In geheimer Wahl hat der Gemeinderat am Mittwochabend den neuen Bürgermeister, den Ersten Beigeordneten der Stadt Rottweil gewählt. Aus zwei im vorbereitenden Bewerbungsprozess verbliebenen Kandidaten und einer Kandidatin entschieden sich die Stadträtinnen und Stadträte mehrheitlich für Ines Gaehn. Es war ein zweiter Wahlgang erforderlich.
Nach dem ersten Wahlgang erhielt Ralf Sulzmann, Hauptamtsleiter in Trossingen, die meisten, nämlich elf Stimmen. Ines Gaehn, die frühere Rottweiler Wirtschaftsförderin, kam auf neun und Martin Weiss, Kämmerer in Zimmern, auf sechs Stimmen. Das bedeutete zweierlei: dass es einen zweiten Wahlgang geben musste, da keiner der Kandidaten die erforderliche Mehrheit von 14 Stimmen erhalten hatte. Und dass Kandidat Weiss ausgeschieden war. Er kann Kämmerer in Zimmern bleiben.
Im Rennen bei Wahlgang zwei damit noch Gaehn und Sulzmann. Dieses Rennen ging eindeutig aus. Gaehn bekam 14 Stimmen. Sulzmann noch zwölf. Die neue Bürgermeisterin, die neue Erste Beigeordnete damit: Ines Gaehn. Sie ist wieder da. Die 38-Jährige war früher schon Wirtschaftsförderin, ging dann in die freie Wirtschaft, kehrt nun zurück. Ihr Mann und ihre beiden Kinder begleiteten sie in die Sitzung.
Aus dem Publikum gab es eine Unmutsäußerung, die wiederum kurz für Aufregung sorgte. Einer, ein junger Mensch, rief „Pfui!“ nach der Wahl. Gaehn aber erhielt viel Applaus und erklärte, sie könne auch mit Kritik umgehen.
Ines Gaehn ist 38 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Nach dem Abitur am Droste-Hülshoff-Gymnasium (DHG) in Rottweil folgte eine Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau und ein Studium im Bereich Consulting und Controlling an der Dualen Hochschule in Villingen-Schwenningen. Bereits während ihrer Ausbildung und danach arbeitete sie bei der Rottweiler Event-Agentur „trend factory“, bevor sie als Projektleiterin und stellvertretende Geschäftsführerin zu einer Kreativagentur ins Rhein-Main-Gebiet wechselte. Im Anschluss war Gaehn als Wirtschaftsförderin und später als Leiterin der Abteilung Wirtschaftsförderung, Tourismus und Stadtmarketing bei der Stadtverwaltung Rottweil beschäftigt. Derzeit ist sie im strategischen Projektmanagement der Sülzle Holding, Rosenfeld, tätig.
Bis zum Ende der Bewerbungsfrist am 27. Februar 2023 gingen insgesamt zehn Bewerbungen ein, teilt die Stadtverwaltung mit. Sämtliche Bewerberinnen und Bewerber wurden daraufhin eingeladen, sich in einer nichtöffentlichen Sitzung dem Gemeinderat am 15. beziehungsweise 22. März vorzustellen. Fünf Personen haben jedoch im Vorfeld ihre Bewerbungen zurückgezogen. Nachdem sich die fünf Bewerberinnen und Bewerber vorgestellt hatten, hat der Gemeinderat in seiner Sitzung am 22. März entschieden, dass sich drei Personen in öffentlicher Sitzung am 19. April vorstellen und zur Wahl stellen können: Ines Gaehn (Rottweil), Ralf Sulzmann (Seitingen-Oberflacht) und Martin Weiss (Rottweil).
Der Verlauf des Wahlabends
Schon rund eine Viertelstunde vor Sitzungsbeginn herrschte drangvolle Enge im Ratssaal des Alten Rathauses. Ob Landesgartenschauplanung oder Bürgermeisterwahl – viele Bürgerinnen und Bürger interessierten sich offenbar für diese Sitzung. So viele, dass die Sitzplätze bei Weitem nicht ausreichten. An alle, die nicht immer einer Gemeinderatssitzung in Rottweil beiwohnen, richtete Oberbürgermeister Dr. Christian Ruf eingangs lächelnd die Erklärung: „Das ist nicht immer so.“ Im Rund: viele Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, zudem einige Ortsvorsteher aus den Teilorten. Auch der Stadtrat: fast vollzählig. Für Ruf fühle sich der Tag wie ein Abschied an, denn er habe die vergangenen Jahre, fast acht, den Posten des Bürgermeisters gerne bekleidet.
Drei Kandidaten blieben nach der Vorrunde, der ersten nichtöffentlichen Vorstellung im Gemeinderat, zur Wahl an diesem Mittwoch übrig. Sie warteten vor der Vorstellungsrunde in Büros auf ihren Auftritt, ein jeder Kandidat, die Kandidatin, in je einem eigenen Büro. Zehn Minuten hatten sie Zeit, sich vorzustellen. In alphabetischer Reihenfolge. Und in geheimer Wahl wurde über sie abgestimmt. An Ruf, dem Amtsvorgänger, war es dann, den Sieger bekanntzugeben.
