Samstag, 20. April 2024

Kleinere Energieanbieter klappen zusammen – wie geht’s der ENRW und den Stadtwerken Schramberg?

Für NRWZ.de+ Abonnenten: 

„Pleitewelle: Nächster Stromversorger meldet Insolvenz an“ – so titelte die WirtschaftsWoche gestern. Hohe Energiepreise brächten vorwiegend kleinere Versorger weiter in existenzielle Nöte, heißt es in dem Beitrag. Das Portal „verbraucherhilfe-stromanbieter.de“ listet mit Stand vom Donnerstag drei aktuelle Insolvenzen kleinerer Energieversorger auf, zwölf würden ihren Kunden gegenüber vorgezogene Kündigungen aussprechen – also mutmaßlich wackeln. Wie sieht es da im Kreis Rottweil aus? Konkret: Wie geht’s der ENRW und den Stadtwerken Schramberg?

Die „Verbraucherhilfe Stromanbieter“ zieht die Informationen zusammen. Nennt Ross und Reiter. Welche Unternehmen sich etwa mit vorgezogenen Abschlagserhöhungen zu retten versuchten, welche mit teils drastischen Preiserhöhungen von bis zu 350 Prozent. Und welche bereits die Flügel strecken, Insolvenz angemeldet haben. Ursprünglich wollte sich der Portalbetreiber nur gegen Unternehmen mit unseriösen Geschäftspraktiken wehren, bezeichnet sich selbst als Opfer. Nun aber scheinen genau diese schlecht aufgestellten, kleinen Energieversorger, die Kunden mit Bonuszahlungen und über den Preiskampf anzulocken versucht haben, zusammenzuklappen. Was dem Verbraucherhilfe-Portal ein zusätzliches Betätigungsfeld einbrachte.

Steigende Einkaufspreise zwingen Anbieter in die Knie

Hintergrund: Auf dem Energiemarkt ist seit Monaten einiges los und die Preise haben einen historischen Höchststand erreicht. Aus diesem Grund mussten bereits einige Stromanbieter Insolvenz anmelden. Etwa die Berliner Lition: „Die drastisch steigenden Einkaufspreise für Strom und Gas zwingen immer mehr deutsche Energieunternehmen in die Knie“, heißt es seitens des Energieversorgers. „Bis zuletzt haben wir versucht, einen Weg für den  nachhaltigen  Fortbestand unserer Firma zu finden.  Schweren Herzens müssen wir leider mitteilen, dass auch Lition diese Energiekrise nicht überleben kann und Insolvenz anmelden musste.“

Wie die „WirtschaftsWoche“ berichtet, gerieten vorwiegend kleinere Versorger durch drastisch erhöhte kurzfristigen Beschaffungskosten für Strom und Gas unter Druck. „Litions Pleite ist bereits die dritte seit Beginn der Krise im Spätsommer. Zuvor hatten die Strom- und Gaslieferanten Otima Energie AG und Smiling Green Energy Insolvenz angemeldet“, heißt es auf dem Portal für Wirtschaftsnachrichten. Insgesamt gibt es demzufolge in Deutschland rund 1100 Strom- und rund 900 Gasanbieter. Mehrere hätten in den vergangenen Tagen ihre Preise und auch Abschlagszahlungen zum Teil drastisch erhöht, um dem Kostendruck standhalten zu können. Auch der namhafte Konzern E.ON hat Medienberichten zufolge Neukunden vorübergehend keine Gasverträge mehr angeboten. Inzwischen tue er dies wieder.

Nach der Lition- und anderen Pleiten: Die Verbraucher müssten deshalb nicht gleich befürchten, bald im Dunkeln zu sitzen. „Die ununterbrochene Versorgung mit Strom ist gesetzlich gewährleistet. Du bist ab dem 28. Oktober 2021 automatisch in der sogenannten Ersatzversorgung, die dein örtlicher Grundversorger nahtlos übernommen hat“, schreibt Lition kumpelhaft ihren Kunden.

Grundversorger übernimmt laut Gesetz – und könnte selbst in Schwierigkeiten stecken

Die Versorgung soll also gesichert sein. Was aber ist, wenn der Grundversorger die Flügel streckt?

„Strompreishoch: Erster Grundversorger gibt auf“, titelte alarmierend die „Zeitung für kommunale Wirtschaft“ (ZfK) zum Monatsanfang (Bezahlartikel). Das Elektrizitätswerk Ziegler, das die 6000-Einwohner-Gemeinde Kappelrodeck beliefert hat – und auf eine 172-jährige Unternehmensgeschichte als Stromlieferant im Achertal zurückblicken kann – ist am Ende.

