Kern-Liebers: „Wir sind extrem innovativ“

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Dr. Erek Speckert heißt der neue Chef von Kern-Liebers in Schramberg. Der 47-Jährige promovierte Maschinenbauingenieur ist Nachfolger als Vorsitzender der Geschäftsführung von Dr. Udo Schnell, der Ende Januar in Ruhestand trat. Die vergangenen 16 Jahre arbeitete er in verschiedenen Führungspositionen bei Freudenberg in Weinheim. Bei einem gemeinsamen Gespräch hat Speckert Johannes Fritsche (Schwarzwälder Bote) und Martin Himmelheber (NRWZ) Rede und Antwort gestanden.

In einem ersten Interviewteil beantwortete Speckert Fragen zum Umgang mit Corona,  seinen Start im neuen Unternehmen, die Krisenbewältigung und die Unternehmenskultur. Im zweiten Teil  geht es um die Zukunft der Automobilindustrie und deren Zulieferer, die Wasserstofftechnologie, Lieferketten, den Standort Schramberg, und die Frage, weshalb so viele Leute im cc stehen.

Herr Dr. Speckert, die Automobilindustrie steht weltweit vor einem großen Umbruch. In Deutschland haben die großen Konzerne Mühe, beim Umstieg auf die Elektromobilität mitzuhalten. Wie lange geben Sie dem Verbrennungsmotor noch?

Dr. Speckert: Schwer zu sagen. Es ist aber interessant, dass der Zeitraum, in dem die Marktanalysten sagen, der Verbrenner läuft aus und alternative Antriebe laufen hoch, immer kürzer wird. Vor zwei Jahren hieß es, es dauert noch zehn, fünfzehn Jahre. Heute sagt man in etwa zehn Jahren. Ein Trend, den man nicht nur in Europa, sondern auch in den USA, ein wenig zeitversetzt, sehen kann. General Motors hat kürzlich angekündigt, 2035 ist bei ihnen Schluss mit Verbrennungsmotoren.

Tesla treibt an

Die Zeit drängt also.

Wir reden nicht über Monate oder zwei, drei Jahre. Wir reden schon noch über eine lange Strecke, auf der Autos mit herkömmlichen Motoren gefahren werden. Aber die Strecke wird immer kürzer.

Wie lange werden die klassischen Zulieferer noch vom Verbrennungsmotor leben können?

Ich glaube, dass die Zulieferer mit dem Geschäft, das sie heute haben, noch ein Stück weit leben können. Man muss aber  die neuen Teile schon in seinem Portfolio haben.

Warum?

Beim klassischen Verbrenner wird es  keine großen neuen Entwicklungen mehr geben. Die klassischen Geschäfte werden noch lange weiter laufen. Es ist ja nicht so, dass ab Morgen niemand mehr Diesel fährt. Aber Sie müssen heute daran arbeiten, dass Sie in den Projekten drin sind, die kommen werden, wenn der Verbrenner ausläuft.

Ein Automobilexperte hat darauf hingewiesen, dass sehr viele Autos über Leasingverträge abgesetzt werden. Und da sei der Wiederverkaufswert entscheidend. Der werde bei Benzinern und Diesel stark sinken, deshalb würden die Käufer zu E-Autos greifen. Stimmt das?

Das ist sicher ein Effekt. Ein anderer ist, wie stark subventioniert der Staat eine bestimmte Technik? Da gibt es noch keine 100 Prozent klare Richtung in der Politik. Das beeinflusst den Zeitraum, in dem konventionelle Antriebstechnik noch  auf dem Markt sein wird. Schließlich die ausländischen Automobilhersteller wie Tesla, oder auch chinesische Hersteller. Die treiben unsere deutschen Hersteller auch vor sich her.

Tesla kriegen die Deutschen arg zu spüren?

Es ist interessant zu sehen, wie Volkswagen und Daimler auf Tesla reagieren: Der Druck ist extrem hoch. Aber ganz klar: Der Fokus in der Zukunft liegt auf der Elektromobilität.

