„Schweine sind keine Maschine“ – was die Flözlinger Züchterin sagt

Artikel
Kommentare
Autor / Quelle
Weitere Artikel
Für NRWZ.de+ Abonnenten: 

Auf Facebook kochen die Emotionen schon wieder hoch. „Schließung des Horrorstalls nur ein Bluff?“, fragte die „SOKO Tierschutz“ am Freitag. Tausende sehen, teilen, liken den Beitrag. Und kommentieren ihn, teils aufs Heftigste. Allerdings ist die dort verbreitete Nachricht vom angeblich geldgierigen Bauernlobbyisten, der von der Politik hofiert und vom Veterinäramt in Ruhe gelassen wird, offenbar falsch. Die NRWZ hat sich mit Schweinezüchterin Dunja Haas getroffen. Diese plant derweil auch rechtliche Schritte.

UPDATE, Montag, 9.50 Uhr: Das Veterinär und Verbraucherschutzamt des Landkreises Rottweil hat auf unsere Berichterstattung reagiert. Amtsleiter Dr. Jörg Hauser schreibt: „Das Tierhaltungsverbot wird durch das Landratsamt Rottweil durchgesetzt. Hochträchtige Sauen dürfen jedoch nicht geschlachtet werden und Biosicherheitsanforderungen  verhindern wegen der möglichen Übertragung von Krankheitserregern ein Umstallen in andere Ferkelaufzuchtbetriebe. Auch ist die Schlachtung von wenige Tage bis 25 Tage alten Saugferkeln tierschutzwidrig. Das verhängte Schweinehaltungsverbot wird deshalb durch das Veterinäramt Rottweil sukzessive umgesetzt. Inzwischen arbeitet auch ein Betriebshelfer auf dem Hof, der die verbliebenen Tiere betreut.“

Samstagvormittag, zu Hause bei Familie Haas in Flözlingen. Ein Golden Retriever knurrt den Reporter an, aber nur halbherzig, er bleibt schläfrig an seinem Platz liegen. Eine getigerte Katze ist neugieriger, streift dem Besucher um die Beine. Dunja Haas und ihre Schwiegermutter haben ins Wohnzimmer gebeten. Eine aufgeräumte Stube, zwei Decken auf dem runden Tisch, Fotos der Kinder an der Wand.

Es fehlt: Manfred Haas. Der Schweinezüchter, der als Betreiber eines Horror-Stalls Schlagzeilen gemacht hat, ist nicht mehr vor Ort. Er sei erkrankt, so seine Frau Dunja, die den Betrieb nun mit den Schwiegereltern und Angestellten führt. Ihr Mann werde längere Zeit nicht auf dem Hof sein.

Seine – und damit auch ihre – Gegner bleiben aktiv. Die „SOKO Tierschutz“, ein gemeinnütziger Verein, der sich nach eigenen Angaben für die Rechte der Tiere, der Umwelt und des Verbraucherschutzes einsetzt“, hatte vor einigen Tagen Bilder aus einem von Haas‘ Schweineställen in Flözlingen öffentlich gemacht, ein ARD-Magazin berichtete, es folgte ein öffentlicher Aufschrei. Haasens stehen seither als Tierquäler am Pranger.

Jetzt legte die SOKO nach: „Anwohner informierten uns, dass in dem Stall des umtriebigen Bauernlobbyisten H. aus Flözlingen immer noch zahlreiche Tiere gehalten werden. Angeblich wären die Sauen nicht transportfähig“, hieß es am Freitag in einer Facebook-Veröffentlichung. Leser meldeten sich bei der NRWZ, wollten wissen: Stimmt das? „Züchten die immer noch Schweine?“

https://www.facebook.com/sokotierschutz.ev/posts/2159784647479158

„Sie können die Produktion nicht einfach abstellen“, antwortet Dunja Haas der NRWZ auf diese Frage. „Schweine sind keine Maschine, die man ausschalten kann.“ Produktion – damit umschreibt sie den natürlichen Kreislauf. Oder, wie es der Bauernverband erklärt: „Sauen werden mit sechs Monaten geschlechtsreif und bringen in zwei Würfen pro Jahr je acht bis 14 Ferkel zur Welt. Die Tragezeit beträgt drei Monate, drei Wochen und drei Tage. Die Ferkel bleiben 21 bis 35 Tage zum Säugen bei der Sau.“ Das ist seit 2004 das Geschäft der Familie Haas in Flözlingen. Schweinezucht.