Ziegler: „Wie es in den vergangenen Tagen bereits den Medien zu entnehmen war, haben sich am Rohstoff- und Energiemarkt noch nie dagewesene Preisexplosionen ergeben. Dies hat nun zur Folge, dass sich mit unseren aktuellen Einkaufskonditionen keine marktgerechten Kundenpreise mehr anbieten lassen. So hatten sich etwa in der Höchstpreishase Anfang dieses Oktobers die Preise gegenüber dem Vorjahreszeitraum um den Faktor 5 verteuert.“

Deshalb sei man leider gezwungen, noch vor dem Jahreswechsel eine Preiserhöhung zum 1.12.2021 vorzunehmen. Und zugleich zu verkünden: Die Einstellung des Stromvertriebs erfolgt dann zum 31.12.2021.“ Hintergrund: Durch die Preiserhöhung zum 1.1 Dezember erhalten unsere Kunden ein Sonderkündigungsrecht. Das heißt, sie können aus der bisherigen Belieferung – ohne Einhaltung einer Frist – gleich in einen neuen Stromliefervertrag eines Stromanbieters wechseln, ohne den erhöhten Preisanpassungen ausgeliefert zu sein, so Ziegler weiter.

Nachgefragt: Wie geht es den Schramberger Stadtwerken …

„Generell ist anzumerken, dass wir an der Strom- und Erdgasbörse noch nie solche Preissprünge in so kurzer Zeit verzeichnen konnten“, sagt Peter Kälble, Geschäftsführer der Stadtwerke Schramberg. „Innerhalb wenigen Minuten waren die Preisunterschiede an der Börse mitunter sehr groß, was auf große Unsicherheiten und Nervosität am Markt schließen lässt“, so der Chef des regionalen Energie- und Wasserversorgers. Dabei spiele natürlich die „Großwetterlage“ bei den Energiepreisen ebenfalls eine wichtige Rolle. Dazu gehörten die konjunkturelle Entwicklung und der damit verbundene „Energiehunger“ weltweit. Ablesbar ist das an den globalen Handelsplätzen für Öl, Erdgas und Kohle, sagt Kälble.

Um das klarzustellen: „Wichtig ist mir an der Stelle zu sagen“, fügt der Stadtwerke-Chef an, „dass die aktuelle Preisentwicklung bei uns in Deutschland nicht primär eine Folge unserer Energiewende, sondern wesentlich mit der geschilderten globalen Preisentwicklung erklärbar ist.

Für die Beschaffung der Versorger seien die Entwicklungen an der Energiepreisbörse EEX, der European Energy Exchange AG, ausschlaggebend. Grundsätzlich gebe es verschiedene Handelsprodukte an der Strom- beziehungsweise Erdgasbörse: langfristige Produkte wie etwa Jahreskontrakte und kurzfristige wie den Spotmarkt. Kälble verweist auf den vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) veröffentlichten Konjunkturbericht. Darin heißt es: „Die Strompreise im Großhandel steigen derzeit weiterhin deutlich an. Der seit Herbst 2020 bestehende Aufwärtstrend setzte sich über das ganze Jahr 2021 hinweg nahtlos fort.“

In Zahlen, veröffentlicht vom BDEW:

Baseload-Strom für das Folgejahr kostete im August 81,46 €/MWh und damit über 40 €/MWh mehr als im Jahresmittel 2020. Im laufenden Monat September stieg der Baseload-Preis bislang weiter auf durchschnittlich 95 €/MWh und hat am 15. September 2021 die 100 €-Marke überschritten. Peakload-Strom notierte im August bei durchschnittlich 94,19 €/MWh und stieg Mitte September auf 120 €/MWh. Auch die Preise für Strom im Kurzfristhandel sind im August und im bisherigen Verlauf des Septembers weiter deutlich gestiegen. Im August lag der Preis im Spotmarkt durchschnittlich bei 82,70 €/MWh und stieg im Verlauf des Septembers auf deutlich über 100 €/MWh an. Am 15. September 2021 kostete eine Megawattstunde Strom in den Tagstunden durchschnittlich 185 €/MWh.

Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft

Gründe für den Anstieg seien unter anderem die gestiegenen CO2-Preise.