Die „Verbrenner“ werden auslaufen

Was heißt das konkret für Kern-Liebers?

Grundsätzlich hat Kern-Liebers bereits eine gute Unabhängigkeit vom Verbrennungsmotor. Zum Einen sind wir Weltmarktführer im Bereich Sicherheitsgurten, zum anderen investieren und fokussieren wir uns bereits sein einigen Jahren auf weitere Produktsegmente, die unabhängig vom Antriebsstrang sind. Bei Carl Haas in Schramberg fertigen wir zum Beispiel innovative Kunststoffverbundteile.

Was sagen Sie Leuten, die weiterhin auf den Diesel  schwören?

Bei traditionellen Verbrennungsmotoren  Diesel und Benzin wird nur noch punktuell entwickelt. Es ist für uns nach wie vor ein gutes Geschäft. Wir müssen aber sicherstellen, dass wir beim Zukunftsgeschäft auch mit an Bord sind. Die Gefahr besteht immer, dass man denkt, der Diesel ist gut, das läuft gut. Ich sehe die Autos überall auf der Straße. Aber wir müssen heute die Projekte bei unseren Kunden generieren, die in fünf bis zehn Jahren gebraucht werden. Wir müssen bei den andren Geschäften mit dabei sein, wenn der Diesel und der Benziner langsam zurückgehen.

Spüren Sie da schon Nachfrage?

Dieser Markt ist deutlich agiler. Die meisten Kundenanfragen betreffen die E-Mobilität. Für einen klassischen Zulieferer wie Kern-Liebers ist es deshalb enorm wichtig, dass man das Unternehmen entsprechend ausrichtet.

Das heißt?

Wir müssen uns auch auf neue Player im Markt einstellen, die anders einkaufen als die traditionellen Hersteller.

Und wie machen Sie das?

(Lacht) Eine gute Frage nach paar Wochen in Schramberg! Um das zu beantworten, muss ich erst unsere Vertriebsorganisation noch besser verstehen. Wir müssen wissen, wer sind die wichtigen Player? Wo werden unsere Produkte gebraucht?

Statt in einem Verbrennungsmotor in einem Elektromotor?

E-Auto, Brennstoffzelle oder noch etwas anderes?

Es ist noch nicht entschieden, wie der Antriebsstrang künftig aussehen wird. Ist es wirklich die Batterie? Oder gibt es vielleicht doch noch eine Brennstoffzelle oder andere Konzepte? Weil das keine herkömmlichen Anwendungen sind, wie wir sie seit 30 Jahren als Kern-Liebers geliefert haben, brauchen wir da eine andere Herangehensweise. Vielleicht müssen wir unsere Vertriebsaktivitäten, die wir weltweit haben, ein Stück weit stärker bündeln.

Sie haben gerade die Batterie- und die Wasserstofftechnologie angesprochen. Sehen Sie im normalen Auto wirklich einen Wasserstoffantrieb? Hat der nicht einen viel zu niedrigen Wirkungsgrad?

Im PKW wird sich der Wasserstoff wahrscheinlich nicht durchsetzen. Aber es gibt viele andere interessante Anwendungen für die Brennstoffzelle: Kreuzfahrtschiffe, aber auch Nutzfahrzeuge. Da gibt es auch viele Anknüpfungspunkte von heutigen Nutzfahrzeugherstellern. Aber die Brennstoffzelle ist sicher noch ein Stück weit weiter entfernt als die Batterie. Die E-Mobility hat da die Nase vorne.

Foto: him

Globales Geschäft heißt auch Arbeit für Schramberg

Wenn Kern-Liebers solche neuen Produkte produzieren will, was bedeutet das für den Standort Schramberg?

Das kann ich nicht so schwarz-weiß beantworten. Dabei geht es um zwei Fragen: Die Stückzahl und wo werden die Teile benötigt? Es ist extrem wichtig, dass wir lokal für lokal produzieren. Wir produzieren in China für China und produzieren in Nordamerika für Nordamerika und in Schramberg für Europa. Dafür sind wir ein globales Unternehmen.