2020 dann das Drama, das so viele Menschen schockiert hat. „Der Vorzeige-Landwirt mit dem Schweinestall des Grauens“, schrieb die NRWZ. Und berichtete von blutigen Knabbereien der Tiere untereinander. Unter anderem.

Manfred Haas zeigte vor einigen Tagen auf die Berichte über ihn und seine Schweinezucht vor allem eine Reaktion: ein gewisses Unverständnis für die Aufregung. Das versucht auch seine Frau Dunja Haas der NRWZ zu vermitteln: In einer Schweinezucht gehe es durchaus rau zu. Die Tiere haben scharfe Zähne, können entsprechend beißen, und knabbern an allem herum, was ihnen vor die Hauer kommt. Etwa an ihrer Wade, sie zeigt ein Bild von der Wunde. Man komme gewissermaßen nicht ungeschoren durch einen Schweinestall.

Eine Muttersau und ihre Ferkel. Dieser Teil des Schweinebetriebs war nicht überbelegt.
Normale Verhältnisse: Schweineproduktion im Betrieb Haas in Flözlingen. Foto: privat

Zu Problemen komme es, wenn ein Stall überbelegt sei. Und das sei einer ihrer Ställe in der Flözlinger Landwirtschaft gewesen, so Dunja Haas, und zwar sehr: Statt den 100 Tieren, die dort Platz hätten, seien bis zu 250 drin gewesen. Natürlich komme es zu Problemen. Ob man die Tiere dann nicht einfach rauslassen kann? In den Auslauf schicken? Das sei wegen der drohenden Afrikanischen Schweinepest nicht möglich. Komme die bei einem Hof an, müssten alle Schweine dort gekeult werden. Getötet. Ausnahmslos.

Also hätten sie und ihr Mann versucht, die Tiere zu beschäftigen. Hätten ihnen Spielzeug gegeben. Doch auf einem Flatdeck, dem Teil eines Stalles, auf dem junge Ferkel gehalten werden, habe das nicht mehr funktioniert. Die Tiere hätten, wie es ihre Art ist, begonnen, sich gegenseitig zu beißen. Hinzu komme, dass ihr Hof vom Veterinäramt angehalten gewesen seien, Langschwanz-Schweine, also nicht kupierte Tiere, zu halten. In der Enge vor allem dieses überbelegten Stalles seien die vor den Mäulern der Tiere baumelnden Schwänze der anderen eine Einladung gewesen, zuzubeißen. „Außerdem juckt es Schweine immer an den Ohren. Sie lassen sich deshalb anknabbern von ihren Artgenossen“, erzählt Dunja Haas weiter. Zum Dritten gebe es kein Mittel, kein Medikament, keine Salbe, nichts, was diese Beißerei untereinander aufhalten könne. Nur genügend Platz.

Das Problem war also die drängende Enge. Das sagen auch andere, ganz aktuell. „Corona-Infektionen in Schlachthöfen ließen die Schlachtzahlen erheblich sinken. Die Folge: Schweine stauen sich in den Ställen. Viele Schweinehalter fühlen sich alleingelassen und in Not.“ Das berichtet „agrarheute„. Haas verweist darauf, dass sich erste Schweinehalter selbst bei ihrem Veterinäramt anzeigen würden – um Tierschützern zuvorzukommen. Das Branchenmedium berichtet:

Immer mehr Landwirte sind von den eingeschränkten Arbeiten in der Schlachtbranche betroffen. Die Tiere können nicht abtransportiert werden und stauen sich in den Ställen. Die Mastställe sind mit den täglich weiterwachsenden Schweinen überbelegt, da der Platz pro Tier nicht mehr ausreicht – ein massives Tierschutzproblem. Da die Schlachtschweine nicht verkauft werden können, können auch keine Mastläufer nachgestallt werden. Sie stauen sich in der Ferkelaufzucht. Die Tierplätze werden jedoch für die abgesetzten Ferkel benötigt, die aus dem Abferkelstall ausgestallt werden müssen, damit den tragenden Sauen für die Abferkelung optimale Bedingungen geboten werden können.

