„The Missing Cryptoqueen“ als Buch

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Schramberg – Bis vor wenigen Wochen war Ruja Ignatova eine weitgehend unbekannte Person. Gut, es gab mal einen Artikel im Spiegel, dann erschien eine Geschichte in der Süddeutschen Zeitung oder im Handelsblatt. Aber wirklich groß und regelmäßig über die heute (vielleicht) 42-Jährige, die 1999 am Schramberger Gymnasium Abitur gemacht hat, berichteten nur wenige Medien.

Dabei gilt Ignatova als eine der mutmaßlich erfolgreichsten Betrügerinnen der Finanzgeschichte. Mit ihrer angeblichen Kryptowährung „OneCoin“ und dem damit verbundenen Schneeballsystem soll sie Menschen weltweit um bis zu 20 Milliarden US-Dollar erleichtert haben.

Most wanted

Seit Anfang Juni nun steht „Dr. Ruja“, wie sie ihr OneCoin-Anhänger nennen, auf der FBI-Liste der zehn meistgesuchten Personen. Und seither gibt’s kein Halten: Überall erscheinen Artikel und Fernsehgeschichten über die aus Bulgarien stammende Cryptoqueen. Selten findet sich in den Berichten etwas Neues, meist schreibt der eine von der andren ab. Aber die Geschichte um die am 25. Oktober 2017 untergetauchte Ignatova ist eben faszinierend.

Drei Jahre Recherche

Einer, der sich schon lange und tiefschürfend mit OneCoin und seiner Erfinderin befasst hat, ist der britische Journalist Jamie Bartlett. Er hat für die BBC mit Georgia Catt einen der erfolgreichsten Podcasts produziert und nun ein Buch mit demselben Titel veröffentlicht: „The Missing Cryptoqueen“.

In sieben Teilen und 35 Kapiteln rollt Bartlett die Geschichte um OneCoin und die Cryptoqueen auf. Er beginnt mit dem großen Auftritt Ignatovas in der Londoner Wembley Arena am 11. Juli 2016. Damals hat Ignatova 3000 Anhänger aus der ganzen Welt versammelt und von ihrem OneCoin, dem angeblichen „Bitcoin-Killer“, begeistert.

Auftritt in der Wembley Arena. Aus einem Onecoin-Video

Jugend in Schramberg

Bartlett schildert, wie Ignatova zusammen mit ihrem Partner Sebastian Greenwood OneCoin und das damit verbundene Multilevel-Marketing-Verkaufssystem entwickelt hat.

Und er beschreibt ihre Kindheit und Jugend in Schramberg.

Plamen und Veska Ignatova seien nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nach Deutschland gekommen: „Die junge Familie bezog schließlich eine Wohnung in einem ärmeren Bereich Schrambergs, einer Kleinstadt im Südwesten Deutschlands. Dort bewohnte die vierköpfige Familie eine kleinere Wohnung über einer Metzgerei in der Marktstraße.“

Während ihr jüngerer Bruder „Konsti“ mit Skaterfreunden abgehängt habe, sei Ruja lernbegierig gewesen. Bartlett zitiert aus NRWZ-Berichten, dass sie zwei Mal eine Klasse übersprungen hat, von ihren Schulkameradinnen und  –kameraden aber nicht sonderlich gemocht worden sei. Sie hätten sie „unnahbar und arrogant“ gefunden.

Bartlett entfaltet in den folgenden Kapiteln die Entwicklung des OneCoin Imperiums, wie Ruja mit Sebastian Greenwood zusammen kam, wie die beiden ihre Strategie entwarfen und begannen die Millionen, später Milliarden zu scheffeln.

Ruja und Sebastian. Archivfoto: privat

Die Suche nach Ruja

„ich habe versucht, das Buch wie einen schnellen Thriller zu schreiben“, erzählt Bartlett in einer Mail an die NRWZ. Es sei ganz anders als die BBC-Podcasts, in denen er als Reporter natürlich ständig auftritt. Erst ganz am Ende, als es um die Suche nach Ruja geht, taucht Bartlett als Person auf und erzählt, wie er sich mit Georgia Catt  für die BBC auf die Suche nach der Cryptoqueen macht.