Warum ist das so wichtig?

Unsere Kunden sind vor Ort und erwarten das Gleiche von ihrem Lieferanten bei allen globalen Plattformen. Dies ist oft ein sehr wichtiger Entscheidungsgrund bei der Vergabe. Deshalb bedeutet ein global gewonnenes Geschäft sehr oft auch zusätzliches Geschäft für den Standort Schramberg.

Die Transportkosten haben lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle gespielt?

Da hat Corona eine starke Veränderung gebracht. Die Logistikkosten sind explodiert. Der Transport eines 40-Fuß-Containers von China nach Deutschland hat vor einem Jahr noch 1000 Euro gekostet, der kostet jetzt 9000 Euro. Hinzu kam, dass Lieferketten während der Pandemie abgebrochen sind und immer noch abbrechen.

Ganz aktuell fehlen Halbleiterchips?

Bei Daimler und VW standen die Bänder jetzt still, weil diese Teile nicht gekommen sind.

Was bleibt in Schramberg?

Was bedeutet das für Schramberg?

Wir entwickeln viele Ideen in Schramberg. Neues, innovatives Geschäft für Europa sehe ich am Standort Schramberg. Bei hohen Stückzahlen, beziehungsweise globalen Projekten ist die Frage, was möchte der Kunde? Und macht es Sinn, dann Teile von hier nach China zu verschicken?

Ist der Standort Schramberg denn langfristig konkurrenzfähig?

Da habe ich eine klar Meinung: Jeder Produktionsstandort in Deutschland ist konkurrenzfähig, wenn alle an einem Strang ziehen. Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Betriebsrat, IG Metall, wenn alle an einem Strang ziehen, ist jeder Standort in Deutschland auch im Automobilgeschäft in der Lage, profitabel zu sein. Da glaube ich dran.

Coronabedingt konnten Sie bisher im Wesentlichen nur die Schramberger und Hardter Kern-Liebers-Firmen kennenlernen. Was ist Ihr Eindruck?

Klar, die Coronasituation macht Begegnungen schwieriger. Aber ich bin auf viele offene Mitarbeiter gestoßen. Als ich in der Produktion war, da gab es keine Berührungsängste. Deshalb gehe ich ja  gern in  die Produktion. Das bekommen Sie sonst nicht mit, wenn Sie nur hier oben sitzen und Krawatte anhaben.

Was ist Ihnen noch aufgefallen?

Wir sind extrem innovativ. Wir haben viele spannende Produkte in der Pipeline, die unsere Zukunft absichern werden. Was die E-Mobility angeht, ist Kern-Liebers schon ganz gut aufgestellt.

Groß in kleinen Teilen

Für mich als Laien klingt die Fertigung von Kühlrippen für Leiterplatten nicht sonderlich sexy, eher nach Kleinkram?

Das ist kein Kleinkram! Da brauchen Sie das Werkstoff- und Prozess-Knowhow. Der Werkstoff muss genau zum Teil passen. Das Schöne beim Kern-Liebers-Geschäft ist, dass wir sehr kleinteilig sind. Wir produzieren keine großen Module. Aus unseren  kleinen Teilen entsteht mit vielen anderen Teilen etwas Großes. Aber diese  kleinen Teile sind entscheidend. Wenn diese kleinen Teile den Anforderungen nicht genügen, funktioniert das Große nicht.

Was bedeutet das?

Wir müssen technologisch versiert mit hoher Qualität liefern. Gerade bei der E-Mobility darf auch ein Kunde keinen Fehler machen. Der, der mit einem neuen Antrieb zu einem Hersteller geht, möchte sich auf kein Risiko einlassen. Und wenn er sich dann fragt, nehme ich das Teil aus Asien oder nehme ich das Teil von Kern-Liebers aus Schramberg, dann ist unser Teil vielleicht ein bisschen teurer. Aber wenn die Qualität besser ist, und eine Bandfeder in einem Sicherheitsgurt einfach deutlich länger hält, dann ist das halt gewünscht.

