Donnerstag, 18. April 2024

AfD-Versammlung in Rottweil: Handzahm mit Verschwörungstheorien

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ROTTWEIL – Absperrgitter entlang der Halle, zwei Dutzend Bereitschaftspolizisten und nochmal etliche Beamte vom Rottweiler Revier, ein weiteres Dutzend Security-Leute in dunklen Anzügen und mit Knopf im Ohr, die die Türen bewachten. Taschenkontrolle und Abtasten am Eingang. Die AfD-Landtagsfraktion hatte am Donnerstagabend nach Rottweil in die Stadthalle zu einem „BürgerDialog Baden-Württemberg zwischen Brexit und Dexit“ eingeladen.

Etwa 250 Besucher hatte einer der Podiumsteilnehmer gezählt, die AfD spricht selbst von 150,  gestuhlt war für etwa 400 Gäste. Wie an den Autokennzeichen abzulesen war, waren sie aus dem ganzen Land nach Rottweil gekommen. Von Ulm bis Karlsruhe, von Sigmaringen bis Baden-Baden, von Heilbronn, Stuttgart und Esslingen bis Konstanz. Natürlich auch Horb, Tuttlingen, VS. Die RW-Kennzeichen waren eindeutig in der Minderheit.

Das Publikum

Flügelleute

Erleben wollten sie die Europaabgeordnete Christine Anderson, die allerdings wegen Krankheit absagen musste. Ihr Kollege Dr. Maximilian Krah war da, der Bundestagsabgeordnete Dr. Dirk Spaniel sowie aus dem Landtag die Abgeordneten Emil Sänze und Dr. Christina Baum. Ob‘s ein Zufall ist? Alle sind sie entweder Mitglieder im als Verdachtsfall vom Verfassungsschutz eingestuften rechtsextremistischen Flügel um Björn Höcke oder stehen diesem zumindest nahe.

Wer allerdings nun ein Spektakel erwartet hatte, der wurde enttäuscht. Statt Bierzelt-Atmosphäre verbreiteten die drei Herren und eine Dame eher die Stimmung in einem volkswirtschaftlichen oder Politologen-Proseminar. „Die waren echt weichgespült“, befand ein Besucher, der aus Interesse an der politischen Debatte, nicht als AfD-Anhänger gekommen war.

Gespräch mit der Presse

Zunächst hatte die AfD die Presse vorab zu einem Pressegespräch geladen. Im „Garderoberaum 2“ saßen zwischen Kleiderhaken und Duschraum den vier AfD-Volksvertretern zwei Presseleute gegenüber: Armin Schulz vom Schwarzwälder Boten und der Autor. „Wir machen das relativ familiär“, meinte Sänze zum kleinen Kreis.

Pressegespräch im Garderoberaum.

Man sei ja „kein stringenter Gegner der EU“,  die EU solle „eine Klammerfunktion für selbständige und freie Vaterländer“ haben. Es gebe den Versuch der „etablierten Parteien“ einen Bundesstaat zu errichten und dagegen wehre sich die AfD, so Sänze.

Von der EU und dem Euro, so Krah, der eine dicke Rolex am Handgelenk trägt (für Kenner: offenbar eine GMT Master II in Stahl / Gold), hätten doch nur die Unternehmen und deren Anteilseignern etwas, der deutsche Arbeitnehmer nicht, die Reallöhne seien niedrig. „Wir sind die Ärmsten in der Eurozone, der Reichtum kommt nicht bei den kleinen Leuten an.“ 

Dirk Spaniel, früher bei Daimler in der Entwicklung, sah in der Vorgabe der EU, den Co2 Ausstoß  bei den Autos zu reduzieren, „massive Auswirkungen“ auf die Autohersteller und ihre Zulieferer zukommen.

„Europabesoffene Deutsche“

Krah findet: „Deutsche Politiker sind europabesoffen“. Man müsse die Komplexität vereinfachen, Entscheidungen runter zoomen. Da schaltet sich Baum das einzige Mal ein, stellt fest: „Genau so ist es.“ Und Sänze: „Wir denken nicht in Parteiideologien. Wir denken völkisch.“

Kurz vor 19 Uhr endet das Pressegespräch, denn um 19 Uhr soll der Bürgerdialog in der Halle beginnen. Ein Blick vor die Halle: Einige Besucher kommen noch herein. Einer trägt ein Kapuzenshirt: „See you in Walhalla“ (Ostfront-Versand, ab 19.99 Euro). Vor der Halle stehen die Polizisten in kleinen Grüppchen und langweilen sich. „Demonstranten? Sehen Sie welche?“ Nein, Fehlanzeige.