Vergeblich, wie man (und das FBI insbesondere) weiß. „Es machte uns wahnsinnig“, schreibt Bartlett. „Ruja war überall und nirgends.“ Die Suche habe insbesondere erschwert, dass Ruja ihr Aussehen seit 2015 mit Hilfe von Schönheitschirurgen verändert habe.

So sah Ignatova aus, als sie im Allgäu 2010 eine Gießerei gekauft und in die Insolvenz geführt hatte. Archivfoto: privat

Natürlich wäre es möglich, dass die russische oder bulgarische Unterwelt Ignatova beseitigt habe. Andererseits gebe es hunderte Kriminelle, die sich jahrelang im Verborgenen halten könnten, trotz aller Fahndungen von Interpol, Europol und FBI. „Mit einer neuen Identität, viel Geld und eisernem Willen ist es nicht so schwer, einer Verhaftung zu entgehen“, so Bartlett.

… und so einige Jahre später mit ihrem Baby.

 

Theorien, keine Beweise

Er vermutet, dass Ignatova nach ihrem berühmten Flug FR6300 mit Ryan-Air nach Athen am 25. Oktober 2017 nach Thessaloniki weiter gereist ist. Von dort sei sie mit Hilfe eines bekannten bulgarischen Drogenbarons nach Bulgarien zurück gekehrt. Dort habe sie sich in einem ihrer Häuser versteckt gehalten.

Als im Januar 2018 auf Wunsch der Bielefelder Staatsanwaltschaft die bulgarische Polizei die OneCoin Zentrale in Sofia durchsuchte, habe sie es wohl vorgezogen nach Dubai zu fliehen. Dort besaß sie ein riesiges Penthouse. Über ein Foto, das Konstantin im Februar 2018 gepostet hatte, fanden Bartlett und Catt das Apartment in Dubai. Doch ob sie dort ist?

Bartletts letzte These: Sie befindet sich irgendwo außerhalb der „Zwölf-Meilen-Zone“ auf einer Jacht im Mittelmeer. In einem Gebiet also, in dem kein Land der Erde Zugriff auf jemanden hat. Auch für diese These hat er Hinweise. Leute die Ruja gesehen haben wollen, in St. Tropez etwa oder auf einer Jacht.

Vielleicht, spekuliert Bartlett, wird Ignatova auch irgendwo festgehalten und muss ihr Können, Geld zu waschen und zu verbergen, weitergeben. Im Gegenzug  genieße sie Sicherheit.

Es geht immer weiter

Mit seinem enormen Wissen und Quellenstudium ist Bartlett ein weiterer Knaller gelungen. Die Geschichte um die Cryptoqueen liest sich wirklich wie ein Thriller. Durch die FBI-Fahndung, die wenige Tage nach dem Erscheinen von Bartletts Buch veröffentlicht wurde, hat es noch mehr Aktualität gewonnen.

Es endet mit der eigentlich erschütternden Nachricht. Der letzte Satz: „Zum Zeitpunkt, an dem dieses Buch geschrieben wird, wird OneCoin immer noch überall auf der Welt vermarktet und verkauft.“

Ich kann es bestätigen, Ende Mai habe ich mit einem Kollegen ein OneCoin-Treffen in einem Schweizer Dorf südlich vom Bodensee beobachtet. Ein bekannter Schweizer OneCoin-Verkäufer hatte etwa ein Dutzend Interessenten im Nebenzimmer einer Dorfpizzeria versammelt. Kein Vergleich natürlich zum glamourösen Auftritt Ignatovas in der Wembley Arena. Und dennoch: Der Betrug geht einfach weiter.

In einer Dorfpizzeria in der Nordschweiz im Mai 2022. Die OneCoin-Gemeinde trifft sich, will aber nicht beobachtet werden. Foto: him

Info: „The Missing Cryptoqueen“ von Jamie Bartlett ist auf Englisch erschienen bei Penguin Books. Preis etwa 18 Euro.