Die Situation bereitet vielen Schweinehaltern gerade schlaflose Nächte, weil sie nicht wissen, wie es weitergehen soll. So geht es auch Norbert Hüsing aus dem Emsland. Er hat sich beim Landkreis selbst angezeigt – wegen tierschutzrechtlicher Probleme in seinem Stall, denn er kann als Ferkelerzeuger seine Aufzuchtferkel nicht verkaufen.

agrarheute, 15.10.2020

Die Haasens hätten einfach nicht mehr gewusst, wohin mit den Schweinen. Aber, und das gibt Dunja Haas zu bedenken: sie hätten versucht, das Problem zu lösen. Ein, zwei Wochen Zeit hätten sie noch gebraucht, dann hätten sie schon jemanden gefunden, der ihnen die überzähligen Tiere abnimmt.

Dass ihnen die Tierschützer der „SOKO“ nun offenbar zuvorgekommen sind, das hat alles verändert. Und vor allem mit dem Wie hadert Dunja Haas. „Ich werde mich juristisch dagegen wehren, dass bei uns eingebrochen worden ist“, so die Schweinehalterin. Außerdem hätten die Medien Aufnahmen ihres Mannes veröffentlicht, die ihn in privatem Umfeld zeigen. Das verstoße gegen das Recht am eigenen Bild. Auch das will sie juristisch aufarbeiten lassen.

Im Übrigen erkenne man an so einer Geschichte, wie die Menschen tatsächlich sind. Als Erstes habe sich die Politik von ihnen abgewandt, der Landwirtschaftsminister, die Regierungspräsidentin, der Landrat. Alle öffentlich. Und die Zimmerner Bürgermeisterin, die sei nur vorbei gekommen, um einen erwarteten Rücktritt des Ortsvorstehers Manfred Haas entgegenzunehmen. Mal zu fragen, wie es denn gehe, dafür sei beim Besuch von Carmen Merz keine Zeit gewesen. Immerhin würden die Nachbarn, die Flözlinger, zu ihnen halten.

Dieser Rücktritt, den der Ortschaftsrat gefordert hat, den hat Manfred Haas nach den Worten seiner Frau gar nicht direkt abgelehnt. Das hatte die Gemeinde Zimmern verlauten lassen. „In einer ersten Äußerung lehnte er überraschend den Rücktritt ab“, hieß es. War das so? Haas, der zu dem Zeitpunkt noch auf seinem Hof gewesen sei, habe nur erklärt, dass er krank sei und dass er seine Entscheidung nach seiner Genesung treffen wolle. Nicht schon jetzt. So jedenfalls stellt es Dunja Haas dar.

Wie aber sieht es nun aktuell in den Stallungen der Familie Haas aus, das war ja die Eingangsfrage? War die angeordnete Schließung etwa wirklich ein Bluff? „Wir haben schon vor der Geschichte, bereits im Februar, überlegt, die Schweineproduktion aufzugeben“, so Dunja Haas – es bleibe bei der Schweineproduktion immer weniger hängen. Nun sei man mit dem Veterinäramt übereingekommen, dass im März kommenden Jahres die letzte Sau den Stall verlassen soll. Es gehe darum, die Produktion herunterzufahren. Man könne sie nicht einfach beenden, wie gesagt.

Es stimme: In den vergangenen Monaten sei ihnen alles über den Kopf gewachsen. So sei ihrem Mann – „der immer bereitgestanden hat, wenn jemand ihn um etwas bat, der immer geholfen hat“, sagt Dunja Haas mit leichten Tränen in den Augen – die Situation entglitten. Er sei zudem auch erkrankt, das dürfe man nicht vergessen. Man müsse auch wissen, dass sie die Tiere nicht etwa einfach töten können. „Ein Tier, das noch selbst essen und trinken kann und das sich auf wenigstens drei Beinen fortbewege, darf nicht getötet werden“, so die Bäuerin.

