(Meinung). Es sind immer noch gut drei Wochen bis zur Bundestagswahl 2021. Doch die Parteien stecken längst in der heißen Endphase des Wahlkampfs. Ihre Kandidaten auch im Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen sind unterwegs auf Straßen und Plätzen, von Haustür zu Haustür und von Firma zu Vereinsheim. Mit im kleinen Tross: parteieigene Berichterstatter, die minutiös festhalten und für die Presse aufbereiten, was ihre Protagonisten sagen und tun. So erhalten Sie, liebe Leser, Einblick auch in recht kleine Runden wie etwa die der CDU bei der Rottweiler Senioren- und der Frauen-Union in den Räumen der Gartenfreunde*. Da muss es besonders heiß hergegangen sein, glaubt man dem Berichterstatter. Seinen Beitrag wollen wir aber nicht unkommentiert bringen.
Fleisch essen? Verbieten! Ein Eigenheim bauen und darin wohnen? Verbieten! Auto fahren in der Stadt? Verbieten! Die erlaubte Alternative: das Lastenfahrrad! Genauso prallen die verschiedenen Welten aufeinander, wenn die Tübinger CDU-Bundestagsabgeordnete Annette Widmann-Mauz mit den linken Parteien diskutiert und diese ihr ‚Erziehungsprogramm für eine ‚wahre und bessere Welt‘ vorlegen.
Pressemitteilung der Rottweiler CDU
So beginnt ein Text des Rottweiler CDU-Berichterstatters Robert King. Der Mann macht seinen Job seit Jahrzehnten und versteht sein Handwerk – das er immer auch als Transportmittel für die parteiische Sicht auf die politischen Themen sieht und gesehen hat. Die Texte sind bestens lesbar und blumig gestaltet, aber auch eindeutig durchgefärbt. So wird hier behauptet, linke Parteien wollten etwa das Fleisch essen verbieten. Wollen sie das wirklich? Die Grünen-Kandidatin für den Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen, Annette Reif, war gerade erst „als Veganerin beim Metzger„, wie ein Text aus ihrer Partei vermittelt, den die NRWZ veröffentlicht hat. Ein Text, der nicht etwa die CDU als eine Partei geißelt, die uns Fleisch aufzwingen will, um den Fleischspieß mal umzudrehen.
Und dann steht da bei der örtlichen CDU, die „linken Parteien“ erlaubten als Alternative nur noch das Lastenfahrrad. Man muss in kein Parteiprogramm von SPD über Grüne bis Linke schauen, um das als Fake News zu erkennen. Aber die CDU sieht das so – beziehungsweise: tut so, als sehe sie das so. „Bei der Veranstaltung von Senioren-Union und Frauen-Union im Vereinsheim des Vereins der Gartenfreunde zwischen Rottweil und Hausen“, lässt uns Berichterstatter King wissen, habe die Bundestagsabgeordnete Widmann-Mauz den verblüfften Teilnehmern erzählt, dass sie „den Grünen und Linken“ immer die Frage stelle, „wie das Holz in die Stadt gebracht werden soll – denn es soll nur noch Holzbauweise gestattet sein. Mit dem Fahrrad?“
Grünen-Bashing vom Feinsten. Es ging der Partei in ihrem umstrittenen Vorschlag darum, 1000 Euro Zuschuss für die Auto-Alternative auszuloben mit dem Ziel, die Zahl der Lastenräder im Land auf eine Million zu steigern. Oder war da irgendwo von einem Verbot die Rede?
Der Grund für die NRWZ, diesen Text ausnahmsweise nicht unkommentiert zu bringen. Wenn die Parteien in ihrer Berichterstattung wenigstens mit einem Fuß auf dem Boden der Wahrheit bleiben – kein Problem. Aber so? So fühlen wir uns als Lokalzeitung benutzt.
Und weiter: „Kein Denunziantentum, kein Bevormunden und Erziehen! Vielmehr gehe es um ein faires und offenes Miteinander: ‚Hass und Hetze haben bei uns keinen Platz!'“, postuliert die örtliche CDU in ihrem Beitrag. Wenige Zeilen darüber finden wir jedoch die Behauptung, dass „die linken Parteien jeden als asozial bezeichnen, der nicht ihren Spuren folgt“ – wer hetzt denn nun?
