 vom Schulhof. Nächste Station Triberg. Dort besucht Aras das Gymnasium.

Das interessiert diese Woche

Martin Himmelheber (him)
Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.