Ihre Kunden aus der Automobilindustrie üben seit Jahren Preisdruck auf Sie aus. Darüber klagen die Zulieferer seit langem. Wie wollen Sie damit umgehen?

Wir müssen uns auf dem Feld der Qualität platzieren, und da ist Kern-Liebers gut. Klar, wir haben Druck von oben, wir haben Druck von den Asiaten. Aber diesen Druck gab es auch schon vor zehn Jahren. Wir müssen schauen, dass wir bei Innovationen immer einen Schritt voraus sind. Wir haben viele clevere Leute mit vielen guten Ideen. Manchmal  müssen wir die noch besser bündeln, damit wir mehr PS auf die Straße bringen. Aber die Ideen und die guten Menschen, sind alle vorhanden.

Entwickler vor Ort

Und wie bringen Sie mehr PS auf die Straße?

Wir müssen schauen, wie wir ihnen die Freiheiten geben, damit sie das, was sie machen, noch besser machen können. Kern-Liebers hat keine zentrale Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Wir haben hier in Schramberg den Sondermaschinenbau, der auch die anderen Standorte teilweise beliefert. In jedem unserer drei Geschäftsbereiche haben wir Entwicklungsabteilungen. Und die arbeiten an den einzelnen Standorten.

Verzettelt man sich da nicht?

Sie können natürlich hier am Standort ein großes neues Gebäude bauen und ein „Innovation Center“ einrichten. Dann verlieren die Leute aber den Kontakt zur Produktion und den Prozessen. Ich bin ein Verfechter, dass die Entwickler möglichst nahe an der Produktion sind, sonst ist der Austausch nicht mehr gegeben.

Dieser Austausch findet in Pandemiezeiten oft in Videokonferenzen statt…

Da habe ich eine interessante Beobachtung gemacht. Früher hat man zum Telefonhörer gegriffen. Seit 15 Jahren hatte sich das leider verschoben, die Kommunikation hat sich komplett auf E-Mails verlagert. Zusätzlich nehme dann noch 15 Leute ins cc, damit ich auch ganz abgesichert bin. Ich beschäftige die halbe Organisation… Das „Schöne“ an Corona ist nun, dass wir davon wieder ein Stück weit wegkommen. Mittlerweile sind viele im Homeoffice und haben sich an Skype oder Teams gewöhnt. Direkt über den PC reicht es einen Namen anzuklicken   und schon sind Sie mit Ihrem Gesprächspartner verbunden, sehen sein Gesicht, er sieht Sie. Ich glaube, dass die Leute wieder mehr miteinander sprechen.

Das direkte Gespräch hilft Ihnen?

Natürlich bevorzuge ich das persönliche Gespräch. Aber Corona hat dazu geführt, dass wir bei der Kommunikation schnell umdenken und uns auf neue Kommunikationswege einlassen mussten. Seit kurzem haben wir dafür nur noch ein System und das funktioniert immer mit Video. Wir haben immer die Kamera an und kommunizieren face to face. Bevor ich eine E-Mail schreibe, hinterfrage ich mich immer, geht dies nicht auch über einen kurzen Teams Anruf. Dies ist unterm Strich schneller, und man muss nicht  überlegen, wen man noch ins cc nimmt.

„cc“

Wie erklären Sie sich diese cc-Setzerei?

Man nimmt die Leute ins cc, damit man, wenn was schief geht, sagen kann: „Aber Du warst doch in Kopie.“ Da hat sich in den letzten Jahren eine schlechte Kultur in den Unternehmen entwickelt: Eine Null-Fehler-Kultur. Weil keiner mehr Fehler machen möchte, sichert jeder sich hundertmal ab. Mir ist lieber, jemand macht einen Fehler, aber er hat es versucht. Die Einstellung „Ich mache nix, damit ich keinen Fehler mache“, ist gefährlich, weil es Innovationen verhindert. Auch ich mache Fehler, es ist mir klar, dass ich in den Jahren, die ich hier sein werde, auch immer wieder Fehler machen werde. Kein Mensch ist perfekt.