Das tut die CDU in ihrer aktuellen Mitteilung auch gegen den baden-württembergischen Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne). Dieser hat ein Portal vorgestellt, über das Bürgerinnen und Bürger anonym Verstöße gegen Straf- und Steuergesetze melden können. Das ging auch schon bisher, jedoch nur telefonisch, schriftlich oder persönlich. Doch hätten häufig relevante Informationen gefehlt, sodass Ermittlungen unmöglich seien, hieß es aus dem Finanzministerium. Eine Kampagne nach Art der AfD sei das, wettert nun die CDU. Will sie Steuerhinterziehung nicht bekämpfen?
Immerhin kündigt Kings Text an, die „klaren und deutlichen Abgrenzungen gegenüber der SPD, den Grünen und der Linkspartei“ herauszuarbeiten, die die CDU zu bieten habe: „Wir trauen den Menschen etwas zu. Jedem und jeder Einzelnen, so wie er oder sie ist“, schreibt er und ordnet das Zitat der Bundestagsabgeordneten zu. „Mit Kreativität, Entfaltungsmöglichkeiten, Technologieoffenheit und Eigenverantwortung. Egal bei welchem Thema, ob Klima oder Zukunft der Mobilität“, ergänzt er offenbar selbst. Konkrete Hinweise auf die Pläne der Partei liefert die CDU hier allerdings nicht.
Nein, statt dessen kommt die Behauptung, die Grünen wollten „unkontrollierten Zugang“ von Flüchtlingen aus Afghanistan. Stimmt das? Man liest nur etwas von „Menschenleben retten – schnelle, unbürokratische Evakuierung jetzt, Ortskräfte nicht im Stich lassen, egal für welche deutsche Behörde sie wann tätig waren, die USA unterstützen, den Flughafen sicher und offenzuhalten, Familien zusammenhalten und Bleibeperspektiven eröffnen.“ Steht da „unkontrollierter Zugang“?
„Die Frage, ‚wer uns regieren soll‘, erübrigte sich damit fast in der knapp zweistündigen Veranstaltung mit Annette Widmann-Mauz“, schließt CDU-Berichterstatter King. Für ihn vielleicht.
Leider versäumt er es dann, inhaltlich näher auf die eigentliche Kandidatin einzugehen, die den Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen als Nachfolgerin von Volker Kauder beerben soll. Gerne hätten wir erfahren, was sie so auf der Pfanne hat. King schreibt: „Doch damit war der Nachmittag noch nicht vorbei: während sie (Widmann-Mauz) zum nächsten Termin aufbrach, debattierte die CDU-Bundestagskandidatin Maria-Lena Weiss mit den sehr diskussionsfreudigen Besuchern eine weitere Stunde intensiv über die Themen, die die Menschen in diesen aufwühlenden Zeiten bewegen. Denn ‚es geht um so vieles bei der Wahl‘, sagte nicht nur sie bei der von sehr viel Nachdenklichkeit geprägten Veranstaltung.“
Erlauben Sie mir dazu eine Stellungnahme: Natürlich sind wir als NRWZ und sind die anderen Redaktionen dankbar, wenn uns die Parteien Berichte von ihren vielen, vielen Veranstaltungen zusenden. Niemand schickt bei diesen kleinen Terminen bei 20 und weniger Zuhörern eigene Berichterstatter. Doch müssen wir schon auch schauen, was wir dann an unsere Leserinnen und Leser verbreiten. Meist tun wir dies unkommentiert und ja, hin und wieder kommt auch recht hanebüchenes, schlecht redigiertes Zeug in unsere Nachrichtenspalten. Aber das, was die CDU hier vorgelegt hat, ist ein neuer Tiefpunkt.
Um sich aber ein eigenes Bild machen zu können, hier für Sie, liebe Leserinnen und Leser, der oben besprochene Text im Originalton:
Erziehen und bevormunden – oder doch lieber auf das verantwortliche Tun der Menschen setzen?
