Analysen und Parteiwerbung – ein Ex-Polizist als Autor und AfD-Sympathisant

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Ist die innere Sicherheit in Deutschland auf Untergangskurs – Titanic in Uniform? Ein Buch des früheren Polizeibeamten Norbert Zerr, soeben erschienen, stellt diese Frage.

Zerr ist in hiesigen Breiten kein Unbekannter: Als Polizeibeamter war er unter anderem in Rottweil tätig. 2002 kandidierte er als Bürgermeister in Villingendorf, ein Jahr später wurde er in Irndorf im Kreis Tuttlingen gewählt und blieb acht Jahre im Amt. Viele kennen ihn aber in einer anderen Funktion: Mit seiner „Roxx Band“ bringt er seit Jahren in der „Hochbrücke“ Stimmung ins Publikum.

Als Ex-Polizist mit vielen Kontakten zu seinen früheren Kollegen, als Beobachter der politischen Landschaft hat er jetzt, in Corona-Zeiten, ein Buch herausgebracht: „Polizei im Fadenkreuz. Innere Sicherheit auf Untergangkurs“. Dabei spricht er viele Probleme an, die ihn als Polizei-Hauptkommissar (PHK) beschäftigt und gestört haben und die seine Ex-Kollegen heute noch beschäftigen. Er lässt eigene Erfahrungen ebenso einfließen wie die von noch aktiven Beamten und zeigt damit deutlich auf, woran es seiner und deren Meinung nach krankt.

Zum Beispiel der Personalmangel und die Reaktion der Politik darauf. Wenn sich Politiker damit brüsten, wie viele neue Beamte sie eingestellt haben und dabei geflissentlich übersehen, wie viele in diesem Zeitraum in Pension gehen (wie, um das Buch zu ergänzen, erst jüngst in Rottweil beim Besuch des Innenministers geschehen). Zerr geht mit der Polizeireform ins Gericht. Frust bei den Beamten konstatiert er auch, wenn festgenommene Straftäter bald wieder entlassen und dann vom Gericht mit Milde (oder gar nicht) bestraft würden. „In der Instanz nach der Polizeiarbeit, der Justiz, führt es immer häufiger dazu, dass Kriminelle groß keine Konsequenzen mehr zu befürchten haben“, schreibt er. Auch, ganz aktuell, die Zustände bei und nach den Krawallnächten in Stuttgart und Frankfurt – und den Frust der eingesetzten Beamten. Nicht zu vergessen: Die „No-go-Areas“, die es zwar noch nicht hier, aber in einigen Städten gibt. Sagt jedenfalls Zerr.

Die Beschreibungen durchsetzt er mit eigenen Erlebnissen aus seiner aktiven Zeit, von der Ausbildung bis zu seinem letzten Einsatz im Zusammenhang mit dem furchtbaren Flugzeugabsturz bei Überlingen. Eindringlich schildert er, was im Alltag der Beamten vorkommen kann und vorkommt – bis zur eigenen Verletzung.

Dies alles ist sehr interessant, es bietet einen Einblick in die Polizeiarbeit aus erster Hand und Warnung vor bedenklichen Tendenzen in Gesellschaft und Politik. Ein durchaus wichtiger Diskussionsbeitrag. Es hätte also ein gutes Buch werden können. Doch Zerr steht sich selbst im Weg.

Da ist zunächst ein Interview mit einem noch aktiven Polizeihauptkommissar. Mehr als 50 der knapp 280 Seiten nimmt es ein – zunächst mit durchaus interessanten Feststellungen. Doch dann driftet es ab, zur reinen Partei-Propaganda. Dies übernimmt Zerr dann im Folgenden. Das wäre schon peinlich genug, wenn es Werbung für CDU, SPD, Grüne, FDP oder eine andere Partei wäre. Oberpeinlich wird es aber, wenn seitenweise Sätze im Buch stehen, die aus der Wahlwerbung der AfD kommen könnten. Und das Ganze, ohne dass auch nur mit einem Wort die rechtsextemen Strömungen in dieser Partei, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz erwähnt werden. Werbung für die Wahlen von 2016 (Land) und 2017 (Bund) übrigens, nicht für 2021. Denn das Interview ist erkennbar schon älter, so etwa drei Jahre. Weite Teile des Buches sind das ebenfalls, was daran zu erkennen ist, dass aktuelle Entwicklungen keine Erwähnung finden – beispielsweise, dass inzwischen (durchaus zu Recht) immer wieder die Nationalitäten von Tätern genannt werden. Oder dass inzwischen durchaus effektiver gegen Clan-Kriminalität vorgegangen wird.

Wenn Zerr wirklich einen „mutigen Verleger“ (wie er im Nachwort schreibt) gefunden hätte, dann hätte ihm ein mutiger Lektor diese Passagen deutlich zurechtgestutzt – denn das Buch wäre, wie gesagt, ohne die darin gestreute Parteiwerbung und mit mehr Aktualisierungen als gelungen zu bezeichnen. (Norbert Zerr: Polizei im Fadenkreuz. Innere Sicherheit auf Untergangskurs. Gerhard Hess-Verlag Bad Schussenried. ISBN 978-3-87336-688-6).

Auf einen gelungenen Auftritt des Autors mit seiner Band beim nächsten „Jazz in Town“, wenn es das wieder geben sollte, dürfen wir uns aber uneingeschränkt freuen.

