„Kaum noch zu tolerierende Belastungsspitzen“

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Schramberg. In jüngster Zeit haben sich Berichte gehäuft, wonach die Krankenhäuser in Oberndorf und Rottweil ältere Patienten und Patientinnen teilweise tief in der Nacht entlassen haben. Angehörige haben sich zu Wort gemeldet und Vorwürfe an die Adresse der Krankenhäuser erhoben.

Die NRWZ hat den Schramberger Hausarzt und Sprecher des Ärzteverbunds Schramberg Dr. Dr. Jürgen Winter gefragt, ob das ein spezifisches Problem der hiesigen Krankenhäuser sei.

Dr. Dr. Jürgen Winter: Ich denke, die eigentliche tiefere Ursache der Häufung derartiger Ereignisse ist keine nur lokale.

Sondern?

Die Politik in Bund und Land hat in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten das Gesundheitssystem immer weiter in Richtung steigender Effizienz und Kostendämpfung mit allen Folgen des Personalabbaus, der Krankenhausschließungen und der Privatisierung medizinischer Leistungen vorangetrieben.

Was sind die Konsequenzen aus Ihrer Sicht?

Die natürliche Folge dieser Veränderungen gepaart mit ausufernder Bürokratisierung waren zunehmend schlechtere Arbeitsbedingungen für fast alle Beschäftigten im Gesundheitswesen und damit eine schlechtere Versorgung für die Patienten, die aufgrund des demografischen Faktors immer älter werden und gleichzeitig unter verschiedenen Krankheiten leiden.

Sie glauben, es gibt eine Spirale nach unten, zum Schlechteren. Wie erklären Sie sich das?

Wenn man einmal im Mangel ist, und das ist seit Jahren die bittere Wahrheit, steigt das Patientenaufkommen. Und damit steigt auch die Arbeitsbelastung mangels Personals für die verbliebenen Beschäftigten kontinuierlich auf kaum noch zu tolerierende Belastungsspitzen an und das ohne Perspektive auf Entlastung.

Beschäftigte steigen aus – das Problem wird schlimmer

Was folgt daraus nach Ihrer Erfahrung?

Die Folge ist, dass medizinische Fachkräfte sich zunehmend gegen eine weitere Beschäftigung entscheiden und sich aus dem medizinischen Berufen verabschieden. Damit erhöhen sie Leistungsdruck, der auf dem verbliebenen Rest lastet, noch weiter.

Wie sieht es da vor Ort in Schramberg aus?

In Schramberg beispielsweise haben in den vergangenen Jahren sechs Hausärzte in fünf Praxen ihre Tätigkeit ohne Nachfolger beendet. Was das für die verbliebenen Praxen und die Patienten, die sich dann einen neuen Hausarzt suchen mussten, bedeutet, kann sich jeder selbst vorstellen.

Ist Schramberg ein Sonderfall?

Leider nein. Die Situation in Schramberg ist keine Ausnahme im Landkreis. In Deutschland ist gut ein Drittel der Hausärzte nach neuester Statistik über 60 Jahre alt und Nachwuchs ist kaum in Sicht.

Welche Folgen hat dieses Ausbluten des Gesundheitswesens für die Patientinnen und Patienten?

Die bittere Realität ist, dass unser Gesundheitssystem bereits jetzt im Status eines großen personellen Mangels keine optimale Rund-um-die-Uhr Patientenversorgung mehr erbringen kann.

Und es wird noch schlimmer, meinen Sie?

Ein erheblicher personeller Aderlass steht uns mit dem Renteneintritt der Babyboomer-Generation in den nächsten fünf bis sieben Jahren noch bevor.

Was wären Ihre Forderungen an die Politik?

Es liegt in der Verantwortung der Politikerinnen und Politiker, für die Daseinsvorsorge der Bürgerinnen und Bürger zu sorgen und dazu die Grundbedingungen für ein funktionierendes Gesundheitssystem endlich wieder herzustellen.

Es ist davon die Rede, beispielsweise mehr Studienplätze einzurichten und Fachkräften aus dem Ausland den Start hier zu erleichtern?

Die bisher von der Politik getroffenen Maßnahmen sind meiner Meinung nach vollkommen unzureichend und nur von symbolischer Bedeutung.

Das heißt, wenn Patienten nachts auf die Straße gesetzt werden, sind nicht die Krankenhäuser schuld?

Die Zivilgesellschaft muss über diese Hintergründe aufgeklärt sein, um ihre richtigen Schlüsse aus den Veränderungen in der medizinischen Versorgung zu ziehen und ihre berechtigten Forderungen an die Adresse zu richten, die tatsächlich die Macht besitzt, die Missstände wieder zu beseitigen, nämlich die Politik.