Annette Widmann-Mauz im Vereinsheim der Gartenfreunde in Rottweil
Fleisch essen? Verbieten! Ein Eigenheim bauen und darin wohnen? Verbieten! Auto fahren in der Stadt? Verbieten! Die erlaubte Alternative: das Lastenfahrrad! Genauso prallen die verschiedenen Welten aufeinander, wenn die Tübinger CDU-Bundestagsabgeordnete Annette Widmann-Mauz mit den linken Parteien diskutiert und diese ihr Erziehungsprogramm für eine „wahre und bessere Welt“ vorlegen.
Bei der Veranstaltung von Senioren-Union und Frauen-Union im Vereinsheim des Vereins der Gartenfreunde zwischen Rottweil und Hausen berichtete sie den verblüfften Teilnehmern über ihre dann den Grünen und Linken gestellte Frage, wie das Holz in die Stadt gebracht werden soll – denn es soll nur noch Holzbauweise gestattet sein. Mit dem Fahrrad?
Sie, die seit März 2018 als Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration eine zentrale Funktion innehat, zeigte anhand von drei Fragestellungen, worauf es bei dieser Bundestagswahl ankommt: Wie wollen wir leben? Wovon wollen wir leben? Wer soll uns regieren?
Mit klaren und deutlichen Abgrenzungen gegenüber der SPD, den Grünen und der Linkspartei: „Wir trauen den Menschen etwas zu. Jedem und jeder Einzelnen, so wie er oder sie ist.“ Mit Kreativität, Entfaltungsmöglichkeiten, Technologieoffenheit und Eigenverantwortung. Egal bei welchem Thema, ob Klima oder Zukunft der Mobilität. Doch wenn die linken Parteien jeden als asozial bezeichnen, der nicht ihren Spuren folgt und wenn sie gleichzeitig Forderungen erheben, die viel Geld kosten, aber die Wirtschaft durch Steuer- und Abgabenerhöhungen an den Kragen gehen wollen, „dann würgen sie den Motor ab. Anstatt ihn am Laufen zu halten.“ Mit unabsehbaren Folgen.
Und der neueste „Coup“ des grünen Landesfinanzministers: sein Aufruf, Steuerhinterzieher anonym anzeigen zu sollen, erinnert die CDU-Politikerin an die damalige AfD-Kampagne, „kritische Lehrer“ zu denunzieren: „Beides lehne ich, lehnen wir als CDU kategorisch ab.“
Kein Denunziantentum, kein Bevormunden und Erziehen! Vielmehr gehe es um ein faires und offenes Miteinander: „Hass und Hetze haben bei uns keinen Platz!“ Klare Aussagen kamen von Annette Widmann-Mauz auch zu Afghanistan und zur Diskussion über die möglichen Folgen: „Die Aufnahme von Flüchtlingen kann nur im Verbund und gemeinsam mit der Europäischen Union erfolgen. Und wir wollen wissen, wer zu uns hereinkommt.“
Es dürfe keinen unkontrollierten Zugang geben, „denn wollen aber die Grünen“, und: „Wer bei uns bleiben will, muss sich integrieren. Und Integration beginnt am ersten Tag.“
Die Frage, „wer uns regieren soll“, erübrigte sich damit fast in der knapp zweistündigen Veranstaltung mit Annette Widmann-Mauz.
Doch damit war der Nachmittag noch nicht vorbei: während sie zum nächsten Termin aufbrach, debattierte die CDU-Bundestagskandidatin Maria-Lena Weiss mit den sehr diskussionsfreudigen Besuchern eine weitere Stunde intensiv über die Themen, die die Menschen in diesen aufwühlenden Zeiten bewegen. Denn „es geht um so vieles bei der Wahl“, sagte nicht nur sie bei der von sehr viel Nachdenklichkeit geprägten Veranstaltung.
*Wir hatten zunächst geschrieben, es habe sich um eine „recht kleine Runde der CDU bei den Rottweiler Gartenfreunden“ gehandelt. Dadurch konnte unter Umständen der Eindruck entstehen, es habe sich um eine Veranstaltung der Gartenfreunde gehandelt, es bestehe eine Verbindung zwischen diesen und der Partei. Tatsächlich handelte sich schlicht um eine Veranstaltung der Senioren- und der Frauen-Union der CDU in den Räumen der Gartenfreunde. Wir bitten, die Ungenauigkeit zu entschuldigen.