„Bei diesen Preisentwicklungen wird eine vorausschauende Beschaffungsstrategie immer wichtiger“, so der Schramberger Stadtwerkechef, Kälble. „Was passieren kann, wenn die Risiken in der Beschaffung nicht beherrscht werden, zeigt etwa die Firma Immergrün.“ Über diesen Energieanbieter berichtete das Handelsblatt unter dem Titel „Erster großer Stromanbieter stellt Lieferungen gebietsweise ein“ (Bezahlartikel), Immergrün habe hunderten Kunden die Lieferverträge gekündigt. „Es dürfte nicht der letzte Stromanbieter sein, der diesen drastischen Schritt geht“, so das Handelsblatt. „Immergün“ ist eine Marke der Rheinischen Elektrizitäts- und Gasversorgungsgesellschaft.

Kälble erklärt: „Für uns als Stadtwerke Schramberg ist deswegen eine seriös aufgestellte Beschaffungsstrategie wichtig, die Spekulationen mit Preisentwicklungen ausschließt und eine faire Preispolitik gegenüber unseren Kunden ermöglicht. Wer Preissprünge wie im Fall der Firma Immergün argumentieren muss, verliert an Glaubwürdigkeit und schließlich auch seine Kunden.“

So liest sich die Seite Aktuelles der Stadtwerke Schramberg auch noch beruhigend, da wird von Gewinnspielen berichtet, von Kundentreue, von neuen Versorgungsleitungen und davon, dass das Unternehmen mit Gütesiegel „Top-Lokalversorger 2021“ ausgezeichnet worden sei.

… und wie geht’s der ENRW?

„Seit Juni 2021 steigen die Erdgas- und Strompreise am Großhandelsmarkt extrem an (> 100 %)“, berichtet Dr. Jochen Schicht, Abteilungsleiter Kommunikation und Marketing bei der ENRW Energieversorgung Rottweil. Dies sei aber kein Thema der ENRW, sondern betreffe die gesamte Energiebranche und beschäftige damit die Politik im In- und Ausland.

Der ENRW-Sprecher erläutert: „Die Beschaffungsstrategie der ENRW für Strom und Gas basiert auf einer langfristigen Aufteilung der zu beschaffenden Mengen mit unterschiedlichen Einkaufzeitpunkten, entsprechend den jeweils hinterlegten Vertragslaufzeiten der eigenen Lieferverträge.“ Durch diese Risikostreuung könnten extreme Preisanstiege für die Bestandskunden geglättet beziehungsweise abgemildert werden.

Problematisch könnte laut Schicht nun für Kunden werden, die sich für einen anderen Energieanbieter als den örtlichen Grundversorger wie die Schramberger Stadtwerke und die ENRW entschieden haben, der die Versorgung kurzfristig einstellt. „Bislang haben schon drei Energielieferanten in den Versorgungsnetzen der ENRW die Belieferung eingestellt“, so Schicht weiter. Mit weiteren Einstellungen und/oder Insolvenzen müsse man rechnen. „Sofern es Haushaltskunden betrifft, fallen diese Kunden für bis zu drei Monate in die sogenannte „Ersatzversorgung“, die wir gesetzlich anbieten müssen, da wir die meisten Kunden in den hiesigen Netzgebieten versorgen.“

Welche Auswirkungen die aktuelle Lage hat, zeige sich demnächst: „Die Tarife für das kommende Jahr und für die Neukunden werden in den kommenden Wochen kalkuliert und im Aufsichtsrat verabschiedet“, kündigte der ENRW-Sprecher an. Dass das Unternehmen wirtschaftlich arbeiten muss, auch: „Was die Energie für Industrie- und Gewerbekunden anbelangt, muss diese zu den hohen Preisen beschafft und dann in den Verträgen abgebildet werden.“

Insgesamt könne die ENRW der extrem angespannten Marktsituation wegen ihrer starken regionalen Marktposition und vor dem Hintergrund der aufgezeigten Beschaffungsstrategie gelassen entgegensehen, so Schicht.

Aber klar sei auch, dass bei der Wahl des Energieanbieters das ausschließliche Prinzip „Geiz ist geil“ gefährlich sein könnte. Schicht: „Das Thema ‚Versorgungssicherheit‘ wird für die Kunden dabei in Zukunft wieder an Bedeutung gewinnen.“

image_pdfPDF öffnenimage_printArtikel ausdrucken
Peter Arnegger (gg)https://www.nrwz.de
... ist seit gut 25 Jahren Journalist. Mehr über ihn hier.