Info- und Werbematerial der AfD-Fraktion

Bombastische Musik ertönt. Als Moderatorin fungiert Christiane Christen. Sie war laut „Stern“ Vizechefin der AfD in Rheinland-Pfalz und arbeite inzwischen für den AfD-Bundestagsabgeordneten Thomas Seitz. Auch sie gehört zum ultrarechten Rand der AfD, sollte schon aus der Partei ausgeschlossen werden.

Christen gibt bekannt, dass die Veranstaltung per Live-Stream übertragen werde. Der Föderalismus sei neben Bürgerrechten, Identität und Standortsicherung das Hauptthema der AfD.  An diesem Abend gehe es um die EU, die Nivellierung, die Vorteile der EU – für wen? Wie es zum Brexit kommen konnte und welche Auswirkungen das habe, so Christen. Fragen aus dem Publikum dürfe man auf einen Zettel an einem Tisch neben der Bühne aufschreiben, sie werde diese dann in ihre Moderation einbauen.

Vier Kurzvorträge

In seinem Vortrag kritisierte Sänze die Bertelsmann-Stiftung, die die finanziellen Vorteile der EU und des Euro für Deutschland errechnet habe. Aber das sei falsch. Er habe anderes errechnet. Deutschland stünde an achter Stelle bei den Einkommenszuwächsen.

Emil Sänze

Die Zahnärztin Dr. Christina Baum, kurz vor der Wende 1989 aus der DDR in den Westen gekommen, berichtete von einer AfD-Demonstration wegen des WDR-Satireliedes zur „Oma Umweltsau“.  Sie sei mit 17,2 Prozent der Stimmen gewählt worden, demnach habe jeder fünfte Wähler für sie gestimmt.  „Ich bin keine Politikerin, sondern Volksvertreterin.“ Für sie sei der Begriff Politiker „sehr negativ besetzt“. Viel Beifall.

Christine Baum

Synthetischer Kraftstoff

Als dritter sprach der Bundestagsabgeordnete Dr. Spaniel, Co-Landesvorsitzender der AfD, er freue sich, dass so viele  Gäste gekommen seien. Er beschäftige sich „nahezu täglich mit den Absurditäten der Verkehrspolitik“. Viele Menschen würden sich am Ende gar kein Auto mehr leisten können und müssten mit dem ÖPNV vorlieb nehmen.

Seine Alternative: Synthetische Kraftstoffe. Die seien CO2-neutral. „Die können Sie aus Abgasen herstellen. Insgesamt fahren Sie das CO2  im Kreis. Das ist das Ei des Kolumbus.“ Spaniel versichert, dass solche Kraftstoffe nur zehn Prozent teurer als normales Benzin seien.

Dirk Spaniel

(Faktencheck: Der ADAC schreibt: „Stand heute wären für einen Liter synthetischer Kraftstoff circa 4,50 Euro in der Herstellung fällig.“ Fachleute weisen darauf hin, dass sehr viel Strom nötig ist, um solche Kraftstoffe herzustellen. Man bräuchte sechs bis sieben Mal mehr Strom für 100 Kilometer als bei einem E-Fahrzeug. Später könnte ein Liter etwa einen Euro mehr als konventionelle Kraftstoffe kosten, so Professor Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. Er vermutet, dass solche Kraftstoffe eines Tages im Luftverkehr eingesetzt werden könnten.)

Als letzter kommt Dr. Maximilian Krah auf die Bühne. Der Europaabgeordnete beklagt den sinkenden Lebensstandard bei uns, die Fahrverbote in Stuttgart, die nur die Regierungschefs der 28 EU-Staaten wieder abschaffen könnten. Er hoffe, dass der Brexit ein Erfolg werde. Das werde die „Europabesoffenen in Deutschland“ hoffentlich aufwachen lassen. Die Schweizer blickten auf uns herab. Die EU-Zentrale habe den „Wunsch, alle Macht an sich zu ziehen“. Die AfD werde das umdrehen, verspricht er.

Maximilian Krah

Podiumsdiskussion unter Duz-Freunden

Inzwischen haben alle auf der Bühne Platz genommen, alle sind per Du miteinander. Christen stellt ihre Fragen, die die AfD-Volksvertreter offenbar schon zuvor kannten, und so spult sich das Gespräch ohne große Höhepunkte ab.

Einigkeit auf dem Podium.