Kritik an Ex-OB Broß: Ines Gaehn, die ein eigenes Logo führt, stellt sich vor
Den Beginn machte Ines Gaehn (38). Die frühere Mitarbeiterin, dann Leiterin der Wirtschaftsförderung. Sie habe sich beworben, „weil Rottweil meine Heimatstadt ist“, sie gerne mit ihrer Familie hier wohne. Doch sie glaube, dass hier noch mehr gehen könne. „Ich glaube, dass ich als Bürgermeisterin viel bewegen kann“, sagte sie. Prompt ging der CO2-Warner an. Was sie qualifiziere: ein Bachelor im Bereich Controlling und Consulting, etwa. Projektverantwortung. Mitarbeit in einer Kommunikationsagentur. Was wiederum Rottweil alles biete, wisse sie zu schätzen, seit sie wieder in ihre Heimatstadt zurückgekehrt sei.
Als Wirtschaftsförderin habe sie Erfolge feiern können, etwa gemeinsam mit dem Gewerbe- und Handelsverein. „Doch wir hätten noch mehr tun können.“ Und hier habe sie das Gefühl gehabt, ihr seien die Hände gebunden. Daher habe sie sich wegbeworben. Aktuell arbeite sie bei ihrem jetzigen Arbeitgeber an einem großen Bauprojekt. Es gebe nur eine Stelle, für die sie das aufgeben würde – die der Bürgermeisterin von Rottweil. Ines Gaehn, die ein eigenes Logo führt, wartete mit einer persönlichen Profilanalyse auf, die ihre Stärken visualisierten.
Als Bürgermeisterin könne sie ihre Fähigkeiten „gewinnbringend einbringen“, sagte sie. Sie sei stressresistent und habe gerne Kontakt zu Menschen. Sie hoffe, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung den Gestaltungsspielraum geben zu können, den sie unter Rufs Vorgänger Ralf Broß ihrer Darstellung nach nicht hatte.
Auf Nachfrage von Grünen-Stadträtin Ingeborg Gekle-Maier erklärte sich Gaehn zur Zusammenarbeit mit Ruf seinerzeit als Bürgermeister. Diese habe aus Respekt voreinander bestanden und sei gut gewesen, so Gaehn.
Rasmus Reinhardt sprach für die CDU die eher häufigen Wechsel in Gaehns Lebenslauf an. Was sie denn wieder in die „trockene“ Verwaltung zurückführe, die sie doch bewusst verlassen habe. „Können Sie das auf Dauer machen, macht Ihnen das wirklich Spaß?“ „Ja, kann ich“, so Gaehn. Die Aufgabe in Rottweil reize sie, weil man hier in diese glaube, dass sie als Bürgermeisterin anders agieren könne als als Wirtschaftsförderin.
Der FDP-Abgeordnete Daniel Karrais wollte wissen, ob Gaehn die Bürgermeisterstelle eher als gestaltend oder als verwaltend sehe. Repräsentationsaufgaben sehe sie nicht auf sich zukommen, dafür gebe es den Oberbürgermeister, sagte die Kandidatin. Und sie könne mit langen Projektlaufzeiten umgehen. Hauptsache, es gehe nach vorne.
Akkordeonspieler Ralf Sulzmann, der Mann mit Verwaltungserfahrung und der Arbeitsbereitschaft größer 100 Prozent
Er wolle auf eine Power-Point-Präsentation, „auf Ablenkung“ verzichten, sagte Ralf Sulzmann (41) eingangs. Der Mann kommt aus der Verwaltung, war in Mühlheim an der Donau, ist jetzt Hauptamtsleiter der Stadt Trossingen. Zudem als Gemeinderat, kenne als solcher „beide Seiten des Ratstisches“. Er ist aktiver Akkordeonspieler. Und parteilos, wie er betont. Er wolle Erster Beigeordneter für alle Fraktionen und alle Bürgerinnen und Bürger sein. Nach dem Motto: „Suche der Stadt Bestes.“
In Rottweil, nun, sei es nicht möglich, über Stadtentwicklung zu sprechen, ohne über die Landesgartenschau zu sprechen. Diese müsse gewinnbringend für die Bürger gestaltet werden. Wenn etwa die Anbindung des Neckars gut gelinge, sorge dies auch für eine anhaltende Belebung der Innenstadt. Auch diese stehe vor Veränderungen – etwa in Richtung einer Erlaubnis von Fotovoltaikanlagen, etwa auf dem Parkhaus am Kriegsdamm. Er als ausgebildeter Energiemanager sehe das als eine seiner zentralen Aufgaben.
Wie ein Wahlkämpfer – der er ja auch war – sprach er bereits in der „Wir-Form“. Wir müssen, hieß es allenthalben. Etwa Rottweil für Unternehmen weiter attraktiv machen. Er sehe sich als passende Führungskraft für die Aufgaben des Ersten Beigeordneten in Rottweil, „Fachwissen und Erfahrung bringe ich mit“, auch menschlich sei er die richtige Person für die Aufgabe des Bürgermeisters.
