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„Ein Lockdown muss hart sein – sonst wirkt er nicht“, Veröffentlicht: Donnerstag, 17. Dezember 2020, 12.00 Uhr

Ein Lockdown muss hart sein – sonst wirkt er nicht

Alle rufen nach Ausnahmen. Viele suchen Schlupflöcher. Manche erklären, der Lockdown gelte nicht für sie. Sie weichen ihn auf. Das ist grundfalsch. Ein Kommentar.

Der Handel leidet. Im Jahresendspurt, im Weihnachtsgeschäft müssen die Türen geschlossen werden. Absatz gleich null, in der eigentlich besten Zeit des Jahres. Da ist diese Zeichnung, die durchs Netz geht, die eine Familie unterm Tannenbaum zeigt. Geschenke werden ausgepackt, der Vater sitzt etwas abseits. Er denkt: „Wie sage ich ihnen nur, dass ich ab nächstem Jahr keinen Job mehr habe?“ Ich stelle mir vor, dass er Angestellter in einem Geschäft des Einzelhandels ist. Die bundesweite Schließung der Läden bedroht Jobs. Und die Existenz der Läden selbst.

Ruf nach Ausnahmen

Viele Händler rufen nach Ausnahmen – da gibt es etwa die von einem jungen Einzelhändler mit Laden in Zimmern ausgehende Petition für eine Überarbeitung Corona-Verordnung in Baden-Württemberg, die dem Einzelhandel einen Abholdienst erlauben soll. Das ist verständlich – es werden Wege gesucht, den Betrieb aufrechtzuerhalten, wenigstens auf kleinster Flamme weiter köcheln zu dürfen. Es wird damit aber versucht, den Lockdown aufzuweichen.

Die Landesregierung lässt den stationären Einzelhandel in Stich„, ruft in der Nacht auf den heutigen Donnerstag der Betreiber der Facebook-Seite eines lokalen Marktplatzes. „Bis zur späten Stunde gibt es keine offizielle Verordnung, wie der beschlossene Lockdown im Einzelhandel umgesetzt werden soll.“ Ich glaube, dass das nicht stimmt. Die „Zweite Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung“ ist in Kraft und sagt:

Der Betrieb von Einzelhandel, Ladengeschäften und Märkten, mit Ausnahme von Lieferdiensten einschließlich solcher des Online-Handels, wird untersagt.

Zweite Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 15. Dezember 2020

Es folgen die Details. Und die Ausnahmen. Hier nachzulesen.

Zugleich erklärt ein lokaler Schlüssel-Notdienstleister, die Ausgangssperre gelte namentlich nicht für ihn. Vielmehr berufe er sich auf Ausnahmen vom Lockdown. Das mag scherzhaft gemeint sein. Aber es signalisiert, dass hier jemand über dem Gesetz stehe. Für mich die falsche Denkrichtung. Schließlich übt er nur eine berufliche Tätigkeit aus, wenn er nachts zu einem Schlüsseldiensteinsatz unterwegs ist. Große machen es vor, etwa die Parfümerie-Kette Douglas, die plötzlich Drogerie sein wollte. Gut, dass sie diesen kindlich-bockigen Versuch abgebrochen haben.

Oft in den vergangenen Tagen werden beschlossene Maßnahmen nicht in Ruhe auf ihre Sinnhaftigkeit abgeklopft, sondern ohne lange nachzudenken abgelehnt.

  • Beispiel nächtliche Ausgangssperre: So viele werden ja wohl nicht draußen unterwegs sein, damit das was bringt, heißt es allenthalben. Tatsächlich aber geht es darum, die Menschen abends zu Hause zu halten. Gegenseitige Besuche zu unterbinden. Gegenseitige Treffen.
  • Beispiel Maskenpflicht in Innenstädten, etwa in einer Fußgängerzone wie in Rottweil. So viele Leute seien da doch gar nicht unterwegs, heißt es dann, was für ein Blödsinn, ihnen das Tragen einer Alltagsmaske aufzuerlegen. Tatsächlich aber treffen gerade in einer Fußgängerzone wie in Rottweil Bekannte aufeinander, die dann gerne ein Schwätzchen halten. In diesen Situationen geht man sich gerade nicht aus dem Weg. Und nicht zuletzt ist die dauernd sichtbar getragene Maske ein Zeichen, dass wir uns in einer Pandemie befinden. Dass wir uns und andere schützen, achtsam sein müssen.

Auch Dorothee Eisenlohr klopft derzeit die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie aus persönlicher Sicht ab. Die Oberbürgermeisterin von Schramberg reklamiert für ländliche Gegenden andere Regeln als für Großstädte. So wendet sie sich gegen die Maskenpflicht in Kleinstadt-Fußgängerzonen und die Schließung des dortigen Einzelhandels. Da könnte man auf dem Land aus ihrer Sicht „viel großzügiger sein als in den Einkaufsmeilen der Großstädte“.

Eisenlohr hat beobachtet: „Wenn ich – egal, ob morgens um 8 Uhr, mittags um 13 Uhr oder abends um 19 Uhr – über unseren mehrere hundert Quadratmeter großen und zur Fußgängerzone gehörenden Rathausplatz gehe, natürlich mit Mund-Nasen-Schutz, bin ich oft die einzige Person. Hier bräuchte es aus Infektionsschutzgründen keine Maskenpflicht“, sagt sie.

Schade. Hier ruft ein Stadtoberhaupt nach Schlupflöchern. Nicht dazu auf, mitzumachen. Und wo will Eisenlohr die Grenze ziehen? Zwischen Schramberg und Rottweil? Schramberg und Villingen? Schramberg und Stuttgart?

Flickentepich an Verordnungen droht

Ist nicht gerade das das Problem: dass alle nach Ausnahmen suchen, danach, wie sie die Verordnungen umgehen können? Es werden schon Stimmen laut, dass sich ein föderales System denkbar schlecht zur Bewältigung einer Pandemie eignet. Dass sie einen Flickenteppich an Verordnungen verursacht.

Da wir Gott sei Dank nicht in einer Diktatur leben – kann man nicht wenigstens dann, wenn es um die Wurst geht, darauf setzen, dass alle solidarisch an einem Strang ziehen?

Für mich ist klar: Ein Lockdown muss auch ein Lockdown sein, kein löchriger Käse. Sonst wirkt er nicht.

 

 

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