 

Das interessiert diese Woche



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Dr. Erek Speckert heißt der neue Chef von Kern-Liebers in Schramberg. Der 47-Jährige promovierte Maschinenbauingenieur ist Nachfolger als Vorsitzender der Geschäftsführung von Dr. Udo Schnell, der Ende Januar in Ruhestand trat. Die vergangenen 16 Jahre arbeitete er in verschiedenen Führungspositionen bei Freudenberg in Weinheim. Bei einem gemeinsamen Gespräch hat Speckert Johannes Fritsche (Schwarzwälder Bote) und Martin Himmelheber (NRWZ) Rede und Antwort gestanden.

In einem ersten Interviewteil beantwortete Speckert Fragen zum Umgang mit Corona,  seinen Start im neuen Unternehmen, die Krisenbewältigung und die Unternehmenskultur. Im zweiten Teil  geht es um die Zukunft der Automobilindustrie und deren Zulieferer, die Wasserstofftechnologie, Lieferketten, den Standort Schramberg, und die Frage, weshalb so viele Leute im cc stehen.

Herr Dr. Speckert, die Automobilindustrie steht weltweit vor einem großen Umbruch. In Deutschland haben die großen Konzerne Mühe, beim Umstieg auf die Elektromobilität mitzuhalten. Wie lange geben Sie dem Verbrennungsmotor noch?

Dr. Speckert: Schwer zu sagen. Es ist aber interessant, dass der Zeitraum, in dem die Marktanalysten sagen, der Verbrenner läuft aus und alternative Antriebe laufen hoch, immer kürzer wird. Vor zwei Jahren hieß es, es dauert noch zehn, fünfzehn Jahre. Heute sagt man in etwa zehn Jahren. Ein Trend, den man nicht nur in Europa, sondern auch in den USA, ein wenig zeitversetzt, sehen kann. General Motors hat kürzlich angekündigt, 2035 ist bei ihnen Schluss mit Verbrennungsmotoren.

Tesla treibt an

Die Zeit drängt also.

Wir reden nicht über Monate oder zwei, drei Jahre. Wir reden schon noch über eine lange Strecke, auf der Autos mit herkömmlichen Motoren gefahren werden. Aber die Strecke wird immer kürzer.

Wie lange werden die klassischen Zulieferer noch vom Verbrennungsmotor leben können?

Ich glaube, dass die Zulieferer mit dem Geschäft, das sie heute haben, noch ein Stück weit leben können. Man muss aber  die neuen Teile schon in seinem Portfolio haben.

Warum?

Beim klassischen Verbrenner wird es  keine großen neuen Entwicklungen mehr geben. Die klassischen Geschäfte werden noch lange weiter laufen. Es ist ja nicht so, dass ab Morgen niemand mehr Diesel fährt. Aber Sie müssen heute daran arbeiten, dass Sie in den Projekten drin sind, die kommen werden, wenn der Verbrenner ausläuft.

Ein Automobilexperte hat darauf hingewiesen, dass sehr viele Autos über Leasingverträge abgesetzt werden. Und da sei der Wiederverkaufswert entscheidend. Der werde bei Benzinern und Diesel stark sinken, deshalb würden die Käufer zu E-Autos greifen. Stimmt das?

Das ist sicher ein Effekt. Ein anderer ist, wie stark subventioniert der Staat eine bestimmte Technik? Da gibt es noch keine 100 Prozent klare Richtung in der Politik. Das beeinflusst den Zeitraum, in dem konventionelle Antriebstechnik noch  auf dem Markt sein wird. Schließlich die ausländischen Automobilhersteller wie Tesla, oder auch chinesische Hersteller. Die treiben unsere deutschen Hersteller auch vor sich her.

Tesla kriegen die Deutschen arg zu spüren?

Es ist interessant zu sehen, wie Volkswagen und Daimler auf Tesla reagieren: Der Druck ist extrem hoch. Aber ganz klar: Der Fokus in der Zukunft liegt auf der Elektromobilität.

Die „Verbrenner“ werden auslaufen

Was heißt das konkret für Kern-Liebers?