Nachdem das Veterinäramt 200 Ferkel abgeholt hat – mit unbekanntem Ziel, Dunja Haas weiß nach eigenen Angaben nicht, wo ihre ehemaligen Tiere jetzt sind – sei in ihren Stallungen wieder alles okay. Auf dem Hof leben auch Milchkühe und Hühner, beispielsweise, „da ist alles völlig in Ordnung“, so Dunja Haas. Sie erinnert daran, dass in früheren Jahren etwa immer wieder die örtliche Kindergartengruppe zu Besuch gewesen sei. „Auch in den Ställen.“

Das Veterinäramt komme derzeit wöchentlich vorbei. Und nicht immer derselbe Prüfe, da seien lauter neue Gesichter, teils kämen sie aus Freiburg. Die Kontrolleure schauten genau hin, ihnen bliebe sicher nichts verborgen.

Und dann macht Dunja Haas ihr Samsung-Handy an, scrollt durch die Fotos, zeigt einige. Da ist ein Mutterschweinestall, auf dem die Tiere gemütlich im Stroh liegen. Und da sind rosarote Ferkel – offensichtlich gesund und ohne Verletzungen. Alle von heute.

Laut Dunja Haas ist das aktuell der Mutterschweinestall. Foto; privat

Diskutieren Sie mit!

Hier können Sie einen Kommentar zu unserem Artikel hinterlassen.

8 Kommentare

8 Kommentare
Neueste
Älteste Meist bewertet
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
M. Mueller
M. Mueller
4 Jahre her

Unglaublich, wie hier die Betreiber zu Opfern stilisiert werden, da fehlen einem schlicht die Worte…
Es handelte sich um Tierquälerei der übelsten Sorte und dann kommt so ein kritikloser Artikel?
Die einzigen Opfer waren/sind die armen Sauen!

M. Schenk
M. Schenk
4 Jahre her

Das klingt nun wirklich anders. Ich finde es gut, dass die NRWZ den Dingen nachgegangen ist und auch die andere Seite zu Wort kommen lässt. Landwirte, die ihren Hof über Jahrzehnte hinweg ordentlich bewirtschafteten und aufgrund der Coronapolitik, die nicht die Landwirte zu verantworten haben (!) in Schwierigkeiten geraten, brauchen schnelle und wirksame Hilfe! Unterstützung anstatt Pranger und Gängelung. Damit wäre auch den Tieren geholfen. – Nebenbei bemerkt: Wir essen seit Jahren kein Schweinefleisch mehr. Könnten die Schweinebauern nicht umstellen, sodass z.B. Lamm, Pute und Ziege aus artgerechter Haltung für die breite Masse erschwinglicher würden?

Beate Kalmbach
4 Jahre her

Das coronabedingte Problem mit dem ´Rückstau´ in den Ställen sehend, meine ich dennoch, es einfach laufen zu lassen, darf nicht die Lösung sein. Die Züchter, die sich selbst anzeigen, haben Recht. Das ist eine Form des Aufmerksam-machens. Demos gingen auch. Mit Traktoren fahrend hält man auch Abstand genug. Und das geht bei anderen Gelegenheiten auch, wenn es um Subventionen und dergleichen geht zb.
Die Erkrankung Herrn Haas´tut mir leid. Ich wünsche baldige gute Besserung. Es hat ihn hart erwischt.Zweifellos. Ein Trost: Die Schweinezucht ist bald passé.
Und vielleicht sollten auch andere darüber nachdenken. Wenn Sauen IMMER, wenn sie wenig Platz haben, sprich, so stelle ich mir das nun vor, nicht freilaufend sind, sich gegenseitig beißen, dann eignen sie sich ja vielleicht nicht für eine derart industrielle Produktion. Esdarf nicht das Kreuz der Tiere sein, wenn die Menschen den Hals nicht voll genug bekommen und Essen immer billiger sein muss, damit mehr übrig bleibt für Krempl, den man mitunter auch nicht unbedingt braucht. .
Ich habe davor bio gekauft und vorzugsweise im Hofladen, und tue das weiterhin. Ich würde da auch 20 Euro fürs Kilo zahlen und es über die Menge regeln, wenn das der Preis ist, den´s braucht um die Tiere adäquat leben zu lassen. Ich bin keine Politikerin, aber ich stelle mir vor, das müsste sich doch machen lassen. Und damit nicht anders gehaltene Billigware aus dem Ausland kommt, wird dessen Einfuhr verboten, wegen ´nicht genehmigungsfähig´oder so.

