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„„Schauen wir genau hin?““, Veröffentlicht: Mittwoch, 15. Mai 2019, 13.03 Uhr

„Schauen wir genau hin?“

SCHRAMBERG  –  Das Thema beschäftigt die Menschen – nicht erst seit den Missbrauchsskandalen in der Katholischen Kirche oder den Fällen aus Staufen: „Sexualisierte Gewalt im Kindes- und Jugendalter“.

Auf Einladung des JUKS³ sprach Professor Anja Teubert vor zahlreichen Lehrerinnen und Lehrern, Erzieherinnen und pädagogische Fachkräften. Aber auch etliche Eltern, Polizisten, Vereinsvorstände und interessierte Bürgerinnen und Bürger waren am Montagabend in die Mensa des Gymnasiums gekommen, um die renommierte Expertin für sexualisierte Gewalt, von der Dualen Hochschule in Schwenningen zu hören.

In seiner Begrüßung betonte Oberbürgermeister Thomas Herzog, auch die Stadt habe in der Vergangenheit wohl zu wenig zur Aufklärung bei diesem Thema getan. „Wir müssen mehr Öffentlichkeitsarbeit betreiben.“

Was ist sexualisierte Gewalt?

Professor Teubert analysierte zunächst, worum es bei jeder Art Gewalt geht: um Macht. Das sei auch bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder nicht anders. Es gebe ganz unterschiedliche Tätergruppen. Manche seien zärtlich mit den Kindern. „Das erscheint dann oft nicht als Gewalt“, so Teubert. Da es aber gegen den Willen der Kinder geschehe, sei es Gewalt. 

Anja Teubert bei ihrem Vortrag

Neben brutaler Gewalt zählt Teubert auch verbale Belästigungen, Exhibitionismus, flüchtige Berührungen etwa beim Sport, Pornos zeigen oder gar Mißbrauchshandlungen filmen zu solchen Gewalttaten. Die Zahl der Opfer von sexualisierter Gewalt in Deutschland schätzen Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO auf  eine Million. Das bedeute: In jeder Schulklasse sind ein bis zwei Kinder betroffen.

Erschreckend: es dauert oft sehr lange, bis einem Opfer geglaubt wird. Durchschnittlich sieben Erwachsene müsse ein Kind oder Jugendlicher ansprechen, bevor ihm geglaubt werde.

Täter und Tatorte

Die meisten Taten, nämlich 80 bis 90 Prozent geschehen im engeren Familien- oder Bekanntenkreis, ähnlich hoch ist auch der Prozentanteil der männlichen Täter. „Sie stammen aus allen Schichten der Gesellschaft.“  Erschreckend: Die Hälfte der betroffenen Kinder und Jugendlichen leiden später unter den Folgen der sexualisierten Gewalt, bekommen körperliche oder psychische Erkrankungen.

Besonders auch in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche  geschehe sexualisierte Gewalt: „Die Täter suchen sich solche Institutionen, um an Kinder heran zu kommen.“ Deshalb gelte es Schutzkonzepte zu entwickeln. Besonders anfällig seien Einrichtungen, in denen es „eng“ zugeht: Sowohl räumlich als auch in der Personalstruktur: Hierarchisch-autoritäre Verhältnisse, Einrichtungen ohne Privatsphäre oder mit mangelhaft qualifiziertem Personal seien anfällig, so Teuberts Analyse. „Solche Einrichtungen grenzen sich nach außen ab.“  Sie arbeiteten nicht mit anderen zusammen, ließen sich nicht beraten. Hier sah Teubert die Hauptverantwortung bei den Jugendämtern.

Was tun?

Zur Vorbeugung sei wichtig, dass Kinder Positiv-Beziehungen aufbauen können – und das zu mehreren Bezugspersonen. Die Gesellschaft dürfe die sexualisierte Gewalt nicht bagatellisieren, man müsse das Thema enttabuisieren.

In Einrichtungen wie Schulen oder Kindergärten sei wichtig, dass die Fachkräfte ihre pädagogische Arbeit stets überdenken, sich mit Fehlern beschäftigen einen „grenzachtenden Umgang“ pflegen und gewaltfördernde Strukturen sichtbar machen. Auch das „gegenseitige Controlling“ sei wichtig. In den Einrichtungen müsse jemand zuständig sein für den Kontakt zur Fachberatung. Mit einem Zitat von Jean Paul Sartre schloss Teubert: „Gewalt lebt davon, dass sie von anständigen Leuten nicht für möglich gehalten wird.“

Im Anschluss stellte Sozialpädagogin Renate Weiler vom Verein Frauen helfen Frauen + Auswege die lokale Anlaufstelle und Fachberatung für Betroffene und Einrichtungen im Landkreis Rottweil vor. Auch ihr Rat: Offen sein, zuhören Vertrauen schenken, nicht wegschauen, Betroffene begleiten.

Renate Weller

Info: Beratung und Unterstützung gibt es bei „Frauen helfen Frauen + Auswege“ in der Beratungsstelle in Rottweil. Telefon: 0741 – 4 13 14. Die Sprechzeiten sind Montag bis Freitag von 9 Uhr bis 12 Uhr und Donnerstag zusätzlich von 13 Uhr  bis 17 Uhr, oder nach Vereinbarung.

Zusätzliche Beratungen bietet der Verein in Schramberg, Oberndorf und Sulz.

Adresse: Frauen helfen Frauen + AUSWEGE e.V., Hohlengrabengasse 7, 78628 Rottweil, Telefon: 0741 – 4 13 14, Telefax: 0741 – 94 10 295 [email protected]

Weitere Informationen auf den Homepages: www.fhf-auswege.de, www.nein-sagen-auswege-finden.de

 

 

 

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