Grundsätzlich hat Kern-Liebers bereits eine gute Unabhängigkeit vom Verbrennungsmotor. Zum Einen sind wir Weltmarktführer im Bereich Sicherheitsgurten, zum anderen investieren und fokussieren wir uns bereits sein einigen Jahren auf weitere Produktsegmente, die unabhängig vom Antriebsstrang sind. Bei Carl Haas in Schramberg fertigen wir zum Beispiel innovative Kunststoffverbundteile.

Was sagen Sie Leuten, die weiterhin auf den Diesel  schwören?

Bei traditionellen Verbrennungsmotoren  Diesel und Benzin wird nur noch punktuell entwickelt. Es ist für uns nach wie vor ein gutes Geschäft. Wir müssen aber sicherstellen, dass wir beim Zukunftsgeschäft auch mit an Bord sind. Die Gefahr besteht immer, dass man denkt, der Diesel ist gut, das läuft gut. Ich sehe die Autos überall auf der Straße. Aber wir müssen heute die Projekte bei unseren Kunden generieren, die in fünf bis zehn Jahren gebraucht werden. Wir müssen bei den andren Geschäften mit dabei sein, wenn der Diesel und der Benziner langsam zurückgehen.

Spüren Sie da schon Nachfrage?

Dieser Markt ist deutlich agiler. Die meisten Kundenanfragen betreffen die E-Mobilität. Für einen klassischen Zulieferer wie Kern-Liebers ist es deshalb enorm wichtig, dass man das Unternehmen entsprechend ausrichtet.

Das heißt?

Wir müssen uns auch auf neue Player im Markt einstellen, die anders einkaufen als die traditionellen Hersteller.

Und wie machen Sie das?

(Lacht) Eine gute Frage nach paar Wochen in Schramberg! Um das zu beantworten, muss ich erst unsere Vertriebsorganisation noch besser verstehen. Wir müssen wissen, wer sind die wichtigen Player? Wo werden unsere Produkte gebraucht?

Statt in einem Verbrennungsmotor in einem Elektromotor?

E-Auto, Brennstoffzelle oder noch etwas anderes?

Es ist noch nicht entschieden, wie der Antriebsstrang künftig aussehen wird. Ist es wirklich die Batterie? Oder gibt es vielleicht doch noch eine Brennstoffzelle oder andere Konzepte? Weil das keine herkömmlichen Anwendungen sind, wie wir sie seit 30 Jahren als Kern-Liebers geliefert haben, brauchen wir da eine andere Herangehensweise. Vielleicht müssen wir unsere Vertriebsaktivitäten, die wir weltweit haben, ein Stück weit stärker bündeln.

Sie haben gerade die Batterie- und die Wasserstofftechnologie angesprochen. Sehen Sie im normalen Auto wirklich einen Wasserstoffantrieb? Hat der nicht einen viel zu niedrigen Wirkungsgrad?

Im PKW wird sich der Wasserstoff wahrscheinlich nicht durchsetzen. Aber es gibt viele andere interessante Anwendungen für die Brennstoffzelle: Kreuzfahrtschiffe, aber auch Nutzfahrzeuge. Da gibt es auch viele Anknüpfungspunkte von heutigen Nutzfahrzeugherstellern. Aber die Brennstoffzelle ist sicher noch ein Stück weit weiter entfernt als die Batterie. Die E-Mobility hat da die Nase vorne.

Foto: him

Globales Geschäft heißt auch Arbeit für Schramberg

Wenn Kern-Liebers solche neuen Produkte produzieren will, was bedeutet das für den Standort Schramberg?

Das kann ich nicht so schwarz-weiß beantworten. Dabei geht es um zwei Fragen: Die Stückzahl und wo werden die Teile benötigt? Es ist extrem wichtig, dass wir lokal für lokal produzieren. Wir produzieren in China für China und produzieren in Nordamerika für Nordamerika und in Schramberg für Europa. Dafür sind wir ein globales Unternehmen.

Warum ist das so wichtig?