Siegfried Spengler
Siegfried Spengler
4 Jahre her

Hierzu folgender Beitrag von den Kollegen der Süddeutschen:

https://www.sueddeutsche.de/politik/schweinezucht-coronavirus-schlachthoefe-1.5069090

RettetdenJournalismus
RettetdenJournalismus
4 Jahre her

Und wievele Euro hat der „Journalist“ von der Familie Haas für diesen Artikel bezahlt bekommen?!

Peter Arnegger (gg)
Antwort auf  RettetdenJournalismus
4 Jahre her

Lieber „Kommentator“, ist es okay, wenn ich nicht auf die Frage antworte? Sie würden die Antwort ja ohnehin nicht glauben.

Animalrightshumanrights
Animalrightshumanrights
4 Jahre her

Es ist in jedem Fall mutig, dass Frau Haas vor die Presse tritt.
Juristische Schritte gegen Tierschützer ist keine gute Idee. So lange das Veterinäramt keine regelmäßigen Kontrollen ausführen kann, muss es Leute geben, die Missstände aufdecken.
Es gehört ein Gesetz her, was die Über“produktion“ von Tieren regelt. Tierische Lebensmittel sind viel, viel, viel zu billig. Allesamt. Soja wird bei uns als Tierfutter verwendet und Sojamilch kostet mehr als Kuhmilch. Das sagt schon alles. Wenn die Leute nicht aufhören wollen, tierische Lebensmittel zu konsumieren, dann müssen sie eben so teuer werden, dass die Landwirte gut leben können, auch wenn sie statt 300 nur 60 Tiere halten.
Dass Herr Haas krank ist, wundert mich nicht, so wie auf ihn losgegangen wurde.

Charlie
Charlie
Antwort auf  Animalrightshumanrights
4 Jahre her

Es gibt die neue Haltungsverordnung die kommende Jahre umgesetzt werden muss… Es wird automatisch dazu führen dass viele Betriebe diese Investitionen nicht mehr tätigen werden sondern aus der Produktion aussteigen. Das bedeutet die Produktion würde schon deswegen massiv gedrosselt und die inländische Erzeugung reguliert sich von alleine… Das große Problem an der Sache ist jedoch dass im selben Augenblick dieselben Lebensmittel importiert werden die unterhalb unserer Standards irgendwo anders auf der Welt produziert werden !

Peter Arnegger (gg)
Peter Arnegger (gg)
… ist seit gut 25 Jahren Journalist. Seine Anfänge hatte er bei der Redaktion der “Schwäbischen Zeitung” in Rottweil, beim Schwäbischen Verlag in Leutkirch volontierte er. Nach einem Engagement bei der zu diesem Verlag gehörenden Aalener Volkszeitung wechselte Arnegger zur PC Welt nach München, einem auf Computer-Hard- und -Software spezialisierten Magazin. Es folgten Tätigkeiten in PR und Webentwicklung.2004, wieder in seiner Heimat angekommen, half Arnegger mit, die NRWZ aus der Taufe zu heben. Zunächst war er deren Chefredakteur, und ist zwischenzeitlich Geschäftsführer der NRWZ Verwaltungs GmbH – und als solcher der verantwortliche Journalist der NRWZ.Peter Arnegger ist 1968 in Oberndorf / Neckar geboren worden.

Beiträge

Das interessiert diese Woche

Auf Facebook kochen die Emotionen schon wieder hoch. „Schließung des Horrorstalls nur ein Bluff?“, fragte die „SOKO Tierschutz“ am Freitag. Tausende sehen, teilen, liken den Beitrag. Und kommentieren ihn, teils aufs Heftigste. Allerdings ist die dort verbreitete Nachricht vom angeblich geldgierigen Bauernlobbyisten, der von der Politik hofiert und vom Veterinäramt in Ruhe gelassen wird, offenbar falsch. Die NRWZ hat sich mit Schweinezüchterin Dunja Haas getroffen. Diese plant derweil auch rechtliche Schritte.