Das interessiert diese Woche



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Schramberg. In jüngster Zeit haben sich Berichte gehäuft, wonach die Krankenhäuser in Oberndorf und Rottweil ältere Patienten und Patientinnen teilweise tief in der Nacht entlassen haben. Angehörige haben sich zu Wort gemeldet und Vorwürfe an die Adresse der Krankenhäuser erhoben.

Die NRWZ hat den Schramberger Hausarzt und Sprecher des Ärzteverbunds Schramberg Dr. Dr. Jürgen Winter gefragt, ob das ein spezifisches Problem der hiesigen Krankenhäuser sei.

Dr. Dr. Jürgen Winter: Ich denke, die eigentliche tiefere Ursache der Häufung derartiger Ereignisse ist keine nur lokale.

Sondern?

Die Politik in Bund und Land hat in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten das Gesundheitssystem immer weiter in Richtung steigender Effizienz und Kostendämpfung mit allen Folgen des Personalabbaus, der Krankenhausschließungen und der Privatisierung medizinischer Leistungen vorangetrieben.

Was sind die Konsequenzen aus Ihrer Sicht?

Die natürliche Folge dieser Veränderungen gepaart mit ausufernder Bürokratisierung waren zunehmend schlechtere Arbeitsbedingungen für fast alle Beschäftigten im Gesundheitswesen und damit eine schlechtere Versorgung für die Patienten, die aufgrund des demografischen Faktors immer älter werden und gleichzeitig unter verschiedenen Krankheiten leiden.

Sie glauben, es gibt eine Spirale nach unten, zum Schlechteren. Wie erklären Sie sich das?

Wenn man einmal im Mangel ist, und das ist seit Jahren die bittere Wahrheit, steigt das Patientenaufkommen. Und damit steigt auch die Arbeitsbelastung mangels Personals für die verbliebenen Beschäftigten kontinuierlich auf kaum noch zu tolerierende Belastungsspitzen an und das ohne Perspektive auf Entlastung.

Beschäftigte steigen aus – das Problem wird schlimmer

Was folgt daraus nach Ihrer Erfahrung?

Die Folge ist, dass medizinische Fachkräfte sich zunehmend gegen eine weitere Beschäftigung entscheiden und sich aus dem medizinischen Berufen verabschieden. Damit erhöhen sie Leistungsdruck, der auf dem verbliebenen Rest lastet, noch weiter.

Wie sieht es da vor Ort in Schramberg aus?

In Schramberg beispielsweise haben in den vergangenen Jahren sechs Hausärzte in fünf Praxen ihre Tätigkeit ohne Nachfolger beendet. Was das für die verbliebenen Praxen und die Patienten, die sich dann einen neuen Hausarzt suchen mussten, bedeutet, kann sich jeder selbst vorstellen.

Ist Schramberg ein Sonderfall?

Leider nein. Die Situation in Schramberg ist keine Ausnahme im Landkreis. In Deutschland ist gut ein Drittel der Hausärzte nach neuester Statistik über 60 Jahre alt und Nachwuchs ist kaum in Sicht.

Welche Folgen hat dieses Ausbluten des Gesundheitswesens für die Patientinnen und Patienten?

Die bittere Realität ist, dass unser Gesundheitssystem bereits jetzt im Status eines großen personellen Mangels keine optimale Rund-um-die-Uhr Patientenversorgung mehr erbringen kann.

Und es wird noch schlimmer, meinen Sie?

Ein erheblicher personeller Aderlass steht uns mit dem Renteneintritt der Babyboomer-Generation in den nächsten fünf bis sieben Jahren noch bevor.

Was wären Ihre Forderungen an die Politik?

Es liegt in der Verantwortung der Politikerinnen und Politiker, für die Daseinsvorsorge der Bürgerinnen und Bürger zu sorgen und dazu die Grundbedingungen für ein funktionierendes Gesundheitssystem endlich wieder herzustellen.

Es ist davon die Rede, beispielsweise mehr Studienplätze einzurichten und Fachkräften aus dem Ausland den Start hier zu erleichtern?

Die bisher von der Politik getroffenen Maßnahmen sind meiner Meinung nach vollkommen unzureichend und nur von symbolischer Bedeutung.

Das heißt, wenn Patienten nachts auf die Straße gesetzt werden, sind nicht die Krankenhäuser schuld?

Die Zivilgesellschaft muss über diese Hintergründe aufgeklärt sein, um ihre richtigen Schlüsse aus den Veränderungen in der medizinischen Versorgung zu ziehen und ihre berechtigten Forderungen an die Adresse zu richten, die tatsächlich die Macht besitzt, die Missstände wieder zu beseitigen, nämlich die Politik.

Das interessiert diese Woche

Martin Himmelheber (him)
Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.

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