Unsere Kunden sind vor Ort und erwarten das Gleiche von ihrem Lieferanten bei allen globalen Plattformen. Dies ist oft ein sehr wichtiger Entscheidungsgrund bei der Vergabe. Deshalb bedeutet ein global gewonnenes Geschäft sehr oft auch zusätzliches Geschäft für den Standort Schramberg.

Die Transportkosten haben lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle gespielt?

Da hat Corona eine starke Veränderung gebracht. Die Logistikkosten sind explodiert. Der Transport eines 40-Fuß-Containers von China nach Deutschland hat vor einem Jahr noch 1000 Euro gekostet, der kostet jetzt 9000 Euro. Hinzu kam, dass Lieferketten während der Pandemie abgebrochen sind und immer noch abbrechen.

Ganz aktuell fehlen Halbleiterchips?

Bei Daimler und VW standen die Bänder jetzt still, weil diese Teile nicht gekommen sind.

Was bleibt in Schramberg?

Was bedeutet das für Schramberg?

Wir entwickeln viele Ideen in Schramberg. Neues, innovatives Geschäft für Europa sehe ich am Standort Schramberg. Bei hohen Stückzahlen, beziehungsweise globalen Projekten ist die Frage, was möchte der Kunde? Und macht es Sinn, dann Teile von hier nach China zu verschicken?

Ist der Standort Schramberg denn langfristig konkurrenzfähig?

Da habe ich eine klar Meinung: Jeder Produktionsstandort in Deutschland ist konkurrenzfähig, wenn alle an einem Strang ziehen. Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Betriebsrat, IG Metall, wenn alle an einem Strang ziehen, ist jeder Standort in Deutschland auch im Automobilgeschäft in der Lage, profitabel zu sein. Da glaube ich dran.

Coronabedingt konnten Sie bisher im Wesentlichen nur die Schramberger und Hardter Kern-Liebers-Firmen kennenlernen. Was ist Ihr Eindruck?

Klar, die Coronasituation macht Begegnungen schwieriger. Aber ich bin auf viele offene Mitarbeiter gestoßen. Als ich in der Produktion war, da gab es keine Berührungsängste. Deshalb gehe ich ja  gern in  die Produktion. Das bekommen Sie sonst nicht mit, wenn Sie nur hier oben sitzen und Krawatte anhaben.

Was ist Ihnen noch aufgefallen?

Wir sind extrem innovativ. Wir haben viele spannende Produkte in der Pipeline, die unsere Zukunft absichern werden. Was die E-Mobility angeht, ist Kern-Liebers schon ganz gut aufgestellt.

Groß in kleinen Teilen

Für mich als Laien klingt die Fertigung von Kühlrippen für Leiterplatten nicht sonderlich sexy, eher nach Kleinkram?

Das ist kein Kleinkram! Da brauchen Sie das Werkstoff- und Prozess-Knowhow. Der Werkstoff muss genau zum Teil passen. Das Schöne beim Kern-Liebers-Geschäft ist, dass wir sehr kleinteilig sind. Wir produzieren keine großen Module. Aus unseren  kleinen Teilen entsteht mit vielen anderen Teilen etwas Großes. Aber diese  kleinen Teile sind entscheidend. Wenn diese kleinen Teile den Anforderungen nicht genügen, funktioniert das Große nicht.

Was bedeutet das?

Wir müssen technologisch versiert mit hoher Qualität liefern. Gerade bei der E-Mobility darf auch ein Kunde keinen Fehler machen. Der, der mit einem neuen Antrieb zu einem Hersteller geht, möchte sich auf kein Risiko einlassen. Und wenn er sich dann fragt, nehme ich das Teil aus Asien oder nehme ich das Teil von Kern-Liebers aus Schramberg, dann ist unser Teil vielleicht ein bisschen teurer. Aber wenn die Qualität besser ist, und eine Bandfeder in einem Sicherheitsgurt einfach deutlich länger hält, dann ist das halt gewünscht.