UPDATE, Montag, 9.50 Uhr: Das Veterinär und Verbraucherschutzamt des Landkreises Rottweil hat auf unsere Berichterstattung reagiert. Amtsleiter Dr. Jörg Hauser schreibt: „Das Tierhaltungsverbot wird durch das Landratsamt Rottweil durchgesetzt. Hochträchtige Sauen dürfen jedoch nicht geschlachtet werden und Biosicherheitsanforderungen  verhindern wegen der möglichen Übertragung von Krankheitserregern ein Umstallen in andere Ferkelaufzuchtbetriebe. Auch ist die Schlachtung von wenige Tage bis 25 Tage alten Saugferkeln tierschutzwidrig. Das verhängte Schweinehaltungsverbot wird deshalb durch das Veterinäramt Rottweil sukzessive umgesetzt. Inzwischen arbeitet auch ein Betriebshelfer auf dem Hof, der die verbliebenen Tiere betreut.“

Samstagvormittag, zu Hause bei Familie Haas in Flözlingen. Ein Golden Retriever knurrt den Reporter an, aber nur halbherzig, er bleibt schläfrig an seinem Platz liegen. Eine getigerte Katze ist neugieriger, streift dem Besucher um die Beine. Dunja Haas und ihre Schwiegermutter haben ins Wohnzimmer gebeten. Eine aufgeräumte Stube, zwei Decken auf dem runden Tisch, Fotos der Kinder an der Wand.

Es fehlt: Manfred Haas. Der Schweinezüchter, der als Betreiber eines Horror-Stalls Schlagzeilen gemacht hat, ist nicht mehr vor Ort. Er sei erkrankt, so seine Frau Dunja, die den Betrieb nun mit den Schwiegereltern und Angestellten führt. Ihr Mann werde längere Zeit nicht auf dem Hof sein.

Seine – und damit auch ihre – Gegner bleiben aktiv. Die „SOKO Tierschutz“, ein gemeinnütziger Verein, der sich nach eigenen Angaben für die Rechte der Tiere, der Umwelt und des Verbraucherschutzes einsetzt“, hatte vor einigen Tagen Bilder aus einem von Haas‘ Schweineställen in Flözlingen öffentlich gemacht, ein ARD-Magazin berichtete, es folgte ein öffentlicher Aufschrei. Haasens stehen seither als Tierquäler am Pranger.

Jetzt legte die SOKO nach: „Anwohner informierten uns, dass in dem Stall des umtriebigen Bauernlobbyisten H. aus Flözlingen immer noch zahlreiche Tiere gehalten werden. Angeblich wären die Sauen nicht transportfähig“, hieß es am Freitag in einer Facebook-Veröffentlichung. Leser meldeten sich bei der NRWZ, wollten wissen: Stimmt das? „Züchten die immer noch Schweine?“

https://www.facebook.com/sokotierschutz.ev/posts/2159784647479158

„Sie können die Produktion nicht einfach abstellen“, antwortet Dunja Haas der NRWZ auf diese Frage. „Schweine sind keine Maschine, die man ausschalten kann.“ Produktion – damit umschreibt sie den natürlichen Kreislauf. Oder, wie es der Bauernverband erklärt: „Sauen werden mit sechs Monaten geschlechtsreif und bringen in zwei Würfen pro Jahr je acht bis 14 Ferkel zur Welt. Die Tragezeit beträgt drei Monate, drei Wochen und drei Tage. Die Ferkel bleiben 21 bis 35 Tage zum Säugen bei der Sau.“ Das ist seit 2004 das Geschäft der Familie Haas in Flözlingen. Schweinezucht.

2020 dann das Drama, das so viele Menschen schockiert hat. „Der Vorzeige-Landwirt mit dem Schweinestall des Grauens“, schrieb die NRWZ. Und berichtete von blutigen Knabbereien der Tiere untereinander. Unter anderem.

Manfred Haas zeigte vor einigen Tagen auf die Berichte über ihn und seine Schweinezucht vor allem eine Reaktion: ein gewisses Unverständnis für die Aufregung. Das versucht auch seine Frau Dunja Haas der NRWZ zu vermitteln: In einer Schweinezucht gehe es durchaus rau zu. Die Tiere haben scharfe Zähne, können entsprechend beißen, und knabbern an allem herum, was ihnen vor die Hauer kommt. Etwa an ihrer Wade, sie zeigt ein Bild von der Wunde. Man komme gewissermaßen nicht ungeschoren durch einen Schweinestall.