Das interessiert diese Woche



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Schramberg – Bis vor wenigen Wochen war Ruja Ignatova eine weitgehend unbekannte Person. Gut, es gab mal einen Artikel im Spiegel, dann erschien eine Geschichte in der Süddeutschen Zeitung oder im Handelsblatt. Aber wirklich groß und regelmäßig über die heute (vielleicht) 42-Jährige, die 1999 am Schramberger Gymnasium Abitur gemacht hat, berichteten nur wenige Medien.

Dabei gilt Ignatova als eine der mutmaßlich erfolgreichsten Betrügerinnen der Finanzgeschichte. Mit ihrer angeblichen Kryptowährung „OneCoin“ und dem damit verbundenen Schneeballsystem soll sie Menschen weltweit um bis zu 20 Milliarden US-Dollar erleichtert haben.

Most wanted

Seit Anfang Juni nun steht „Dr. Ruja“, wie sie ihr OneCoin-Anhänger nennen, auf der FBI-Liste der zehn meistgesuchten Personen. Und seither gibt’s kein Halten: Überall erscheinen Artikel und Fernsehgeschichten über die aus Bulgarien stammende Cryptoqueen. Selten findet sich in den Berichten etwas Neues, meist schreibt der eine von der andren ab. Aber die Geschichte um die am 25. Oktober 2017 untergetauchte Ignatova ist eben faszinierend.

Drei Jahre Recherche

Einer, der sich schon lange und tiefschürfend mit OneCoin und seiner Erfinderin befasst hat, ist der britische Journalist Jamie Bartlett. Er hat für die BBC mit Georgia Catt einen der erfolgreichsten Podcasts produziert und nun ein Buch mit demselben Titel veröffentlicht: „The Missing Cryptoqueen“.

In sieben Teilen und 35 Kapiteln rollt Bartlett die Geschichte um OneCoin und die Cryptoqueen auf. Er beginnt mit dem großen Auftritt Ignatovas in der Londoner Wembley Arena am 11. Juli 2016. Damals hat Ignatova 3000 Anhänger aus der ganzen Welt versammelt und von ihrem OneCoin, dem angeblichen „Bitcoin-Killer“, begeistert.

Auftritt in der Wembley Arena. Aus einem Onecoin-Video

Jugend in Schramberg

Bartlett schildert, wie Ignatova zusammen mit ihrem Partner Sebastian Greenwood OneCoin und das damit verbundene Multilevel-Marketing-Verkaufssystem entwickelt hat.

Und er beschreibt ihre Kindheit und Jugend in Schramberg.

Plamen und Veska Ignatova seien nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nach Deutschland gekommen: „Die junge Familie bezog schließlich eine Wohnung in einem ärmeren Bereich Schrambergs, einer Kleinstadt im Südwesten Deutschlands. Dort bewohnte die vierköpfige Familie eine kleinere Wohnung über einer Metzgerei in der Marktstraße.“

Während ihr jüngerer Bruder „Konsti“ mit Skaterfreunden abgehängt habe, sei Ruja lernbegierig gewesen. Bartlett zitiert aus NRWZ-Berichten, dass sie zwei Mal eine Klasse übersprungen hat, von ihren Schulkameradinnen und  –kameraden aber nicht sonderlich gemocht worden sei. Sie hätten sie „unnahbar und arrogant“ gefunden.

Bartlett entfaltet in den folgenden Kapiteln die Entwicklung des OneCoin Imperiums, wie Ruja mit Sebastian Greenwood zusammen kam, wie die beiden ihre Strategie entwarfen und begannen die Millionen, später Milliarden zu scheffeln.

Ruja und Sebastian. Archivfoto: privat

Die Suche nach Ruja

„ich habe versucht, das Buch wie einen schnellen Thriller zu schreiben“, erzählt Bartlett in einer Mail an die NRWZ. Es sei ganz anders als die BBC-Podcasts, in denen er als Reporter natürlich ständig auftritt. Erst ganz am Ende, als es um die Suche nach Ruja geht, taucht Bartlett als Person auf und erzählt, wie er sich mit Georgia Catt  für die BBC auf die Suche nach der Cryptoqueen macht.