Die Diskussion leidet darunter, dass sich alle einig sind. Gelegentlich lässt jemand auf der Bühne ein Stichwort fallen, das etwas Leben in die Bude bringt. „Gender Main Streaming“ ist so eines, aber auch Inklusion und Gleichberechtigung sind der AfD und ihrem Publikum ein Dorn im Auge. Die stammten von der „neuen Linken“, stellt Krah fest. Es gehe den Linken darum, „alles, was wir sind, Familie, Landsmannschaft, auch die Nation, in Frage zu stellen.“

„Wir sind im Kulturkampf“

Im Zusammenhang mit der Oma-Umweltsau-Debatte zieht er einen Vergleich zu Maos Kulturrevolution – jung gegen alt – und schließt: „Wir sind in einem Kulturkampf.“ Dann bekommt er den Dreh fürs Publikum: Die Einwanderungswelle sei diesem Kulturkampf zu verdanken und erklärt dann wörtlich: „Warum wurden denn die Einwanderer in München mit Teddybären beworfen? Weil man natürlich mit ihnen die Hoffnung verbunden hat, dass man mit ihnen das, was uns zu Münchnern und Deutschen macht, überwinden zu können. Das war ja der ‚edle Wilde‘, den man da begrüßt hat, in der Hoffnung, endlich aus unserer eigenen Kultur austreten zu können.“

Christina Baum hat auch etwas gehört. Ministerpräsident Winfried Kretschmann habe im Landtag von einer „neuen Weltordnung“ gesprochen. Eine „neue Weltordnung – also eine neue Weltregierung“ habe sie ihn gefragt, was das denn sein sollte? Kretschmann  habe sich „charmant herausgeredet“, er meine damit die Prozesse der Globalisierung.

(Faktencheck: Beim Begriff Neue Weltregierung oder Weltordnung poppt als erstes „Verschwörungstheorie“ auf, nämlich „das angebliche Ziel von Eliten und Geheimgesellschaften…, eine autoritäre, supranationale Weltregierung zu errichten“, so bei Wikipedia.).

Nach weiteren Minuten zur Medizinverordnung, die europäische Ausschreibungspraxis und nochmal zum Auto, Spaniels Lieblingsthema. Die E-Mobilität werde am Ende dazu führen, dass der individuelle Autoverkehr abgeschafft werde. Alle werden langsam müde, im Saal und auf der Bühne. Krah staunt selbst: „Wir sind heute erstaunlich handzahm und konstruktiv.“  

Die Schattenmacht

Da kommt Krah nochmals auf die großen Themen zurück: Immer mehr „nicht staatliche Akteure“ bekämen immer mehr Macht. Facebook und Twitter, aber auch unsere Medien würden „entscheiden, was wir lesen und was wir nicht lesen dürfen“. Im Vergleich zu Facebook sei der Schwarzwälder Bote aber „ein Waisenknabe“. Überstaatliche Einrichtungen wie die Welthandelsorganisation, Nicht-Regierungsorganisationen wie Greenpeace Fridays for Future seien eine „intransparente Schattenmacht“.

Greta Thunberg habe mehr Macht als die vier Parlamentarier zusammen. „Der berühmteste Vertreter dieser Schattenmacht heißt George Soros.“

(Faktencheck: Auch zu Soros gibt es die Verschwörungstheorie, er würde Migrantenströme gezielt nach Europa steuern. Bei Soros kommt hinzu, das er Jude ist und damit auch gleich noch das „antisemitische Stereotyp einer vermeintlich das Weltgeschehen kontrollierenden und manipulierenden jüdischen Verschwörung“ bedient wird (Wikipedia).

„Dexit lieber heute als morgen“

Kurz vor 22 Uhr läutet Christen die Schlussrunde ein, ob die Volksvertreter denn einen Dexit für möglich hielten. Spaniel und Sänze antworten eher vorsichtig: Klarer Bürgerwille wäre Voraussetzung, der Austritt brächte große Herausforderungen. Baum ist da klarer: „Als freiheitsliebender Mensch möchte ich den Dexit lieber heute als morgen.“ Das Publikum applaudiert heftig. Zum ersten Mal an diesem Abend. Krah dämpft wieder. Lieber die Reformen weiter vorantreiben.

Mit ein paar Sekunden Applaus müssen sich die Fünf auf der Bühne schließlich zufrieden geben. Christen erklärt, viele Fragen us dem Publikum hätten sie erreicht. Zwei hat sie erwähnt. Bürgerdialog? Schulterklopfen. Dank an die Moderatorin. Abmarsch.

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Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.

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