Ihre Kunden aus der Automobilindustrie üben seit Jahren Preisdruck auf Sie aus. Darüber klagen die Zulieferer seit langem. Wie wollen Sie damit umgehen?

Wir müssen uns auf dem Feld der Qualität platzieren, und da ist Kern-Liebers gut. Klar, wir haben Druck von oben, wir haben Druck von den Asiaten. Aber diesen Druck gab es auch schon vor zehn Jahren. Wir müssen schauen, dass wir bei Innovationen immer einen Schritt voraus sind. Wir haben viele clevere Leute mit vielen guten Ideen. Manchmal  müssen wir die noch besser bündeln, damit wir mehr PS auf die Straße bringen. Aber die Ideen und die guten Menschen, sind alle vorhanden.

Entwickler vor Ort

Und wie bringen Sie mehr PS auf die Straße?

Wir müssen schauen, wie wir ihnen die Freiheiten geben, damit sie das, was sie machen, noch besser machen können. Kern-Liebers hat keine zentrale Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Wir haben hier in Schramberg den Sondermaschinenbau, der auch die anderen Standorte teilweise beliefert. In jedem unserer drei Geschäftsbereiche haben wir Entwicklungsabteilungen. Und die arbeiten an den einzelnen Standorten.

Verzettelt man sich da nicht?

Sie können natürlich hier am Standort ein großes neues Gebäude bauen und ein „Innovation Center“ einrichten. Dann verlieren die Leute aber den Kontakt zur Produktion und den Prozessen. Ich bin ein Verfechter, dass die Entwickler möglichst nahe an der Produktion sind, sonst ist der Austausch nicht mehr gegeben.

Dieser Austausch findet in Pandemiezeiten oft in Videokonferenzen statt…

Da habe ich eine interessante Beobachtung gemacht. Früher hat man zum Telefonhörer gegriffen. Seit 15 Jahren hatte sich das leider verschoben, die Kommunikation hat sich komplett auf E-Mails verlagert. Zusätzlich nehme dann noch 15 Leute ins cc, damit ich auch ganz abgesichert bin. Ich beschäftige die halbe Organisation… Das „Schöne“ an Corona ist nun, dass wir davon wieder ein Stück weit wegkommen. Mittlerweile sind viele im Homeoffice und haben sich an Skype oder Teams gewöhnt. Direkt über den PC reicht es einen Namen anzuklicken   und schon sind Sie mit Ihrem Gesprächspartner verbunden, sehen sein Gesicht, er sieht Sie. Ich glaube, dass die Leute wieder mehr miteinander sprechen.

Das direkte Gespräch hilft Ihnen?

Natürlich bevorzuge ich das persönliche Gespräch. Aber Corona hat dazu geführt, dass wir bei der Kommunikation schnell umdenken und uns auf neue Kommunikationswege einlassen mussten. Seit kurzem haben wir dafür nur noch ein System und das funktioniert immer mit Video. Wir haben immer die Kamera an und kommunizieren face to face. Bevor ich eine E-Mail schreibe, hinterfrage ich mich immer, geht dies nicht auch über einen kurzen Teams Anruf. Dies ist unterm Strich schneller, und man muss nicht  überlegen, wen man noch ins cc nimmt.

„cc“

Wie erklären Sie sich diese cc-Setzerei?

Man nimmt die Leute ins cc, damit man, wenn was schief geht, sagen kann: „Aber Du warst doch in Kopie.“ Da hat sich in den letzten Jahren eine schlechte Kultur in den Unternehmen entwickelt: Eine Null-Fehler-Kultur. Weil keiner mehr Fehler machen möchte, sichert jeder sich hundertmal ab. Mir ist lieber, jemand macht einen Fehler, aber er hat es versucht. Die Einstellung „Ich mache nix, damit ich keinen Fehler mache“, ist gefährlich, weil es Innovationen verhindert. Auch ich mache Fehler, es ist mir klar, dass ich in den Jahren, die ich hier sein werde, auch immer wieder Fehler machen werde. Kein Mensch ist perfekt.

 

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Martin Himmelheber (him)
Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.

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