Das interessiert diese Woche



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Ist die innere Sicherheit in Deutschland auf Untergangskurs – Titanic in Uniform? Ein Buch des früheren Polizeibeamten Norbert Zerr, soeben erschienen, stellt diese Frage.

Zerr ist in hiesigen Breiten kein Unbekannter: Als Polizeibeamter war er unter anderem in Rottweil tätig. 2002 kandidierte er als Bürgermeister in Villingendorf, ein Jahr später wurde er in Irndorf im Kreis Tuttlingen gewählt und blieb acht Jahre im Amt. Viele kennen ihn aber in einer anderen Funktion: Mit seiner „Roxx Band“ bringt er seit Jahren in der „Hochbrücke“ Stimmung ins Publikum.

Als Ex-Polizist mit vielen Kontakten zu seinen früheren Kollegen, als Beobachter der politischen Landschaft hat er jetzt, in Corona-Zeiten, ein Buch herausgebracht: „Polizei im Fadenkreuz. Innere Sicherheit auf Untergangkurs“. Dabei spricht er viele Probleme an, die ihn als Polizei-Hauptkommissar (PHK) beschäftigt und gestört haben und die seine Ex-Kollegen heute noch beschäftigen. Er lässt eigene Erfahrungen ebenso einfließen wie die von noch aktiven Beamten und zeigt damit deutlich auf, woran es seiner und deren Meinung nach krankt.

Zum Beispiel der Personalmangel und die Reaktion der Politik darauf. Wenn sich Politiker damit brüsten, wie viele neue Beamte sie eingestellt haben und dabei geflissentlich übersehen, wie viele in diesem Zeitraum in Pension gehen (wie, um das Buch zu ergänzen, erst jüngst in Rottweil beim Besuch des Innenministers geschehen). Zerr geht mit der Polizeireform ins Gericht. Frust bei den Beamten konstatiert er auch, wenn festgenommene Straftäter bald wieder entlassen und dann vom Gericht mit Milde (oder gar nicht) bestraft würden. „In der Instanz nach der Polizeiarbeit, der Justiz, führt es immer häufiger dazu, dass Kriminelle groß keine Konsequenzen mehr zu befürchten haben“, schreibt er. Auch, ganz aktuell, die Zustände bei und nach den Krawallnächten in Stuttgart und Frankfurt – und den Frust der eingesetzten Beamten. Nicht zu vergessen: Die „No-go-Areas“, die es zwar noch nicht hier, aber in einigen Städten gibt. Sagt jedenfalls Zerr.

Die Beschreibungen durchsetzt er mit eigenen Erlebnissen aus seiner aktiven Zeit, von der Ausbildung bis zu seinem letzten Einsatz im Zusammenhang mit dem furchtbaren Flugzeugabsturz bei Überlingen. Eindringlich schildert er, was im Alltag der Beamten vorkommen kann und vorkommt – bis zur eigenen Verletzung.

Dies alles ist sehr interessant, es bietet einen Einblick in die Polizeiarbeit aus erster Hand und Warnung vor bedenklichen Tendenzen in Gesellschaft und Politik. Ein durchaus wichtiger Diskussionsbeitrag. Es hätte also ein gutes Buch werden können. Doch Zerr steht sich selbst im Weg.

Da ist zunächst ein Interview mit einem noch aktiven Polizeihauptkommissar. Mehr als 50 der knapp 280 Seiten nimmt es ein – zunächst mit durchaus interessanten Feststellungen. Doch dann driftet es ab, zur reinen Partei-Propaganda. Dies übernimmt Zerr dann im Folgenden. Das wäre schon peinlich genug, wenn es Werbung für CDU, SPD, Grüne, FDP oder eine andere Partei wäre. Oberpeinlich wird es aber, wenn seitenweise Sätze im Buch stehen, die aus der Wahlwerbung der AfD kommen könnten. Und das Ganze, ohne dass auch nur mit einem Wort die rechtsextemen Strömungen in dieser Partei, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz erwähnt werden. Werbung für die Wahlen von 2016 (Land) und 2017 (Bund) übrigens, nicht für 2021. Denn das Interview ist erkennbar schon älter, so etwa drei Jahre. Weite Teile des Buches sind das ebenfalls, was daran zu erkennen ist, dass aktuelle Entwicklungen keine Erwähnung finden – beispielsweise, dass inzwischen (durchaus zu Recht) immer wieder die Nationalitäten von Tätern genannt werden. Oder dass inzwischen durchaus effektiver gegen Clan-Kriminalität vorgegangen wird.

Wenn Zerr wirklich einen „mutigen Verleger“ (wie er im Nachwort schreibt) gefunden hätte, dann hätte ihm ein mutiger Lektor diese Passagen deutlich zurechtgestutzt – denn das Buch wäre, wie gesagt, ohne die darin gestreute Parteiwerbung und mit mehr Aktualisierungen als gelungen zu bezeichnen. (Norbert Zerr: Polizei im Fadenkreuz. Innere Sicherheit auf Untergangskurs. Gerhard Hess-Verlag Bad Schussenried. ISBN 978-3-87336-688-6).

Auf einen gelungenen Auftritt des Autors mit seiner Band beim nächsten „Jazz in Town“, wenn es das wieder geben sollte, dürfen wir uns aber uneingeschränkt freuen.

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Wolf-Dieter Bojus
Wolf-Dieter Bojus
... war 2004 Mitbegründer der NRWZ und deren erster Redakteur. Mehr über ihn auf unserer Autoren-Seite.