Eine Muttersau und ihre Ferkel. Dieser Teil des Schweinebetriebs war nicht überbelegt.
Normale Verhältnisse: Schweineproduktion im Betrieb Haas in Flözlingen. Foto: privat

Zu Problemen komme es, wenn ein Stall überbelegt sei. Und das sei einer ihrer Ställe in der Flözlinger Landwirtschaft gewesen, so Dunja Haas, und zwar sehr: Statt den 100 Tieren, die dort Platz hätten, seien bis zu 250 drin gewesen. Natürlich komme es zu Problemen. Ob man die Tiere dann nicht einfach rauslassen kann? In den Auslauf schicken? Das sei wegen der drohenden Afrikanischen Schweinepest nicht möglich. Komme die bei einem Hof an, müssten alle Schweine dort gekeult werden. Getötet. Ausnahmslos.

Also hätten sie und ihr Mann versucht, die Tiere zu beschäftigen. Hätten ihnen Spielzeug gegeben. Doch auf einem Flatdeck, dem Teil eines Stalles, auf dem junge Ferkel gehalten werden, habe das nicht mehr funktioniert. Die Tiere hätten, wie es ihre Art ist, begonnen, sich gegenseitig zu beißen. Hinzu komme, dass ihr Hof vom Veterinäramt angehalten gewesen seien, Langschwanz-Schweine, also nicht kupierte Tiere, zu halten. In der Enge vor allem dieses überbelegten Stalles seien die vor den Mäulern der Tiere baumelnden Schwänze der anderen eine Einladung gewesen, zuzubeißen. „Außerdem juckt es Schweine immer an den Ohren. Sie lassen sich deshalb anknabbern von ihren Artgenossen“, erzählt Dunja Haas weiter. Zum Dritten gebe es kein Mittel, kein Medikament, keine Salbe, nichts, was diese Beißerei untereinander aufhalten könne. Nur genügend Platz.

Das Problem war also die drängende Enge. Das sagen auch andere, ganz aktuell. „Corona-Infektionen in Schlachthöfen ließen die Schlachtzahlen erheblich sinken. Die Folge: Schweine stauen sich in den Ställen. Viele Schweinehalter fühlen sich alleingelassen und in Not.“ Das berichtet „agrarheute„. Haas verweist darauf, dass sich erste Schweinehalter selbst bei ihrem Veterinäramt anzeigen würden – um Tierschützern zuvorzukommen. Das Branchenmedium berichtet:

Immer mehr Landwirte sind von den eingeschränkten Arbeiten in der Schlachtbranche betroffen. Die Tiere können nicht abtransportiert werden und stauen sich in den Ställen. Die Mastställe sind mit den täglich weiterwachsenden Schweinen überbelegt, da der Platz pro Tier nicht mehr ausreicht – ein massives Tierschutzproblem. Da die Schlachtschweine nicht verkauft werden können, können auch keine Mastläufer nachgestallt werden. Sie stauen sich in der Ferkelaufzucht. Die Tierplätze werden jedoch für die abgesetzten Ferkel benötigt, die aus dem Abferkelstall ausgestallt werden müssen, damit den tragenden Sauen für die Abferkelung optimale Bedingungen geboten werden können.

Die Situation bereitet vielen Schweinehaltern gerade schlaflose Nächte, weil sie nicht wissen, wie es weitergehen soll. So geht es auch Norbert Hüsing aus dem Emsland. Er hat sich beim Landkreis selbst angezeigt – wegen tierschutzrechtlicher Probleme in seinem Stall, denn er kann als Ferkelerzeuger seine Aufzuchtferkel nicht verkaufen.

agrarheute, 15.10.2020

Die Haasens hätten einfach nicht mehr gewusst, wohin mit den Schweinen. Aber, und das gibt Dunja Haas zu bedenken: sie hätten versucht, das Problem zu lösen. Ein, zwei Wochen Zeit hätten sie noch gebraucht, dann hätten sie schon jemanden gefunden, der ihnen die überzähligen Tiere abnimmt.