In welche Richtung Rottweil am stärksten entwickelt werden solle, wollte SPD-Sprecher Arved Sassnick wissen. „In welche Richtung sollen wir uns entwickeln“, wollte er wissen. Die Verwaltung habe bereits einen guten Ruf, so Sulzmann. Und der Gemeinderat sei das Gremium, das die Stadtentwicklung bestimme, spielte der Bewerber den Ball zurück. Darüber hinaus dürfe es gerne so bleiben, wie es ist, dass man sich in Rottweil kenne, Themen auf kurzem Wege angehen könne. Er selbst sei gerne auch in Rottweil präsent, um den Menschen zur Verfügung zu stehen, über die er entscheide. Auch dafür stehe er, sehe sich als Kämmerer, erklärte er auf Nachfrage von Pascal Schneider (CDU), wofür er denn stehen wolle.
Den Grünen Frank Sucker trieb um, wie die historische Innenstadt klimaneutral aufgestellt werden könne. Auch der Bewerber sieht sich hier im Zugzwang, „die Energiewende wird in den Kommunen stattfinden.“ Es müssten aber die Fachleute nachrechnen, ob etwa ein Fernwärmenetz in Rottweil realisierbar sei.
Ob sich mit ihm als Energieexperten die Stadt nicht einen Klimamanager sparen könne, fragte FDP-Stadtrat Daniel Karrais mit einem Schmunzeln. Das glaube er nicht, so Sulzmann. Er sehe sich da wie einen Trainer einer Fußballmannschaft. Dieser stehe am Rand, brauche die richtigen Leute auf den einzelnen Positionen. Er, Sulzmann, arbeite gerne „mehr als 100 Prozent“, wie er sagte, aber könne sicher nicht alles leisten.
Und schließlich: Martin Weiss, der Gitarrist und bisherige Kämmerer von Zimmern
Er freue sich, dass er als Rottweiler sich um die Stelle in seiner Stadt bewerben könne, sagte Martin Weiss (44). Er sei den Rätinnen und Räten bekannt, weshalb er sich auf seinen beruflichen Werdegang konzentrier
en wolle. Zuletzt habe dieser ihn nach Zimmern geführt, wo er seit zwölf Jahren tätig ist. Der Kämmerer in kleinen Kommunen sei interdisziplinär unterwegs, müsse mehr sein als ein Finanzfachmann. Nun wolle er mit seiner Verwaltungserfahrung gerne an entscheidender Stelle mitwirken.
Und „was erwartet Sie, wenn Martin Weiss Bürgermeister werden würde“? Er sehe sich als Teil einer Mannschaft. Er habe in 20 Jahren stets seine Rolle gefunden, ,müsse sich nicht in den Vordergrund stellen, könne aber auch repräsentieren. Er wolle Kolleginnen und Kollegen auf dem gemeinsamen, vom Gemeinderat vorgegebenen Weg, mitnehmen. Wolle gemeinsam Lösungen erarbeiten und Projekte umsetzen. schon als Gitarrist versuche er, immer den richtigen Ton zu treffen. Dies wolle er auch im Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern versuchen. Es gehe nichts über einen persönlichen Kontakt. Kontakte mit Menschen ermöglichten es, „die Vibes einer Stadt zu spüren“, so der Bewerber.
Auch Wolfgang Nessler und Werner Guhl seien Eigengewächse der Stadt. Die Fußstapfen dieser früheren Bürgermeister von Rottweil fülle er „trotz Schuhgröße 45“ nicht aus, aber er wolle sein Bestes geben, so Weiss.
Er wolle Ideen einbringen, aber gemeinsam umsetzen, mit allen Entscheidungsträgern, mit Bürgerinnen und Bürgern zusammenarbeiten. Und seine Ortskenntnisse seien für die Stelle von großem Wert. „Wenn die Leute jemanden kennen, dann sprechen sie ihn an“, so Weiss, der in der Fragerunde auch auf seine verschiedentlichen ehrenamtlichen Tätigkeiten einging. Das sei sein Vorteil – dass man ihn in der Stadt kenne. Und er die Stadt.
Ob sich Rottweil weiter entwickeln müsse und wenn ja in welche Richtung, wollte SPD-Sprecher Arved Sassnick auch von diesem Kandidaten wissen. Er glaube nicht, dass es in der Einwohnerzahl zu einem großen Sprung komme, so der Kandidat. Rottweil solle vielmehr seinen Charme behalten, man könne aus Rottweil „keine Tourismusstadt machen, die sie einfach nicht ist.“
Er habe sicher den schärfsten Blick auf die Geschichte Rottweils, mutmaßte FDP-Sprecher Harald Sailer. Was denn falsch gelaufen sei, wo es Fehler gegeben habe, wollte der Stadtrat vom Kandidaten wissen. „Das ist schwer, im Nachhinein zu beurteilen“, antwortete Weiss. Jede Entscheidung falle in ihre Zeit und habe ihre Hintergründe. Allenfalls beim Parkhaus am Nägelesgraben, da sei aus seiner Sicht vielleicht manches nicht gut kommuniziert worden.
Während seine Mitbewerber saßen, stellte Weiss sich stehend vor.