Vergeblich, wie man (und das FBI insbesondere) weiß. „Es machte uns wahnsinnig“, schreibt Bartlett. „Ruja war überall und nirgends.“ Die Suche habe insbesondere erschwert, dass Ruja ihr Aussehen seit 2015 mit Hilfe von Schönheitschirurgen verändert habe.

So sah Ignatova aus, als sie im Allgäu 2010 eine Gießerei gekauft und in die Insolvenz geführt hatte. Archivfoto: privat

Natürlich wäre es möglich, dass die russische oder bulgarische Unterwelt Ignatova beseitigt habe. Andererseits gebe es hunderte Kriminelle, die sich jahrelang im Verborgenen halten könnten, trotz aller Fahndungen von Interpol, Europol und FBI. „Mit einer neuen Identität, viel Geld und eisernem Willen ist es nicht so schwer, einer Verhaftung zu entgehen“, so Bartlett.

… und so einige Jahre später mit ihrem Baby.

 

Theorien, keine Beweise

Er vermutet, dass Ignatova nach ihrem berühmten Flug FR6300 mit Ryan-Air nach Athen am 25. Oktober 2017 nach Thessaloniki weiter gereist ist. Von dort sei sie mit Hilfe eines bekannten bulgarischen Drogenbarons nach Bulgarien zurück gekehrt. Dort habe sie sich in einem ihrer Häuser versteckt gehalten.

Als im Januar 2018 auf Wunsch der Bielefelder Staatsanwaltschaft die bulgarische Polizei die OneCoin Zentrale in Sofia durchsuchte, habe sie es wohl vorgezogen nach Dubai zu fliehen. Dort besaß sie ein riesiges Penthouse. Über ein Foto, das Konstantin im Februar 2018 gepostet hatte, fanden Bartlett und Catt das Apartment in Dubai. Doch ob sie dort ist?

Bartletts letzte These: Sie befindet sich irgendwo außerhalb der „Zwölf-Meilen-Zone“ auf einer Jacht im Mittelmeer. In einem Gebiet also, in dem kein Land der Erde Zugriff auf jemanden hat. Auch für diese These hat er Hinweise. Leute die Ruja gesehen haben wollen, in St. Tropez etwa oder auf einer Jacht.

Vielleicht, spekuliert Bartlett, wird Ignatova auch irgendwo festgehalten und muss ihr Können, Geld zu waschen und zu verbergen, weitergeben. Im Gegenzug  genieße sie Sicherheit.

Es geht immer weiter

Mit seinem enormen Wissen und Quellenstudium ist Bartlett ein weiterer Knaller gelungen. Die Geschichte um die Cryptoqueen liest sich wirklich wie ein Thriller. Durch die FBI-Fahndung, die wenige Tage nach dem Erscheinen von Bartletts Buch veröffentlicht wurde, hat es noch mehr Aktualität gewonnen.

Es endet mit der eigentlich erschütternden Nachricht. Der letzte Satz: „Zum Zeitpunkt, an dem dieses Buch geschrieben wird, wird OneCoin immer noch überall auf der Welt vermarktet und verkauft.“

Ich kann es bestätigen, Ende Mai habe ich mit einem Kollegen ein OneCoin-Treffen in einem Schweizer Dorf südlich vom Bodensee beobachtet. Ein bekannter Schweizer OneCoin-Verkäufer hatte etwa ein Dutzend Interessenten im Nebenzimmer einer Dorfpizzeria versammelt. Kein Vergleich natürlich zum glamourösen Auftritt Ignatovas in der Wembley Arena. Und dennoch: Der Betrug geht einfach weiter.

In einer Dorfpizzeria in der Nordschweiz im Mai 2022. Die OneCoin-Gemeinde trifft sich, will aber nicht beobachtet werden. Foto: him

Info: „The Missing Cryptoqueen“ von Jamie Bartlett ist auf Englisch erschienen bei Penguin Books. Preis etwa 18 Euro.

Das interessiert diese Woche

Martin Himmelheber (him)
Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.