Dass ihnen die Tierschützer der „SOKO“ nun offenbar zuvorgekommen sind, das hat alles verändert. Und vor allem mit dem Wie hadert Dunja Haas. „Ich werde mich juristisch dagegen wehren, dass bei uns eingebrochen worden ist“, so die Schweinehalterin. Außerdem hätten die Medien Aufnahmen ihres Mannes veröffentlicht, die ihn in privatem Umfeld zeigen. Das verstoße gegen das Recht am eigenen Bild. Auch das will sie juristisch aufarbeiten lassen.

Im Übrigen erkenne man an so einer Geschichte, wie die Menschen tatsächlich sind. Als Erstes habe sich die Politik von ihnen abgewandt, der Landwirtschaftsminister, die Regierungspräsidentin, der Landrat. Alle öffentlich. Und die Zimmerner Bürgermeisterin, die sei nur vorbei gekommen, um einen erwarteten Rücktritt des Ortsvorstehers Manfred Haas entgegenzunehmen. Mal zu fragen, wie es denn gehe, dafür sei beim Besuch von Carmen Merz keine Zeit gewesen. Immerhin würden die Nachbarn, die Flözlinger, zu ihnen halten.

Dieser Rücktritt, den der Ortschaftsrat gefordert hat, den hat Manfred Haas nach den Worten seiner Frau gar nicht direkt abgelehnt. Das hatte die Gemeinde Zimmern verlauten lassen. „In einer ersten Äußerung lehnte er überraschend den Rücktritt ab“, hieß es. War das so? Haas, der zu dem Zeitpunkt noch auf seinem Hof gewesen sei, habe nur erklärt, dass er krank sei und dass er seine Entscheidung nach seiner Genesung treffen wolle. Nicht schon jetzt. So jedenfalls stellt es Dunja Haas dar.

Wie aber sieht es nun aktuell in den Stallungen der Familie Haas aus, das war ja die Eingangsfrage? War die angeordnete Schließung etwa wirklich ein Bluff? „Wir haben schon vor der Geschichte, bereits im Februar, überlegt, die Schweineproduktion aufzugeben“, so Dunja Haas – es bleibe bei der Schweineproduktion immer weniger hängen. Nun sei man mit dem Veterinäramt übereingekommen, dass im März kommenden Jahres die letzte Sau den Stall verlassen soll. Es gehe darum, die Produktion herunterzufahren. Man könne sie nicht einfach beenden, wie gesagt.

Es stimme: In den vergangenen Monaten sei ihnen alles über den Kopf gewachsen. So sei ihrem Mann – „der immer bereitgestanden hat, wenn jemand ihn um etwas bat, der immer geholfen hat“, sagt Dunja Haas mit leichten Tränen in den Augen – die Situation entglitten. Er sei zudem auch erkrankt, das dürfe man nicht vergessen. Man müsse auch wissen, dass sie die Tiere nicht etwa einfach töten können. „Ein Tier, das noch selbst essen und trinken kann und das sich auf wenigstens drei Beinen fortbewege, darf nicht getötet werden“, so die Bäuerin.

Nachdem das Veterinäramt 200 Ferkel abgeholt hat – mit unbekanntem Ziel, Dunja Haas weiß nach eigenen Angaben nicht, wo ihre ehemaligen Tiere jetzt sind – sei in ihren Stallungen wieder alles okay. Auf dem Hof leben auch Milchkühe und Hühner, beispielsweise, „da ist alles völlig in Ordnung“, so Dunja Haas. Sie erinnert daran, dass in früheren Jahren etwa immer wieder die örtliche Kindergartengruppe zu Besuch gewesen sei. „Auch in den Ställen.“

Das Veterinäramt komme derzeit wöchentlich vorbei. Und nicht immer derselbe Prüfe, da seien lauter neue Gesichter, teils kämen sie aus Freiburg. Die Kontrolleure schauten genau hin, ihnen bliebe sicher nichts verborgen.

Und dann macht Dunja Haas ihr Samsung-Handy an, scrollt durch die Fotos, zeigt einige. Da ist ein Mutterschweinestall, auf dem die Tiere gemütlich im Stroh liegen. Und da sind rosarote Ferkel – offensichtlich gesund und ohne Verletzungen. Alle von heute.

Laut Dunja Haas ist das aktuell der Mutterschweinestall. Foto; privat

[adinserter name="AnzeigenImArtikelDesktop"]

Das interessiert diese Woche

[adinserter name="AnzeigenImArtikelDesktop"]